22
Jan 2024

Streaming-Kritik: TED LASSO

Themen: Film, TV & Presse |

Ich fühle mich wie im Paradies. Im Fernsehparadies. Erst MISS MAISEL, dann THE BEAR, und nun TED LASSO. Eine weitere Serie, die ich nie geguckt hätte, wenn nicht Menschen, deren Urteil ich vertraue, darauf bestanden hätten. Was sollte mich an einer Dramedy über einen amerikanischen Football-Coach interessieren, der eine mittelmäßige Londoner Fußballmannschaft übernimmt? Ich war vor fast 50 Jahren zwei Jahre lang mäßig einsatzfreudiger Rechtsaußen bei Wersten 04 – damit begann und endete meine Leidenschaft für das Gekicke.

Aber wie gesagt: TED LASSO kam mit vielen Vorschusslorbeeren und einer Sackladung Preise, die man üblicherweise nicht nur für “anwesend und bemüht” verliehen bekommt. 36 Folgen à 30 Minuten über 3 Staffeln, das schien schaffbar.
Selten waren wir nach einer Pilotfolge derart “hooked” – und dankbar, dass die Begrenzung auf 30 Minuten in der letzten Staffel fallengelassen wird (die Lauflänge wird hier grob verdoppelt).

Ein bisschen Background: Die Figur Ted Lasso hat Ex-SNL-Komiker Jason Sudeikis bereits 2014 für ein paar kurze Clips erfunden, die bei NBC für die Ausstrahlung der britischen Premier League warben. Ein “Doofus”, der keine Ahnung von dem hat, was die Amerikaner Soccer nennen und dessen Berufung womöglich auf einen Verständnisfehler zurück ging.

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Für Apple TV erweiterte er das Konzept und machte Ted Lasso zum Trainer des fiktiven Vereins AFC Richmond, dessen Besitzerin Rebecca Welton ihn anheuert, damit er spektakulär scheitert – sie will sich an ihrem Ex-Mann Rupert rächen, dessen ganzer Stolz der Verein war, der traditionell immer im unteren Drittel der Liga zu finden ist. Ted ist sicher nicht das, was der demotivierte Verein erwartet – aber er ist genau das, was er braucht. Mit einer Ned Flanders-esken, für die Briten fast unerträglich guten Laune macht er sich daran, das Seelenleben von Spielern und Management zu knacken, um den AFC Richmond auf Vordermann zu bringen. Denn gewonnen wird das Spiel nicht auf dem Platz…

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Um es mit Rocky Balboa zu sagen: “It’s not about how hard you hit – it’s about jow hard you get hit and still get back up. That’s how winning is done!”. Nun klingt das vielleicht nach dem üblichen Sportfilm-Klischee amerikanischer Prägung, das den unbedingten Willen und eine fast schon groteske Opferbereitschaft in den Mittelpunkt stellt, um einen triumphalen Sieg zu verdienen. Die amerikanische Mär vom “you can be anything”, die alle ignoriert, die eben nicht “anything” sein konnten. Aber dieser Story-Arc wird über drei Staffeln eher beiläufig verfolgt.

Fußball ist das Setting von TED LASSO, nicht aber das Thema. Würde man alle Szenen auf dem Platz zusammen schneiden, kämen vielleicht in toto 15 Minuten dabei raus. Die Serie ist stattdessen überreich an bezaubernden Figuren, die wir fast augenblicklich ins Herz schließen, vollgepackt mit “quotable dialog”, zarten Momenten, privaten Geschichten von Niederlagen und Auferstehung. Es geht eben NICHT darum, unbedingt zu gewinnen, sondern die beste Version von sich selbst zu sein. Was auch immer die sein mag. Und jeder, wirklich jeder, hat das Recht, basierend auf seiner Geschichte und seinen Abhängigkeiten zu scheitern, solange er an sich arbeitet und sich als Teil der Gemeinschaft versteht.

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Das ist ein Märchen, natürlich. Weder sind alle Menschen in ihrem tiefsten Innern gut, noch brauchen sie nur ein paar “heart to heart talks”, um ihr Leben rumzureißen. Das Universum belohnt weder die Mutigen noch die Tüchtigen – manchmal ist es schlicht ein Arschloch. Aber TED LASSO macht uns glauben. Nicht nur an das vage “Gute im Menschen”, sondern an das Gute in ALLEN Menschen. Jeder steht mit der Chance auf, heute besser zu sein als gestern. Es ist ein fast schon kindliches Mantra, das bei Erwachsenen nicht verfangen dürfte – es auf wundersame Weise aber doch tut. Das ist durchaus im Sinne von Sudeikis, der in Interviews klar gesagt hat, dass die Welt von TED LASSO ein bewusster Gegenentwurf auch zur zynischen Trump-Ära sein soll.

Der Zauber liegt neben den sorgsam austarierten und immer wieder überraschenden Drehbüchern vor allem in den Figuren und ihren Darstellern, von denen zwei auf geradezu spektakuläre Weise augenblicklich herausstechen:
Die Londoner Musical-Icone Hannah Waddingham ist als Club-Besitzerin Rebecca ein einschüchternde, aber verletzliche Amazone, die in ihrer Heimat (nicht nur) dank TED LASSO augenblicklich zum Kult geworden ist für ihre Arbeit in der Serie mit einem Weihnachtsspecial belohnt wurde, in dem viele ihrer Ko-Stars auftreten:

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Und da ist Brett Goldstein als alternder Captain des Teams. Roy Kent ist ein knurrender Vulkan aus Wut und Ungeduld, dem die Zeit davon rennt und der sich auf etwas einstellen muss, das er sich nicht vorstellen kann – das Ende seiner Karriere auf dem Spielfeld. OI! FUCK YOU! ist mein neues Lebensmotto.

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Sie sind Leuchttürme in einem Cast aus Highlights – Danny Rojo, Jamie Tartt, Keeley Jones, Leslie Higgins, Nathan Shelley, die Fans von Richmond und die Passanten, die Ted habituell mit “wanker!” anbrüllen, was je nach Situation Kritik oder Lob bedeuten kann. Sie bilden ein eigenes, beschauliches Universum inmitten der ultrakapitalistischen Geldmaschine des Profifussballs.

Wie gesagt: Aufstieg und Fall des AFC Richmond bilden nur den Rahmen, und TED LASSO nimmt sich immer wieder die Zeit, abzuschweifen und in bunten Farben Juwelen auf den Bildschirm zu malen – sei es die Odyssee des Co-Coaches Beard durch die Londoner Nacht oder ein schicksalhafter Abend im verruchten Amsterdam. Das ist gleichzeitig mit Feingefühl und größtmöglicher emotionaler Breite erzählt. Es ist unmöglich, nicht gefesselt zu sein – dieser Edgar Wallace-Werbespruch gilt auch für TED LASSO, und für TED LASSO besonders.

TED LASSO ist die ultimative Feelgood-Serie und darüber hinaus ein weiterer Beleg für einen Zeitenwechsel. War die Streaming-Branche in ihren ersten zehn Jahren fast krampfhaft darauf aus, sich mit Superlativen zu übertreffen und Kino-Aufwand fürs Fernsehen zu produzieren, so setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass die “alte Ordnung” wieder hergestellt werden muss, wenn Kino UND Fernsehen überleben wollen. So, wie ich es einst gelernt habe: Kino erzählt Geschichten, Fernsehen erzählt Figuren. MISS MAISEL, THE BEAR, REACHER, FLEABAG, TED LASSO – das sind klassische Fernsehserien im besten Sinne, weil Aufwand zwar betrieben wird, aber nicht Mittelpunkt und Lebensberechtigung darstellt. Alle diese Serien hätte man auch in den 70ern mit den damals sehr begrenzten Mitteln des Mediums erzählen können. Das ist ein Lob – das größte, das ich vielleicht aussprechen kann.

Ist TED LASSO fehlerfrei? Nein. Im Gegensatz zur LvA ist mir immer wieder das Frauenbild der Serie aufgestoßen. Während die Männer durchaus komplex und ambivalent gezeichnet werden und erstmal mit ihrem “inner child” in Kontakt treten müssen, sind die Frauen – ganz dem aktuellen Trend folgend – fast schon unantastbar heilig und sämtliche ihrer Probleme bei den Männern zu suchen.

Darüber sollte man reden. Aber weil ich von meiner unbedingten Empfehlung, TED LASSO (und zwar SOFORT!) zu schauen, nicht ablenken will, verschiebe ich das auf ein andermal.

TED LASSO. So gut kann Fernsehen sein.



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el flojo
22. Januar, 2024 11:31

Kann ich so unterschreiben. Es ist ein Traum.
(Apple TV plus liefert mir aktuell das beste Paket. So viel guter Stoff. Hätte ich zu Beginn auch nicht gedacht.)

Sven
Sven
23. Januar, 2024 10:34
Reply to  el flojo

Das Gleiche bei uns. ATV läuft deutlich öfter als Netflix, wo ich mich frage, warum wir dass nicht einfach kündigen und bei Bedarf einfach monatsweise buchen. Teheran fand ich auch grandios.

dermax
dermax
22. Januar, 2024 11:35

Amen! Besser kann man Ted Lasso nicht zusammenfassen. Und dann hab ich noch ein Jahr lang in Richmond gelebt, da geht einem bei seinen Spaziergängen durch die Gässchen oder das Richmond Green das Herz auf.
Und wenn Du schon grad bei Apple TV unterwegs bist: Severance!!!

el flojo
22. Januar, 2024 11:39
Reply to  dermax

Ich sekundiere: Severance!!!
Und Slow Horses.

Endstille
Endstille
22. Januar, 2024 14:34
Reply to  el flojo

Ganz genau die beiden, auch in dieser Reihenfolge und den Satzzeichen, möchte ich ebenfalls empfehlen 🙂

Kai
Kai
22. Januar, 2024 17:14
Reply to  Endstille

Dem schließe ich mich an. 🙂

Marko
22. Januar, 2024 19:35
Reply to  dermax

“Severance” empfehle auch ich sehr. Nicht zum ersten Mal, wie du dich vielleicht – hoffentlich – erinnerst. 🙂

Jo43
Jo43
22. Januar, 2024 19:25

Im Doku-Bereich kann ich bei AppleTV+ auch „The Line“ sehr empfehlen.

Sven
Sven
23. Januar, 2024 10:32

Auf Ted Lasso hatte ich auch (trotz ATV+-Abo von Anfang an) irgendwie überhaupt keinen Bock, auch wenn die Kritiken durchgehend positiv waren. Frau (auch absolut ohne Fussballinteresse) und ich haben dann doch angefangen, als auch die letzte Staffel schon lief, um keine unnötigen Wartezeiten zu haben, in denen man einfach zu viel vergisst, was vorher passiert war…
Was kam dann? Es wurde zu einer meiner Lieblingsserien. Wie Du geschrieben hast: Absolutes “Feelgood-Fernsehen”.
Mein vorheriger Feelgood-Favorit “Jane the virgin” (wenn, unbedingt im Original schauen) wurde einfach so zur Seite gedrückt.
Und jetzt lese ich hier von TL – großartig! Auch wenn es etwas schade finde, dass Du nicht noch ein klein wenig mehr auf die Charaktere eingegangen bist. Als Abschluss bleibt mir nur eins: Fuuuuuuuuuuuck!

(Dazu auch grandios: https://www.youtube.com/watch?v=icPLoEGBOBA ab 0:44;-)

Edin Basic
Edin Basic
23. Januar, 2024 19:49

Ich habe auch einen Serien-Tip.
SUITS die Anwaltsserie von 2011.Ich bin geradezu süchtig.
2 Folgen täglich auf dem Laufband wegschauen bringt den Kreislauf in Schwung.

Stefan
10. Februar, 2024 09:29

Dann gebe ich hier auch mal einen Tipp. Wir haben gerade “Loudermilk” geschaut. Eine Serie über einen trockenen Alkoholiker und ehemaligen Kritiker, der eine Selbsthilfegruppe leitet. Peter Farrelly hat produziert, und der Holzhammerhumor kommt immer mal wieder durch. Dennoch wird sich liebevoll um die Charaktere gekümmert. Kann ich nur empfehlen.