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Sep 2023

Fantasy Filmfest 2023: Ein- und Nachdrücklichkeiten

Themen: Fantasy Filmf. 23, Film, TV & Presse |

Das Festival ist lange vorbei, mein Kopf ist wieder klar – Zeit für eine einordnende Rückschau. Wie war’s denn nun?

Den Anfang machte eine kleine Enttäuschung – auf den Dauerkartenbesitzer wartete nur die übliche langweilige Baumwolltasche und das ebenfalls übliche T-Shirt. Da ging z.B. 2019 noch erheblich mehr:

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Ich erwähne das nur, weil es durchaus Teil eines größeren Problems ist. Man hat das Gefühl, dass dem Festival immer mehr die Luft ausgeht. Immer weniger Gäste, immer weniger Sponsoren, immer weniger Rahmenprogramm, immer weniger eigenproduzierte Trailer. Ich darf daran erinnern, dass in den 90ern und 00ern noch TV Spielfilm, 13th Street und andere große Partner mit an Bord waren.

Nun kann man sagen: wen schert’s? Aber man hat doch ein wenig das Gefühl, nicht mehr auf einem Festival zu sein, sondern bei einer Abspielveranstaltung. Dafür war der Zuschauerandrang gefühlt deutlich größer als in den letzten Jahren, was ich durchaus begrüße. The more, the merrier.

Bei meinen Reviews nicht erwähnt hatte ich den Kurzfilm EISSPIN, DER SEHR SCHRECKLICHE, der vor dem Eröffnungsfilm gezeigt wurde und bei dessen Weltpremiere die Macher auch vor Ort waren:

Es handelt sich dabei um eine Art “proof of concept”: Der unvermeidliche Christoph Maria Herbst spielt den Schrecksenmeister Eisspin, der die verhungernde Kratze Echo zu einem Pakt nötigen will. Durchaus aufwändig und schön inszeniert, soll damit augenscheinlich das Interesse an einer Verfilmung von Walter Moers DER SCHRECKSENMEISTER geweckt werden. Ich habe mich gut unterhalten und drücke allen Beteiligten die Daumen dafür.

Mit der Verpflegung ist das beim Fantasy Filmfest so eine Sache. Die Filme sind (inkl. der Trailer) leider so getaktet, dass nie Zeit für eine richtige Mahlzeit bleibt, was zumindest vor dem Hauptabendfilm helfen würde. Im Gegensatz zum Cinema hat man in der Umgebung des City aber wenigstens ausreichend Angebote in Sachen Fastfood und Einkauf. Also wieder nach nebenan in den 1 Euro-Laden für kalte Getränke. Mein Tipp: Eistee, weil der im Gegensatz zu Cola oder Energy Drinks auch noch schmeckt, wenn er Raumtemperatur erreicht. An Feststoff: Leberkäs-Semmel von Vinzenz Murr, Kartoffelbrei bei Brezelina, auch mal ein schnelles McMenü. Darüber hinaus immer dabei: Kekse, Nimm2 und TicTac.

Auch 2023 ein Highlight – weltbestes Corn Dog bei Anzi Kitchen:

Wer im Saal sitzt und vor Hunger wegzusterben droht, dem kann ich eine Option verraten, auf die er vermutlich noch nicht gekommen ist: Kaugummi. Reichlich vorhanden. Praktisch unter jedem Stuhlgriff im Kino. Einfach einen Kilo-Klumpen abkratzen und Guten Appetit. Womit ich eigentlich sagen möchte: wäre super, wenn die Kinoleitung da mal eine Säuberungsaktion starten könnte.

Wo wir bei “Säuberung” sind: Ich verstehe, dass es draußen teilweise 30 Grad hatte. Ich verstehe, dass manche Leute mit dem Fahrrad angeradelt kommen. Aber das ist keine Entschuldigung, einen Schweißgeruch in den Saal zu tragen, der auf fünf Meter Entfernung ein Kalb töten könnte. Es ist nicht so schwer: An solchen Tagen frischt man sich im Waschraum des Kinos etwas auf (Gesicht, Achselhöhlen, Nacken), kauft im DM nebenan vielleicht ein Deo, oder hat gar ein zweites T-Shirt im Rucksack. Deine wabernde Wolke Giftgas geht eben nicht nur dich was an.

Stichwort Sozialkontakte: Ich drängte ein Trio junger Besucher, angesichts des drohenden Filmbeginns auf den drei Plätzen neben mir ihr Lager aufzuschlagen. Als ich mitbekam, dass noch ein weiterer Kumpel erwartet wurde, rutschte ich ohne großes Aufsehen einen Sitz weiter. Dafür bot man mir begeistert Nachos an und erklärte dem Nachzügler: “Der Herr war so nett, einen Platz aufzurutschen.”

Der Herr?!

Es war übrigens der Frankster, der (fast?) einen Skandal auf dem Fantasy Filmfest aufgedeckt hat. Er bemerkte nämlich im Trailer der japanischen Trash-Gurke MAD CATS einen etwas “voreiligen” Lorbeerkranz:

Es wird noch weitere zwei Wochen dauern, bis das Festival in allen Städten rum ist. Wie kann MAD CATS jetzt schon der Gewinner des Fresh Blood Awards sein? Ich sprach die Veranstalter darauf man. Man nahm das erstaunlich nonchalant: vielleicht hätte der Verleih sich wegen eines sprachlich bedingten Missverständnisses die falsche Lorbeere vom Server gezogen.

Kann sein. Kann auch nicht sein. Ich beschäftige mich mit dem Thema ja nicht zum ersten Mal. Selbst wenn es sich um ein Versehen handeln sollte, wirft das kein gutes Licht auf die Beteiligten. Vor allem: wenn ich schon weiß, dass der Award vom Fantasy Filmfest gar nicht legitim präsentiert wird – wieso sollte ich dann alle anderen Lorbeeren glauben?

Was schon Standard geworden ist in den letzten Jahren sind die Videobotschaften vorab. Die sind immer von schwankendem Erkenntnisgewinn. Heuer mein Favorit war der Regisseur von THE SURVIVAL OF KINDNESS, während Christopher Gens kaum verhehlte, das ihm das Grußwort nach Deutschland am Arsch vorbei ging. Die Regisseurin von PERPETRATOR versprach, sich über Social Media mit allen Fragen und Kommentaren zu ihrem Film auseinanderzusetzen – ich bin fast versucht, ihr eine Übersetzung meiner Kritik zukommen zu lassen…

Ich pflege übrigens die These, dass die Veranstalter des Fantasy Filmfest vom letzten Jahr noch einen riesigen Karton ALIENOID-Mediabooks rumliegen haben. Die werden nämlich bei jedem Festival gleich mehrfach verlost. Ich selbst habe längst keinen Player mehr für so etwas, aber der Frankster ist Sammler und ich habe ihm deshalb in seiner Abwesenheit und im Rahmen des NEW GODS-Screenings eine geschossen – war nicht schwer:

Damit der Kostenlosigkeiten nicht genug – in den letzten drei Tagen des Festivals wurden auch noch reichlich Freikarten für IT LIVES INSIDE verteilt:

Der Film läuft bei uns erst im November an – Zeit genug, den inneren Widerwillen aufgrund der 32fachen Zwangsfütterung mit dem Trailer abzubauen.

Bei den Trailern habe ich mich übrigens ziemlich blamiert. Es ist ja mittlerweile Standard, dass man wirklich alles mit einem Pop/Rock-Klassiker unterlegt – langsamer gespielt und schön düster. Das war auch 2023 wieder der Fall. Beim Trailer zu THE CREATOR lief im Hintergrund “Dream on” und ich flüsterte dem Frankster zu: “Ein Punkt Abzug für die Scorpions”. Er schaute mich verwirrt an: “Das sind Aerosmith”. Ich wollte es nicht glauben. Eine Recherche später musste ich klein beigeben. In der Tat ist “Dream on” der erste Hit von Aerosmith von 1973. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass der banale Text zu den Scorpions passt und der untypisch glatte Gesang von Steven Tyler eher nach Klaus Meine klingt. So there.

Überraschung nach VERMIN, dem endgültig letzten Film des Festivals – jemand hatte einen Packen SPLATTING IMAGE am Kinoausgang ausgelegt. Ich packte ein, was noch da war, denn das legendäre Filmmagazin gehört zu den Klassikern, die ich meinem Scan-Archiv einverleibe.

Leider stellte sich daheim heraus, dass ich nur zwei der Ausgaben noch nicht gescannt hatte. Es wird sich ein weiterer Abnehmer finden, da bin ich sicher.

Ich bedanke mich explizit beim Frankster, dem Kommentator Nummer Neun und dem G-Man, die mir bei diversen Screenings Gesellschaft geleistet haben.

Und damit sind wir beim abschließenden Urteil, was das Programm angeht. Das ist gar nicht so leicht einzuordnen. Meine Standardfloskel lautete über weite Strecken des Festivals “Bestes Programm seit 2010!“. Aber das ist unfair, denn 2010 wurden immer zwei Filme parallel gezeigt und ich musste eine Vorauswahl treffen. Das erhöht massiv die Wahrscheinlichkeit, dass man in toto auf einen besseren Durchschnitt kommt. Trotzdem bleibe ich dabei: 2010 bleibt das abwechslungsreichste und dem Spirit des Festivals verwandteste Programm, das ich in 34 Jahren erleben durfte.

Es hilft auch nicht, dass das Programm 2023 in der zweiten Hälfte ein wenig nachgelassen hat und die echten Highlights ausgeblieben sind. Das passt dann insgesamt eher zu den Jahrgängen 2021 und 2022, die rückblickend ziemlich gut waren. Aber auch das kommt mit einer Fußnote: Seit und nach Corona haben die Veranstalter das Festival verkürzt (von 51 auf 32 Filme) und können damit eine Vorab-Auswahl treffen, die naturgemäß viele Gurken aussiebt.

All das muss ich in mein endgültiges Urteil einfließen lassen. Und das lautet: ein richtig gutes Jahr. Wenige kanadische und irische Füller, die beziehungskriselnde Paare in einsamen Landhäusern zeigen, wenig feministischer Kappes mit nur vagem Grusel-Aufhänger, wenige Fragezeichen ob der Eignung für das Festival. Dafür endlich mal wieder mehr Science Fiction, mehr Zeichentrick, mehr Avantgarde. Es gilt die Maxime “Die Mischung macht’s”. Würde ich “Kunst” wie CONANN in einem schwächeren Programm als ermüdende Strapaze sehen, kann er nach einem Adrenalin-Schub wie GOD IS A BULLET durchaus die richtige Abkühlung sein.

Die Auflistung mit den Bewertungen hatte ich ja bereits vor ein paar Tagen präsentiert. Es möge euch Rat und Warnung sein.

Was fehlt? Das, was den Begriff “der phantastische Film” füllt, was ich als seine Definition gelernt habe. Wo sind die Vampire, die Monster, die Aliens? Das Okkulte, das Übernatürliche, ist immer mehr dem Horror der Realität gewichen. Mag der Zeit geschuldet sein, aber wenn der Horrorfilm eben auch Eskapismus sein soll, würde es mich freuen, wenn er sich öfter mal wieder vom Tagesgeschehen weg bewegt und die Fantasie bedient.

Ich hadere auch ein wenig mit dem Mangel dessen, was wir in den 80er als Standards des Horrors zu schätzen gelernt haben. Die Freude am Splatter, an brechenden Knochen, dem kathartischen Blutspritzen – es hat weitgehend ebenso ausgedient wie billiges “tits & ass”. Tatsächlich hat nur ein einziger Film eine Nacktszene präsentiert – und das war die lesbische Schwester in FRONTIERS. Der Filmkritiker in mir findet das lobenswert und angemessen – der pubertierende Nerd ist enttäuscht. In den 90ern wäre DAS nicht passiert.

Aber ich bin fast schon ein Greis und was mich glücklich macht, mag schon lange kein Maßstab mehr sein. Mögen die Jungspunde mich ruhig mit Popcorn bewerfen und verhöhnen:

Wir sehen uns bei den Fantasy Filmfest White Nights im Januar 2024.



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Dinozeros
Dinozeros
16. September, 2023 18:34

Schön, dass es dir offenkundig wieder gut geht. Sehr amüsant. Da bekomme ich fast Lust, das Fest auch mal zu frequentieren.

Nummer Neun
17. September, 2023 13:49

Ich möchte noch ergänzen: In Birth / Rebirth hat Rose (Marin Ireland) blank gezogen und in Girl Unknown zieht sich Carolina (Laia Manzanares) neben ihrem Auto stehend einmal komplett um.

Wenn du schon über das Kino-Publikum sprichst: Ich würde es gut finden, wenn sich große Menschen bei sehr untertitel-lastigen Filmen in einem halbvollen Kinosaal nicht direkt in die Reihe vor mich setzen würden. Vor allem nicht, wenn sie erst auf den letzten Drücker kommen. Vielen Dank.

Wer hat denn in München den Fresh Blood Award gewonnen?

Matts
Matts
28. September, 2023 11:00

Als erstes: Vielen Dank wieder für die Reviews und anderen Beiträge zun diesjährigen FFF!
Ich war diesmal auch insgesamt ziemlich happy. Unter den Filmen, die ich mir ausgesucht habe, war außer MAD CATS kein Totalausfall dabei. Und mit LOST IN THE STARS und ROBOT DREAMS merke ich mir zwei vielgelobte Filme, die ich ausgelassen habe, dringend vor. Immerhin hab ich schon oft diverse Streifen vom FFF später bei verschiedenen Streamern gefunden.
Und zuletzt hat die diesjährige frankophone Dominanz auch prima mit meinem direkt vor dem Festival platzierten Frankreichurlaub harmoniert!