Streaming-Kritik: BODIES
Themen: Film, TV & Presse |GB 2023. Regie: Marco Kreuzpaintner und Haolu Wang. Darsteller: Kyle Soller, Jacob Fortune-Lloyd, Amaka Okafor, Shira Haas, Stephen Graham, Gabriel Howell, George Parker, Synnøve Karlsen, Greta Scacchi, Tom Mothersdale u.a.
Story (Wikipedia): In der Longharvest Lane, einer kleinen Gasse im Londoner East End, wird die Leiche eines unbekannten Mannes gefunden. Der Tote ist nackt, hat eine Schussverletzung im linken Auge und eine merkwürdige Tätowierung an seinem Handgelenk. Wie sich bei der Obduktion der Leiche herausstellt, gibt es keine Austrittswunde des Projektils. Von der Kugel fehlt jede Spur.
Gleich vier Detectives kommen ganz unabhängig voneinander zu dieser Erkenntnis, denn noch etwas ist merkwürdig: Dieselbe Leiche taucht gleich vier Mal auf, in vier verschiedenen Jahren: 1890 nimmt der versteckt bisexuelle Detective Inspector Alfred Hillinghead die Ermittlungen auf, im Jahr 1941 der jüdische Detective Sergeant Charles Whiteman, 2023 die muslimische Detective Sergeant Shahara Hasan und 2053 Detective Iris Maplewood, die durch einen genetischen Defekt querschnittsgelähmt ist, durch den Einsatz bionischer Hilfsmittel aber laufen kann.
Kritik: Ich bin nicht aktuell, was neue Serien angeht. Ich habe auch kein Interesse mehr, alles (zumindest teilweise) zu sehen. Fernsehen soll Genuss sein, nicht Völlerei. Und weil im Streaming-Zeitalter ausreichend Delikatessen produziert werden, sind die LvA und ich am Büffet sehr wählerisch geworden. Ich hatte es öfter schon erwähnt: Es ist meist der Rat guter Freunde, der uns anspornt, einer Serie eine Chance zu geben. Dabei hilft es, wenn die Produktion abgeschlossen und ein befriedigendes Ende zu erwarten ist. Nichts ist frustrierender, als wenn eine tolle Story mit einem Cliffhanger in die "Sommerpause" geht, die sich dann als unrühmliches vorzeitiges Ende herausstellt.
Baden-Badener Freunde waren nicht die ersten, die uns BODIES empfahlen – aber ihr Wort hatte Gewicht. Die achtteilige britische Miniserie, basierend auf der Graphic Novel des 2021 verstorbenen Si Spencer, war natürlich wieder mal weitgehend an mir vorbei gegangen. Ich habe mir vorab einen kurzen Einblick in die Vorlage verschafft, die erstaunlich komplex und erwachsen erzählt ist und für jede der erzählten Zeitebenen einen ganz eigenen Stil findet:
Die Miniserie ahmt diesen Ansatz aufwändig, aber nicht aufdringlich nach: Die Hillinghead-Szenen wirken wie aus einer JACK THE RIPPER-Verfilmung, bei Charles Whiteman landen wir in einem WW2-Drama, die gegenwärtige Schiene um Shahara Hasan wirkt wie ein zeitgenössischer britischer Krimi, und der Plot um Iris Maplewood bedient die bekannten Science Fiction-Klischees. Das beißt sich nicht, das ergänzt sich.
Besonders faszinierend ist die Verzahnung der Plots: Geht es anfangs noch "nur" um einen bizarren Mordfall, wird schnell ein größerer Kontext sichtbar, der auf Zeitreisen ebenso hindeutet wie auf das Phänomen des Prädeterminismus. Ein Paradoxon: Je mehr die Ermittler herausfinden, desto klarer wird, dass sie nichts tun können. Shit will happen, because shit has happened, thus shit must happen.
Das ist durchgehend extrem wertig erzählt und clevere Cliffhanger ziehen den Zuschauer von einer Episode in die nächste. Spätestens ab Folge 5, wenn die chinesisch-britische Regisseurin Haolu Wang vom Deutschen Marco Kreuzpaintner übernimmt, fragt man sich unwillkürlich, wie die Geschichte ein plausibles Ende finden soll – weil sie ihrer eigenen Logik nach eigentlich kein plausibles Ende finden kann. Aus diesem Grund war ich bis Folge 8 latent skeptisch und besorgt.
Erfreulicherweise schummelt das Finale nicht, es drückt sich nicht um Antworten, und findet genau die Stellschraube, an der sich die Zeitschleife eben doch dekonstruieren lässt. Man bleibt mit ein, zwei Fragen zurück, weil BODIES natürlich einige grundlegende Probleme des Themas Zeitreise nicht auflösen kann – aber das konnten TIMECOP und TERMINATOR ja auch nicht.
Besonders loben möchte ich die Darsteller, die in ihren ambivalenten Figuren förmlich aufgehen. Hillinghead, Whiteman, Hasan und Maplewood hadern mit ihrer Umwelt, sind teils ausgestoßen, teils isoliert. Im Puzzle um die Leiche finden sie den Mut, für ihre Überzeugungen alles zu riskieren, alles aufzugeben – Erlösung ist ihre Belohnung.
Und so reiht sich BODIES nahtlos neben anderen Miniserien-Highlights wie THE TOURIST, QUEEN’S GAMBIT, ROADKILL, TROPPO, ALTERED CARBON, NIGHT AGENT und THE NIGHT MANAGER ein. Fernsehen für den anspruchsvollen Konsumenten, nicht für den schäbigen Nebenbei-Gucker. Nehmt euch Zeit, ein gutes Glas Wein, und stellt das Handy auf stumm.
Fazit: BODIES ist ein gleichzeitig hoch komplexer und dennoch immer nachvollziehbarer Thriller auf vier verschiedenen Zeitebenen, der minimale Logikschwächen mit beeindruckend gezeichneten Charakteren und einer anhaltend hohen Spannungskurve wettmacht.
Was als nächstes auf der Speisekarte steht? Die zweite Staffel von THE TOURIST und Kreuzpaintners spiritueller Vorläufer von BODIES:
Gar nicht gefallen hat uns übrigens MONSIEUR SPADE. Zu fußlahm inszeniert, zu fahrig, zu dialoglastig. Sam Spade passt einfach nicht nach Südfrankreich:
Ist die Beschreibung der 4 Detektive woke Satire? Mehr Klischee geht ja wohl nicht
Das ist Konzept. Und in diesem Fall absolut kein Problem, sondern ein Plus. Ich wäre sonst der Erste, der meckern würde.
In der Tat sehr unterhaltsam. Man sollte nur nicht nach Logik fragen. 😅
Und die Vorlage gelesen zu haben, sollte einen nicht abhalten: ich sag’s mal spoilerfrei, sie enthält im Grunde keine Spoiler für die Serie. 😉
Ich denke schon, dass die Miniserie weitgehend logisch ist – wenn man sich mit Prädeterminismus beschäftigt hat. Davon ab kann man entweder nur die GESAMTE Idee für falsch halten oder Kleinigkeiten.
Die Serie ist nur dann in sich logisch, wenn man akzeptiert, dass die Zeitschleife keinen Ursprung hat und die Zeitmaschine niemand gebaut hat, sondern sie immer da gewesen ist. Zentrale Fragen werden mit "isso weil isso" beantwortet.
Es spricht für die Serie, dass diese erzählerische Arbeitsverweigerung zu diesem Aspekt ihr nicht das Genick bricht.
Das ist das, was ich meinte – man muss die grundlegende Idee akzeptieren, dass ein Loop überhaupt möglich ist. Das ist keine Frage der Logik, sondern der Philosophie, womöglich auch der temporalen Physik. Siehe auch den von mir oben verlinkten Film Predetermination. Ich sehe das so: Wenn ich glaube , dass Zeitreisen unmöglich sind, kann ich auch TERMINATOR deshalb scheiße finden.
Um realistische Umsetzbarkeit geht es mir nicht. Aber es macht einen Unterschied, ob man Zeitreisen postuliert, oder einen Loop, dessen Existenzbedingungen man aber nicht erklärt. Nach der Logik der Serie hat es eine Realität vor dem Loop und außerhalb des Loops nie gegeben, und kann es auch nie wieder geben. Das finde ich etwas dünn, erzählerisch. Wie ein Krimi mit einem elaborierten Mordplan ohne Motiv. Wenn du das nicht unter dem Begriff Logik fassen willst, von mir aus. Darüber zu debattieren ist glaube ich nicht allzu fruchtbar.
Und scheiße finde ich die Serie ja auch nicht. Im Gegenteil. Man muss diese Lücke im erzählerischen Konstrukt aber eben hinnehmen, um sie genießen zu können. Das kann ich, aber ich merke halt an, dass sie da ist und für andere vielleicht ein KO-Kriterium.
"Man muss diese Lücke im erzählerischen Konstrukt aber eben hinnehmen, um sie genießen zu können" – was EXAKT das ist, was ich schon zweimal gesagt habe.
Nein, du hast mir erzählen wollen, die Serie sei sehr wohl logisch. Das habe ich verneint. Worauf wir uns erstmal geeinigt haben, was wir darunter verstehen. Dir ging es um "möglich oder nicht", mir um "nachvollziehbar erzählt oder nicht".
Und eigentlich sind wir uns immer noch nur zu 90% einig. Aber das reicht mir erstmal. 😆
Das ist natürlich Quatsch, aber ich respektiere, dass du mir zu 90 Prozent zustimmst.
Das ist natürlich ebenfalls Quatsch. Ich bin aber beeindruckt, dass du die 90% Übereinstimmung einsiehst, obwohl du dir solche Mühe gibst, nicht zu verstehen, was ich sage.
Mache wase?
Ist denn „The Tourist“ noch eine Mini-Serie, wenn es jetzt sogar eine zweite Staffel gibt?
„Bodies“ steht auch noch auf der Guckliste, klingt aber nach einer Serie, bei der meine Holde das Handy nebenbei weglegen sollte 😉
THE TOURIST war als Miniserie geplant und ist in sich abgeschlossen. Daran ändert die zweite Staffel nichts.
Gut zu wissen, danke – dann werde ich mich mal an die erste Staffel wagen, ist ja inzwischen auch in der ZDF-Mediathek verfügbar.
Hat sich gelohnt, gerade weil man echt mal wieder aufpassen muss. Aber den Darsteller des jungen Elias fand ich erschreckend schwach, der stach aus dem sonst makellos agierenden Cast extrem negativ raus