John Sinclairs letzte Reise: Requiem auf einen Geisterjäger
Themen: Film, TV & Presse |Ich hatte es vor ein paar Wochen erzählt – unter den Nerdreliquien, die ich aus Belgien nach München geschafft habe, waren auch stapelweise Horror-Romanhefte aus den Jahren 1981 bis 1984 (alle Angaben ungefähr):
Ich wollte sie nicht entsorgen, weil daran zu viele Erinnerungen hingen und es zudem die Tatsache, dass ich die Hefte 40 Jahre lang und über ein Dutzend Umzüge mitgeschleppt habe, zu einer Farce gemacht hätte. Also stellte ich bei Facebook das Angebot ein, den ganzen Packen gegen die Übernahme des Portos an die nächste Generation zu verschicken. No takers.
Es passiert, was bei der Entrümpelung ein bekanntes Phänomen ist: eines Tages wachte ich mit der Erkenntnis auf, dass die Hefte keine weitere Mühe mehr wert waren. Sie hatten sich überlebt, ihre Zeit war vorbei, meine Pubertät auch. Ich koppelte mich emotional davon ab, was plötzlich sehr leicht war.
Wegschmeißen wollte ich John Sinclair und seine Kollegen aber natürlich trotzdem nicht. Ich entschied, sie auf Bücherschränke in der Umgebung zu verteilen. Die Taschenbücher des Geisterjägers aus der Feder von (u.a.) Helmut Rellergerd landeten gleich hier in Trudering an einem Sportplatz:
Für die Heftromane war aber kein Platz. Also blieben die erstmal im Kofferraum. Dort waren sie auch noch, als ich vor 10 Tagen eine kurze Fahrt nach Düsseldorf antrat. Weil mein Bruder und ich mit dem Sonntag Vormittag nichts anzufangen wussten, entschieden wir, den Geisterjäger auf seine letzte Reise zu schicken. In Hilden zeigte Google Maps einen Bücherschrank an. Auf nach Hilden!
Den Bücherschrank fand ich, der war auch erfreulich leer, ABER: Es stand dran geschrieben, dass man doch bitte nur Kinder- und Jugendbücher einstellen solle. Nun kann man argumentieren, dass Horrorheftchen durchaus "Jugendliteratur" darstellen – ich hatte sie ja auch mit 13, 14 Jahren gelesen. Aber war es wirklich angemessen, "Der Ghoul aus dem Gully" oder "Die Gruft der bleichen Gebeine" in Kinderhände zu geben? Nein, dazu konnte ich mich nicht durchringen!
Es fand sich einer weiterer Aufkleber auf dem Bücherschrank, der auf einen Kollegen hinter dem Hildener Rathaus verwies. Also noch eine Tour. Nach etwas Sucherei wurde ich schließlich fündig und packte eiskalt aus:
Ich hatte dann eine sehr schöne Begegnung, als ich nochmal zurück ging, um dieses Foto zu machen. Eine Frau hielt mit dem Fahrrad am Bücherschrank.
Ich: "Darf ich da noch mal kurz ran? Ich wollte meine alten Hefte kurz fotografieren."
Sie: "Ohhh, John Sinclair! Die habe ich früher auch gesammelt! Dann aber bei einem Umzug entsorgt."
Ich: "Dazu war ich leider nicht schlau genug. Ich bin 40 Jahre mit den Dingern umgezogen. Immer wieder."
Sie: "Ist ja schon spannend."
Ich (deute auf ein Heft): "Wie kann man auch den Augen des Dr. Schock widerstehen?"
Sie (lacht): "Ich verschränke schon die Hände auf dem Rücken, damit ich nicht zugreife."
Nun sind sie also weg und in stillen Stunden frage ich mich, was ich mir dabei gedacht habe, die Hefte so lange mitzuschleppen. Schon bei meinem Auszug aus dem Elternhaus waren sie überfällig – und Ende der 80er hätte ich für die Sammlung tatsächlich noch Geld bekommen. Die alten Romanhefte sind etwas, das im Gegensatz zu anderen literarischen Nebengattungen nicht an Wert gewonnen hat.
Aber so ist das Leben, so ist die Jugend – man kann sich schwer trennen.
Ungefähr ein Dutzend Hefte habe ich dennoch behalten – ausgesucht nach Cover, Titel, Bandbreite und Nostalgie. Diese Schriftzüge! Diese Titel! Diese Farben!
Auf Facebook habe ich am Tag darauf das Bild vom gefüllten Bücherschrank eingestellt – und JETZT meldeten sich prompt Leute, die "boah, die hätte ich sofort genommen!" nölten. Wo waren die vor vier Wochen?! Selber schuld!
Es bleibt die Erinnerung an viele Stunden, die ich mit dem Schmökern der Romanhefte verbracht habe. Eilige Fahrradtouren am Samstag zum Hauptbahnhof, wo das Heft vom nächsten Dienstag schon auslag. Tausch in der Schule. Ein Kumpel, der Sinclairs Kreuz mit Edding auf T-Shirts malen konnte. Trips zum Trödelmarkt am Aachener Platz, um die Sammlung zu vervollständigen. Der Versuch, mit ein paar Freunden auf Super 8 einen eigenen Sinclair-Film zu drehen. Und dann der plötzliche Bruch. Von einem auf den anderen Tag die Erkenntnis, dass ich an diese Hefte meine Zeit verschwendete. Ich hatte Stephen King entdeckt – und Mädchen. I never looked back.
P.S.: Für alle, die von den obigen Covern mehr sehen wollen, habe ich selbstverständlich eine Galerie zum schaurig-schönen Klickvergnügen angelegt:
Der gute Sinclair war auch mein Begleiter in den 80ern, vorzugsweise in Form der 3-in-1-Sammelbände, weil die wöchentlich erscheinenden Ausgaben dann doch irgendwann ins Taschengeld gingen. Unrühmliche Anekdote dazu: Ich hab ein paar der Hefte damals aus dem hiesigen Zeitschriftenladen geklaut und mich so doof dabei angestellt, dass ich natürlich sofort erwischt wurde. Der Händler war dann auch noch unser Nachbar, und so durfte ich mit meinen Eltern da antanzen und mich in aller Form entschuldigen. Gott, war mir das peinlich. Ich rechne es ihm hoch an, dass er das so geregelt hat, ohne weitere Konsequenzen.
Nichtsdestotrotz hab ich die Hefte geliebt, zusammen mit "Larry Brent", "Macabros" und dem "Dämonenkiller". Hab vor einiger Zeit mal wieder in ein Sinclair-Heft reingelesen, weil Ausgabe 2.000 oder so gefeiert wurde, und, naja, heute ist das nichts mehr für mich. Ist aber vermutlich auch wenig überraschend. Dafür mag ich die aktuellen Hörspiele, da hat sich Sinclair wirklich gut etabliert, früher mit der deutschen Synchronstimme von Pierce Brosnan, heute mit der Stimme von Dietmar Wunder – geschickt und passend, wie die Hörspiele immer die Stimme des jeweils aktuellen Bond-Darsteller ins Boot holen.
Schöne Anekdoten – von den Sammelbänden hatte ich auch einige. Die habe ich aufgetrennt und mit schwarzem Klebeband am Rand wieder zu Einzelheften umgearbeitet. Von Rellergerd habe ich vor Jahren mal den Band "Der City-Dämon" gelesen – und ich möchte unterstellen, dass dem Mann einfach die kreative Potenz im Alter abhandengekommen ist. Früher können die Romane nicht so schlecht gewesen sein. Das hätte ich doch gemerkt!
Ich bin wegen Stephen King von Sinclair weg, ich lag mit 15 oder so im Krankenhaus und las "The Shining". Das fand ich damals so viel besser als alles, was ich aus den Sinclair-Heften kannte. Und King bin ich tatsächlich bis heute treu geblieben, ich hab alle seine Bücher und Geschichten gelesen und freue mich jedesmal, wenn ein neues Werk von ihm angekündigt wird. Ich hoffe, er lebt und schreibt noch viele, viele Jahre.
Die aktuellen Sinclair-Hefte werden, soweit ich weiß, auch gar nicht mehr von Rellergerd geschrieben, oder wenn, dann nur noch sporadisch. Ich bin aber, abgesehen vom Stil, auch nicht mehr in der Stimmung, um mich in so einer Geisterjägersoap zu verlieren. Da find ich die deutlich finsteren "Dämonenkiller"-Geschichten (oder "Dorian Hunter", wie sie als Hörspiele heißen) spannender.
Rellergerd schreibt noch ungefähr einen Roman pro Monat – früher vier plus ein Taschenbuch:
Liste der Geisterjäger-John-Sinclair-Romane – Wikipedia
Danke für die Liste, die hab ich so noch nie gesehen, obwohl es natürlich logisch ist, dass es sie gibt. Und wie SOFORT mein Sammeltrieb anspringt und ich die am liebsten alle als Scans haben möchte… ich bin ein einfacher Mann.
Im Beitrag stand, dass Rellergerd einer der TB-Autoren sei. Weißt Du mehr dazu?
Ich verstehe die Frage nicht.
Ich habe mich seinerzeit auch mit John-Sinclair-Heftchen ,,emporgelesen", wie man das früher nannte. Sie waren spannend und kurzweilig. Irgendwann hatte ich das Lesen dann damit so gut geübt, dass ich mich auch an Romane wagte (dann aber welche von anderen Autoren).
Wieder einmal: Vielen Dank für die Zeitriese!
Danke. Ich bin immer im Zwiespalt: Einerseits sind mir Heftromanleser sympathisch und was sie in ihrer Freizeit machen, ist absolut ihre Sache. Romane lesen finde ich allemal gehaltvoller als Briefmarken oder Stacheldraht sammeln. Aber auf der anderen Seite denke ich: solche Romane sollten nur ein Einstieg sein, bis man "fit" für komplexere und – machen wir uns nichts vor – bessere Literatur ist. Dieses "stehenbleiben" sehe ich teilweise kritisch.
Ich habe dasselbe vorletztes Jahr mit einem Großteil meiner Comics gemacht. Verkaufen hatte keinen Sinn, niemand wollte Geld dafür ausgeben und bei Momox/Rebuy scheiterte das an den ISBN-Nummern, also habe ich sie portionsweise in einen Bücherschrank in der Nachbarschaft vor einer Jugendbegegnungsstätte gelegt, da gingen sie weg wie nix
Ja, die Comics gehören zu den letzten harten Breaks, die ich machen muss.
Bei mir sind es die Computerspiele-Zeitschriften aus den 80ern und 90ern, ASM, PowerPlay, Amiga Joker & Co. Die stehen meterweise bei mir im Keller im Regal. Ich hab die inzwischen alle als PDFs, aber ich konnte mich bisher nicht überwinden, die Hefte wegzugeben. Dauert aber wohl auch nicht mehr lang…
Wenn du für die Comics gar keinen Abnehmer findest, da hätte ich jemand… würde sie auch persönlich abholen.
Einfach ein kurze Mail, auf Facebook bin ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr… Dank schon mal vorab!
In den 80ern gab’s die Hefte bei uns immer nur in den verrauchten Tabak-Zeitschriftenläden in Bahnhofsnähe. Mich haben die Geschichten tatsächlich nie wirklich interessiert (ich las damals lieber die Gespenster Comics – seltsam, aber so steht es geschrieben). Doch die Covermotive (sowie die Hochglanzdrucke im innenteil) fand ich großartig und ich habe sicherlich etliche Zeit damit verbracht, die Bücher einfach nur durchzublättern und mich an den bunten Bildchen zu erfreuen. Gehört habe ich dann stattdessen die entsprechenden Hörspiele von Europa, auf denen seinerzeit noch ein fetter Aufkleber "nur für Erwachsene" prangte (war ich damals definitiv nicht).
Diverse Covermotive findet man ja mittlerweile auch im Netz, die meisten leider nicht besonders hochauflösend.
Die „Amazonen von Berlin“ haben einen ziemlichen Fallout-Vibe 😀
Bei mir waren es auch die Spielehefte der 90er und 2000er, von denen ich mich nie trennen konnte. Beim letzten Umzug sind die Kisten dann – nachdem sie vom vorletzten Umzug noch unberührt im Keller standen – dann (bis auf eine Handvoll Ausgaben) im Müll gelandet.
Falls du sie digital noch nicht hast und die Seite noch nicht kennst, hier gibt es eine wunderbar große Auswahl als (sogar legales) PDF-Archiv: http://www.kultmags.com/mags.php
Kultmags ist Kult.
Danke für den Link – da habe ich für kommende Mittagspausen was zum Stöbern <3
Hach, da werden schöne Erinnerungen wach. Gespenster Krimi, Ballard, Vampir Horror Roman und viele, viele andere. Heftromane habe ich förmlich gefressen Damals gab es ja auch noch diverse Tauschläden. Entweder zwei zu eins getauscht oder für einen schmalen Pfenning gekauft. Irgendwann flachte die Liebe ab. Trotzdem begleiten mich Heftromane bis heute – die sind ja durchaus mit der Zeit gegangen und wurden moderner und auch abwechslungsreicher.
Also ich war ja mehr ein Fan von Jeremias Baumwolle…Bei uns war schräg gegenüber ein Möbellager, das auch Material aus Wohnungsauflösungen anbot.
Ende der 70er,Anfang 80er konnte man da schon schöne Lese-Abenteuer bergen.
für 1,- Dm 5 Hefte oderso, die ich meinerseits auf dem Flohmarkt weiter verkaufte.
Eine wunderbare Formulierung aus einem Jerry Cotton:
"Er schoss mit einer abgesägten doppelläufigen Schrotflinte auf ihn. Die Wunde war so groß das man eine Katze durchwerfen konnte…"
Ähem:
The Day John Sinclair Died – CounterPunch.org
Großartig, auch wenn ich verwundert bin, das Bastei das durchgewunken hat – bei der Darstellung von Gewalt waren die ja immer sehr zimperlich.
Das mit der Gewalt ist mir auch passiert – ich verkünde mal, dass in drei Sinclair-Heften Kurzgeschichten von mir als "Horror-Story der Woche" abgedruckt wurden, und eine davon musste ich um einen ganzen Absatz kürzen, in dem ich, King-Fan durch und durch, begeistert geschildert hatte, wie eine Frau unter der Dusche aufgelöst und in den Abfluss gespült wurde. Da kam dann ein Brief vom Bastei-Verlag mit der Anmerkung: "Ja, drucken wir, aber bitte weniger blutig".
Wer meine grandiosen Werke nachlesen möchte, sie sind in den Bänden 257 und 402 (2. Auflage) und in Band 364 (3. Auflage). Als damals 14jähriger Dreikäsehoch war ich auf meine ersten bezahlten Geschichte durchaus stolz…
Großartig! Wir sollten die hier mal präsentieren!