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Apr 2024

Dallas in Entenhausen: Meine vagen Erinnerungen zu 8000 Folgen GZSZ

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Gestern lief die 8000. Folge der Daily Soap GUTE ZEITEN SCHLECHTE ZEITEN, seit jeher von Fans und Presse GZSZ abgekürzt. 2,23 Millionen Zuschauer haben eingeschaltet, was die älteste Cash Cow von RTL immer noch attraktiv für die Werbekunden macht.

Zeit, sich mal an die Anfänge zu erinnern, wie ich sie erlebt habe…

1992 war ich beim GONG – das ist eine wahrlich bekannte Geschichte. Ich war allerdings noch kein Redakteur, sondern nur Programmspalten-Tipper – es war meine Aufgabe, aus dem Wochenprogramm von SAT.1 die Spalten für den Programmteil im Heft zu komprimieren. Ich wählte aus, was größer vorgestellt und bebildert wurde, und was sich mit einer Nennung des Sendungstitels zufrieden geben musste. Für RTL war meine Kollegin Elisabeth zuständig.

Auch 1992: Es boomte das Privatfernsehen und versuchte sich massiv an eigenen Formaten, statt wie bisher mit eingekauften Serien und Filmen zu punkten. Shows, Talk und Events hatte man bereits halbwegs im Griff, aber nun war die Fiction dran. SAT.1 produzierte mit MIT DEM HERZEN EINER MUTTER den ersten eigenen TV-Film und versprach tapfer “die Neuerfindung des Nachkriegs-Melodrams”. RTL hatte sich mit SCHLOSS POMPON ROUGE blamiert, dafür aber mit EIN SCHLOSS AM WÖRTHERSEE einen echten Hit gelandet. WOLFF’S REVIER startete.

Aufbruchsstimmung und viel Geld von den Werbekunden ließen Helmut Thoma den nächsten Knaller verkünden: Die erste Daily Soap des deutschen Fernsehen, basierend auf dem zehn Jahre alten australischen Format THE RESTLESS YEARS, vor allem aber auf dessen holländischer Adaption GOEDE TIJDEN, SLECHTE TIJDEN. Man darf nicht vergessen, dass Formate aus den Niederlanden das deutsche Fernsehen bis ins neue Jahrtausend dominierten, inklusive des Imports vieler Moderatoren aus dem Käseparadies (Linda de Mol, anyone?).

Der Großteil der deutschen Medienszene war sehr skeptisch – schon die Produktion der wöchentlichen LINDENSTRASSE galt als Herkulesaufgabe, die inszenatorische Qualität der Sendeminuten-Quantität opferte. Und nun auf einmal fünf halbstündige Folgen pro Woche?! Wie sollte das organisatorischen gehen, wie sollte das finanziert werden, wo sollte man das ausstrahlen?

Der SPIEGEL hat den Aufwand in einem großen, aber gewohnt hämischen Artikel damals sehr schön protokolliert – aus ihm habe ich auch das Zitat vom “Dallas in Entenhausen” (einem der GZSZ-Regisseure zugeschrieben).

Ich war nicht ganz so skeptisch, denn als einer der wenigen Soap-Experten der Redaktion schien mir die Aufgabe überschaubar. Andere Länder produzierten seit 30 Jahren stressfrei Daily Soaps, früher sogar noch mühsam auf Film gedreht. Wenn Länder wie Kolumbien und Mexiko mit ihren Telenovelas Dauerlutscher-TV konnten, gab es keinen Grund, warum die Deutschen daran scheitern müssten.

Im Frühling 1992 begann RTL dann auch fleißig mit der Promo:

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Die ersten Wochen nach dem Start am 11. Mai verliefen erwartungsgemäß holperig – die Quoten waren nicht toll, bei den Darstellern hakte es teilweise noch sichtlich, und bei ständigen Vergleichen mit aufwändigeren Serien konnte GZSZ natürlich nicht punkten. Die Kritiken rangierten von “meh” bis vernichtend – mit einer Ausnahme:

Das habe ich damals im GONG geschrieben und gegen den Widerstand vieler Kollegen durchsetzen müssen, denen das “Schundfernsehen” gar nicht passte. Natürlich waren mir die Defizite von GZSZ bewusst, aber ich hielt das für Kinderkrankheiten und war ziemlich sicher, dass es nun ein Wettrennen geben musste, das über die Zukunft der Serie entschied: die langsam steigenden Quoten gegen die wachsende Ungeduld des Senders.

Wir wissen ja, wie es ausgegangen ist – GZSZ fand sein Publikum und wurde nicht nur zu einem Serienhit, sondern zu einer regelrechten Geldmaschine, die seit 30 Jahren Millionen in die Kassen spült. Laut Wikipedia:

Das bewirkt hohe Werbeeinnahmen, im Jahr 2007 lagen sie bei 218 Millionen Euro, denen nur mäßige Produktionskosten von 70.000 bis 80.000 Euro pro Episode gegenüberstehen. Ein Werbespot kostet je nach Saison 30.000 bis 60.000 Euro, bis zu 24 können pro Episode geschaltet werden. Die wichtigsten Abnehmer sind die Firmen Ferrero, Procter & Gamble, L’Oréal, Danone und McDonald’s. 

Man vergisst leicht, dass der Profit von GZSZ nicht nur über die Werbeeinnahmen reinkommt – die Serie ist eine Marketing & Merchandising-Superpower, über die sich CDs, Bücher, Zeitschriften, Mode, Kalender und noch ganz andere Sachen (dazu gleich) verkaufen lassen.

Der erste Star, den GZSZ kreierte, war Andreas Elsholz, ein aus dem Osten stammender gelernter KFZ-Mechaniker ohne Schauspielerfahrung, der binnen zwei, drei Jahren zum Mädchenschwarm aufstieg und sich auch als “Sänger” versuchte, z.B. mit diesem grottigen Cover eines frühen Will Smith-Songs:

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Tatsächlich hat GZSZ kaum nachhaltige Stars produziert, aus dem Cast stammt kein Götz George oder kein Til Schweiger (der fing ja u.a. bei der LINDENSTRASSE an). Von den männlichen Durchstartern wie Oli P. sind die meisten längst in Vergessenheit geraten. Als Ausnahme sehe ich da eigentlich nur Jan Sosniok, der später u.a. in meinem missglückten Actionfilm VOLLGAS die Hauptrolle spielte.

Das ist umso erstaunlicher, da die Soaps in den USA durchaus als Sprungbrett dienen: David Hasselhoff, Richard Dean Anderson, Julianne Moore, Michael B. Jordan, Demi Moore, Ryan O’Neal, und Lindsay Lohan haben bei den Seifenopern angefangen. Der australischen Serie NEIGHBOURS verdanken wir Kylie Minogue, Jason Donovan, Russell Crowe, die Hemsworth-Brüder, Guy Pearce, Natalie Imbruglia, und Margot Robbie.

GZSZ ist aber immerhin in den 90ern sehr erfolgreich gewesen als Kaderschmiede der nächsten Generation “Fräuleins” des Seicht-Fernsehens und des Kuschelrock-Pops. Der Serie “geschuldet” sind die Karrieren von Jeanette Biedermann, Yvonne Catterfeld, Simone Hanselmann, und Alexandra Neldel.

Weil wir gerade von Musik sprechen: Ebenfalls zu den “standards” bei GZSZ gehörte die massive Promotion neuer Pop Acts, die nicht nur in der Serie auftraten, sondern teilweise sogar in die Storylines eingebunden wurden. So gaben sich die Klinke in die Hand: Caught in the Act, Just Friends, Lucilectric, Tic Tac Toe, Blümchen, Rosenstolz, und Gil Ofarim. Bonus-“Gaststars”: Gerhard Schröder und Thomas Gottschalk.

Schaut man sich heute die alten Merchandising-Produkte, die Platten und einige der Episoden dann, dann ist GZSZ gelungen, was angesichts des artifiziellen Konstrukts kaum zu erwarten war: Die Serie ist ein perfektes Spiegelbild der albernen, kunterbunten, melodramatischen 90er Jahre. Vielleicht ein bisschen unbeholfen, vielleicht ein bisschen holperig. aber auch in den Schwächen und Idiosynkrasien ein Kind seiner Zeit.

Im Laufe der Jahre wurde die Produktion immer weiter professionalisiert, es fand sich eine neue Generation Darsteller mit einem erheblich instinktiveren Gefühl für die Schauspielerei – und viele der ollen Familiengeschichten wurden gegen jüngere Plots ausgetauscht. Es rotierte in der Besetzung kräftig, wie das bei Soaps üblich ist, und bereits nach weniger als 100 Folgen kam es zu einem Seifenopern-Standard: eine Figur blieb erhalten, aber der Darsteller wurde kommentarlos ausgetauscht. Matthias Hinze, den ich in meiner Kritik sehr gelobt habe, stieg aus unerfindlichen Gründen aus und wurde durch Sali Landricina ersetzt.

GZSZ war natürlich häufiger Thema in unserer Zeitschrift TV-Serien, auch wenn die deutschen Soaps es nur selten auf das Cover schafften:

Es ist übrigens fast schon kurios, dass ich ausgerechnet die Dreharbeiten von GZSZ nie besucht habe – bei der Konkurrenz vom MARIENHOF, den ROTEN ROSEN, UNTER UNS und meiner eigenen Telenovela LOTTA IN LOVE hatte ich mich ja häufiger hinter den Kulissen herumgetrieben.

Gegen Ende meiner Zeit als TV-Journalist 1994/95 habe ich dann noch ein paar größere Geschichten über diverse deutsche Stars geschrieben. Dazu gehörte ein Interview mit Sandra Keller, die noch aus der Ur-Besetzung von GZSZ stammte. Leider ging das nicht persönlich, weil sie sich für ein Fotoshooting auf Mallorca aufhielt. Übers Telefon war sie aber ausnehmend freundlich und auskunftsbereit.

Das ist auch eine gute Überleitung zum schlüpfrigen Teil dieses Beitrags. Ich hatte es in meinem Artikel über die Geschichte des deutschen Playboy geschrieben – das Magazin mit dem Hasen entdeckte die deutschen Soaps sehr früh als ideales Reservoir an jungen, attraktiven Darstellerinnen, die sich von einem textilfreien Pictorial einen Karriereschub erhofften. Sandra Keller machte den Anfang:

Es war eine Art Dammbruch. Seither zieht sich praktisch jedes Jahr irgendeine Schauspielerin aus dem RTL-Soap-Stall für das Heft aus. Eine unvollständige Liste: Sandra Keller, Alex Neldel, Iris Mareike Steen, Saskia Valencia, Uta Kargel, Mariella Ahrens, Isabell Horn, Ulrike Frank, Franziska von der Heide, Simone Hanselmann, Birte Glang, Tanja Wenzel, Ina Paule Klink, Anne Brendel.

Rekordhalterin ist Nina Bott mit satten drei Fotostrecken innerhalb von 15 Jahren:

Tapfer dem Hasen widerstanden haben in den 90ern und frühen 2000ern Jeanette Biedermann, Susan Sideropoulos und Yvonne Catterfeld.

Mittlerweile ist das Archiv des Playboy so voll mit den Pictorials der GZSZ-Ladys, dass man eigene Sonderhefte mit ihnen produzieren kann:

Ich gestehe, dass ich mir die Playboys mit den Serienstars lieber angesehen habe als die Serie selbst. Ich war nie ein Fan von Daily Soaps, ob aus den USA, Australien oder eben Deutschland. Darum habe ich den Siegeszug von GZSZ auch nach meinem Weggang vom GONG eher aus der Ferne verfolgt – bis ich mit LOTTA IN LOVE selber (und wenig erfolgreich) in den Ring gestiegen bin.

Was ich recherchieren konnte: GZSZ hat um die Jahrtausendwende seine Hoch-Zeit erlebt, mit über sieben Millionen Zuschauern hat man mitunter sogar TATORT-Quoten eingefahren. Es wurden drei Primetime-Ableger mit durchwachsenem Erfolg produziert und aktuell ist ein Kinder-Ableger in Arbeit. Die täglichen Quoten haben deutlich nachgelassen, aber angesichts des Booms von Streaming-Anbietern in erstaunlich überschaubarem Maße. Mit einem Schnitt von 18 Prozent bei der Zielgruppe kann man bei RTL sehr zufrieden sein – immerhin hat das Format mehr als 30 Jahre auf dem Buckel.

Es hilft sicher auch, dass der Soap-Tag bei RTL schon um 17.30 Uhr mit UNTER UNS beginnt und GZSZ noch dazu von ALLES WAS ZÄHLT flankiert wird. Das schafft einen Block, an den sich die Zuschauer gewöhnt haben.

Was aber auffällt: GZSZ ist “nur” noch die Maschine, die wie geölt ihre ewigen Kreise zieht. Die Serie produziert weder Chart-Hits noch Stars noch Schlagzeilen. Die Begeisterung des Neuen ist dahin, Genres wie das Reality-TV haben den Soaps eine Menge des Rampenlichts gestohlen. Das tägliche Melodram ist zum “Brot und Butter” der Sender geworden und nicht mehr “Champagner und Kaviar”.

Dennoch verneige ich mich vor der bemerkenswerten Leistung der Kollegen, dem Mut von RTL, und wünsche GZSZ alles Gute für die nächsten 8000 Episoden, die allerdings weiterhin ohne mich auskommen müssen.

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4 Kommentare
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Reimo
Reimo
16. April, 2024 15:36

Kleine Ergänzung: Laut Wikipedia (leider ohne zusätzliche Quellenangabe) zog sich Matthias Hinze “nicht aus unerfindlichen Gründen” nach 85 Folgen zurück, sondern wegen eines Rückenleidens, das ihm diese Berufsausübung unmöglich machte. Er war dann bis zu seinem Tod 2007 (mit 38 Jahren) Feststimme von Matt Damon.

Last edited 12 Tage zuvor by Reimo
Marcus
Marcus
26. April, 2024 11:42

Der Spiegel-Artikel ist schön. “Kliffhänger” nennt man das also, soso. 😀

Auch nett: das despektierliche “die Reihenfolge der Szenen beim Dreh richtet sich nach der Dekoration”. Es mag den Herrn Redakteur überraschen, aber das ist selbst in Hollywoods A-Liga so.

Last edited 3 Tage zuvor by Marcus