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Apr 2022

Fantasy Filmfest Nights XL 2022: Abschließende Gedanken

Themen: FF Nights XL 2022 |

Okay, nach dem Festival ist vor dem Festival – zum Abschluss der Fantasy Filmfest Nights XL 2022 sind die Termine für das große Fantasy Filmfest 2022 bekannt gegeben worden. Wenn die erste Planung Bestand hat, werde ich vermutlich wieder in Berlin dabei sein (müssen). Mit acht Tagen bildet die Großveranstaltung im September die perfekte Ergänzung zu den XL-Nights. Vier und acht Tage sind deutlich stemmbarer als früher elf und zweimal drei.

Und wie war’s? Schauen wir uns noch mal die Wertungen in der Übersicht an.

X: 7
Cellar: 6
No looking back: 9
Luzifer: 9
Inexorable: 5
Dark Glasses: 6
Special Delivery: 6
Barbarians: 7
Zalava: 8
She will: 5
Some like it rare: 8
Saloum: 9
The Rescue: 9
You are not my mother: 5
Hatching: 9
Incredible but true: 8
Fresh: 7

Richtig, SOME LIKE IT RARE habe ich noch mal einen Punkt runtergestuft. Weil es im Kontext mehr Sinn ergibt. Trotzdem: KEINE rote Ampel, das gab’s beim Festival noch nie. Dafür fast die Hälfte Spitzennoten von 8 und 9 Punkten. Auch das ein Novum. Rein statistisch das beste Festival aller Zeiten.

Und dennoch…

Obwohl die FFF Nights XL 2022 – wie in diversen Reviews erwähnt – fast schon prototypisch alle Arten von Filme versammelt haben, die man hier erwarten darf, bin ich nicht vollumfänglich zufrieden. Es hat eine Weile gedauert, bis ich erkannt habe, warum das so ist.

Problem Nummer 1:

Das, was ich mit dem Begriff “Fantasy” verbinde, wird nicht ausreichend bedient. Nicht mal ein Drittel der Filme hat tatsächlich übernatürliche Elemente zu bieten, es dominieren Action, Drama, Thriller und Comedy. Und selbst die paar Filme, die sich trauen, einen Zeh in den großen See des Okkulten zu tunken, tun das verschämt und beiläufig (SHE WILL, YOU ARE NOT MY MOTHER). Es glänzen diesmal durch Abwesenheit: Zombies, Vampire, Werwölfe, Mumien, Geister.

Problem Nummer 2:

Zu wenig Midnight Movies. Ja klar, NO LOOKING BACK und SOME LIKE IT RAW sind sehr unterhaltsam, aber auch denen mangelt es an Remmidemmi auf niedrigem Niveau, das ein Publikum zum johlen bringen könnte. Es wurde generell zu wenig auf die Kacke gehauen. Horror ist schließlich AUCH Trash.

Problem Nummer 3:

Es fehlte die große Überraschung, der richtige Hammer – die 10. Kein HOTEL MUMBAI. Kein PIG. Kein EX-DRUMMER. Kein ENTER THE VOID.

Diese drei Probleme addieren sich und hinterlassen das Gefühl, ein sehr gutes Festival gesehen zu haben, dem allerdings die Ausreißer nach oben und unten sowie die tiefe Befriedigung der Nerdbedürfnisse gefehlt haben.

Das sollte man allerdings nicht überinterpretieren, denn in 30 Jahren ist das hier das erste Festival, aus dem ich rausgehen konnte mit der überraschten Aussage “keine Gurken!”. Selbst die schwächsten Beiträge sind immer noch gut kuckbar. Man hat sich neue Territorien erobert (Iran, Senegal), alte Bekannte getroffen (Argento, Dupieux), man hat gekichert, gezittert, sich auch ein wenig geekelt. Von Low Budget bis Mainstream, vom billigen Lacher bis zum Kloß im Hals.

Definitiv positiv anzumerken ist die Tatsache, dass vier Filme von Frauen inszeniert wurden, die oft auch auf eine weibliche Kern-Crew gesetzt haben . Ohne Recherche würde ich behaupten, dass das der prozentual größte Anteil der Festivalgeschichte ist.

She Will: Charlotte Colbert
You are not my mother:
Kate Dolan
Hatching: Hanna Bergholm
Fresh: Mimi Cava

Man könnte durchaus die Diskussion anstoßen, dass Frauen augenscheinlich primär Filme über Frauen und Frauenthemen erzählen wollen – eine Einschränkung, die ich umgekehrt bei den Männern so nicht wahrnehme. Und Frauen scheinen auch sehr gerne den Mann als die Wurzel allen Übels zu identifizieren (lobenswerte Ausnahme: HATCHING). Ich sehe da durchaus Parallelen zum “horror noire”, in dem die Afro-Amerikaner erstmal ihren “beef” mit dem White Privilege aufarbeiten. Mittelfristig kann das aber nicht reichen.

Ich bin auch gespannt, ob die weiblichen Regisseure sich dauerhaft etablieren können und überhaupt ein Interesse zeigen, dem Genre treu zu bleiben.

Sprechen wir zum Abschluss noch mal über Corona. Es bleibt bizarr. Bei den letzten Festivals noch alles mit Abstand, Maske, Tests. Leere Reihen, leere Sitze. Unwohlsein. Jetzt plötzlich wieder: vollgepackter Kinosaal, körperliche Nähe, keine Masken. Größeres Unwohlsein. Erleichterung beim Veranstalter, der nun endlich mal wieder die Chance hat, in die schwarzen Zahlen zu kommen. Aber das unbeschwerte Festivalerlebnis und die Pandemie – das geht in keiner Kombi.

Und damit mache ich für dieses Festival die Klappe zu und schlage den Affen tot. Ich freue mich über eure Gedanken, Meinungen und Widerreden.



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7 Kommentare
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Markus
Markus
5. April, 2022 17:05

Hattest du eine Maske auf?

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
5. April, 2022 17:11

Vielen Dank für die Übersicht, leider war der Vorlauf für Frankfurt ja dieses Mal nicht gegeben. Aber ein paar interessante Filme für die Watchlist sind dennoch dabei.

Martzell
5. April, 2022 17:23

Vielen Dank. Sehr hilfreich, hervorragend analysiert und unterhaltsam geschrieben.

Vader Ryderwood
Vader Ryderwood
5. April, 2022 21:51

Mal zusammenfassend für all die vergangenen Festivalrezessionen. A) ich les sie alle. B) ich guck die wenigsten. C) meine Frau steht uff den Shice, und ich konnte ihr dank dir schon so manch gute Tipps geben. Insofern D) kein geäußertes, aber indirektes Danke von ihr an dich, da sie so einige ihrer Filme verpasst hätte . E) ich bin son Actionfilmmainstreamgucker, sorry 😉 Aber F) ich les deinen Kram ( G) nicht wertend) sehr sehr gerne. Also H) danke von mir fürs Lesen dürfend und letztendlich I) schönen Abend noch 😉

Thies
Thies
11. April, 2022 20:39

Bevor die Eindrücke schon wieder verblassen, will ich auch noch mal ein Fazit beisteuern:

15 von 17 Filmen geschafft – auf eine FFF-Woche hochgerechnet, wäre das ein sehr guter Schnitt. Beim Wochenende versuche ich aber normalerweise alle mitzunehmen und letztes Jahr hatte das auch – trotz täglichem Corona-Test – gut geklappt. Dafür war nicht nur gefühlt das Programm diesmal bekömmlicher.

Die Bewertungen:
X: 7
Cellar: 4 (wäre der ganze Film so toll wie das Ende: 7)
No looking back: 9
Luzifer: 4 (war für mich einfach ein zu harter Brocken)
Inexorable: 6
Dark Glasses: 5
Special Delivery: 6
Barbarians: nicht gesehen
Zalava: 7
She will: 4
Some like it rare: 6
Saloum: 6
The Rescue: 8
You are not my mother: 8
Incredible but true: 7
Hatching: 8
Fresh: nicht gesehen

Augenfällig: auch die niedrig bewerteten Filme hatten ihre Stärken, und damit auch ihre Daseinsberechtigung. Aber ich muß dem Wortvogel zustimmen: der richtige Ausreisser nach oben hat gefehlt. “No turning back” würde ich natürlich jedem aufgeschlossenem Zuschauer sofort wärmstens ans Herz legen. Aber ich sehe da keinen Film der schon bald zum “Must see” der Saison gekührt werden könnte.

Zum Vergleich mal das Programm von 2008:
Eden Log, Sukiyaki Western, Inside, [Rec], Timecrimes, Frontier(s), Doomsday, Diary of the dead.

Da wurde das Genre offenbar noch großgeschrieben. Es gab aufstrebende Talente die erfreulicherweise auch weiterhin aktiv sind, das Werk eines Altmeisters das man nicht nur mit zugedrückten Hühneraugen loben konnte, satte Western(!)-Action von Takeshi Miike und eine blutige Mad Max-Hommage von Neil Marshall. Auch wenn mir nicht jeder Film gleich gut gefallen hatte, kam ich damals am Sonntag Abend mit dem Gefühl aus dem Kino die prallste Packung aller Zeiten gesehen zu haben.

Und obwohl mein Urteil für den Sonntag dieses Jahr durchweg positiv ausfiel, kann ich ein solches Lob nicht wiederholen. Es war definitiv ein bunter Strauß an Eindrücken und ich hoffe, dass meine Urlaubsplanung es zulässt, das ich auch im September wieder voll dabei sein kann. Aber mein Eindruck ist mittlerweile, dass das FFF solche Genre-Kracher wie [Rec], Inside oder Doomsday deswegen nicht mehr zeigen kann, weil sie einfach nicht mehr produziert werden.