16
Jan 2021

TV Miniserien Double Feature: ROADKILL & THE UNDOING

Themen: Film, TV & Presse |

Jetzt wird’s schmutzig. Beide Miniserien, die ich heute bespreche, handeln vom schönen Schein, der hässliche Menschen tarnt. Von der Moral als Lüge, der Aufrichtigkeit als Werkzeug. Gut ist, was nutzt. Wer gewinnt, bestimmt die Schlagzeile. Macht ist Selbstzweck und seine eigene Rechtfertigung.

ROADKILL

In ROADKILL geht es um Peter Laurence, einen gewieften Politprofi im Kabinett der angeschlagenen Ministerpräsidentin Dawn Ellison, der den Sprung in ein Schlüsselministerium durch das plötzliche Auftauchen einer unehelichen Tochter bedroht sieht und noch dazu um der Presse willen seine längst zerfallene Familie zum Schein wieder aufpäppeln muss. Dabei zeigt sich, dass der Strippenzieher längst selber zur Marionette anderer, ungleich mächtigerer Kräfte geworden ist.

Die BBC-Produktion gibt einen intimen Einblick in den Machtapparat einer westlichen Politsphäre, die jeden guten Vorsatz korrumpiert und jede Hoheit über eine belastbare Moral längst aufgegeben hat. Das ließe sich sehr einfach erzählen, weil es weder neu noch überraschend ist, aber ROADKILL macht sich die Mühe, die Grauzonen in den privaten Momenten der Figuren auszuspielen. Wir haben das Gefühl, dass der nach außen souverän auftretende Peter Laurence durchaus mal einen Anspruch an politische Sauberkeit hatte, seinen Witz und seinen Charme dann aber doch der Machtergreifung unterworfen hat. Alle, die ihm Vorhaltungen machen, sind letztlich nicht weniger korrupt und gierig als er selber, inklusive seiner wohltätigen Ehefrau und seiner rebellischen Töchter, die heuchelnd verachten, was ihr bequemes Leben finanziert. Jeder verfolgt nur seine eigene Agenda, die er sich im Zweifelsfall als “gute Sache” schön lügt. Am Ende hat es Peter an die Spitze geschafft – aber nicht an die Macht.

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Das ist ruhig erzählt, lebt von großartigen darstellerischen Leistungen, allen voran Hugh Laurie, und punktet mit einer komplexen Mechanik mehr als mit optischem Brimborium oder brutaler Spannung. Man muss für diese Sorte Miniserie sicher ein echter Fan des Genres sein – dann wird man allerdings bestens bedient.


THE UNDOING

HBO MAX ist (zumindest in den USA) der nächste große Player auf dem Streaming-Markt und holt nicht nur diverse DC-Produktionen von anderen Plattformen an Bord, sondern gleich das gesamte Blockbuster-Aufgebot von Warner Brothers für 2021. Nicht kleckern, sondern klotzen. Und da ist es kein Wunder, dass man auch für THE UNDOING ganz tief ins Säckel gegriffen hat: Hugh Grant, Nicole Kidman, Donald Sutherland, der Autor von ALLY MCBEAL und PICKET FENCES, die Regisseurin von NIGHT MANAGER und BIRD BOX. Da kann man edelstes Designer-Fernsehen erwarten – und das bekommt man auch.

Angesiedelt in der absoluten Upper Class von New York, die sich üblicherweise nur in den edlen Straßen und Apartments rund um den Central Park East herum treibt, handelt die sechsteilige Miniserie – dem Titel entsprechend – vom Zerfall der sehr glücklichen und sehr reichen Familie Fraser. Denn eines Tages wird eine Künstlerin mit einem zerschmetterten Schädel aufgefunden und Grace Fraser sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, dass eigentlich nur ihr charismatischer Ehemann Jonathan als Täter in Frage kommt. Dieser beteuert seine Unschuld, wenngleich er die Affäre mit der Künstlerin zugibt. Grace, selber ausgebildete Psychologin, versucht verzweifelt, zwischen der Wut auf den Ehebruch und dem Verdacht auf Mord zu navigieren, will die Familie zusammen halten, auch wenn sie sich betrogen fühlt. Der große Schauprozess und die intensiven Ermittlungen der Polizei fördern dabei mehr Geheimnisse zutage, als die Frasers aushalten können.

Das sieht toll aus, das lebt von spektakulären Luxus-Locations, man suhlt sich in der Fähigkeit der Darsteller, langen Einstellungen der Kamera stand zu halten. Schweigen erzählt hier genau so viel wie die Dialoge. Fassaden werden zerkratzt, Lebenslügen enthüllt. Figuren fallen ins Bodenlose. Der Kriminalfall, der den Kern bildet, rückt dabei oft in den Hintergrund, zumal praktisch JEDER der Mörder sein könnte: Jonathan, der Ehemann der Toten, die Freundin von Grace, ihr Vater – sogar Grace selbst. Am Ende ist weniger wichtig, wer es nun war. Der angerichtete Schaden (the undoing) ist unumkehrbar.

Mir hat’s gefallen, gerade weil die Miniserie sich mit sechs Folgen genug Zeit für die folgerichtige Entwicklung des Falls gibt. Aber ich kann jeden verstehen, der das insgesamt etwas zu dünn und zu langsam findet – das hässliche Haupt der horizontalen Erzählweise zeigt sich schon früh. Wir sehen SEHR viele Szenen von Nicole Kidman in edlen Mänteln, wie sie sinnierend durch den Central Park streift, hören SEHR viele geschliffene Dialoge mit der brillanten Verteidigerin, bewundern endlose Großaufnahmen von sich weitenden Augen. Kein Fast Food – dieses Fernsehgericht hat sehr viele Gänge.

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Wir müssen auch über die Darsteller reden. Kidman ist immer noch die Queen, eine Darstellerin mit Charisma, die Grace’ innerliche Verkrampfung durch minimale Gesten nach außen zu kehren vermag. Sie hat aber auch endgültig den Punkt überschritten, an dem sie mit ihren Schönheits-OPs den Appeal ihrer Jugend halten kann. Gerade in den erwähnten Nahaufnahmen, wenn die Beautyfilter der modernen Schnittsoftware nicht alles auffangen können, wirkt sie wie ihre eigene Wachsmaske. Und man möchte Hugh Grant vorwerfen, dass er es wieder nicht schafft, sein leicht gequältes jungenhaftes Dauergrinsen abzuschalten – aber das mag hier auch Sinn und Zweck der Rolle sein.

Im Endeffekt ist THE UNDOING “nur” eine Mischung aus Society-Krimi und Upperclass-Soap, die mit viel Budget und einer Top-Crew TV-Kaviar bietet – der ja bekanntermaßen schmeckt, aber nicht satt macht. So reicht es nicht zu einem neuen QUEEN’S GAMBIT oder NIGHT MANAGER, aber zu zwei bis drei Abenden in guter Gesellschaft.

Als Fußnote möchte ich noch darauf hinweisen, dass die erste Regiearbeit von Susanne Bier 1989 ein Musikvideo für Alphaville war:

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7 Kommentare
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Dietmar
16. Januar, 2021 20:13

Beides hochinteressant! Danke.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
18. Januar, 2021 11:33

Klingt gut – wie kann man denn hierzulande bereits auf HBO Max zugreifen? Abo via VPN?

Nummer Neun
18. Januar, 2021 13:22
Reply to  Rudi Ratlos

Also zumindest The Undoing könntest du hierzulande über Sky schauen.

Matts
Matts
18. Januar, 2021 17:32

Geballte Starpower! Auch wenn ich grade nicht die Möglichkeit habe, eins von beiden zu streamen, werde ich´s mit merken.

Teleprompter
Teleprompter
27. Januar, 2021 10:10

Mal eine kurze kritische Anmerkung vorweg: Das, was Undoing da zeigt, ist kein “Schauprozess”. Der Begriff stammt aus Diktaturen, die solche Verfahren mit vorher feststehenden Urteilen inszenieren. Man mag nun über das amerikanische Jury-System und die mit viel “Show” (war das gemeint ?) inszenierten Befragungen denken, was man will, dass das Ergebniss vorher feststünde (oder die USA eine Diktatur sind) wird wohl kaum einer ernsthaft behaupten.
Ansonsten: Ja, ist optisch und generell ist Undoing solide, aber letztlich fast überraschungsfrei (den kleinen Twist vor Ende kann mal als Nicht-US-Jurist wirklich kaum verstehen). Wenn man Kelleys frühere Serien mit den aktuellen Werken (der hier und der stilistisch sehr ähnliche Big Little Lies) vergleicht, kann man Entwicklung aber eigentlich nur bedauern. Hochglanz, große Namen und zT mehr Sex und Gewalt ersetzen den subtilen Humor, die originellen Figuren, den grenzverrückten Richter, die nicht nur brillianten, sondern auch immer leicht spleenigen Anwälte, die geschliffenen Dialoge mit den politischen Untertönen (die Gespräch von Danny Crane und Alan Shore, zB über Obama und Hillary Clinton waren mit Gold kaum aufzuwiegen.)