28
Okt 2023

Fabulous Final Thoughts: The Marvelous Mrs. Maisel

Themen: Film, TV & Presse |

Ich gebe zu, ich bin ein wenig spät dran – THE MARVELOUS MRS. MAISEL startete in den USA im März 2017 und machte Corona-bedingt von 2019 bis 2022 Pause, um nach 43 Folgen im Mai diesen Jahres ins Finale zu gehen. Diverse Leute, denen ich durchaus vertraue, haben mir die Serie immer wieder empfohlen, aber ich entscheide so etwas nach Bauchgefühl – und was soll ich denn mit den Abenteuern einer jungen jüdischen Comedienne im New York der ausklingenden 50er anfangen? Andererseits hatte ich auch nie gedacht, dass mich das Schicksal einer Schachspielerin in den 60er Jahren begeistern könnte.

Irgendwann hatte das abendliche Programm bei Wortvogels eine Lücke – alle Bake Offs waren, so scheint’s, geguckt. Also machten wir den Test mit mehreren Pilotepisoden, um über den Sommer zu kommen. MRS. MAISEL lief zuerst im Stream – und wir waren augenblicklich Feuer und Flamme. Ich möchte gar nicht bestreiten, dass der zeitgleiche Hype um den “Pink Shoelaces”-Tanz uns dabei beeinflusst hat:

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Worum es in der Serie geht? Das ist relativ fix erzählt: Die überdrehte Miriam Maisel ist die perfekte “jewish princess”, Tochter eines Professors, einer etepeteten Mutter, und Frau eines Managers, der lieber in den Clubs der Stadt sein Glück als Komiker versucht – erfolglos. Als ihre Ehe zu Joel an seinen Selbstzweifeln zerbricht, entdeckt Miriam ihr eigenes Talent, auf der Bühne bissig und unverschämt Leben, Liebe und Leid zu kommentieren. Aber eine Comedienne, eine hübsche noch dazu? Nur die robuste Susie Meyerson erkennt das rohe Talent der immer perfekt auftretenden Miriam. Gemeinsam beschließen die Frauen, das Männer-Business Comedy aufzumischen…

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Tatsächlich hat MRS. MAISEL mehr als nur oberflächliche Ähnlichkeiten mit QUEEN’S GAMBIT: In beiden Serien geht es um höchst attraktive junge Damen im Amerika der 60er, deren Ausnahmetalent in einer Männerdomäne sie zum Kampf gegen das Establishment zwingt. Frauenpower am Schachbrett und auf der Showbühne!

In beiden Fällen wird an Aufwand nicht gespart. Die goldenen Jahrzehnte der USA werden mit einem Aufwand rekonstruiert, der dem Zuschauer teilweise den Kinnladen auf den Boden klappen lässt. Die schiere Menge an Sets und Außenaufnahmen macht nicht nur die Geschichte lebendig – sondern die ganze Ära. MRS. MAISEL legt dabei noch eine Schaufel drauf, in dem die Serie von Staffel zu Staffel immer wieder die Schauplätze wechselt. Jüdische Feriensiedlungen wie in DIRTY DANCING? Bitte sehr. Armee-Stützpunkte zur Unterhaltung der Truppen? Kein Problem. Paris? Drei Folgen lang. Las Vegas? The show must go on.

So wirkt jede Staffel von MRS. MAISEL wie das Kapitel eines großen Romans, ein Abschnitt der unaufhaltsamen Karriere von Miriam “Midge” Maisel. Besonders ihre Zeit als Opener für den fiktionalen schwarzen Superstar Shy Baldwin sticht heraus. Die Musik dieser Staffel besteht aus großartigen Ohrwürmern:

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Ein Ausstattungsrausch. Die pedantische Perfektion der Produktion erkennt man darüber hinaus vor allem an der Mode. Die wahrlich genetisch gesegnete Rachel Brosnahan wird in ein atemberaubendes Kostüm nach dem anderen gesteckt, weite Röcke, kurze Jäckchen und eine wippende Föhnwelle inklusive. Sie ist – wie die Serie selbst – im klassischen Sinne bezaubernd.

Wahrlich, MRS. MAISEL ist eine Serie, die HD und den großen Bildschirm lohnt.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass der Fokus zwar eindeutig auf Miriam liegt, die breit angelegten Plots aber auch den Nebenfiguren ausreichend Raum bieten. Ich kann mich nur an wenige Serien erinnern, die auch der zweiten und dritten Reihe des Casts einen solchen Platz im Scheinwerferlicht erlaubten.

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Miriams Eltern Abe und Rose sind das perfekte “odd couple”, dessen leicht abgehobener jüdischer Anspruch sie in immer neue Probleme verstrickt. Miriams Ex-Ehemann Joel ist die am besten entwickelte Figur der Serie und ihr heimlicher Held. Herausragend Luke Kirby als der legendäre Standup-Komiker Lenny Bruce, dessen spätere Drogensucht nur einmal kurz angedeutet wird – MRS. MAISEL hat kein Interesse an echtem Drama, an schmerzhaften Konflikten. Die Serie will nur spielen – und findet im noch relativ unversifften Manhattan der späten 50er die perfekte Kulisse dafür.

Ein weiterer “standout character” ist Miriams Managerin Susie, unfassbar breit und gleichzeitig tief gespielt von Alex Borstein:

THE MARVELOUS MRS. MAISEL ist die perfekte Streaming-Serie, wie man sie von einem Anbieter wie Amazon erwarten kann: luxuriös, aufwändig, unterhaltsam, ohne Bauchschmerzen oder Kater. Wen das natürliche Charisma der Hauptdarstellerin nicht begeistert, der besäuft sich am betriebenen Aufwand oder versucht, Hunderte von Referenzen in “historisch korrekt” oder “hinzuerfunden” aufzuteilen.

Und dennoch… nach ungefähr der Hälfte der Serie stellte sich bei uns eine gewisse Müdigkeit ein. Nicht deshalb, weil die Serie das Tempo reduziert oder sich im Kreis dreht. Viel schlimmer: uns wurde bewusst, was für ein rücksichtsloses Miststück diese MRS. MAISEL ist, der wir hier die Daumen drücken sollen. Die LvA und ich habe mehrfach darüber diskutiert, ob die Figur irgendwann aus dem Ruder gelaufen ist oder absichtlich so konstruiert wurde.

In ihrem Bestreben, eine erfolgreiche Komikerin zu werden, kennt Miriam Maisel weder Freund noch auf Feind: Auf der Bühne verrät sie intimste Familiengeheimnisse, gefährdet sie die Karrieren von Freunden, outet sie sogar den Frauenschwarm Shy Baldwin de facto als homosexuell. Für ihre Engagements lässt sie wichtige jüdische Feiertage sausen, versetzt sie ihre besten Freundinnen, vernachlässigt sie ihre Kinder in einem Maße, dass sie sogar in ihren Auftritten erwähnt, dass sie sich an deren Namen nicht erinnern könne.

Es ist angesichts des strahlenden Charmes von Rachel Brosnahan regelrecht schmerzhaft, das einzusehen: Miriam Maisel ist eine schlechte Freundin, eine miese Mutter, und eine undankbare Tochter. Dass ihre gesamte Umgebung unter ihrer Entschlossenheit leidet, Karriere zu machen, nimmt sie nicht wirklich wahr. Sie ist die Welt, um die sich alles zu drehen hat. Das macht die Serie zunehmend schwieriger anzuschauen – wir wussten irgendwann nicht mal mehr, ob wir Miriam Maisel den ersehnten Erfolg überhaupt noch gönnen.

Hinzu kommt, dass die Serie in den letzten beiden Staffeln etwas den Fokus verliert und der roten Faden teilweise kaum noch sichtbar ist. Handlungsstränge wie der Burlesque-Club, in dem Miriam als MC arbeitet, wirken eher wie Ehrenrunden, die man dreht, um die Staffeln zu füllen. Aber selbst in diesen Episoden gelingen der Serie brillante Szenen wie dieser Dialog zwischen Miriam und Lenny Bruce zum Ende der vierten Staffel:

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Mit der letzten, fünften Staffel versuchen die Produzenten noch einmal frischen Wind in die Story zu pusten, in dem sie immer wieder Flash Forwards einschieben, die uns ausschnittsweise das Leben der Figuren bis fast in die Gegenwart zeigen. Zusammen genommen funktioniert das wie ein eingewebter Epilog, der bestimmte Szenen in der Serienhandlung in einen neuen Kontext setzt. Dazu eine deutlich verstärkte Bereitschaft, die tatsächlichen Dramen der Figuren zu bedienen – und schon geht man doch versöhnt aus dem Finale.

Was bleibt? Eine großartig verschwenderische Serie mit viel Humor und Herz, eine Art Schaulaufen des Streaming-Fernsehens der neuen Generation. Nicht immer perfekt, in seiner Figurenzeichnung manchmal sogar fragwürdig, aber niemals langweilig, mit kessen Charakteren und frechen Dialogen.

Eskapismus in einer Zeit, die Eskapismus wahrlich brauchen kann.



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heino
heino
28. Oktober, 2023 21:54

Wir fanden die Serie auch toll und ja, Midge verursacht viele ihrer Probleme selbst und wirkt durch ihre Selbstsucht oft unsympathisch. In meinen Augen ist das gewollt, da sie ja von Anfang an als verwöhnte Prinzessin geschildert wird. Für uns war Susie der eigentliche Star und Alex Borstein ist eine wesentlich größere Karriere zu gönnen. Mir gefiel das Ende und auch die fünfte Staffel aber nur bedingt, weil das alle so wirkte, als hätte man es eilig, bloss jede Kleinigkeit zu Ende zu bringen und dabei das Finale seltsam unspektakulär ausfiel. Trotzdem ist das eine der besten Serien der letzten Jahre, die unfassbar viel Spass macht

Marcus
Marcus
19. November, 2023 22:04
Reply to  Torsten Dewi

Jawohl zu beidem. Joel machte für mich eine komplette Wende durch von “was für ein dummer *&!*#?!” zum tragischen Sympathieträger ab Staffel 3 oder so.

Luke Kirby war unfassbar cool. Ich war etwas enttäuscht, als ich danach mal auf YT nach Material vom echten Lenny Bruce gesucht habe. Ich habe leider meistens aufgrund der Mono-Tonqualität und seiner Intonation die Hälfte gar nicht verstanden, und was ich verstanden habe empfand ich leider als “rambling” oder schlicht nicht lustig.

Michel
Michel
29. Oktober, 2023 08:22

Ich mochte die Serie zwar auch bis zur vierten Staffel (da ging mein Interesse flöten, denn der Fortgang der Handlung hat mich nicht mehr interessiert, aus den oben genannten Gründen), aber von Beginn an hatte ich es enorm schwer, eine privat komplett naive Frau zu akzeptieren, die in ihren stand-Up-Auftritten jedoch die Gesellschaft und sich selbst messerscharf analysiert und durch den Kakao zieht.

Weil alles andere aber so unglaublich gut ist, bin ich dran geblieben.

Sagenhaft auch die Szenen, in denen Mrs. Maisel in unglaublichem Stakkato-Tempo Konversationen mit ihrer Freundin hat, und man trotzdem jedes.verdammte.Wort.versteht. Davon sollten einige Darsteller (hüben wie drüben) mal was lernen.

Michel
Michel
30. Oktober, 2023 05:09
Reply to  Torsten Dewi

Du hast mir gerade Queen‘s Gambit rückblickend versaut. 😉

Marko
30. Oktober, 2023 16:12

Bissl OT, aber da ich dazu von dir noch gar nichts gelesen habe: “Foundation”, “Severance” und “Devs” sind meiner Ansicht nach fantastische Serien, hast du da was von gesehen? Würde gern deine Meinung(en) dazu lesen. (Sorry, wenn ich da was übersehen haben sollte, falls du schon was geschrieben hast.)

Marko
30. Oktober, 2023 18:16
Reply to  Torsten Dewi

Ja, mit der Masse an Serien habe ich auch zu kämpfen… es ist wirklich heftig, wie viele stetig neue erscheinen.

Ein paar Worte zu meinen Empfehlungen, wenn mir das gestattet ist: “Foundation” finde ich tatsächlich auch recht träge, die Folgen gefallen mir aber durch die damit einhergehende Epik ziemlich gut. “Severance” nutzt die freche Idee, dass Menschen durch ein Implantat in zwei Persönlichkeiten geteilt werden, für eine Sinnbetrachtung der Lohnarbeit in unserem Leben (eine Persönlichkeit arbeitet nur, die andere hat nur frei, und beide wissen nichts voneinander). “Devs” erzählt die Entwicklung einer auf Quantenmechanik basierenden Maschine, deren unfassbare Funktion lange verborgen bleibt – ziemlich finster und verstörend.

Joss Whedons “The Nevers” ist auch toll und “Infiltration” macht als modern (und langwierig) erzählte Alien-Invasion auch Spaß. Aber ich bin schon ruhig, das Argument der Serienfülle ist halt, wie gesagt, echt nicht von der Hand zu weisen…

Marko
30. Oktober, 2023 18:24
Reply to  Torsten Dewi

Oha! Danke für die Erinnerung.

Marcus
Marcus
19. November, 2023 21:59

In der Tat großartige Serie, die ich auch erst dieses Jahr entdeckt habe.

Deinen Punkt bezüglich der nachlassenden Sympathie mit Midge sehe ich nicht so – erstens würde ich die Frage, die du mit deiner Frau diskutiert hast, mit “das ist definitiv Absicht seitens der Macher” beantworten, und zweitens finde ich, dass das die Serie erst erdet, weil Midge dadurch eben nicht als langweilige woke Mary Sue rüberkommt, die grundsätzlich in allem besser ist als alle anderen und nur mit dem pöhsen Patriarchat zu kämpfen hat, sondern als glaubhafte Person, die sich auch mal selbst im Weg steht. Auch im richtigen Leben passiert es schließlich immer wieder, dass eigentlich schlaue Menschen (man selbst eingeschlossen 😉 ) unerwartet und unerklärlich dumme Dinge tun.

Dass auch die Nebenfiguren gut entwickelt werden und Suzie und Joel fast schon gleichwertige Mit-Protagonisten sind, da bin ich allerdings wieder ganz bei dir.

Wirklich was zu bemängeln habe ich an der Serie nicht; allenfalls ein paar kleinere Comedy-Subplots waren vielleicht auch mal etwas unterentwickelt oder schlicht zu albern (Stichworte: “Matchmakers” und “the Weissmans without Zelda”), aber diese standen nie genug im Fokus, um für echten Leerlauf zu sorgen.