The Time Is Now: Pop-Zeitenwende
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Ich mache sehr selten Nachtrags-Beiträge, aber in diesem Fall halte ich es für gerechtfertigt. Am 5. Januar hatte ich über die Compilation-Videos zu den deutschen Charts geschrieben und darüber, dass 1981 den tatsächlichen Bruch mit den 70ern darstellte, den langen hässlichen Tod von Disco, Glam und Folk.
Nun gibt es das Video aller deutschen Charthits von 1982. Und ich hätte mit meiner These nicht richtiger liegen können. 1982 war das Jahr, in dem die 80er zur Blüte kamen. New Wave, NDW, Bombast-Rock – ein Jahr voller Klassiker:
Die letzten Überbleibsel der 70er wirken fast schon tragisch: Ottawan, Dschingis Khan, A La Carte. Boney M versucht es noch einmal mit einem neuen Vortänzer. Andrea Jürgens ist erwachsen geworden. Cliff Richard, Eddie Grant und Rod Stewart erfinden sich mit modernerem Sound neu. Selbst im Schlager kommt es zu einem Generationenwechsel: G.G. Anderson statt Costa Cordalis, Andy "Widerstand ist zwecklos" Borg statt Bernard Brink. Die Farben braun, beige und orange weichen, krassere Kontraste dominieren. Immer mehr aufwändig produzierte Musikvideos ersetzen Playback-Auftritte. Bryan Ferry definiert den Gentleman-Stil der 80er, ABC pionieren "smooth elegance":
Und dann die Rocknummern – Alter, was für Rocknummern! Asia, Saga, Toto. Riffs und Hooks für die Ewigkeit:
Man kann sich allenfalls wundern, wie viele unsterbliche Perlen der Popmusik damals nicht mal die Top 10 knackten.
Und ja, natürlich hat meine Begeisterung auch was mit meinem Alter zu tun. Man sagt, dass die beste Musik aller Zeiten immer die ist, die man zwischen seinem 14. und 21. Lebensjahr kennen gelernt hat. 1982 wurde ich 14. Und es begann meine ernsthafte Sozialisation in Sachen Musikgeschmack.
Für mich ist der Zusammenschnitt von 1982 keine Ansammlung von Bands und Musikern – es ist ein Pantheon der Götter. Keine Songs – Hymnen. Solid Gold.
Heeeey! Fehlfarben. Extrabreit. Spliff. Flock of Seagulls… und Mad World kam erst im Dezember raus? In meiner Erinnerung war das deutlich früher, so kann man sich irren. Die LP dazu habe ich noch.
Und das sind ja "nur" die Charts. Was parallel an Indiemusik in den 80ern entstand, sucht teilweise heute noch seinesgleichen. Das habe ich natürlich erst ab Mitte der 80er entdeckt. 🙂
Die Nachhaltigkeit der Lieder zieht vor allem im zweiten Halbjahr nochmal gehörig an. Vieles von dem wird auch heutzutage noch rauf und runter gespielt, nicht nur von Classic-Sendern.
Was ich aber bis heute nicht abkann: Ausländische Hits mit inländischen Texten gecovert.
Kenn ich meistens nur in eine Richtung (08:10, Marianne Rosenberg singt ABBA, 18:46, ohne Worte und noch dazu Platz 10), aber wenn’s mal andersrum ist (19:20, Herr Hölzl wird wohl geweint haben) ists fast noch erschreckender.
Ich fand viel bizarrer, dass Tony Marschall augenscheinlich die deutsche Version eines englischsprachigen Schlagers von G.G. Anderson gesungen hat.
Bei Falco im Video hab ich mich wirklich erschreckt und erst mal schnell gegoogelt, ob "Der Kommissar" nicht ein englischer Song ist, der von Falco nur eingedeutscht wurde. Mann, bin ich froh, dass das nicht der Fall ist…
Wot – Captain Sensible (≈ 26:50) wurde später von Willem gecovert. Der Willem, der hier vor wenigen Tagen den Tarzan gab.
https://www.youtube.com/watch?v=X8LG8HgHHcw