18
Jan 2021

Kritik: HEXENJAGD

Themen: Film, TV & Presse |

Deutschland 2020. Regie: Sebastian Mattukat. Darsteller: Xenia Assenza, Gedeon Burkhard, Erkan Acar, Alexander Schubert u.a.

Offizielle Synopsis: Wir schreiben das Jahr 1739. Die Welt verändert sich, aber die Menschen leben immer noch in Armut, Hunger und Aberglauben. Oft reicht eine einzige Anschuldigung, um ein ganzes Leben zu zerstören.

Die Heilerin Catharina beobachtet die brutale Zwangstaufe des Osmanen Tahir durch den örtlichen Priester. Als sie sich mutig für ihn einsetzt, wird sie beschuldigt, eine Hexe zu sein, und dazu verurteilt, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden. Tahir, inzwischen ein Diener des Pfarrers Johann, fasst den Entschluss, Catharina zu retten und mit ihr in seine Heimat zu fliehen. Doch der machthungrige Fürst Wilhelm ist ihnen auf den Fersen, er will die Flüchtigen auf dem Scheiterhaufen brennen sehen, um jeden Preis…

Kritik: Ich bin in der Hölle. Anders ist das nicht zu erklären. In meiner Kritik zu RAPUNZELS FLUCH aus dem letzten Jahr konntet ihr Folgendes lesen:

Ich bin nicht doof, ich bin nur zu nett. Darum lasse ich mich immer wieder hinreißen, Genre-Beiträge des deutschen Nachwuchses zu besprechen, auch wenn alle Zeichen auf Schrott stehen. Weil ich die Jungs sympathisch finde, weil ich ihren Enthusiasmus bewundere, weil ich ihnen das Beste wünsche. Beispiele hierhierhier und hier. Ich bin mit meinen Kritiken dabei sehr wohlwollend, so schwer es manchmal fällt – aber auch brutal ehrlich, weil nur ehrliche Kritik die Möglichkeit zur Weiterentwicklung birgt.

Nun hätte spätestens RAPUNZEL’S FLUCH der Schaden sein müssen, aus dem ich klug werde. Es liegt kein Segen drauf, wenn man Gefälligkeitskritiken schreiben will, aber nicht schreiben kann, weil das eigene Seelenheil es einfach verbietet, Murks zu loben, um die Macher nicht zu enttäuschen.

Aber nein, wieso denn? Sebastian Mattukat – auch er: ein ganz Netter – fragt an, ob ich seinen HEXENJAGD (alternativ: THE WITCH AND THE OTTOMAN) besprechen möchte. Als Köder findet sich die halbe Besetzung aus SCHNEEFLÖCKCHEN darin wieder. Und ich so: klar, her mit dem Screener. Ich hab’ ja sonst nix zu tun.

Ich brauche jemanden, der in solchen Momenten hinter mir steht und mir eins mit einer zusammen gerollten Zeitung überzieht: “Nein, böser Torsten! BÖSE! Lässt du das wohl sein?! Lass das sofort sein! Pfui! Ab!”

Lassen wir das ganze Drumherumgerede, bringen wir es hinter uns. Und weil ich die Medizin wie Mary Poppins gerne mit einem Löffel Zucker verabreiche, fange ich mit den Punkten aus der “pro”-Strichliste an.

HEXENJAGD sieht geil aus. Ein kristallklares Bild, kräftige Farben, üppige Ausstattung, viele Kostüme und Requisiten – das braucht sich trotz des beschränkten Budgets nicht hinter deutlich größeren Produktionen verstecken. Den könnte man auch im Fernsehen bringen, ohne dass er auffällt.

Die Darsteller sind nie schlecht, meistens bemüht gut – und im Fall von Gedeon Burkhard sogar herausragend. Der Mann reißt – wie schon in SCHNEEFLÖCKCHEN – jede Szene an sich, hat Charisma und einen beeindruckenden Bartwuchs. Diese natürliche Autorität, die mich an Tobias Moretti erinnert, ist sein ganz großes Pfund, mit dem er in den nächsten Jahren noch wuchern wird. Aus dem schnöseligen Schönling des deutschen Fernsehens der 90er erwächst hier einer der ganz großen Charakterschauspieler dieser und der nächsten Generation. Er ist ein “Typ”, um dem allein man ganze Filme bauen möchte.

Regisseur (und Ko-Autor) Mattukat weiß auch die Möglichkeiten der digitalen Kamera gut zu nutzen, erlaubt sie ihm doch immer wieder den Blick auf Details, der mit früheren, analogen Systemen noch undenkbar oder zumindest verboten aufwändig gewesen wären:

Es ist also wie auch bei RAPUNZEL und SKIN CREEPERS: Das Geld war da, die richtigen Darsteller standen Gewehr bei Fuß, alles bereit für den nächsten (ersten?) großen deutschen Genre-Kracher des mittlerweile auch schon 20 Jahre alten neuen Jahrtausends.

Und was ist es geworden? Eine tranige verfilmte Groschenromanze für SAT.1-Fans. In seinen schlechteren Momenten nicht mal das.

Ich weiß wieder mal nicht, wo ich anfangen soll. Mit der Unredlichkeit, schon beim DVD-Inhalt frech zu lügen? Der Film spielt 1699, nicht 1739. Catharina kommt Tahir mitnichten bei seiner (überhaupt nicht brutalen) Zwangstaufe zu Hilfe und sie wird auch nicht deswegen der Hexerei beschuldigt. DAS wäre nämlich eine probate Methode gewesen, eine Beziehung zwischen den beiden zu etablieren. Tatsächlich sieht Catharina die Zwangstaufe zwar, greift aber nicht ein – und der Hexerei beschuldigt wird sie wegen einer Missernte.

Hier liegt auch schon der Hase im Pfeffer: Catharina und Tahir haben nichts gemeinsam, kein gemeinsames Schicksal, kein gemeinsames Ziel. Dass Tahir sie aus dem Folterkeller rettet, ist eher so eine Spontanentscheidung, weil die große Flucht ja irgendwie in Gang gebracht werden muss.

Das Drehbuch bedient nicht mal die einfachsten Regeln, beantwortet nicht mal die simpelsten Fragen, um IRGENDEIN Interesse an den Figuren zu etablieren:

Warum will Tahir zurück in die Heimat? Hat er jemanden zurück gelassen, hat er etwas versprochen?

Warum halten die Leute Catharina für eine Heilerin? Warum misstrauen ihr die Menschen? Warum hasst der Fürst sie?

Was verbindet Tahir und Catharina? Welchen Vorteil ziehen sie aus der gemeinsamen Flucht?

Alles, was über die Figuren enthüllt wird, läuft über banale Dialoge, und wir glauben NICHTS davon. Dass die bildhübsche Catharina als Single-Heilerin in einer Hütte lebt (ohne jede Backstory), dass der Fürst mit der simplen Verbrennung einer Hexe die Bürger im Zaum halten kann, dass jemand wie Tahir allen Ernstes aus Deutschland in die Türkei zurück fliehen könnte, ohne schon nach einem Kilometer gefasst zu werden (was ja auch passiert). Da ist nichts durchdacht, nichts gebaut, nichts erzählt.

Die Suppe, die HEXENJAGD aufkocht, ist unfassbar dünn: Tahir und Catharina wollen vor dem Fürst fliehen, werden gefangen und schließlich auf den Scheiterhaufen gestellt. Das reicht nicht für drei Akte und 90 Minuten. Zumal wir das, was das Drama erzeugen soll, nie zu sehen bekommen – die “Missernte” findet offensichtlich in einem wunderschönen Sommer statt, die “hungernde” Bevölkerung sieht gut gekleidet, gewaschen und genährt aus. Alles wirkt so sauber und freundlich, dass selbst Tahirs Entscheidung zur Flucht total albern rüberkommt und keinem wirklichen Zwang entspringt.

Ohne zu spoilern, müssen wir auch mal über den “Twist” sprechen, der nur deswegen kurzfristig erfreut, weil überhaupt mal IRGENDWAS passiert. Darüber hinaus ist er aber so hanebüchen aus dem Hut gezaubert und letztlich sinnlos, dass er den Film gleichzeitig herum reißt – und beendet. Hätte man diese Pointe clever früher in den Film gewoben und vielleicht sogar zum Kern der Beziehung von Catharina und Tahir gemacht – es wäre zumindest der Ansatz eines vielleicht eventuell möglicherweise spannenden Plots erkennbar gewesen.

Stattdessen müssen die Macher gemerkt haben, dass hier inhaltlich Magerkost geboten wird, und darum haben sie die Laufzeit mit leeren Kalorien gefüllt, was das Zeug hält. Die Animositäten zwischen der Religion und der Politik sind ebenso folgenlos wie die Einführung von Nebenfiguren, die letztlich keine Relevanz für das bisschen Plot haben. Und wirklich jede, JEDE Szene, die irgendwie dramatisch oder spannend sein soll, wird in Zeitlupe präsentiert. Jede. Einzelne. Szene. Ich vermute, es sind locker mehr als 100 Einstellungen, die im Schneckentempo ablaufen. Hätte mich der Film auch nur einen Deut mehr geschert, hätte ich sie gezählt.

Nun sind Zeitlupen ja nicht per se schlecht, aber HEXENJAGD verwendet sie hilflos willkürlich und damit den Erzählfluss verlangsamend. Genau wie tonnenweise “dutch angles”, die ebenfalls bestimmte dramaturgische Funktionen haben sollten, wenn man sie denn korrekt einzusetzen versteht:

Das ist kein Zeichen einer professionellen Inszenierung, das ist Stilwichserei.

Ihr merkt es schon: Ich ärgere mich weniger, weil so viel vergeigt wurde. Ich ärgere mich, weil so viel mehr möglich gewesen wäre. Hätte man Tahir Catharinas Geheimnis entdecken lassen, das ihm die Chance zur Flucht gibt. Hätte man Catharina eine (familiäre?) Verbindung zum Fürsten gegeben, aus der ein unstillbarer Hass erwächst. Hätte man ein klares Ziel gesetzt, einen mythischen Ort, den die Liebenden erreichen müssen. Hätte man statt des willkürlichen Waldläufers ausgerechnet die beste Freundin von Catharina zur Verräterin gemacht. Hätte man dem Pfaffen die Chance gegeben, an seinem Glauben zu zweifeln und vielleicht sogar eine moralische Wende zu schaffen.

Hätte, hätte Fahrradkette.

Keine Geschichte, keine Figuren, kein Drama – HEXENJAGD ist in seiner narrativen Leere noch frustrierender als der ähnlich gelagerte und auch schon vergeigte THE RECKONING. Wer das alles deutlich besser und stimmiger sehen will, der schaut sich lieber die gleichnamige Verfilmung des Theaterstücks von Arthur Miller an:

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Es ist mein persönlicher Eindruck, dass Hauptdarsteller Erkan Acar (auch Produzent, Ko-Autor und Entwickler der Story) einfach unbedingt mal was über die Beutetürken machen wollte und bei der Entwicklung über “mal was über die Beutetürken” nicht hinaus gekommen ist. Das Ergebnis ist keine Geschichte, sondern eine Ideenskizze, die auf einen Bierdeckel passen würde.

Man darf auch durchaus die Frage stellen, für welche Zielgruppe dieser Film gedacht ist. Es is nicht wirklich ein Genrefilm, kein Actiondrama, keine historische Aufarbeitung. Es ist eine fahrig erzählte Liebesgeschichte vor einem letztlich beliebigen Hintergrund. Da sind wir dann wieder bei SAT.1 und Frauen, die (ungleich bessere) Serien wie OUTLANDER schauen.

Und so stimmen wir zum Ende in den oft gehörten Chor ein: Wer hat Schuld? DER AUTOR, DER AUTOR!

Fazit: Ein opulentes, von aufrechtem Bemühen durchzogenes Melodram aus vergangener Zeit, das leider weder inhaltlich noch inszenatorisch über die dünnsten Klischees hinaus kommt und mit Unmengen an Zeitlupen auf 82 Minuten streckt, was keine 60 Minuten tragen kann.

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22 Kommentare
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Mollari
Mollari
18. Januar, 2021 14:49

Gedeon Burkhard mit der Autorität und dem Charisma eines Tobias Moretti…

…Kaderschmiede Rex, hm?

jimmy1138
jimmy1138
18. Januar, 2021 16:11
Reply to  Mollari

Da hat ja schon als Gaststar Christoph Waltz als Psychokiller (und eine Art Peter- Lorre-M-Verschnitt) mitgespielt. Auf die Rollen hatte der in den 90ern praktisch ein Abo.
Und Co-Star Karl Markovics hat auch keine allzu schlechte Karriere hingelegt…

Dietmar
18. Januar, 2021 20:46
Reply to  Mollari

Ach, da hat der gespielt? Habe ich nie geguckt, deshalb kann ich Burkhard daher nicht kennen.

Dzichel
Dzichel
18. August, 2021 14:07
Reply to  Mollari

Gedeon ist wirklich spitze, OK, etwas viel Zeitlupe und ich kann kaum glauben Lk Augen, dass man nach Folter noch so schön aussieht, trotzdem sehenswert

Matts
Matts
18. Januar, 2021 17:45

Mein lieber Schwan, selbst der Trailer ist 50% Zeitlupe. “In Schönheit gestorben” ist hier wohl die Devise.

Dietmar
18. Januar, 2021 20:34

Beim Lesen unterbrochen, weil ich das UNBEDINGT loswerden muss! Unbedingt! Geht nicht anders! Sonst bekomme ich Schrumpfleber.

Gedeon Burkhard ist so ein Schauspieler, bei dem ich nicht weiß, woher ich ihn kenne, der aber tiefen Eindruck auf mich gemacht hat. Ist das ein Widerspruch? Ich glaube nicht. Es ist, wie Du beschreibst: Der Mann hat alles und beeindruckt.

Tobias Moretti habe ich in “Louis van Beethoven” gesehen: Das-war-der-Hammer! Das ganze Ding! Ausstattung, Schauspieler, Dialoge, Dramaturgie, Regie, ach, einfach alles! Das war mein persönliches Fernseherlebnis der Weihnachtszeit. Bei Filmstarts gefiel der 38 % nicht. Denen ist eben nicht zu helfen. Gran-di-os!

Dietmar
18. Januar, 2021 20:48

Ja, echt schade. Warum muss alles immer so oberflächlich sein? Traut man sich nicht ins Tiefe oder kann man es nicht?

Die mir traulich angehelichte Gattin schaut “Outlander” und hat mich da mit hineingezogen. Man kann gemeinsame Abendstunden durchaus weniger unterhaltsam verbringen.

marsel
marsel
21. Januar, 2021 05:23

Ich glaube, ich habe seit 1995 (Der Sandmann) keinen richtig tollen deutschen Film mehr gesehen. Jedenfalls ist keiner im Gedächtnis geblieben. Es fehlt fast immer am Drehbuch, und IMMER an den Dialogen. Immer. Das letzte, wo ich mich durchgequält habe, war “Dark” (das doch so irrsinnig toll AUSGESCHAUT hat), und ich war ständig versucht, auf den englischen Dub zu wechseln. Jetzt mach ich sicher mal wieder viele Jahre Pause.

Thomas G. Liesner
Thomas G. Liesner
21. Januar, 2021 12:49
Reply to  Torsten Dewi

Habe ich gemacht – aber Schnellflöckchen hat es nicht geschafft, irgendeinen Eindruck zu hinterlassen. Also war er auf keinen Fall ärgerlich schlecht, aber als richtig toll habe ich ihn auf keinen Fall empfunden.
Gute europäische Filme fallen bei mir meistens in die Dramakategorie, gute Komödien gibt es auch immer mal wieder, Luc Besson-Produktionen sind im Action-Bereich guter Durchschnitt, aber bei sonstigen Genre-Filmen gibt es wenig lohnenden Euro-Output, von dem ich was mitbekommen hätte.

Thomas G. Liesner
Thomas G. Liesner
21. Januar, 2021 13:02
Reply to  Torsten Dewi

Dann gebe ich ihm demnächst noch mal eine Chance, steht eh im Regal, vielleicht überzeugt er im zweiten Durchgang mehr. Ansonsten ist das eben eine der Fälle, wo unser Geschmack dann doch differiert, was auch nicht schlimm ist.

Dietmar
21. Januar, 2021 19:17
Reply to  Torsten Dewi

“Und denkt daran: Ihr seid alle verschieden!” – “Ich nicht.”

Jake
Jake
22. Januar, 2021 09:25
Reply to  Dietmar

Damit sich Thomas nicht so “einsam” fühlt: Ich konnte mit SCHNEEFLÖCKCHEN ebenfalls nichts anfangen, musste mich regelrecht durch den Film quälen. Ich freue mich für die Macher über den Erfolg und die überwiegend sehr positiven Kritiken. Aber wie gesagt – not my cup of tea.

Der letzte deutsche Film, der mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, war der One-Taker “Victoria” von Sebastian Schipper.

Dzichel
Dzichel
18. August, 2021 14:03
Reply to  Torsten Dewi

Ganz deiner Meinung

Marcus
Marcus
31. Januar, 2021 17:08

What he said, leider.

Dzichel
Dzichel
18. August, 2021 13:59

Miesmacher, der Film ist gut

Dzichel
Dzichel
18. August, 2021 14:15

Sehr euch Mal Hexenjagd von 1969 an. Ist schwarz weiss, sehr bedrückend aber nichts für schwache Nerven