26
Okt 2023

Archivarbeit: Wortvogel im SPIEGEL

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Vor fast 16 Jahren schrieb ich an dieser Stelle, dass der SPIEGEL sein gesamtes Textarchiv öffentlich zugänglich macht, und das nicht nur für Abonnenten. Damit waren die Inhalte aller Ausgaben seit 1947 durchsuchbar – was ich in der Folge für viele Artikel ausgenutzt habe. Meine einzige Kritik anno 2007:

“Es wäre halt schön, auch KOMPLETTE Hefte als pdf laden zu können, statt nur einzelner Artikel.”

Ich habe die Sache nie weiter verfolgt, weil ich in der Tat das Digital-Archiv dringender brauche als PDF-Ausgaben der Hefte, die eher Sammlerwert haben.

Mittlerweile baue ich allerdings an meiner massiven virtuellen Bibliothek, die nicht nur alles umfasst, was ich an Büchern je besessen und gelesen habe, sondern auch alle Comics und Zeitschriften. Ich habe SIEHSTE ebenso wie CINEMA, TITANIC ebenso wie den PLAYBOY. Die lustigen Taschenbücher? Don’t mind if I do. ZACK? Bumm. Um mein ganz persönliches “Weltwissen” zu vervollständigen, fehlen nur zwei Zeitschriften, die mich geprägt haben: HörZu und eben der SPIEGEL.

Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich vor zwei Tagen über einen Link zum Print-Archiv des SPIEGEL gestolpert bin. Zu meiner großen Überraschung finde ich unter den einzelnen anklickbaren Titeln einen “PDF”-Button. Ich klicke darauf – und prompt wird mir das gesamte Heft auf die Festplatte geladen.

What fresh hell?! Ich habe keine Ahnung, ob das ein neues Angebot ist oder ob ich zehn Jahre lang einfach nur gepennt habe. Aber es bedeutet, dass ich theoretisch alle Ausgaben des SPIEGEL herunterladen und meinem digitalen Archiv einverleiben kann, ohne sie selber kaufen und scannen zu müssen. “Theoretisch” deshalb, weil die Sache einen Haken hat: Seit 1947 hat der SPIEGEL ziemlich exakt 4000 Ausgaben veröffentlicht. Man muss jede Ausgabe einzeln anklicken und dann noch auf den “PDF”-Button klicken. Das ist die ödeste und zähste Aufgabe, die ich mir vorstellen kann. Es würde Wochen dauern.

Öde und zähe Aufgaben? Für so etwas ist Kollege Computer doch eigentlich prädestiniert. Ich schreibe einen Kumpel/Leser an, der mir bereits dabei geholfen hat, per Skript über 4000 Folgen Zeitzeichen von den WDR-Servern zu saugen. Er verspricht sich die Sache nach der Arbeit mal anzuschauen.

Vier Stunden später habe ich eine Datei im Posteingang mit der Aufforderung, diese in den Browser zu laden und meine Erweiterung DownThemAll anzuklicken. Ich tue, wie mir geheißen ist – und mit erstaunlicher Geschwindigkeit beginnt Edge, mir die PDF-Ausgaben auf die Festplatte zu schaufeln. Nach gut zwei Stunden habe ich die 4000 Hefte komplett, ordentlich nach Datum sortiert.

Collaboration for the win!

Klar kann auch das nicht perfekt sein – die Auflösung der Scans ist bestenfalls brauchbar, bei ganz alten Ausgaben hat man augenscheinlich auf Mikrofilm zurückgegriffen. Immer wieder mal sind Seiten doppelt, leicht schräg, Bilder matschig oder der Text nur schwer lesbar.

Für einen OCR-Scan reicht das nicht – aber dafür hat man ja das Digital-Archiv des SPIEGEL. Ich moniere zudem das Fehlen von DIESE WOCHE, der Vorgängerzeitschrift des SPIEGEL, die allein aus historischen Gründen interessant zu lesen und zu haben sein sollte.

Egal. So bin ich seit heute stolzer Besitzer von der ersten…

… bis zur aktuellen Aufgabe des SPIEGEL:

Nun kann man legitim die Frage stellen: Warum?

Die Antwort darauf hat zwei Aspekte: Da ist zuerst einmal mein Hobby mit der Digital-Bibliothek. Es macht mir Spaß, die Sammlung zu perfektionieren, jederzeit die alten Hefte und Bücher griffbereit zu haben. Ich benutze das öfter, als man meinen sollte. Es hilft mir auch darüber hinweg, dass ich mein analoges Archiv im Laufe der Jahre immer weiter ausgedünnt und entsorgt habe. Von sechs deckenhohen Billy-Regalen und wer weiß wie vielen Boxen im Keller sind gerade mal ein Billy-Regal und ein paar Schachteln übrig geblieben. Mit einer Schublade voller Festplatten zieht es sich leichter um.

Vor allem aber: Nach fast 30 Jahren Internet habe ich gelernt, dass digitale Angebote sehr schnell und spurlos verschwinden können. Dabei rede ich nicht mal von grauen Quellen – das archive.org steht massiv unter Beschuss. Vieles, was ich dort geladen habe, ist längst nicht mehr verfügbar. Und es ist eben nicht auszuschließen, dass der SPIEGEL irgendwann entscheidet, dass das Online-Archiv zu viele Kosten verursacht, und es dann sang- und klanglos abschaltet.

So bin ich froh, ohne größeren Aufwand nun auch das SPIEGEL-Archiv in meine private Sammlung aufnehmen zu können.

Ist das noch Sammelleidenschaft – oder schon Sammelwut? Sympathisch oder schrullig? Sagt ihr es mir.

Auf jeden Fall werdet ihr davon profitieren: In den nächsten Tagen stelle ich eine Rückschau auf der Basis typischer SPIEGEL-Cover der Jahrzehnte zusammen.



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Mark Wolf
Mark Wolf
26. Oktober, 2023 15:15

Danke für den Tipp, ein pdf-Button ist mir da auch noch nie aufgefallen. Und ich wünschte, die Hörzu von 75 bis 85 wäre im Netz einsehbar, ich liebe es, in den alten Ausgaben zu blättern und obskure TV-Produktionen zu entdecken, die man wohl nie wieder sehen wird.

hilti
hilti
26. Oktober, 2023 16:29

Seltsamerweise bietet mir die Spiegel-Seite keine PDFs an. Muss man dafürangemeldet oder zahlender Kunde sein?

Maximilian Frömter
Maximilian Frömter
27. Oktober, 2023 10:17

Super, ich freu mich! Solche Archivierungsarbeit ist wichtig. Du leistest damit einen wichtigen, kulturhistorischen Beitrag. Mein Trauma: Ich hatte mir vor Jahren mal alle “Bananas”- und “Schmidteinander”-Folgen auf Youtube angesehen, dann waren sie eines Tages vermutlich wegen Copyright verschwunden. Jetzt ist wieder eine Reihe von ihnen online und ich werde mich mal dranmachen, sie so gut es geht zu archivieren.

Shah
Shah
27. Oktober, 2023 10:32

Schrullig? Ich finde es großartig. Allerdings hat die Dame des Hauses das Wort bei meiner digitalen Comicsammlung sehr ähnlich verwendet.