04
Dez 2023

Flugbereitschaft: Chaos auf meine Kosten

Themen: Neues |

Nehmt euch Tee & Kekse, das hier wird lang und lustig – solange ihr nicht in meinen Schneeschuhen steckt.

Relevante Vorab-Info: Mein Bruder und ich haben heute um 12.00 Uhr einen Notartermin aus familiären Gründen. Der ist finanziell und emotional wichtig. Es hat ein Jahr gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen – jetzt oder nie.

Weil wir in der Vorweihnachtszeit keinen Stress brauchen, haben die LvA und ich die Idee, mit dem Wagen nach Düsseldorf zu fahren, schnell ad acta gelegt. Am 30. November buchen wir einen Flug mit der Lufthansa: Sonntag Mittag hin, Montag Mittag Termin, Montag Abend zurück. Ideal, um mit der Cousine und ihrem Gatten Essen zu gehen und über den Weihnachtsmarkt auf der Kö zu schlendern. Gespräche mit dem Bruder. Treffen mit einem Makler. Alles sehr erwachsen.

Aus einer Laune heraus buche ich uns ein nettes, neues Hotel in der Nähe der Wohnung meines Bruders. Man kann sich so einen Kurztrip ja auch komfortabel gestalten. Hinzu kommt, dass ich angesichts der emotionalen Komponente des Termins den Aufenthalt in meiner Heimatstadt bewusst genießen möchte.

Als am Donnerstag die ersten stärkeren Schneefälle einsetzen, wird mir ein wenig mulmig – die deutsche Infrastruktur ist auf den disruptiven Winterflaum bekanntlich schlecht vorbereitet. Aber erstmal genieße ich das Konzert von Ricky Gervais in der Olympiahalle, das mit einem tollen Abendspaziergang durch das Winterparadies verbunden ist. Schneeflöckchen, Weißröckchen…

Mit 40 Zentimeter Neuschnee am Samstagmorgen ist klar: Es wird eng für Bus, Bahn – und Flugzeug? Tatsächlich werden die meisten Flüge abgesagt, aber man ist für den Sonntag guter Dinge. Sicherheitshalber rechne ich durch, wie lange ich mit unserem X3 brauche, auch wenn die LvA protestiert. Man braucht immer einen Plan B und ich bin schon unter schlechteren Bedingungen gefahren.

Um 16.08 Uhr am Samstag dann die Email:

“Your Lufthansa flight LH2020 from Munich to Düsseldorf on 03.12.2023 has been cancelled. Please accept our sincere apologies.”

Ruhig bleiben. Es gibt immer Alternativen. Und den Sonntag haben wir ja komplett als Reisetag geplant, da sind wir nicht unter Zeitdruck.

Um 20.19 Uhr die nächste Email der Lufthansa:

“Your flight has been rebooked to LH2246 on 04.12.2023 from Munich to Lyon”

Für die geographisch weniger Bewanderten: Lyon liegt in Frankreich. Bevor ich mich fragen kann, was zum Geier ich in Lyon soll (noch dazu am Montag statt am Sonntag), kommt eine Minute später die nächste Email:

“Your flight has been rebooked to EW9413 on 04.12.2023 from Lyon to Dusseldorf”

Mitschreiben: Statt um 14.10 Uhr am Sonntag nach Düsseldorf sollen wir nun am Montag um 7.00 Uhr nach Lyon fliegen, wo es um 9.20 Uhr weiter nach Düsseldorf geht. Fünf Uhr früh zum Flughafen, knapp vier statt einer Stunde, dafür so eng in Düsseldorf, dass wir hoffen müssen, ohne Stau zum Notariat zu kommen.

Egal. Das Leben ist eine Herausforderung. Schicksal als Chance.

Zuerst einmal häufen sich die weniger schlechten Nachrichten: Das Hotel in Düsseldorf können wir kostenfrei stornieren, das Restaurant auch. Alle Beteiligten aus der Rheinmetropole passen sich unseren Plänen an.

Pünktlich um 8.00 Uhr am Sonntag bekomme ich die Aufforderung der Lufthansa, mich dem neuen Flugplan gemäß einzuchecken:

Wer sich jetzt wundert, weil da “to Munich” steht – das hat einen etwas seltsamen, aber nachvollziehbaren Grund. Da Hin- und Rückflug nun auf einen Tag fallen, sieht die Lufthansa das als einen Flug mit zwei Stops (München-Lyon-Düsseldorf-München). Soll mir recht sein.

Was mir nicht recht ist, ist die Tatsache, dass der Aufforderung zum Check-In die penetrante Aussage folgt, es wäre zu früh zum Check-In:

Das. Kann. Nicht. Sein. Airlines sind verpflichtet, den Online-Check-In spätestens 24 Stunden vor Abflug freizuschalten. Diese Frist ist längst abgelaufen. Hinzu kommt. dass schon der Versuch mit relativ willkürlichen Fehlermeldungen abgeblockt wird:

Irgendwann gelingt es mir, für den Rückflug von Düsseldorf einzuchecken – der hat sich ja nicht geändert, da scheint das System nicht verwirrt zu sein.

Der Hinflug? Ende der Fahnenstange. Computer says no. Was immer ich versuche, welchen Link ich auch klicke – ich lande immer wieder bei derselben Formular-Maske, die mich abblitzen lassen wird. No soup for you!

Es widerstrebt mir, um 5 Uhr morgens ohne Bordkarte zum Flughafen zu fahren. Das ist ein “recipe for disaster”. Die LvA kommt auf eine prima Alternativ-Idee: “Lass uns heute nachmittag zum Flughafen fahren und die Bordkarten vor Ort abholen. Dann können wir auch gleich über den hübschen Weihnachtsmarkt am Airport schlendern.”

Gesagt, getan: Wir fahren über die erfreulich geräumte Autobahn zum Flughafen und begeben uns in das Terminal 2, wo man aktuell die großartigen Poster vergangener Oktoberfeste bewundern kann:

Davon ab sehen wir vor dem Lufthansa-Reisezentrum eine Schlange von ungefähr 100 Metern mit vielen, vielen genervten Nicht-Reisenden, von denen einige hier übernachtet haben. Da anstellen ist eine Saat ohne Ernte, also suchen wir uns eine Mitarbeiterin der Lufthansa an der Gepäckaufgabe. Sie quittiert meine Eröffnung “Uns wurde unser Flug für heute gestrichen…” mit einem deutlichen Seufzer.

Ich setze auf meine patentierte australische Freundlichkeit: “Sie haben sich sicher heute schon einiges anhören müssen, oder?”

Sie schaut mich an und ich habe fast das Gefühl, sie bricht gleich in Tränen aus: “Sie haben keine Ahnung, wie oft ich heute schon angeschrien worden bin.”

Ich verstehe beide Seiten. Klar kann sie nix dafür, aber sie ist die Repräsentantin des Unternehmens und bei vielen Leuten muss die Wut irgendwann irgendwo hin. Das ist dann “part of the deal”. Aber nicht bei uns. Wir bleiben super freundlich, super geduldig, super plauderig. Wir erfahren, dass ihre Schicht noch bis 21.00 Uhr geht. So sieht die Hölle aus.

Tatsächlich haben wir Erfolg: Die junge Dame kann uns am Automaten sämtliche Check-Ins erledigen und wir bekommen insgesamt sechs Bordkarten ausgehändigt. Win! Wir wünschen ihr viel Kraft für den Rest der Schicht.

Danach wollen wir raus zum Weihnachtsmarkt. Der Weihnachtsmarkt ist zu.

Ist jetzt auch schon egal.

Wieder daheim, haue ich ein paar Emails raus, um alle Beteiligten von den geänderten Plänen zu unterrichten. Es wird nun ein sehr kurzer, freudloser Trip. Vor Morgengrauen zum Flieger, umsteigen in Lyon, vom Flughafen Düsseldorf direkt in den Wagen zum Notar, danach Termin mit Makler und kurz Kaffee für die wichtigsten Absprachen, dann wieder Heimreise.

Ich bespreche mich noch einmal mit der LvA. Wir sind uns einig, dass wir aus einer schlechten Situation das Beste gemacht haben. Zwölf Stunden auf der Autobahn für eine stressige Hin- und Rückfahrt wären auch keine attraktive Alternative gewesen. Wird schon alles klappen.

In einem Anflug an kindischem Trotz beschließen wir, in Lyon auf dem Flughafen auf jeden Fall ein Croissant zu essen und einen Souvenir-Magneten für den Kühlschrank zu kaufen, wie wir es bei allen “Fernreisen” machen. Mir doch egal, wenn wir von der Stadt nur den Flughafen gesehen haben. Lyon ist Lyon.

Da der Wecker früh klingelt, gehen wir zeitnah ins Bett. Ich bin schon friedlich weggedöst, als ich um 23.14 Uhr mein Handy “pling!” machen höre. Eine SMS. Ich habe nicht vor, dranzugehen. Ich will schlafen. Aber ich könnte das Scheißteil wenigstens ausschalten, um der Nachtruhe willen. Also nochmal aufstehen. Botschaft von Eurowings:

Das ist der Flug von Lyon nach Düsseldorf. Eine Stunde und zehn Minuten Verspätung. Damit ist alles hinfällig. Wir werden weder den Notartermin noch den Makler schaffen. Game over.

Ich setze mich müde an den Rechner und schreibe Emails an Anwälte, Freunde und Verwandte – thanks for playing, see you next year. Dann wecke ich die LvA und wir deaktivieren alle gestellten Wecker. Wir können ausschlafen.

Die ganze Rumplanerei hat dazu geführt, dass ich mein Handy doch nicht auf stumm geschaltet habe. Darum werde ich um 2.10 Uhr erneut geweckt:

Das wäre der Rückflug gewesen. Die in der nächsten Mail angebotene Alternative ist nur noch mit Sarkasmus zu verstehen:

Der einzige Grund, warum mich das nicht ärgert: Wir haben ja eh alles abgesagt. Das hier ist nur noch Bonus.

Aber wir sind IMMER NOCH NICHT am Ende! Um 6.52 Uhr legt die Lufthansa nach:

Diese Planänderung hat genau 46 Minuten Bestand, denn…:

Man kann es sich nicht ausdenken. Letzten Endes sind von den drei für heute geplanten Flügen zwei ausgefallen. Der dritte ist verspätet. Tatsächlich geflogen wären wir heute nur von Lyon nach Düsseldorf.

Normalerweise würde ich die Gelegenheit und die gewonnene Freizeit nutzen, um meinem Ärger Luft zu machen. Aber ich verspüre keinen Ärger. Ich bin mit den Entwicklungen sehr erwachsen umgegangen. Mein Anwalt hat bereits das Notariat in Düsseldorf verständigt, die Termine nimmt mein Bruder alleine wahr. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt in München eine “Nachgenehmigung vornehmen”. So heißt das, wie ich heute gelernt habe.

Über die Lufthansa mag ich auch nicht schimpfen. Schneechaos war nicht vorhersehbar und wenn die Maschinen nicht abheben können, können sie nicht abheben. Ich würde mir nur wünschen, dass man für den Fall mehr Mitarbeiter an deutschen Hotlines zur Verfügung hätte, die einem klare Optionen geben: Flug stornieren? Flug umbuchen? Flug erstatten? Auch eine Information, ob und wie ich mein Geld zurückbekomme, wäre sicher hilfreich. Aber dass der Service immer weiter automatisiert und damit ungelenker wird, ist keine neue Erkenntnis.

Hätte ich vorher gewusst, was ich heute weiß: ich hätte den Wagen genommen und wäre gestern entspannt nach Düsseldorf gefahren. Aber es sah ja bis heute Nacht aus, als würden wir die Flüge trotz aller Stolperfallen in unserem Sinne nutzen können. Es sollte halt nicht sein.

So haben wir heute einen unerwartet (stress)freien Tag. Und wie ich immer sage: “Wenn’s für nix gut ist, so kommt doch immer ein Blogbeitrag dabei rum.”

Ein geschenkter Wintertag mir Tee, Keksen, und glücklich dösenden Katzen. Es gibt schlimmere Desaster.



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Siebi
Siebi
4. Dezember, 2023 12:34

Dann hast du es ja noch gut erwischt, wenn man die Berichte über MUC etwas verfolgt. Wir selbst standen, nach einem abgesagtem Flug, am nächsten Tag knapp 2,5h auf dem Rollfeld rum, weil unser “Parkplatz” von einem anderen Flugzeug belegt war. Nachdem wir dann draußen waren, hat es der Flughafen geschafft einen 380 und einen Dreamliner zur gleichen Zeit am gleichen Gepäckband abzufertigen… Da lagen die Nerven auch blank.

Robert
Robert
4. Dezember, 2023 12:49

Ein sehr lesenswerter Beitrag. Respekt.

Marko
4. Dezember, 2023 17:24

Ich liebe deine Alltagsgeschichten, die sind immer einerseits so schräg und andererseits so “relatable”, wie man heute so schön sagt. Würde mir sofort einen Roman kaufen, in dem du aus der Ich-Perspektive lauter solches Zeug erzählst, das alles ist einfach mega unterhaltsam.

Diese Blogeinträge sind im übrigen nie zu lang, im Gegenteil.

Stefan
4. Dezember, 2023 20:00
Reply to  Torsten Dewi

Für mich hatte das die perfekte Länge, um es in einem überfüllten ICE mit 40 Minuten Verspätung stehend zwischen Frankfurt/Flughafen und Mannheim zu lesen. True story.

Endstille
Endstille
5. Dezember, 2023 07:55
Reply to  Marko

Ich hab überlegt, genau so etwas in Deiner Art zu schreiben, Du hast es aber besser beschrieben als ich es hätte können 😀
Ich schließe mich dem Geschriebenen vom Marko zu 100 % an!

Nummer Neun
5. Dezember, 2023 08:23

Die Nacht von Freitag auf Samstag habe ich am Münchener Hauptbahnhof verbracht, weil ich nicht mehr in den Westen der Stadt gekommen bin. Kein Nahverkehr mehr und Taxis waren auch quasi nicht zu bekommen. Das war ein Stück weit auch meine Schuld, weil wir zwar den ganzen Abend den Schneefall gesehen hatten, aber ich immer dachte, ich werde schon irgendwie nach Hause kommen und wir deshalb fröhlich weiter unterwegs waren.

Der Hauptbahnhof war übrigens voller gestrandeter. Aber angenehme Atmosphäre, kein Stress oder Verzweiflung. Einige Läden hatten offen, die dürften sich über das unerwartete Zusatzgeschäft sehr gefreut haben. Es war nur recht kalt und ich bin mehrmals zw. S-Bahn Station, Fernbahnhof und Taxi-Ständen hin und her, um etwas Bewegung zu haben.

Mir kamen die paar Stunden am Hauptbahnhof gar nicht so schlimm vor – allen, denen ich das danach erzählt hatte, waren deutlich geschockter.

Maximilian Frömter
Maximilian Frömter
5. Dezember, 2023 10:39

Ein ziemlicher Alptraum – erinnert mich an die Geschichte mit meinen letzten Flug nach Wien, den ich wegen Corona-Lockdowns dreimal umgebucht und schliesslich gecancelt habe. Ich bin dann mit dem Auto gefahren und seitdem auch nicht wieder geflogen, dieses ganze Brimborium stresst mich ungemein. Ich habe das Busreisen für mich entdeckt – dauert zwar zehnmal solange, aber es ist ungleich entspannter, die Linie hält quasi beinahe vor der Haustür und man sieht was von der Landschaft. 20 Stunden nach Spanien sind zwar kein Pappenstiel, aber in der Praxis doch weit weniger schlimm, als es sich anhört. Meine ganze Familie macht das seit Jahren. Lohnt sich halt nicht für Kurztrips.

Martin Däniken
Martin Däniken
13. Dezember, 2023 18:08

Also wenn Der Söder seinen Weltraumbahnhof fertig hat, gehören diese Probleme der Vergangenheit an und wir haben Flugtaxis… Das ist sicher!!! Harhar-Harhar