07
Sep 2019

Fantasy Filmfest 2019 Tag 3, Film 3: Hotel Mumbai

Themen: Fantasy Filmf. 19, Film, TV & Presse, Neues |

USA/Australien/Indien 2018. Regie: Anthony Maras. Darsteller: Armie Hammer, Jason Isaacs, Dev Patel, Nazanin Boniadi, Angus McLaren, Zenia Starr, Natasha Liu Bordizzo

Offizielle Synopsis: Ein Hotel in der indischen Metropole Mumbai gerät ins Visier von Terroristen. Der Überlebenskampf einer Gruppe von Hotelgästen im Luxusresort Taj Palace, die sich in einer schicksalhaften Nacht gemeinsam gegen schwer bewaffnete IS-Schergen zur Wehr setzen müssen, basiert auf erschütternden wahren Ereignissen aus dem Jahr 2008.

Kritik: Es gibt jedes Jahr erneut die Diskussion, was Filme für das FFF qualifiziert. Müssen es Genre-Versatzstücke sein, reicht bloße Action, macht schon das Tempo einen Unterschied? Krimi nein, aber Psychothriller ja? Die Rosebuddies scheinen mitunter gar keine Grenze zu ziehen und ich habe das oft genug moniert. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass einige der besten Filme des Festivals aus der Non-Genre-Ecke kamen: THE FAVORITE, HUNT FOR THE WILDERPEOPLE, BONE TOMAHAWK.

Und so saßen wir gestern wenig erwartungsfroh im Saal, als eine filmische Aufarbeitung des terroristischen Massakers in Mumbai (früher Bombay) angekündigt wurde. Was sollte der hier? Ist das nicht eher was für "normale" Festivals, zumal die Tatsache, dass man sich ja an die Fakten halten soll, keine große Spannungskurve versprach. Haben wir doch alles im Fernsehen gesehen.

Nein. DAS haben wir nicht gesehen. Das hier ist ein Feuerwerk im filmischen wie im zynischen Sinne. Eine Aneinanderreihung perfekt geschnittener Bilder und menschlicher Momente, die uns im wahrsten Sinne des Wortes ein Drama präsentiert, das durch die nun lebenden, atmenden, sprechenden Personen eine ganz neue Dimension bekommt. Aus verwackelten Nachrichtenbildern werden Szenen, aus aufblitzendem Mündungsfeuer hinter Hotelvorhängen werden Dramen. Ganz anders als in DREAMLAND sehen wir nicht nur zu – wir sind dabei.

Ich tue mich selten genug schwer damit, meine Begeisterung für und gleichzeitig meinen Respkt vor einem Film in Worte zu fassen. HOTEL MUMBAI ist es gelungen, mich zu erschüttern und mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die unfassbare Brutalität der Attacke, die Panik, die Verzweiflung – man taucht hinein. Gerade WEIL sich Erstlingsregisseur (!!!) Maras entschieden hat, nicht übermäßig dokumentarisch nüchtern zu inszenieren. Er erfindet und erzählt Figuren, deren Schicksal uns wirklich berührt und erlaubt sich den grausamen Kunstgriff, mit Jason Isaacs und Armie Hammer zwei wirkliche Heldendarsteller zu casten – denen die wahren Ereignisse dieses Tages keinen Raum für Heldentaten geben. Wir hoffen, wir warten immer drauf, dass Lucius Malfoy und der Lone Ranger sich zusammen tun und "ass kicken".

Vergeblich.

Niemand kommt hier lebend raus.

Ganz abgesehen davon, dass HOTEL MUMBAI schlicht ganz großes Kino ist, muss man auch die aufklärerische Seite mal ansprechen. Machen wir uns nichts vor: Wäre Indien kein Schwellenland und hätte die Attacke Barcelona, London oder Stockholm gegolten – die drei Tage von Mumbai wären in die Geschichte eingegangen als zweites 9/11. Ungleich brutaler, ungleich tragischer, ungleich sinnloser. Aber wer von uns kann heute auch nur die groben Ereignisse rekapitulieren? Mumbai ist weit weg. Viel weiter als New York. Und wenn wir ganz ehrlich sind? Inder.

174 Tote, 239 Verletzte. 

Dank HOTEL MUMBAI ist diese Geschichte endlich nicht mehr so weit weg. Und ich kann jedem meiner Leser nur dringend ans Herz legen, diesen Film zu schauen. Er belohnt euch für alle Schmerzen, die er verursacht.

Fazit: Ein erschütterndes Drama, ein atemloser Actionfilm, der den Zuschauer in die Hölle eines terroristischen Massakers zerrt. Kino als Schlag in die Magengrube. Alternativlose 10 von 10 Punkten.

Philipp sagt: "Dieser Film hat mich umgehauen. Wer nicht absichtlich mit Scheuklappen durch das Leben geht, sollte ihn sich ansehen."

https://www.youtube.com/watch?v=gVQpbp54ljA

P.S.: Ich habe genau EINEN Kritikpunkt, den ich aus Rücksicht nicht in die Kritik nehmen wollte. Es ist dem Respekt vor den Opfern geschuldet und richtig, dass natürlich alle Geiseln und Opfer hier als Heilige dargestellt werden und alle Attentäter als ungebildete, verblendete Spacken. Es geht schlicht nicht anders.

P.P.S.: Kann man Jason Isaacs ENDLICH mal als James Bond casten?!



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4 Kommentare
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gerrit
gerrit
8. September, 2019 11:53

*notiert, danke.

Christian Siegel
9. September, 2019 15:18

Hast du Utøya 22. Juli (den norwegischen, nicht die Paul Greengrass/Netflix-Verarbeitung des gleichen Themas) gesehen? Der hat mich letztes Jahr ähnlich erschüttert, wie du es hier bei Motel Mumbai (den ich mir hiermit ganz groß vormerke) beschreibst.

Goran
Goran
10. September, 2019 00:39

Eine Dramatisierung durch und durch, von der ersten Szene an ist klar, wohin und wie das gehen wird.

Hier wird an der Dramaschraube gedreht und kein Sympathieträger ist sicher, um zu vermitteln, was da für Grausamkeit gewütet hat und wie die Monster im Schatten die direkten Täter noch an Unmenschlichkeit überbieten.

Unfassbar. Sollte man sehen, wenn man das aushält.

Thies
Thies
26. September, 2019 03:57

Hamburg, Tag 6, Film 2
Hier verlässt auch den abgebrühtesten Zuschauer irgendwann die Distanz zum Geschehen. Gerade wegen seiner erschütternden Wirkung eine uneingeschränkte Empfehlung.