Streaming-Kritik: LESSONS IN CHEMISTRY
Themen: Film, TV & Presse, Neues |USA 2023. Darsteller: Brie Larson, Lewis Pullman, Aja Naomi King, Stephanie Koenig, Thomas Mann, Beau Bridges, Patrick R. Walker, Kevin Sussman u.a.
Story: Elizabeth Zott ist eine exzellente Chemikerin – was im männlich dominierten Forschungsbetrieb der USA in den 50er Jahren keinen Pfifferling wert ist. Erst die Bekanntschaft und dann die Liebe zum exzentrischen Calvin Evans bringt eine Wende. Doch Elizabeth erkennt, dass sie mit ihrer Intelligenz und ihrer Durchsetzungkraft die Pflicht hat, mehr für den Wandel der Gesellschaft zu tun, als Formeln an Tafeln zu zeichnen. Sie wandelt eine truschige Kochshow in ein modernes Format für Hausfrauen um und setzt sich für Bürgerrechte ein. Dabei stößt sie auf immer stärkeren Widerstand.
Kritik: Es lässt sich schwer bestreiten, dass Apple+ mittlerweile eine der besten Anlaufstellen für hochwertige Serienware ist. Nicht kleckern, sondern klotzen – man bekommt das Gefühl, die Plattform richte sich spezifisch an iPhone- und Macbook-Nutzer und deren Lifestyle. Eine elitäre, aber zahlungswillige Blase.
LESSONS IN CHEMISTRY passt perfekt in dieses Schema. Die achtteilige Miniserie basiert auf einem Bestseller, stellt mit hohem Aufwand die 50er Jahre nach, und hat mit Brie Larsen eine angesagte Schauspielerin aus dem MCU als Anker (und als Produzentin, wie heutzutage üblich).
Zu den Qualitäten der Miniserie gehört, dass sie sich Zeit lässt, dass sie auf überhitzte Cliffhanger verzichtet, dass sie keine gerade Linie von A (die unterdrückte junge Chemikerin) nach B (der gefeierte TV-Star) zieht. Elizabeths Leben ist geprägt von unerwarteten Wendungen, neuen Chancen, schicksalhaften Begegnungen. Ich fand das über die Laufzeit verteilt zuerst etwas unfokussiert und fragte mich, was LESSONS IN CHEMISTRY eigentlich erzählen will: Elizabeths Karriere? Ihr Leben? Die Beziehung mit Calvin? Die Geschichte der Bürgerrechte der Schwarzen? Erst in der letzten Folge wird klar, dass dieses gestückelte Narrativ kein Versehen ist – es ist der Kern des zugrunde liegenden Romans, dass das gesamte Leben ja auch keinen roten Faden besitzt, an dem sich die Protagonisten entlang hangeln können. Life happens when you least expect it.
Etwas mehr hadere ich da schon mit der Eigenart der Miniserie, in fast jeder Folge einen neuen erzählerischen Kniff einzubauen, ohne das wirklich zu begründen oder rechtfertigen zu können. So ist plötzlich Elizabeths Hund der Erzähler einer Episode, dann wird mit Rückblenden gearbeitet, eine Folge später taucht ein Geist auf. Versteht mich nicht falsch: kann man machen, ist auch ganz nett, wäre aber besser als durchgehendes Stilmittel statt als einmaliger Gimmick.
Und dann ist da noch Brie Larson, die sich mit einer sehr lautstarken und rüden Art in Hollywood viele Feinde gemacht hat – einerseits nimmt sie den Ruhm und das Geld von CAPTAIN MARVEL gerne mit, andererseits kritisiert sie den Film schon auf der Promo-Tour. Ich kann gut verstehen, warum sie Elizabeth Zott spielen wollte: Die brillante Chemikerin ist natürlich eine taffe Feministin, eine großartige Mutter – und immer im Recht. Die Wahrnehmung sowohl von Larson als auch Zott kann schnell nerven: sie sieht sich als den einzigen moralischen Maßstab in einer Welt aus Weicheiern, Chauvinisten, und Vergewaltigern. So etwas ist natürlich immer dann leicht zu schreiben, wenn die Hauptfigur nicht den Ballast mitbringt, auf einer realen Person zu basieren.
Wie bei QUEEN’S GAMBIT kann sich LESSONS IN CHEMISTRY die Heldin bauen, wie sie gebraucht wird – überlegen, intelligent, schön und siegreich. Nur glaube ich eben, dass man damit ein falsches Märchen erzählt und eine falsche Geschichtsschreibung versucht. Es gab keine Elizabeth Zott, so wie es keine Beth Harmon gab. Als Vorbilder taugen die Figuren nicht, weil ihr Erfolg von Autoren erfunden wurde – anders als bei Amelia Earhart, Marie Curie, oder Sophie Scholl.
Tatsächlich haben die "wahren" weiblichen Heldinnen der modernen Geschichte ihre Sieg nicht primär im Alleingang gegen die Männer erreicht – sondern in Zusammenarbeit mit Männern, die sie überzeugen konnten. Die 20er, 30er, 40er, 50er Jahre waren keine Zeiten für Einzelkämpferinnen. Man musste das System beherrschen, um voran zu kommen. Es ist der Eitelkeit unserer Zeit geschuldet, dass Miniserien wie QUEEN’S GAMBIT, MISS MAISEL und LESSONS IN CHEMISTRY so tun dürfen, als hätte es immer schon makellose Superfrauen gegeben, deren Talent vom Himmel fiel und deren Entscheidungen nicht zu hinterfragen sind.
Von dieser unangemessenen Mythologisierung abgesehen ist LESSONS IN CHEMISTRY dennoch sehr gute Unterhaltung und bringt die acht Folgen ohne Langeweile rum – inklusive der völlig unnötigen Flashback-Episode kurz vor dem Finale, die zum Streaming-Standard gehört, um die Laufzeit zu strecken.
Fazit: Eine exzellent ausgestattete und gespielte, wenn auch etwas unfokussierte Miniserie, deren primäres Hemmnis die teils nervende moralische Überlegenheit der fiktiven Hauptfigur ist.