04
Apr 2022

Fantasy Filmfest Nights XL 2022: FRESH

Themen: FF Nights XL 2022, Neues |

USA 2021. Regie: Mimi Cave. Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Sebastian Stan, Jojo T. Gibbs, Charlotte Le Bon, Andrea Bang, Dayo Okeniyi

Offizielle Synopsis: Noa hasst Online-Dates. In der Regel haben die Typen eine Menge mehr geschmacklose Angewohnheiten und Leichen im Keller als eine Frau verkraften kann. Neuestes Beispiel: Ihre (im Netz ganz sensibel wirkende) Verabredung lädt sie in ein tristes „Cash Only“-Diner ein. Zahlen muss sie dann sowieso selbst und nach zähem Smalltalk endet der Abend mit rassistischen und sexistischen Beleidigungen. Welcome to the Jungle! Menschen, die an die echte Liebe glauben, sind einfach nur Idioten. Ihre beste Freundin und Boxpartnerin Mollie ist ganz ihrer Meinung: Ein Leben als Single ist viel entspannter. Auftritt Steve! Im Supermarkt macht er sie so entwaffnend uncharmant an, dass bei Noa auf der Stelle alle Vernunftsregeln fallen. Aber dass er nicht mal bei Instagram ist, sollte eigentlich ihre weiblichen Antennen in höchste Alarmbereitschaft versetzen. Stattdessen nimmt sie seine Einladung auf einen Wochenendtrip an…

ACHTUNG! LEICHTE SPOILER VORAUS!

Kritik: Abteilung "Unfug aus der Inhaltsangabe": Warum das kaukasische Milchbrot Chad das kaukasische Milchbrot Noa "rassistisch beleidigen" sollte, erschließt sich mir nicht. Tut er auch nicht.

Ooookay, schöne neue Welt: Dieser Kannibalen-Serienkillerfilm wird in Deutschland bei Disney+ veröffentlicht. We’ve come a long way, baby.

Aus der Tatsache, dass die Searchlight-Produktion im Haus der Maus gelandet ist, lässt sich auch schon viel rückschließen. Natürlich ist FRESH edel gefilmt, top besetzt und zieht die Spannungsschraube sehr kompetent über die absolut nicht exzessive Laufzeit von 117 Minuten an. Sebastian Stan und Daisy Edgar-Jones spielen erfolgreich mit ihrem Image und haben genau die richtige Menge Chemie, die das resultierende Drama glaubwürdig macht (auch wenn Edgar-Jones so sehr nach Dakota Johnson aussieht, dass mal FRESH für ein Spinoff von 50 SHADES OF GREY in einem anderen Sexmilieu halten könnte). Das hier ist keine Low Budget/Independent/Filmförderung-Nummer, das ist gelackte Kommerzware für ein möglichst breites Publikum.

Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass es zwar um Kannibalen-Serienkiller geht, der Film in der Darstellung aber weitgehend sauber bleiben muss. Die Darsteller reden über das, was sie tun, Dinge werden angedeutet, ihre Konsequenzen werden gezeigt – aber wann immer es tatsächlich zur Sache geht, stand im Drehbuch ein "(offscreen)" dahinter. Das nimmt dem Film erheblich den Impact, denn gerade die Grausamkeit des Fleisches lebt von der Illustration, der Konfrontation. Für einen Film seines Themas ist FRESH erheblich zu soft, zu gefällig, zu wenig transgressiv. Eingestreute humorige Elemente ziehen dem ekligeren Aspekten zusätzlich den Stachel.

Man kann auch über die "gender politics" des Films den Kopf schütteln, auch wenn diese eindeutig nicht im Vordergrund stehen. Dating ist scheiße, weil Männer scheiße sind – dabei warten Millionen von attraktiven Single-Girls nur darauf, angetindert zu werden. Männer haben junge Frauen im wahrsten Sinne "zum Fressen gern". Nur Frauen werden verspeist, nur Männer werden als Konsumenten gezeigt. Eine Frau hat sich dem Profit zuliebe auf das Geschäft eingelassen – und es wird deutlich gemacht, dass sie als Opfer einen faustischen Pakt eingegangen ist. Die Motivation des Mannes als Aggressor ist keine Zeile wert – weil der Mann als grundsätzlicher Aggressor definiert ist. Der einzige "ally" der Frauen kneift auf der Zielgeraden. Passt alles sehr schön in den Zeitgeist.

Positiv ist mir allerdings noch aufgefallen, dass der Kampf Steve gegen Noa nicht über das übliche Katz & Maus-Spiel mit Fluchtversuchen und Vereitelungen ausgetragen wird. Stattdessen spielt Noa das "long game" und baut so glaubwürdig eine Beziehung zu Steve auf, dass wir teilweise selber nicht mehr wissen können, was sie vor hat.

Ich erwähne es gerne noch mal: Das hier ist ein aufwändig produzierter und mit attraktiven Stars besetzter Kannibalen-Serienkillerfilm. Der ist sehr nett. Und "sehr nett" ist einfach nicht das richtige Attribut für einen Kannibalen-Serienkillerfilm.

Fazit: Hochglanzprodukt aus dem Thrillerbereich mit großartigen Darstellern und beeindruckendem Produktionsdesign, dessen Vermarktungskette aber leider bedingt, dass er das Genre nur im nötigsten Maße bedient und etwas… na ja… fleischlos bleibt. 7 von 10 Punkten.

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2 Kommentare
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Nummer Neun
4. April, 2022 17:52

Sehr schön – wie jedes Jahr vielen Dank für deine Mühe, auch wenn ich in diesem Jahr meinen Ticketkauf nicht mehr darauf optimieren konnte und so zielsicher an einigen Highlights vorbei geschrammt bin.

Kommt von dir noch ein generelles Fazit der Veranstaltung? Gefühlt warst du ja mit der Filmauswahl recht zufrieden, aber das Gesamtfazit ist ja oft mehr (oder weniger) als die Summe seiner Teile.