01
Okt 2020

Around the World in 80 Bakes: Der globale Back-Wahn

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Über den Background von GREAT BRITISH BAKE OFF habe ich bereits geschrieben – auch darüber, wie die LvA und ich zu der Serie gekommen sind. In dem Artikel von 2014 wird erwähnt, dass die Show unglaublich strikt strukturiert ist. Nicht nur ist der Ablauf der Sendung immer gleich, sogar das Editing, die Musik-Clips und die einzelnen Kommentare kommen aus einem begrenzten Baukasten:

“Was würdet ihr sagen, wer ist nach der technical challenge vorne mit dabei?”

“Bäcker, euch bleiben 30 Minuten!”

“Ich habe die unangenehme Aufgabe zu verkünden, wer uns heute verlassen wird…”

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Das ist derart generisch, dass man aus einer Staffel eine weitere Folge zusammen schneiden könnte, ohne dass es auffiele. Aber statt zu langweilen, macht es auch den Reiz des BAKE OFF aus. Es ist konzeptionell wie kulinarisch “comfort food”. Was sich ändert, sind lediglich die Kandidaten – und selbst da wählt man sehr offensichtlich nicht mehr die besten bei den Vorentscheidungen aus, sondern die repräsentativsten. Gerade bei der britischen Version ist die Zusammensetzung eigentlich vorhersehbar: eine Muslima, ein Schwuler, ein Jungspund, ein Sportler, ein Senior, ein Inder/Pakistani, eine Hübsche, eine Oma, etc.

Die Marke GREAT BRITISH BAKE OFF produziert mittlerweile vier Shows, die wir uns über das Jahr verteilt ansehen: das Dickschiff GREAT BRITISH BAKE OFF (aktuell in der elften Staffel), die Kinder-Version JUNIOR BAKE OFF, die Charity-Version CELEBRITY BAKE OFF zugunsten der Krebsforschung, und BAKE OFF PROFESSIONALS, was früher CREME DE LA CREME hieß und genau genommen ein Spinoff ist. Bei den Professionals stoppen die LvA und ich mittlerweile mit, wann Jurorin Cherish Finden erstmals auf ihre “palate” verweist, also ihren Geschmackssinn. Es passiert immer. Es ist außerdem unser erklärtes Ziel, einmal Teatime mit Patisserie von Cherish im Langham Hotel in London zu genießen.

BAKE OFF ist in Großbritannien einer DER fetten Quotenbringer, mit bei der BBC teilweise über 15 Millionen Zuschauern. Das ist mehr, als sich der TATORT bei uns erhoffen kann – und die Insel hat in toto 14 Millionen weniger Einwohner als die BRD! Auch nach dem Wechsel zu Channel 4 kratzt man immer wieder an der 10 Millionen-Marke. In der letzten Woche hat man diese sogar gerissen und die höchste Einschaltquote für eine Eigenproduktion seit 35 Jahren eingefahren.

Der Kult um GBBO, wie es liebevoll abgekürzt ist, hat die üblichen popkulturellen Folgen. So gibt es Zusammenschnitte der “größten Skandale” der Show, die allerdings bestenfalls Skandälchen sind:

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Erfolg gebiert Comedy: David Walliams und Joanna Lumley genießen es sichtlich, Paul Hollywood und Mary Berry auf die Schippe zu nehmen – “soggy bottom” ist einer der Begriffe, die GBBO fest im englischen Sprachgebrauch verankert hat:

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In Amerika hat sich SATURDAY NIGHT LIVE der Show angenommen, die jenseits des Atlantiks aus rechtlichen Gründen GREAT BRITISH BAKING SHOW heißt:

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Es war natürlich klar, dass das Konzept dieses Unterhaltungs-Leviathans auch in andere Länder verkauft werden würde – und dass die LvA und ich uns alle englischsprachigen Versionen genau anschauen würden. Das schließt die italienischen, französischen und thailändischen (no kidding!) Fassungen leider aus, aber es bleibt auch so genug übrig. Um die 40 Staffeln insgesamt, um die 400 Folgen. Das prägt. Kein Wunder, dass ich selber ein immer besserer Bäcker werde.

Hier mal unsere gesammelten Gedanken zu den internationalen Fassungen von GBBO. Das entpuppt sich besonders deshalb als interessant, weil die engen Vorgaben der Produktionsfirma strikt eingehalten werden müssen (inkl. der Moderationsphrasen), sich aber trotzdem klare nationale Eigenheiten einschmuggeln.

THE GREAT IRISH BAKE OFF

Bleiben wir in der Nähe: Die Iren haben sich ein paar Staffeln lang an einer eigenen Fassung versucht, die primär dadurch begeistert, dass sie genau dem Klischee entspricht: alles eine Nummer armseliger, verhärmter, hilfloser und billiger. Von den Klamotten der Kandidaten über die Küchengeräte bis zu den Kuchen – es liegt immer etwas Trostlosigkeit in der Luft und das Niveau der Bäcker hätte bei GBBO nicht mal für die Vorausscheidung gereicht. Der arbeitslose Cousin, der sich ständig von einem Kohle leiht, aber niemals zurück gibt – so wirkt GREAT IRISH BAKE OFF über weite Strecken:

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THE GREAT CANADIAN BAKING SHOW

Die Kanadier sind da schon eine ganz andere Liga, wobei der Nationalcharakter immer wieder durchschlägt: alle sind furchtbar nett, aber irgendwie auch etwas langweilig und generisch. Der Kanadier eckt nicht gerne an und fällt nicht gerne auf. Ein Plus ist dabei das relativ hohe Backniveau und der sympathische franko-kanadische Juror Bruno Feldeisen, dem allerdings ein etwas breiteres Vokabular gut zu Gesicht stünde (“It tastes gömmi!” ist mein oft wiederholter Favorit). Das kommt dem Original sehr nah:

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THE GREAT AUSTRALIAN BAKE OFF

Weiter machen wir mit den Australiern. Auch hier ist optisch und in Sachen Schnitt, Musik und Ablauf praktisch kein Unterschied zu den anderen Versionen erkennbar (wenn man davon absieht, dass draußen gerne mal ein Kookaburra oder ein Känguru zu sehen ist). Aber die Typen am Backofen sind eine eigene Liga – der Australier ist halt eher so der Frontier-Charakter. Die können vermutlich alle nicht nur backen, sondern auch Rinder züchten und Brunnen ausheben. Die Tatsache, dass man oft meilenweit vom Nachbarn entfernt ist, führt zu einer Solidarität, die in anderen Versionen undenkbar wäre: man hilft sich bei den Bakes, tauscht Tipps und Zutaten untereinander. Es ist ein WETTBEWERB, verdammt! Aber sympathisch ist es ohne Zweifel, auch wegen des Akzents:

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THE GREAT KIWI BAKE OFF

Von Australien ist es nur ein Koalasprung nach Neuseeland, und NATÜRLICH heißt die Show hier THE GREAT KIWI BAKE OFF. Es lässt sich kaum verhehlen, dass KIWI zu AUSTRALIAN im gleichen Verhältnis steht wie IRISH zu BRITISH: alles eine Nummer kleiner, eine Nummer bescheidener, eine Nummer preiswerter. Das Backniveau ist teilweise so bedenklich, dass ich die These aufstellen musste, es habe keine Vorauswahl gegeben – man hat einfach die zehn Neuseeländer, die einen Backofen besitzen, ins Studio gezerrt. Massive Props aber an die Moderatorinnen Hayley Sproull und Madeleine Sami, die als einzige der britischen Vorlage gerecht werden und die Show lustiger machen, als sie sein dürfte:

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THE GREAT SOUTH AFRICAN BAKE OFF

Vor meiner ersten Reise nach Südafrika hätte ich die Idee, dort eine Back-Show zu produzieren, vermutlich für Realsatire gehalten. Aber mittlerweile weiß ich: In SA (wie es gerne abgekürzt wird) ist die Qualität der Lebensmittel so phänomenal wie die Bandbreite der Küche. Aber wo wir gerade bei der Bandbreite sind: ich fand es schon auffällig, dass es gerade mal eine “wirklich” Schwarze im Zelt gab, die auch gleich als Erste rausgewählt wurde. Die Besetzung hier ist definitiv NICHT repräsentativ. Darüber hinaus ist die Show aber durchaus solide, das Juroren-Duo sympathisch und das Backniveau anständig:

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THE GREAT KENYAN BAKE OFF

Weil wir gerade auf dem Kontinent sind – die einzige englischsprachige Version, an die wir uns noch nicht getraut haben, ist die kenianische. Und ja, ich war auch baff, dass es eine kenianische Version gibt. Liegt das daran, dass so eine Show in Kenia wirklich eine Seltenheit ist – oder bedient es nur die Klischees, die ich pflege? Der Trailer sieht auf jeden Fall schon mal… eigenwillig aus:

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Dies ist vielleicht der richtige Moment, um auf eine sehr seltsame Eigenheit der afrikanischen Versionen hinzuweisen: Praktisch alle BAKE OFF-Shows weltweit verwenden den gleichen Vorspann und die gleiche Musik dazu, lediglich ein paar zu national geprägte Shots werden hin und wieder ausgetauscht. Bei den afrikanischen Versionen fällt es nur auf, wenn man drauf achtet: man hat die Vorspänne so angepasst, dass statt weißen hier schwarze Hände Eier aufschlagen und den Teig rühren.

THE AMERICAN BAKING COMPETITON

Kommen wir damit zum “elefant in the room” – der aufwändigsten Lizensierung des GREAT BRITISH BAKE OFF und der Variante, die sich (mit einer Ausnahme, siehe Epilog) am weitesten vom Original entfernen durfte. Murica, Baby!

Zur US-Version muss man ein paar Sachen vorab wissen:

  • Sie lief auf CBS zur Primetime und stand unter extremem Erfolgsdruck
  • Sie floppte brutal und wurde nach einer Staffel eingestellt
  • Aus lizenzrechtlichen Gründen durfte der Begriff BAKE OFF nicht verwendet werden, die Show hieß THE AMERICAN BAKING COMPETITION
  • Als einzige “ausländische” Adaption wurde mit Paul Hollywood einer der Original-Juroren importiert – der prompt etwas mit seiner Ko-Jurorin anfing und damit seine Ehe ruinierte
  • Im Gegensatz zu allen anderen Versionen wurde hier nicht nur um den Titel gebacken – es gab einen Buchvertrag und 250.000 Dollar zu gewinnen

Die US-Version ist bizarr, weil sie so… amerikanisch ist. Die Kandidaten sind albern melodramatisch, es wird gemeckert und geheult, geflucht und gejammert. Das amerikanische Wesen, es hat etwas sehr kindliches. The Winner takes it all – auch wegen der Gewinnsumme herrscht ein brutaler Wettbewerb. In keiner anderen Version haben die Kandidaten derart oft und lautstark verkündet, unbedingt gewinnen zu wollen. Der Eifer hat dadurch etwas freudloses – es geht nicht um den Spaß am backen, es geht um den Spaß am gewinnen. Außerdem wird ein Kandidat sehr offensichtlich zum Bösewicht der Staffel aufgebaut – ein absolutes Novum in einer Sendung, die üblicherweise die Harmonie zwischen den Kandidaten betont. Es wird schneller, aggressiver geschnitten und es wundert niemanden, dass der letzte “show stopper” im Finale als Thema “die amerikanische Flagge” hat.

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Da ist es nur eine Fußnote, dass die Homosexualität des Gewinners konsequent verschwiegen wurde, während gerade dieser Aspekt in allen anderen Version klar ins Bild gesetzt wird. Vielleicht lag es auch daran, dass die Show im tiefsten Süden, nämlich Georgia, produziert wurde.

Der totale Flop von AMERICAN BAKING COMPETITION war allerdings noch nicht das Ende der Geschichte: 2015 griff ABC die Lizenz wieder auf und holte die englische Ko-Jurorin Mary Berry an Bord, um unter dem Titel THE GREAT AMERICAN BAKING SHOW einen deutlich erfolgreicheren Neustart zu wagen. Diesen werden die LvA und ich in den nächsten Wochen noch in Augenschein nehmen.

Epilog – DAS GROSSE BACKEN

Es bleibt die Erkenntnis, dass das BAKE OFF-Franchise trotz aller rigiden Vorschriften an die Lizenznehmer die nationalen Eigenheiten der verschiedenen Länder nur mäßig bändigen kann. Kanadier sind nun mal Kanadier und Australier sind nun mal Australier. Mögen sich die Zelte und die Sprüche auch gleichen.

Damit sind wir am Ende unserer Backebackekuchen-Weltreise – fast. Denn es gibt ja nicht nur englischsprachige und fremdsprachige Versionen dieser Lizenz. Es gibt auch die deutsche Fassung unter dem Titel DAS GROSSE BACKEN auf SAT.1. Darüber, wie unsäglich ich die erste Staffel fand, habe ich mich seinerzeit bereits ausgelassen. Der Versuch, die Show hipper und frecher zu gestalten, ging voll nach hinten los, wie dieser Clip eindrucksvoll beweist:

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Ich kann mich gar nicht ausreichend fremdschämen…

Nun haben mir Freunde versichert, dass man sich beim Sender große Mühe gegeben hat, die Ecken und Kanten abzuschleifen und sich etwas mehr der Vorlage anzupassen. Ich muss gestehen – ich bin weiterhin skeptisch. Aber vielleicht geben wir der Sendung noch mal eine Chance, wenn wir ALLE Staffeln von ALLEN anderen Versionen durch haben:

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4 Kommentare
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noyse
noyse
1. Oktober, 2020 10:25

Wir schauen in der Regel die deutsche Version. Zum Schluss einer Folge aber stellt man sich regelmäßig die Frage, was passiert eigentlich zum Schluss mit den “Tonnen” an Backwaren die da produziert werden? Das hinterlässt irgendwie ein kleines Geschmäckle

Baumi
Baumi
2. Oktober, 2020 01:40

Winz-Anmerkung aus dem Korinthen-Korrektorat: Wenn’s um den Geschmackssinn geht, ist von “palate” die Rede, nicht von “palette”.

Ansonsten gilt: Muss ich endlich auch mal eine Staffel von gucken. Ist die Qualität über die Jahre gleich geblieben oder gibt es besonders empfehlenswerte Jahrgänge?