Im Sinkflug: Die Popcharts 1986 (feat. special guest EUROVISION SONG CONTEST)
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Ich muss diesen Beitrag mit einer Entschuldigung beginnen. Den Beitrag über die Popcharts 1985 habe ich voreilig geschrieben. Nach einer weiteren Sichtung der Compilation finde ich das Jahr absolut in Ordnung. Es ist nicht 82 oder 83, nicht mal 84 – aber es ist eben auch nicht 86. Über 1986 stimmt, was ich über 1985 geschrieben haben. Viel unsäglicher Konserven-Pop, eine gesellschaftszersetzende Dominanz von Dieter Bohlen und immer wieder das Gejaule von Andy Borg und G.G. Anderson. Hitmaker oder Hackfressen? You decide.
Ich war 17 damals. Habe mit meinem Vater Urlaub auf Malle gemacht. Wir hatten daheim den ersten Videorekorder. D. kennengelernt. Schule, Feten, C64.
Die meisten Songs des Jahres kamen von C.C. Catch, Sandra und Modern Talking. Das ist für sich genommen schon ein Armutszeugnis. Es war natürlich nicht alles schlecht, wie man so sagt. Wer hat es verdient, voll ausgespielt zu werden? Vielleicht der Song, der nach 36 Jahren wieder erschreckend aktuell ist – deshalb in einer aktuellen Fassung:
Ich vermisse die Zeit, als es deutschen Kitsch-Pop noch ganz unironisch gab:
Für ein kurzes Jahr schenkte uns die Trennung von Bronski Beat und Jimi Somerville gleich zwei großartige Acts in den Charts:
und
Es gibt Klassiker – und es gibt Legenden:
Perfekter Pop – DER Autoradio-Mitgröhlsong des Jahres:
Ihre Musik altert so wenig wie sie selbst:
Nicht weniger smooth, nur kurzlebiger:
Ein großartiger “Mini-Film” mit dem nicht minder großartigen Rik Mayall:
Ein düsteres Vietnam-Gruseldrama als Pophit – only in the 80s….
Why yes, of course I do (well, I did)!
Der vielleicht funkigste Song der 80er:
Auf keinen Fall fehlen darf das hier – aus einem Grund, der gleich klar wird:
Donald Glover ist ein Gott:
Leider standen 1986 die 90er schon in den Startlöchern:
Und damit sind wir quietschenden Reifens in die “worst of”-Kurve gegangen:
Wir haben uns nur nicht fremdgeschämt, weil man das Wort noch nicht kannte:
Den Erfolg der suppigen Non-Musik von Frank Duval habe ich nie verstanden:
Konnte nicht singen, konnte nicht tanzen, hatte null Charisma – da half auch das hübsche Gesicht nicht weiter:
Oh Gott, die hatten einen Weihnachtssong? War denn NICHTS heilig?!
1987 kann nicht schnell genug kommen…
Es gibt heute aber noch mehr zu rekapitulieren, weil am Wochenende doch wieder mal ESC war. Wir haben es nicht geschaut, nur im Nachhinein die am meisten diskutierten Songs auf YouTube angeschaut. Ich finde den Gewinner-Beitrag der Ukraine klasse und hätte den auch ohne Kriegs-Bonus durchgewunken. Deutschland hat in jeder Beziehung verloren und ich kann mich nicht beschweren – dieser unsägliche Pussypop, in dem Männer von Mitte 20 sehnsüchtig von ihrer Jugend singen, geht mir auf die Eier. Obwohl, ich kann mich auch noch gut an die alten Zeiten erinnern: STAR TREK DISCOVERY war gerade gestartet, Donald Trump war US-Präsident, es gab keine Gustavo Gusto-Pizza und David Bowie lebte noch.
Ach ja, damals…
Spannender finde ich, in einer Compilation die ganzen früheren Gewinner des ESC Revue passieren zu lassen – Gedanken dazu hinterher:
Puuuhhh…. halten wir mal fest: Ich hatte das deutlich besser in Erinnerung.
Die weiblich gesungene melodramatische Powerballade war seit jeher Brot und Butter des Grand Prix.
An Dreiviertel der Gewinner kann ich mich nicht mehr erinnern – und von ebenso vielen hat man auch nie wieder was gehört.
Die wirklich nachhaltigen Karrieren, sie haben selten beim ESC begonnen. Ausnahmen: France Gall, Udo Jürgens, Abba, Celine Dion, Bucks Fizz, vielleicht noch Johnny Logan, Lena und Lordi.
Nur ein Instrumental in 66 Jahren.
Insgesamt herrschte deutlich mehr Leben auf den hinteren Plätzen: Dschingis Khan, Guildo Horn, Katja Ebstein.
> Insgesamt herrschte deutlich mehr Leben auf den hinteren Plätzen: Dschingis Khan, Guildo Horn, Katja Ebstein.
Klar, gewinnen kann nur, wer europaweit nirgends aneckt. Das schafft halt nur “Einheitsbrei”.
Einheitsbrei haben wir jetzt lang genug geschickt, der reißt eben grade nix. Electric Callboy wäre sicher nicht letzter geworden. Lordi war kein Einheitsbrei. Raab war auch kein Einheitsbrei und ist 5. geworden.
Dieses “Wir”, wenn es um Deutschlands Beitrag zum Eurovision Song Contest oder um die Spiele der Fußball-Nationalmannschaft bei irgendeinem Turnier in irgendeinem Unrechtsstaat geht, ist für mich die Red Flag: Menschen, die das sagen, sind raus, für immer.
😉
Es gibt natürliche Identifikationen mit eigenen Blasen, in der Wichtigkeit von innen nach außen: Partnerschaft, Familie, Stadt, Land, Nation, Kontinent. Ich halte das nicht für verwerflich. Warum sollten nicht “wir” Weltmeister werden? Haben nicht “wir” als Deutsche eine besondere Verantwortung?
Beides nein.
Ich werde nicht Weltmeister, in gar nichts. Andere werden es, mit denen bilde ich aber kein “Wir”. Und nein, auch wenn es viel zu weit geht, ich habe dieselbe Verantwortung wie jemand aus einem anderen Land.
Man darf das anders sehen. Aber mich schüttelt es da wirklich immer.
Ein Gefühl der sozialen Verbundenheit, das gemeinsame Erleben von Sieg und Niederlage, von Verantwortung und Schuld, ist ein menschliche Selbstverständlichkeit. Es tut mir leid, wenn du das nicht nachempfinden kannst – vor allem, weil es in letzter Konsequenz eine empathielose und kalte Gesellschaft fördern würde.
Ich glaube, es ist besser, ich schreibe hier nichts mehr.
Diese Gönnerhaftigkeit ist schwer zu ertragen. Ich ertrage sie, genauer gesagt, gar nicht.
Ich erlebe gemeinsam Siege und Niederlagen: als aktiver Sportler. Alles andere ist vielleicht bei vielen beliebt, aber bestimmt keine “menschliche Selbstverständlichkeit”.
Und das mit der empathielosen und kalten Gesellschaft: puh. Einfach nur puh.
Tschüs, mach’s gut, oder lass es bleiben.
Und wech.
Ich kann Minas Haltung nachvollziehen, und sehe das ähnlich. Einerseits sollte man differenzieren: Sich freiwillig für eine inhaltliche(!) Gemeinsamkeit und daraus soziale Verbundenheit mit anderen zu entscheiden ist das eine, etwa “ich mag dieselbe Musik wie Du” etc. Das finde ich erstmal in Ordnung, je nachdem wie weit man damit geht, siehe unten.
Aber die bloße geographische Lage, in die man quasi zufällig und ohne Mitspracherecht hineingeboren wurde (bzw. die man aus wirtschaftlichen oder sonstigen Umständen auch bisher nicht geändert hat, abgesehen davon: anderswo ist es auch nicht besser… 😉 ), als Basis für Gruppenzugehörigkeit zu nehmen, finde ich elementar falsch, da sehe ich keinerlei guten Grund, sich als Teil eines “wir” zu betrachten.
In keinem von beiden Fällen jedoch wäre ich jemals “stolz” auf etwas, zu dem ich selbst nichts beigetragen habe. (Und nein, anfeuern ist kein Beitrag.) Derlei geht mit Gruppenbildungen aber sehr schnell einher. Nur weil andere etwas geleistet haben, die man gut findet, oder mit denen beliebige Gemeinsamkeiten bestehen, “soziale Verbundenheit” zu empfinden, das führt ganz schnell zu hochproblematischen Entwicklungen, sprich vom Fußballfan zum Nationalisten. Da liegt doch die eigentliche Gefahr der Empathielosigkeit, nämlich durch das Abgrenzen anderen gegenüber.
Aber klar ist es immer noch besser, die Gruppen “bekämpfen” sich bei sportlichen oder musikalischen Ersatzkriegen, als bei echten. Noch lieber wäre mir allerdings, es gäbe gar kein Gegeneinander.
Das ESC-Video gibt’s inzwischen übrigens auch in einer Version inklusive 2022.
Es wird immer, muss immer ein Gegeneinander geben, weil die Natur der Natur der Wettkampf ist und alles Erreichte durch Wettkampf erreicht wurde. Ich stimme zu, dass das mit ESC und Olympiade erheblich zivilisierter geht als in der Ukraine. Kann man der Meinung sein, “wir” sind gar nicht Weltmeister geworden? Natürlich. Aber ich finde albern, die Sache so hoch zu hängen wie “Menschen, die das sagen, sind raus, für immer”. Wenn es den Menschen doch Spaß macht, wenn es ihnen doch ein gutes Gefühl gibt. Dieses Aufschwingen zur ultimativen “so ist das aber nicht korrekt!”-Jury nervt. Das “wir”-Gefühl kann konstruktiv und destruktiv sein. Es hat uns auf den Mond gebracht und die Juden in Ghettos. “Stolz” ist dabei wieder ein ganz anderes Thema. Die meisten Leuten meinen ja nicht, dass sie stolz auf “ihre” Leistung sind, wenn sie im wir von Stolz reden. Sie meinen, dass sie stolz z.B. auf die Nationalmannschaft sind. Man muss das nur richtig hören wollen. Kirche. Dorf.
> Einheitsbrei haben wir jetzt lang genug geschickt
Ich habe das bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Für einen Gewinn muss es eben allgemein gefällig sein und darunter fallen selbst die von dir genannten Beispiele wie Lordi (“Hard Rock” eher auf dem Level eines Jon Bon Jovie) oder Stefan Raabs “Wadde Hadde du denn da?” (mit der gefälligen Refrainmedlodie aus “Say You’ll Be There”). Eigentlich hast du in beiden Fällen mehr eine Ludonarrative Dissonanz zwischen dem Song und seiner Präesentation als wahrlich revolutionäres Songwriting.
“Ludonarrative Dissonanz”:
Ich stimme dir zu, aber wtf hat eine “Spielerzählerische Unstimmigkeit” mit dem ESC zu tun? 🤨
Btw, mir wurde gerade klar, dass ich das Lied von Lena tatsächlich zum ersten mal vor 1-2 Jahren gehört habe und ich nicht mal wusste, dass es von ihr war. Es hat mich primär irritiert, weil sie so eine, sagen wir mal, eigenwillige Aussprache hat und der Song auch sonst ziemlich banaler Pop ist.
Ich bin jetzt kein grosser Radiohörer, aber zumindest für mich wird der ESC immer Bedeutungsloser, wenn ich ein knappes Jahrzehnt verbringen kann, ohne dass mir das gewinnende Lied jemals zu Ohren kommt. Gebt mir mehr schräge Vögel wie Gildo Horn, Raab und Knorkator, da wird man wenigstens noch unterhalten!
> aber wtf hat eine “Spielerzählerische Unstimmigkeit” mit dem ESC zu tun?
Den ESC habe ich seit Gildo Horn als Trinkspiel verstanden 😉
> Gebt mir mehr schräge Vögel wie Gildo Horn, Raab und Knorkator, da wird man wenigstens noch unterhalten!
Neben dem eigenen Auftritt von Raab beim ESC haben Gildo Horn und Lena jeweils Kompositionen von ihm präsentiert. Vor Raab war der ESC gleichbedeutend mit Ralph Siegel und das war wirklich eine Quälerei, bei der Alkohol nicht Teil des Spiels sondern Hauptbestandteil der Lösung war.
Weder Satellite noch Taken by a stranger waren Raab-Kompositionen.
Und für die deutschen Beiträge einer gewissen Zeit mag “ESC gleichbedeutend mit Ralph Siegel” stimmen, für den ganzen ESC galt das nun aber wirklich nicht.
Und Herr Horn heißt Guildo mit Vornamen.
Wir wollen mal nicht rechthaberisch werden – zumindest der Aussage “Vor Raab war der ESC gleichbedeutend mit Ralph Siegel” lässt sich tatsächlich kaum widersprechen. Es gibt keinen vergleichbaren Komponisten. Er war über Jahrzehnte praktisch jedes Jahr dabei, teilweise mit mehreren Songs. Das war einzigartig – und nervig.
Wie schon bei den vorigen Jahren bin ich bei manchen Songs sehr überrascht, daß die damals in den Charts nicht höher lagen. Da gibt’s einige Klassiker, die ich als Top 10 eingeschätzt hätte, die dann aber so maximal auf Platz 30 kamen.
Und hinsichtlich Musikvideos hat diese Ära mit Sledgehammer neben “take on me” den Inbegriff des Musikvideos. (Kann aber auch daran liegen, daß ich um die Zeit genau in dem Alter war, wo ich anfing die Top 30 im TV zu schauen).
Beim ESC finde ich interessant, daß einige der größten Hits (“Volare”, “Congratulations” und “Power to all my friends” von Cliff Richard) damals nicht gewonnen haben.