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Sep 2023

Kino Kritik: A HAUNTING IN VENICE

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

USA/E 2023. Regie: Kenneth Branagh. Darsteller: Kenneth Branagh, Kyle Allen, Camille Cottin, Jamie Dornan, Tina Fey, Jude Hill, Ali Khan, Emma Laird, Kelly Reilly, Riccardo Scamarcio, Michelle Yeoh u.a.

Story: Hercule Poirot ist in Rente und lebt zurückgezogen in Venedig. Ein Besuch seiner alten Freundin Ariadne Oliver verführt ihn allerdings dazu, einer Seance im verfallenen Palast der Opernsängerin Rowena Drage beizuwohnen, bei der Poirot zwar schnell der Scharlatanerie auf die Schliche kommt, aber dennoch die Präsenz des Übernatürlichen nicht ausschließen kann. Ein schweres Gewitter zwingt die Teilnehmer, über Nacht zu bleiben – was für einige tödlich endet…

Kritik: Es ist bekannt, dass ich ein großer Freund von Kenneth Branagh bin, mit seinen Hercule Poirot-Verfilmungen allerdings nicht warm werde. Branagh ist zu eitel, um einfach nur Poirot zu spielen – er will sich die Figur untertan machen. Ein schnöseliger Cast aus angesagten Hollywood-Stars, eine hüftsteife Inszenierung und ziemlich miserable CGI waren das, was von MORD IM ORIENT-EXPRESS und TOD AUF DEM NIL bei mir hängen blieb – was doppelt gilt, da beide Stoffe sowohl für das Kino als auch für die superlative Serie mit David Suchet erheblich besser verfilmt wurden.

Bei A HAUNTING IN VENICE hat Branagh dazu gelernt – sicher auch dem sichtlich gesunkenen Budget geschuldet. In der Besetzungsliste sticht allenfalls die nur kurz auftretende Michelle Yeoh heraus. Statt verschwenderischer exotischer Schauplätze beschränkt man sich weitgehend auf einen Dogen-Palast, das Venedig von 1947 wird dabei erneut von relativ schwachen CGI-Kompositionen illustriert.

Auch Poirot hat eine Wandlung durchgemacht: Branagh scheint sich in der Figur erstmals wohl zu fühlen, stellt die Persönlichkeit seines Detektivs nicht mehr penetrant in den Mittelpunkt. Dieser Poirot ist schwermütiger, altersmilde, fühlt sich aber durch die Behauptung übernatürlicher Kräfte provoziert. Nicht mal die Tatsache, dass er selbst Irreales wahrnimmt, kann ihn von seiner Überzeugung abbringen, dass okkulte Ursachen grundsätzlich auszuschließen sind.

Die Inszenierung versucht sich dabei an gänzlich neuen Stilmitteln: Statt manierierte Kompositionen von Schauplätzen und einer Dioramen ähnlichen Platzierung von Figuren im dreidimensionalen Raum setzt Branagh hier auf klassische, fast schon altmodische Mittel des Gruselfilms, auf extreme Nahaufnahmen, stille Zwischenschnitte, Weitwinkel- und Fisheye-Linsen, dutch angles. Sie erzeugen beim Zuschauer ein Gefühl der fiebrigen Desorientierung, die gesteigert wird durch den undurchschaubaren Grundriss des Palastes.

Am meisten profitiert A HAUNTING IN VENICE aber davon, dass Branagh Abstand vom Prinzip der Werktreue genommen hat, das bei Whodunits ja gerne dazu führt, dass der gebildete Zuschauer den Ausgang der Geschichte längst aus anderen Verfilmungen oder dem Roman kennt. Dieser Film hat bis auf ein paar Namen praktisch nichts mehr mit der Vorlage “Hallowe’en Party” zu tun. Die Location, die Konstellationen, die Morde, und letztlich die Auflösung – alles ist frisch und durchaus spannend auch für Christie-Fans.

Wer sich dafür interessiert, kann sich hier die werkgetreue Version der Suchet-Serie anschauen:

https://youtu.be/obNyvgQ95wc?si=zYws42IO-fN7KK18

In diversen Kritiken ist der Versuch, den Poirot-Stoff für das Kino weiterzuentwickeln, auf wenig Gegenliebe gestoßen. Gerade die Tatsache, dass A HAUNTING IN VENICE wie ein Gruselfilm inszeniert und vermarktet worden ist, mag Agatha Christie-Enthusiasten vor den Kopf stoßen. Aber weil mit David Suchet auf Jahrzehnte hinaus alles zum Thema Poirot gesagt wurde, sind neue Ansätze richtig und wichtig. Das war ja auch schon der Reiz der nicht weniger sperrigen THE ABC MURDERS-Verfilmung mit John Malkovich.

In meinen Augen hat Branaghs Poirot mit A HAUNTING IN VENICE seinen Groove gefunden, seine Nische. Nach einem miserablen Kinostart könnte es sich allerdings um einen Fall von “too little, too late” handeln – ich bezweifle, dass Branagh eine vierte Adaption des belgischen Detektivs gestemmt bekommt.

Fazit: Ein in Sachen Glamour und Poirot-Huldigung etwas reduziertes Grusel-Whodunit, dem die radikale Neuinterpretation eines eher wenig bekannten Christie-Stoffes gut tut.

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P.S.: Es sei der Fairness halber gesagt, dass die LvA – Poirot-Fan wie ich – den Film unsagbar öde und billig fand und sogar den Abbruch des Kinobesuchs ins Auge gefasst hatte. Ein seltener Fall, in dem wir uns gar nicht einigen konnten.

 



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milan8888
milan8888
21. September, 2023 21:25

TOD IM ORIENT-EXPRESS?

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
22. September, 2023 18:03

Ich fand den Film als solches betrachtet nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut. Vielleicht bin ich allgemein etwas milder gegenüber dem Film, weil ich den Tag vorher The Nun 2 geguckt habe (und davor Retribution) und damit wohl die zwei größten Frevel, die sich Film nennen, die aktuell im Kino sind (Expandables tue ich mir nicht an!). Es ist ein stink normaler Krimi und ja, Branagh funktioniert hier endlich mal als Poirot, was ich aber eher drauf schiebe, weil er in diesem Film nun wahrlich der größte Name war (Dreharbeiten und Signing waren ja noch vor dem großen Michelle Yeoh Oscar-Buzz).
Was aber ABSOLUT nicht ging war die Kameraarbeit! Da wurden Winkel benutzt, die würde einem Lars von Trier um die Ohren hauen. Was hat Branagh denn geritten, da gefühlt 50% von unten schief filmen zu lassen? Kunst sieht anders aus und dann sind auch noch die meisten Szenen so geschnitten, das man meinen könnte, die wären jeweils im Haus des Stars gefilmt worden, weil durch den bescheidenen Winkel sind die nur zu sehen und es gibt ewig viele Gegenschnitte. Das hat mir echt den Spaß am Film genommen.

Christian Siegel
27. September, 2023 12:35
Reply to  Torsten Dewi

Bin mir nicht sicher, ob ich diese Art der Inszenierung wirklich Branagh als künstlerische Entscheidung anrechnen würde. Mir erscheint wahrscheinlicher, dass es eine Folge produktionsbedingter Notwendigkeiten war (weniger Budget, COVID-Restriktionen). Wir werden es wohl nie erfahren ;-).

Mencken
Mencken
22. September, 2023 20:10

Meines Wissens soll das hier ohnehin der letzte Poirot Film sein, Branagh hat aber wohl anklingen lassen,dass er sich eine Reihe von Miss Marple Filmen vorstellen könnte.
Ich fand die ersten beiden Filme schon ziemlich gelungen, gerade die Orient-Express Version ist in vielen Punkten der Suchet- und der alten Lumet Version deutlich überlegen, hat allerdings auch unübersehbare Schwächen.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
23. September, 2023 12:29
Reply to  Torsten Dewi

Wäre doch ganz modern, Miss Marple als Transfrau 😀

Christian Siegel
27. September, 2023 12:38
Reply to  Torsten Dewi

Die Lumet-Version ist definitiv überlegen, es gibt für mich aber durchaus Aspekte, wo ich die Branagh-Variante vorne sehe; nicht zuletzt in der Art und Weise, wie deutlich wird, wie die Auflösung des Falls Poirots Weltbild erschüttert, und ihn überfordert. Zudem wurde ich mit Albert Finney als Poirot nie so recht warm (nicht, dass die Branagh-Interpretation wesentlich besser wäre, und/oder an Ustinov oder gar Suchet herankäme).

dermax
dermax
25. September, 2023 14:21

Nachdem mich die Dame des Hauses hingezerrt hat, würd ich gerne irgendwas dazu erzählen, aber ausser “exactly as expected” fällt mir nichts ein. Es geht ziemlich hurtig an den Hauptschauplatz, Tina Fey in einem Poirot-Film ist etwas schwer verdaulich, es muss sehr oft erklärt werden, wer wer ist, damit man niemand verwechselt, ansonsten gut wegzugucken. Hey, ist ja auch ok.
Ich glaub, kürzlich hatte jemand mal nach Equalizer 3 gefragt, da war ich auch drin: Thriller der uralten Sorte, Denzel zwischen finster dreinblickenden und tätowierten Mafiosi und herzensguten Dorfbewohnern, die natürlich den schwer angeschossenen Amerikaner ohne Fragen in ihr Herz schliessen. Aber ähnlich wie Liam Neeson muss auch Denzel dem Alter Tribut zollen und verbringt den Film eigentlich primär humpelnd oder sitzend. Entsprechend mau der Showdown. Achja, und dann ist da noch eine Rahmenhandlung mit Dakota Fanning, die man genauso gut auch hätte weglassen hätte können, denn die lässt sich eigentlich nur von Washington sagen, wo sie hingehen oder nicht hingehen soll. Auch hier: kann man gut weggucken.
Aber mit 20 Mio (Branagh) und 50 Mio (Denzel) US-Einspiel bisher kommen die doch mit internationaler und Heimkino-Asuwertung in den grünen Bereich, denn es es kann doch keiner von Beiden mehr als 30 gekostet haben.

Marcus
Marcus
25. September, 2023 21:06
Reply to  dermax

Denkste. Die Fachpresse kolportiert $70m für E3 und $60m für Poirot 3. 😉

dermax
dermax
26. September, 2023 11:25
Reply to  Marcus

Wo ist da der Widerspruch? Und nochmal: die Filme können nicht soviel gekostet haben, nur sehr überschaubare Locations, keine Verfolgungsjagden, Explosionen und je ein Schauspieler, der ein bisserl teurer war.

Olaf
Olaf
25. September, 2023 22:29

Ein Kinosaal nur für meine Frau und mich und dann der in meinen Augen beste Branagh Poirot. Ein schöner Abend heute.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
29. September, 2023 08:06

Gut zu wissen, dass der auch aus dem Poirot-Kosmos ist. Beim Trailer vermutete ich tatsächlich einen Grusler mit Branagh und dachte nur „Wieso hat der in der Synchro jetzt immer diesen dämlichen Akzent…“. Klingt aber insgesamt eher so semi, wird dann wohl auf D+ weggeschaut.

heino
heino
1. Oktober, 2023 17:44

Mir hat er wesentlich besser als der unfassbar langweilige und mies getrickste “Mord im Orient Express” gefallen, aber er lässt doch in der zweiten Hälfte sehr nach. Tina Fey fand ich auch nicht völlig überzeugend und wer für das Casting der Geschwister, deren Verwandschaft man laut Poirot direkt sehen könne, verantwortlich ist, gehört echt geschlagen, denn die haben wirklich 0 Ähnlichkeit miteinander. Dafür ist das Mädchen echt unheimlich, denn die blinzelt so gut wie nie, was wirklich scary idt