Archivschätze: What we (not actually) lost in the fire…
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Es ist eine wahrlich gut dokumentierte Geschichte, dass ich meinen ernsthaften beruflichen Werdegang bei der Fernsehzeitschrift GONG begonnen habe. Von 1990 bis 1995 habe ich in der Nordendstraße in Schwabing gearbeitet – da sitzt der Verlag auch schon seit 20 Jahren nicht mehr.
Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, etwas Hintergrund: Der GONG wurde 1948 als reine Radio-Zeitschrift gegründet, erst fünf Jahre später kam das erste Fernsehprogramm dazu. Eher konservativ in der Ausrichtung (auch aufgrund einer Beteiligung der Kirche am damaligen Verlag), hatte der GONG immer ein etwas truschiges Image – trotz Fotoromanen zu Serien wie STAR TREK und einer Beraterseite des Sex-Gurus Ernst Bornemann. Erfolgreich war das Heft dennoch: 1,2 Millionen Exemplare verkaufte man Ende der 70er.
Ich selber kam dazu, als der GONG gerade die erste Krise durchmachte: die traditionellen TV-Zeitschriften taten sich Anfang der 90er schwer, die Welle an neuen Privatsendern geordnet in die Listings zu nehmen, eine Reihe hipper Hefte wie TV SPIELFILM fraß die junge Zielgruppe, und technische Entwicklungen wie VPS und Showview überforderten Altredakteure, die sich standhaft weigerten, auf ihre geliebte Schreibmaschine zu verzichten. In der Folge sackte der GONG erst unter die Million, dann ging es langsam, aber stet den 500.000 entgegen (eine Zahl, für die viele TV-Zeitschriften heute töten würden).
Aber darum soll es gar nicht gehen. Was mich damals begeisterte, war das Archiv des Gong. Die Zeitschrift hatte nämlich (so ich das richtig im Kopf habe) seit den 50ern keinen Umzug vollzogen. Was immer man im Laufe von mehr als 30 Jahren in die Finger bekommen hatte, war in irgendeinem Kabuff gelandet, auf einem Schrank, in der Schublade.
Die Truschigkeit des GONG macht sein Archiv zu einem Multimedia-Wunderland. Ich fand mal auf einem Hochregal, total verstaubt und vergessen, ein paar Filmdosen mit einer 70 Millimeter-Kopie von STAR TREK II: DER ZORN DES KHAN!
Auch die Geschichte des Huts von “Hoss Cartwright” fällt in diese Zeit.
Es gab ein riesiges Zeitschriften-Archiv: der amerikanische TV-Guide, Quick, Bravo, Spiegel, Stern, Neue Revue – alle Ausgaben, sorgsam in Hardcover gebunden. Dazu Sammlungen wie die Film-Kurier-Hefte und diverse andere Publikationen. Außerdem eine beeindruckende Bibliothek unter der Verwaltung von Max Friedmann.
Ich kann mich nicht erinnern, wie oft ich mir ein paar der Hardcover-Bände mit an den Schreibtisch nahm, nur um begeistert darin zu blättern. Natürlich prüfte ich auch sofort nach, was im GONG stand, der zu meinem Geburtstag 1968 erschienen war. Zu meinem Entsetzen kostete der begehrte Karmann Ghia damals gerade mal 7777 Mark!
Viel umfassender als das Printarchiv des GONG war allerdings das Bildarchiv, das mit seinen deckenhohen Ablageschränken sicher um die 150 Quadratmeter fasste und seit den 50er Jahren ALLES, was der Zeitschrift zum möglichen Abdruck angeboten worden war, bereit hielt.
Ich muss das ein wenig in Kontext setzen: Wenn eine TV-Zeitschrift eine neue Ausgabe vorbereitete, wurde sie mit Fotos (früher oft auf Papier, später als Dia, heute digital) überschüttet. Von Sendern, Verlagen, Agenturen, Verleihern. Jeder wollte ja “sein” Produkt im Heft sehen. Nur ein Bruchteil wurde verwendet, der Rest wanderte ins Archiv – was der eigentlichen Vereinbarung, die Bildermappen wieder an die Absender zurück zu schicken, zwar widersprach, was aber auch wirklich niemanden scherte. Im Gegenteil: die meisten Foto-Anbieter waren froh, wenn der GONG den Satz Dias im Archiv aufbewahrte und vielleicht bei der nächsten Ausstrahlung oder der Wiederholung eines Themas daraus hervor zog. Sie waren ja mit dem Namen und der Adresse des Rechteinhabers versehen.
So konnte man – um nur ein Beispiel zu nennen – diesen tollen Shot aus der SF-Serie DIE WÄCHTER im Archiv als Papierabzug finden:
Auf der Rückseite fanden sich dann alle zum Abdruck notwendigen Angaben:
Das bedeutete, dass der GONG in mehreren Jahrzehnten ein mehrere Millionen Bilder großes Archiv aufgebaut hatte, mit einem Bestand, der seinesgleichen suchte: man hatte Bilder zu jeder Folge SESAM- oder LINDENSTRASSE, zu den Kochshows der 50er und den obskuren TV-Spielen der 70er. Man konnte die peinlichen ersten Schritte der Privatsender in den 80ern ebenso bebildern wie hoch kulturelle ASPEKTE-Sendungen aus den 60ern. Es ist davon auszugehen, dass im Archiv des GONG Hunderttausende Bilder lagerten, die sonst nirgendwo mehr zu finden waren – insbesondere, weil Fotografen verstarben, Agenturen in Konkurs gingen und Sender ihre eigenen Archive ausdünnten.
Mehrere Millionen Bilder. Millionen. Bilder.
Auch hier könnt ihr euch kaum vorstellen, was ich in den fünf Jahren meiner Tätigkeit beim GONG alles gefunden habe, was ich staunend und mit Ehrfurcht am Leuchttisch durch die Lupe betrachtete. Da war ein Original-Aushangfotosatz zur “Mars-Chroniken”-Verfilmung direkt vom US-Sender noch ein minderes Highlight:
Das GONG-Archiv war in vielerlei Beziehung für mich das, was archive.org heute ist – ein herrlich zugemülltes Antiquariat von Obskurem und Bekanntem, von Klumpaquatsch und Preziosen. Es ist kein Wunder, dass ich an meinen letzten Tagen im Verlag noch so einiges aus den Hängeordnern zerrte und einscannte:
Ja, das ist in der Tat Silvia Seidel als “Dovis” in der unsäglichen Koproduktions-Comedy QUER DURCH DIE GALAXIE UND DANN LINKS.
Es schmerzte, dass ich ab 1995 keinen wirklichen Zugriff mehr auf das Archiv hatte – aber viel mehr schmerzte mich, was zur Jahrtausendwende passierte: der Verlag vollzog den lange überfälligen Umzug nach Ismaning und der neue Chefredakteur verkündete, man mache eine Zeitschrift für heute und morgen, nicht für gestern.
Die Konsequenz? Raus mit den ollen Archiven. Alles weg damit. Braucht kein Mensch mehr.
Ich kann das aus gleich mehreren Gründen nachvollziehen: In der Tat war schwer vermittelbar, warum man Platz und Personal für Bilder aus der DREHSCHEIBE verschwenden sollte – zumal die Bilder sich zwar im Besitz des GONG befanden, ihm aber nicht gehörten. Eine Verwendung hätte zu aufwändigen Recherchen nach den ursprünglichen Rechteinhabern geführt. Oft genug eine Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Auch ein Weiterverkauf war aus diesem Grund ausgeschlossen.
Soweit mir das zugetragen wurde, hat man die Archive des GONG en gros entsorgt. Hätte ich es gewusst – ich wäre mit einem Kleinlaster vorbei gekommen und hätte mir in mühsamer Kleinarbeit die Delikatessen aus den Container gezupft. Aber man sah wohl keinen Grund, einen seit fünf Jahren anderweitig beschäftigten Jungredakteur noch mal anzurufen.
Was dabei an film- und fernsehhistorischen Dokumenten auf ewig verloren gegangen ist, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Und die tatsächlichen finanziellen Verluste sind nicht ohne – allein die Film-Kurier-Hefte werden heute teuer gehandelt. Es stellt sich schon die Frage, ob man das Material nicht einem Institut, einer Stiftung oder einer Universität hätte überlassen können.
Nach vielen Jahren im Netz kann ich mit Sicherheit sagen, dass 90 Prozent dessen, was vor 20 Jahren verklappt wurde, zumindest nicht in den frei zugänglichen Bereichen des Internet zu finden ist. Nicht bei archive.org, nicht in den Newsgroups, nicht bei Google Books.
Manchmal, wenn ich mein beträchtliches digitales Archiv sortiere und auf einen alten Scan stoße, dann denke ich wehmütig an das GONG-Archiv zurück und seine in Fotos festgehaltene Chronik der deutschen Unterhaltungsgeschichte. Mag sein, dass das für die neuen Medienmacher “oller Kram und Ballast” war – ich hab’s geliebt. Und ich vermisse es.
Der aktuelle Anlass, warum ich euch das erzähle, ist übrigens dieser: eine barmherzige Seele hat Sammlungen mit den Covern des TV GUIDE bis 1970 bei archive.org eingestellt:
Was für ein großartiger “blast from the past”. Ich kann mich gut erinnern – wir hatten die alle bei uns im Regal stehen…
Hach, der „Gong“! Kindheits- und Jugenerinnerungen … ich glaube, ich hatte den noch Jahre nach dem Tod meiner Mutter 1984 abonniert. Irgendwann hatte ich eine Teletext-Karte in mein Fernseherchen gesteckt (der schwarze Loewe-Opta-Würfel mit den praktischen Handgriffen), dann war die Programmzeitschrift überflüssig.
Apropos TV Guide.Die Seinfeld-Folge mit dem Sammler Frank Costanza ist immer wieder der Wahnsinn,
https://www.youtube.com/watch?v=P8PVsMm4uK4
Ich bin ja mit der “TV Hören und Sehen” groß geworden (und mit den “Wo hat unser Zeichner die Maus versteckt” Comics auf der letzten Seite) – um dann irgendwann, als ich nicht mehr bei den Eltern wohnte, zur TV Spielfilm zu wechseln, die ich auch heute noch beziehe. Manch jüngere Jahrgänge wundern sich immer etwas, warum ich noch ein Abo für eine TV Zeitschrift habe (da ich ja auch das meiste Non-Linear anschaue), aber ich mag sowas immer noch. Und so oft, wie ich die Zeitschrift in den Fingern habe, kann es auch kein schlechter Kauf sein.
Die Suche nach der Maus. Als Kind für mich immer ein Highlight:
„Sie kennen doch unser heiteres Suchspiel? Auch auf dieser Seite hat unser Zeichner Sepp Arnemann wieder eine Maus versteckt.“ 🙂
Schon das Wort “heiter” ist ja heute nicht mehr in Mode.
Es stellt sich schon die Frage, ob man das Material nicht einem Institut, einer Stiftung oder einer Universität hätte überlassen können
#word
Klappt meiner Erfahrung nach fast nie, da fehlt es auch an Platz und Geld.
Abseits von Berichten hier nie von Gong gehört (auch nach kurzer Google-Suche kann ich die Cover-Motive nicht mit dem örtlichen Zeitschriftenregal verbinden), aber ein interessanter Einblick – immer wieder spannend, wie bei Umzügen, Firmenschließungen und ähnlichen Geschichten Zeitdokumente und Schätze verloren gehen :/