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Okt 2024

Kino/TV-Kritik: HAGEN IM TAL DER NIBELUNGEN

Themen: Film, TV & Presse |

Deutschland 2024. Regie: Cyrill Boss, Philipp Stennert. Darsteller: Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Dominic Marcus Singer, Lilja van der Zwaag, Rosalinde Mynster

Offizielle Synopsis: Der Burgunder Waffenmeister Hagen von Tronje hält mit Pflichtbewusstsein und eiserner Härte das von Krisen geschüttelte Königreich zusammen. Dabei unterdrückt er die heimliche Liebe zur Königstochter Kriemhild und verdrängt seine eigene dunkle Vergangenheit. Als der berühmte Drachentöter Siegfried von Xanten in Worms auftaucht und mit seiner Unberechenbarkeit die alten Strukturen gefährdet, wird Hagen zunehmend zur tragischen Figur. Der junge und durch den plötzlichen Tod seines Vaters noch unerfahrene König Gunter sieht in Siegfried eine Chance, das Reich zu retten. Er bittet ihn um Hilfe, ausgerechnet die gefährliche Walküre Brunhild zur Frau zu nehmen. Als sich Kriemhild in Hagens Widersacher Siegfried verliebt, muss er sich zwischen Liebe und Königstreue entscheiden. Hagen von Tronje wird dabei herausfinden, wer er wirklich ist.

Kritik: Für diese Kritik bin ich prädestiniert wie kaum ein anderer. Ich habe die NIBELUNGEN-Miniserie ko-entwickelt, drei fette Romane mit Wolfgang Hohlbein zum Thema geschrieben, und die Ring-Sage sogar in einem CHARMED-Roman untergebracht. Bei dem Thema kenne ich mich aus.

HAGEN IM TAL DER NIBELUNGEN ist die lange geplante Umsetzung des Romans “Hagen von Tronje” von Wolfgang Hohlbein, der die Perspektive wechselt und die Geschichte aus der Sicht des Bösewichts Hagen erzählt und ihn zum still leidenden Helden der Sage macht. Das rückt die Heldentaten Siegfrieds in den Hintergrund und macht den Xantener Königssohn zum Disruptor im Burgunder Reich.

Die zugrunde liegende Geschichte ist unkaputtbar, keine Frage – und der Roman ringt ihr eine interessante neue Sichtweise ab. Aber die Vorgehensweise der Macher von HAGEN IM TAL DER NIBELUNGEN stolpert über die typischen kreativen Fesseln deutscher Event-Produktionen der letzten 20 Jahre. In vielerlei Hinsicht wirkt HAGEN, als habe man von den Streamern keine Lektionen gelernt und mache weiter wie bisher.

So ist der Einstieg in die Geschichte holprig und halbgar erzählt. Wir wissen nicht, wer diese Leute sind – und mangels echter Stars dauert es auch eine Weile, bis der Wiedererkennungswert greift. Die Welt von Worms wird nur knapp angerissen, ein paar alte Festungen und gerade mal akzeptable CGI zeigen nur das minimal Nötige. Figuren reden aneinander vorbei, Konflikte werden besprochen statt gezeigt, es wird viel steif in Thronräumen diskutiert.

Und dann kommt Siegfried. Ich sag’s ungern, aber Jannis Niewöhner ist der “nexus point” dieser Adaption – wenn man mit seiner Darstellung nicht kann, kommt man kaum in die Geschichte. Das hier ist nicht der klassische tapfere Krieger, sondern eine auf sexy rebellisch getrimmte Mitttelalter-Version von David Beckham. Dank blondierten Haaren und Mittelscheitel könnte er auch das Mitglied einer Boygroup sein, das man vor zehn Jahren im Wald ausgesetzt hat.

Natürlich muss man einpreisen, dass dieser Siegfried eben nicht der Held der Geschichte sein soll, sondern der Wahrnehmung von Hagen entspricht (großartig mit trauriger Würde: Gijs Naber). Aber die schnodderige, von unserer Gegenwart inspirierte Darstellung passt nicht die Welt, die hier erschaffen werden soll.

So ist die erste Hälfte des Film ein recht biederer Mumpitz ohne Ambition oder Charme, zumal z.B. die Tötung des Drachens Fafnir fast komplett offscreen bleibt.

Fast albern ist die überholte Altherren-Darstellung von Sex. Nach Checkliste müssen sowohl Kriemhild als auch Brunhilde sich obenrum für zwei Sekunden freimachen und begrabbeln lassen. Das ist Dienst nach Vorschrift und riecht nach Bedienung der männlichen Zuschauererwartungen. Ein Versuch, den Umgang mit Sex und Nacktheit im Mittelalter zu definieren, findet nicht statt.

Es ist aber nicht zu bestreiten, dass HAGEN IM TAL DER NIBELUNGEN im zweiten Teil deutlich an Qualität gewinnt. Mit der Reise nach Island zieht Atmosphäre und Epik ins Geschehen ein, die Bilder werden düsterer, die Dialoge weichen vielsagenden Blicken. Man findet sich in die Figurenkonstellation ein ahnt, von welchen Seiten der Sturm aufzieht. Dabei wird allerdings wieder nicht die Frage gelöst, warum Siegfried Brunhilde einst verlassen hatte.. Wer es wissen will, muss meinen ersten Roman zum Thema lesen.

So funktioniert die zweite Hälfte des Kinofilms als schweres Drama im Stil großer Theateraufführungen. Der Preis für Transgression und Systemsprengung muss bezahlt werden, die Alben haben’s gewusst, vielleicht orchestriert.

Nur mit der Auflösung hadere ich wieder, denn ein anderer (logischerer) Ablauf zum Tode Siegfrieds wird angedeutet, aber nicht ausgespielt.

Für sich genommen kann ich HAGEN IM TAL DER NIBELUNGEN empfehlen, allerdings nicht im Kino. Dafür hat er nicht die Potenz. Im Fernseher dürfte er besser funktionieren – dort allerdings als Sechsteiler (!) auf RTL+, der mit Sicherheit detaillierter, aber auch zäher sein dürfte. Vielleicht erfahren wir dann mehr über Brunhilde und Edsel, die in der zusammengedampften Fassung schmerzlich zu kurz kommen.

Fazit: Eine weitgehend auf dem TV-Niveau der frühen 00er-Jahre inszenierte Kehrseite der Nibelungen, der Starpower und Spektakel abgehen, die aber in der zweiten Hälfte der Kinoversion deutlich an Atmosphäre und Drama gewinnt.

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Nikolai
Nikolai
30. August, 2024 16:08

Hast du dich denn gut unterhalten gefühlt?

Flusskiesel
30. August, 2024 16:25

Hach!
,,Hagen von Tronje” habe ich seinerzeit in jungen Jahren ganz gerne gelesen. ,,Die Nebel von Avalon” auf deutsch irgendwie. Da hatte Wolfgang Hohlbein den richtigen Riecher.

Leider versuchen jetzt gefühlt alle deutschen Fantasy-Produktionen so auszusehen wie ,,Vikings” und das ist schade.

Das Cover meiner alten Buchausgabe strahlt mehr Nibelungen aus als die bisher von mir gesehen Trailer.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
30. August, 2024 19:12

Puh, der Trailer war schon… Warum reden deutsche Schauspieler einfach immer so gestelzt, wenn es ihre Synchronkollegen doch so viel besser können…

kuhbaert
kuhbaert
4. Oktober, 2024 09:34
Reply to  Rudi Ratlos

Das stimmt, die Dialoge wirken in deutschen Produktionen oftmals holbrig. Wie ist das den heutzutage, werden auch deutsche Produktionen noch mit den Dialogen nachvertont oder wird die Audiospur vom Dreh verwendet?

Edin Basic
Edin Basic
30. August, 2024 19:47

Soweit ich weiss gibt es nur deutsche Adaptionen der Nibelungen-Saga.
Harald Reinl und Fritz Lang,die Regisseure der bekanntesten.
Warum hat Hollywood niemals eine Verfilmung gemacht?
Die Geschichte und die Schauwerte sind doch geradezu prädestiniert für einen
Hollywood-Blockbuster.

jimmy1138
jimmy1138
3. Oktober, 2024 09:51
Reply to  Edin Basic

Ist in den USA mMn zu unbekannt. Wieviel wurde von Hollywood noch nicht adaptiert? Wenn die prominenteste Verfilmung nordischer Mythen die Thor-Filme von Marvel sind, sagt das schon viel aus. Die bringen ja nicht mal Elric auf die Leinwand.
Selbst im deutschsprachigen Raum geht mMn die Bedeutung des Stoffs stark zurück – trifft aber eventuell auch einstige deutsche Megafranchises wie Karl May.
Obendrein bezweifle ich, daß das tatsächlich so hollywoodtauglich ist. Wenn man es zynisch betrachtet, gibt es in der ganzen Geschichte keinen “Guten” – selbst der vorgebliche Held Siegfried hintergeht (und je nach Interpretation vergewaltigt sogar) Brunhilde. Im zweiten Teil (den diese Adaptation, ebenso wie die 2004er wegläßt) bringen sich dann alle gegenseitig sinnlos – der Umstand, daß sich die Burgunder für eine Handvoll Mörder alle niedermetzeln lassen, wurde Leuten in beiden Weltkriegen bizarrerweise noch als Tugend verkauft.
Ich bin ein Fan des Stoffs, beider Vefilmungen des vorigen Jahrhunderts, aber das muß man wenn schon als hochwertige Streaming Serie mit zumindest zwei Staffeln aufziehen. Und für das, was das kosten würde, würde das gerade global zu wenige Zuschauer anlocken. Vor ein paar Jahren vielleicht, aber mittlerweile fließt auch im Streaming das Geld nicht mehr so leicht.

Andy Simon
Andy Simon
30. August, 2024 22:42

Findest Du, dass sich „der Thron der Nibelungen“ da besser schlägt?

Zathras
Zathras
31. August, 2024 09:19

Gibt es eine Chance, dass Du in Zukunft von der Entstehungsgeschichte Deiner Nibelungen-Bücher berichtest?

Zathras
Zathras
1. September, 2024 20:05
Reply to  Torsten Dewi

Sorry. Ich hatte die Suchfunktion nicht genutzt, da ich irgendwie im Kopf hatte, dass Du dieses Thema vor einiger Zeit für die Zukunft angekündigt hattest. Mir ist entgangen, dass es da schon was gibt. Entweder war das vor meiner Zeit hier im Blog oder ich hab die Artikel schlicht vergessen. Ist ja schon einige Jahre her.

S-Man
S-Man
1. September, 2024 23:22

Also ich will ja jetzt nicht angeben oder so: Aber ich bin im Besitz einer von Torsten Dewi signierten Erstausgabe von “Der Ring der Nibelungen”. SCNR 😀

Und ja, das Buch steht nur wenige Zentimeter von “Hagen von Tronje” weg.

Maximilian Frömter
Maximilian Frömter
2. September, 2024 09:38

Das sieht ganz OK aus, als Fan von “Vikings” und “The Last Kingdom” kann man das wohl relativ schmerzlos gucken. Aber ein Johnny-Cash-Cover als Trailermusik ist wirklich eine masslos bekloppte Idee, das reisst mich total raus. Trotzdem danke für das Review und die Empfehlung.

jimmy1138
jimmy1138
3. Oktober, 2024 09:59

Lt. Wikipedia soll das ja als sechsteilige Serie auf RTL – mit wie ich annehme deutlich längerer Laufzeit – ausgestrahlt werden. Da stellt sich mir die Frage – ist das ursprüngliche Drehbuch auf die Serie oder den Film ausgerichtet? D.h. merkt man das dem Film an – z.B. Cliffhanger, wo die einzelnen Folgen enden, oder fehlendes Material?