26
Jan 2024

Werteverfall auf dem Wertstoffhof

Themen: Neues |

Meinen Arbeitssessel werde ich erst morgen zum Wertstoffhof in Trudering bringen. Der Nachfolger steht schon bereit. Aber heute mussten noch schnell ein paar Kartons weg, das ist keine große Sache. Dabei habe ich gleich zwei Dinge in der Entsorgung gesehen, die da nicht hingehören – und die zeigen, dass in einer gesättigten Gesellschaft auch das Gute und Heile keinen Platz mehr hat.

So wuchtete ein sehr alter Mann mit der Hilfe eines Hof-Mitarbeiters dieses Schränkchen aus dem Wagen:

Perfekt gepflegt, keine Kratzer, sogar das Wiener Geflecht der Front in ausgezeichnetem Zustand. Es war dem Besitzer ein Anliegen zu erwähnen, dass sogar der originale Schlüssel noch in der Schublade liegt.

Als ich darum bat, das schöne Teil fotografieren zu dürfen, meinte der Mitarbeiter: “Wenn es Ihnen gefällt, kriegen Sie es vermutlich in zwei Wochen in Halle 2”.

Halle 2, das ist das Warenhaus des Abfallbetriebs München, wo verkauft wird, was nicht in den Müll gehört. Gut und richtig, dieses Schätzchen nicht zu zermalmen. In unsere Wohnung passt es stilistisch leider nicht.

Ich kam ins Nachdenken. Die Tatsache, dass so ein edles und gut erhaltenes Teil auf dem Wertstoffhof landet und nicht im Laden oder bei Ebay, ist ein Zeichen der Zeit. Wenn mich mein subjektiver Eindruck nicht täuscht, sind Antiquitäten seit geraumer Zeit “out”. Kaum jemand will noch die unkaputtbaren Originale mit ihren barocken Deko-Elementen, deren Fächer immer zu klein für Schallplatten, aber zu groß für CDs sind. Die Menschen wollen nichts mehr, was sie nicht nur vererben können – sondern müssen. Der Bonus der Haltbarkeit ist ein Malus geworden, man will “wohnen light”, nach dem Fast Food und der Fast Fashion regiert auch das Fast Furniture.

Das bedeutet natürlich auch, dass immer weniger alte Stücke erhalten werden. Porzellan, Lampen, Gardinen – was vor 30 Jahren noch Wert hatte, landet heute doch im Container. Weil der Wert nur einen Wert hat, wenn ihn wer bezahlt.

Nun könnte man sagen “Wer braucht schon den ollen Kram?”, aber die Einschläge kommen näher. Der Begriff “alt” wird neu definiert, weil es Dinge gibt, die schneller altern als Möbel. Medien zum Beispiel. Ich bin selbst ein Opfer: Hätte ich meine Sammlung an JOHN SINCLAIR-Romanen vor 30 Jahren verkauft, wäre sie eine vierstellige Summe wert gewesen.

Heute ist sie Altpapier.

Waren Tonbänder und Musikkassetten schon in den 90er Jahren obsolet, kamen in den frühen 2000er Jahren die Videokassetten und die CDs dazu. Teure und gut kuratierte Sammlungen werden zu Sondermüll. Nur ein paar beinharte Sammler bleiben dem gespulten Filmvergnügen treu.

Sehr offensichtlich jetzt auch dran: Die DVDs. Ich habe meine eigene Sammlung schon vor Jahren aufgelöst. Wir haben nur noch ein externes DVD-Laufwerk für Notfälle, die aber auch immer seltener werden. Es wird gestreamt, aus dem Netz oder von der Festplatte. Scheiben braucht kein Mensch.

Das dachte sich vermutlich auch der Zeitgenosse, der heute fünf Umzugskartons mit teilweise hochwertigen DVDs auf dem Wertstoffhof abgeladen hat:

Das ist keine Drogeriemarkt-Ramschware, da sind Staffelboxen von STAR TREK und Blockbuster wie UNDERWORLD dabei. Trotzdem scheint der Besitzer keinen Sinn mehr im Versuch gesehen zu haben, sie kartonweise zu verkaufen. Also weg mit Schaden – demnächst vermutlich auch in Halle 2.

Ich hatte nie ein Problem damit, dass eine Konsum- und Wohlstandsgesellschaft viel Müll produziert. Den Begriff Wegwerfgesellschaft kenne ich seit den 80ern. Es ist, wie es ist. Aber wir haben nichts dazu gelernt, haben nichts eingesehen. Im Gegenteil: Die preiswerte Unterhaltungselektronik und das Internet haben zu einer neuen Form von ex und hopp-Mentalität geführt, die nicht mal mehr abwartet, bis etwas kaputt oder wenigstens überholt ist. Funktionierende Ware wird nach willkürlichen Zyklen aussortiert, Produkte bekommen keine Updates mehr und damit den Stempel “Elektroschrott”. Fernseher, Computer, Smartphones – alles muss raus, weil es nicht mehr reicht, dass es noch funktioniert.

Ein erschütterndes Beispiel: Wir haben hier immer noch den Loewe-Fernseher meines 2015 verstorbenen Schwiegervaters stehen. Ein schickes Gerät, wie neu, sensationell guter Ton, Full HD. Hat vor 12 Jahren fast 3000 Euro gekostet. Ging bei Ebay-Kleinanzeigen nicht mal für 50 Euro weg.

Und nun sind halt die physischen Medien dran. Zustand wie neu, trotzdem im wahrsten Sinne “für die Tonne”. Kein Lorbeerblatt für eine Gesellschaft, die immer lauter Nachhaltigkeit verlangt, aber selber nicht fördert.

Falls also jemand seine DVD-Sammlung nicht entschlacken, sondern auffüllen möchten, dann soll er fix zum Wertstoffhof Trudering fahren. Ich bin sicher, für einen Zehner lassen die Mitarbeiter dort mit sich reden…



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Exverlobter
Exverlobter
26. Januar, 2024 18:33

“Es wird gestreamt, aus dem Netz oder von der Festplatte. Scheiben braucht kein Mensch.”

Dann bin ich halt ein Ewiggestriger, lol. Meine Wohnung quillt über an angesammelten DVDs und CDs, und ein Streaming-Abo hab ich bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen. Eine Kino-Flatrate gönne ich mir aber.

Matts
Matts
30. Januar, 2024 11:43
Reply to  Exverlobter

Geht mir ähnlich. “Überquellen” tut meine Wohnung nicht, aber meine bescheidenen DVD und CD Sammlungen machen mir Freude – und machen sich, wie ich finde, auch gut im Regal. Was soll ich da auch sonst reinstellen? Bücher???

Stefan
Stefan
26. Januar, 2024 19:32

Ich weiß nicht … den kritischen Blick auf die schnelllebige Wegwerfgesellschaft teile ich total. Es muss immer das Neueste sein, kaum benutzt schon im Müll, Fast Fashion mit neuen Trends für jeden Tag …

Aber ich finde die Beispiele komisch. Fast furniture? Ich kenne kaum jemanden, der Lust hat, sich alle paar Jahre neue Möbel zu kaufen. Ja, anekdotisches Wissen, ist mir bewusst. Ich hab auch nichts altmodisches hier, ich mag die Schlichtheit meiner Ikea-Möbel. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn die noch 50 Jahre halten. Es ist eben eine Geschmackssache.

“Und nun sind halt die physischen Medien dran. Zustand wie neu, trotzdem im wahrsten Sinne “für die Tonne”. Kein Lorbeerblatt für eine Gesellschaft, die immer lauter Nachhaltigkeit verlangt, aber selber nicht fördert.”

Aber was ist denn hier die Kritik, was ist die Alternative? Das hat ja nun nicht einmal etwas mit Mode zu tun, sondern schlicht dem technischen Fortschritt. Wie fördere ich hier Nachhaltigkeit? Indem ich künstlich an einem alten Medium festhalte, das die Tonnen an Plastikscheiben überhaupt erst produziert hat? Ist der Schritt vom physischen Medium zur Datei nicht gerade der nachhaltige? Irgendwie verrennst du dich hier. Oder ich? Gerne Argumente.

Exverlobter
Exverlobter
26. Januar, 2024 19:41
Reply to  Stefan

Hab gehört das Streaming umweltschädlicher als DVDs ist. Wenn meine DVDs jahrelang im Regal stehen setzen sie vielleicht Staub an. Wenn ein Film auf irgendwelchen Servern zigfach abgespielt wird steigt der Stromverbrauch an vielen Standorten weltweit stark an.

Sven
Sven
26. Januar, 2024 20:43
Reply to  Exverlobter

Das streamen nicht gerade klimaneutral ist, habe ich auch schon gelesen. Ich denke aber, dass der Herstellung, Transport und Vertrieb der Plastikscheiben inkl. Verpackung in Gänze deutlich umweltschädlicher sein dürfte als das streamen.
Ganz davon ab: früher war meine DVD-Sammlung für mich das, was für andere ihre Jagdtrophäen waren. Was ich aber merkte: man schaute ca. 70% der Filme genau 1x, danach verstaubten die Hüllen gnadenlos im Regal – und im Hohlraum des Regals hinter den Filmen ist man i.d.R. auch nicht ganz leicht rangekommen.
Die restlichen 30% schaute man vielleicht 2x, ganz wenige 3 mal oder noch öfter. Teilweise wurden dann viele Sachen nach DVD noch auf Blue-Ray gekauft, was irgendwie auch nicht wirklich nachhaltig war. Die alten DVDs wollte ja kaum noch jemand haben, als FHD richtig ins Rollen kam… Das Gleiche jetzt, wobei ich eher staune, was die 4k-Blue Rays so kosten – erinnere ich mich richtig, waren die “normalen FHD-Blue Rays” damals nicht so teuer, ich mag mich aber irren.

Irgendwann wollte ich dann insbesondere im WZ keine bunten Hüllen mehr rumstehen haben – je weniger Technik desto besser. Jetzt stehen noch 2 AppleTV und eine Nintendo-Switch unter dem Fernseher und der Soundbar, die eine wirklich platzkostende Dolby-Digital-Anlage ersetzt hat – zu meiner 100%igen Zufriedenheit.
Da lobe ich mir doch wirklich das (selbstverständlich auch nicht 100% ökologische) Streamen – ob nun als Kauf oder Leihvariante in jeglicher Form.

Stefan
Stefan
29. Januar, 2024 15:29
Reply to  Exverlobter

Stimmt. Deshalb ist Streaming viel umweltscädlicher als lienares TV, das nur ein einzelnes Signal zentral rausschickt. Aber bei DVDs braucht du ja auch 1 pro Nutzer.
1 Mio Streamer = 1 Mio Signale
1 Mio TV-Nutzer = 1 Signal
1 Mio DVD-Nutzer = 1 Mio Plastikscheiben
Letzteres ist definitiv das unökologischste.

Volker
Volker
28. Januar, 2024 08:58

In solche DVD Kisten schaue ich mittlerweile gerne wieder rein um Backups mir wichtiger Filme zu kaufen. Nicht falls die Apocalypse einbricht sondern für den Fall, dass der Streaminganbieter nachträglich am Werk rumfummelt, das Colorgrading ändert, Zigarette digital entfernt etc.

Volker
Volker
28. Januar, 2024 19:17
Reply to  Torsten Dewi

Doch, ist es bestimmt. Gefühlt werden Filme auf physischen Medien nur von zwei Arten von Leuten gekauft: Film-Preppern wie mir oder „4K-Mediabook ist die Vinylplatte der Filmwelt“-Liebhabern. Es wunder mich, dass der Marlt für Discs überhaupt noch existiert.

Exverlobter
Exverlobter
30. Januar, 2024 10:00
Reply to  Volker

Letztendlich hat sich sogar Vinyl als Nischenmarkt gehalten. Und z.B. das Kino wurde sogar schon in den 50ern totgesagt als TV aufkam.

Last edited 2 Monate zuvor by Exverlobter
Christian Siegel
29. Januar, 2024 12:05
Reply to  Torsten Dewi

Dass Filme verändert werden, vielleicht. Dass sie aufgrund von auslaufenden Lizenzvereinbarungen dann irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen, oder Anbieter wie Disney+ Serien und Filme nach wenigen Wochen wieder von der Plattform nehmen, um sie abschreiben zu können, ist hier schon eher das Problem. Kam zugegebenermaßen bislang nur vereinzelt vor. Und natürlich kann einem eine Scheibe auch mal kaputt werden. Trotzdem lobe ich mir meine Sammlung – die nach wie vor ausgebaut wird – mit der ich vom Streaming-Angebot unabhängig bin.

Davon, dass ich viele Filme und Serien besitze, die es nirgends zum Streamen gibt, ganz zu schweigen.

Christian Siegel
29. Januar, 2024 15:13
Reply to  Torsten Dewi

Richtig. Letztendlich kommt es halt immer auf die individuelle Verfügbarkeit an. Wenn mich eine Serie interessiert, und es sie in keinem Abo-Streamingangebot gibt, führt nach wie vor an physischen Medien kein Weg vorbei. Falls beides verfügbar ist, ist es dann letztendlich der persönlichen Präferenz geschuldet.

Stefan
29. Januar, 2024 20:27

Man kann ja beides machen.
Ich bin neulich auf die Seite Filmfriend.de gestoßen. Das ist so was wie die Streaming-Seite der Büchereien. Dort gibt es auch viele unbekannte und historische Filme. So wie ich das sehe, braucht man dafür nur einen Büchereiausweis.
https://www.filmfriend.de/de/pages/home