Kino Kritik: JOKER – FOLIE À DEUX
Themen: Film, TV & Presse |USA 2024. Regie: Todd Phillips. Darsteller: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Zazie Beetz, Brendan Gleeson, Catherine Keener, Jacob Lofland, Harry Lawtey u.a.
Story: Arthur Fleck sitzt nach dem Mord an fünf Menschen in Arkham und wartet auf seinen Prozess. Er lernt die ehrgeizige Lee Quinzel kennen, die ihm dabei helfen will, sowohl die Medien als auch die Geschworenen auf seine Seite zu bringen. Doch die Liebe zu Lee bringt Fleck erstmals dazu, sein Alter Ego Joker in Frage zu stellen.
Kritik: Es passiert mir relativ selten, dass mir ein Film absolut nicht gefällt, ich aber diesen nagenden Zweifel nicht los werde: habe ich den vielleicht bloß nicht verstanden? Haben die Kritiker, die ihn preisen, vielleicht ein besseres Gespür für den Subtext, den Kontext, die Meta-Ebenen?
Üblicherweise verschwinden solche Zweifel schnell, weil:
Aber hier bin ich nicht sicher. JOKER – FOLIE À DEUX hat vielen Leuten, deren Meinung ich respektiere, sehr gut gefallen. Und das Verständnis von Filmen ist ja auch von der Tagesform abhängig.
Nein. Ich entscheide jetzt mal: nein. Mein Urteil steht: JOKER – FOLIE À DEUX ist Kappes. Kein Superheldenfilm – das hatte ich auch nicht erwartet. Keine Dekonstruktion des Genres – das war der Vorgänger. Kein Musical – die Figuren in ein paar Traumsequenzen ein paar Standards nachsingen zu lassen, zählt nicht. Kein Film – dafür fehlt es an tatsächlicher Handlung. JOKER – FOLIE À DEUX ist letztlich nur die Dekonstruktion seines ersten Teils, eine Art kommentierender Nachklapp, der als "deleted sequence" von 10 Minuten mehr Sinn machen würde als als kompletter Spielfilm.
Ich könnte JOKER – FOLIE À DEUX schon wie den ersten Teil dafür aufknüpfen, dass er einen Bösewicht aus einem Superhelden-Universum kapert, um ihn für ein TAXI DRIVER-eskes Drama instrumentalisieren. Das ist so sinnlos wie absurd, denn der Joker kann nicht ohne Batman existieren. Superhelden sind letztlich die Katalysatoren von Superbösewichten. Ohne Batman ist der Joker genau das, was Phillips in JOKER zeigt – ein psychisch labiler Versager mit psychopathischen Tendenzen. Dafür braucht man sich nicht beim DC-Universum zu bedienen. Die produziert das wahre Leben genug.
Aber obwohl JOKER – FOLIE À DEUX dieses Verweigerung von Batman in Batmans Welt auf die Spitze treibt, ist es nicht das, woran er scheitert.
Es ist bekannt, dass Regisseur Phillips eigentlich kein Interesse hatte, einen zweiten JOKER zu drehen. Aber mit einer Milliarde Einspielergebnis und einem wahrscheinlich wasserdichten Knebelvertrag lässt sich nicht diskutieren – und Phillips hat das sehr offensichtlich zum Anlass genommen, jeder Erwartung ins Gesicht zu spucken und ein vages, weitgehend in Arthurs Kopf spielendes "Musical" abzuliefern. Blöderweise gibt weder Arthurs Background noch der Status Quo zum Beginn des Films genug her, damit 2 Stunden und 18 Minuten zu füllen.
Arthur sitzt in Arkham. Er wartet auf seinen Prozess. Das allein sorgt schon für einen Mangel an Dynamik, denn außer ein bisschen Hofgang und Therapiegespräch ist keine Bewegung möglich, Es wird sehr viel geredet im üblichen Mikrokosmos aus besorgten Psychiatern, brutalen Wächtern und gesichtslosen Mitgefangenen.
Der Prozess in der zweiten Hälfte ist nicht weniger antriebslos, macht er doch schon im Ansatz keinen Sinn: ob Arthur letztlich wegen einer psychischen Spaltung nicht verantwortlich für die Taten des Jokers ist, macht für die Schuldfrage keinen Unterschied. Er ist unbestreitbar der Täter. Die Frage ist also gar nicht "schuldig oder unschuldig?", sondern lediglich "schuldig oder wahnsinnig?" – aus Arkham wird Arthur so oder so nie mehr herauskommen. What’s the point?
Besonders deutlich wird die inhaltliche Leere des Prozesses, als Joker selbst die Verteidigung von Arthur übernimmt – die Szenen drehen komplett leer, weil auch Joker keine sinnvolle Verteidigung führen kann. Arthur ist der Täter. Da gibt es keine zwei Meinungen. Klappe zu, Affe tot.
Man merkt, wie wenig das alles Todd Phillips schert. Was er stattdessen illustrieren will, ist die hohle Anbetung falscher Götzen, in diesem Fall des Jokers durch die tumben Massen und letztlich auch Lee Quinzel. Arthur Fleck ist ihnen egal, auch deshalb, weil sie ihn nicht kennen. Ist das eine bemerkenswerte Erkenntnis? Ist wirklich jemand beeindruckt von der Aussage, dass wir von Menschen wie Elvis und Mahatma Ghandi eher das Image als den tatsächlichen Charakter lieben, weil sie eine Projektionsfläche sind? Hat das irgendeine Tiefe, eine profunde Aussage?
So gefällt sich der Film zwei Stunden lang darin, Joaquin Phoenix eine Bühne für seines extremen "Joker shtick" zu bieten, der mittlerweile massiv nervt. Das ist nur noch Egomanie, Schauspielerei von der Showbühne. Leeres Theater. Alle anderen Figuren sind Hintergrund, bekommen null Raum für eigene Konflikte, Entwicklungen, oder wenigstens Charakter.
Ich verweise selten genug auf andere Reviews, aber er trifft es ganz gut:
Vielleicht wäre es besser gewesen, gar nicht erst zu versuchen, aus dem Stoff einen klassischen Spielfilm zu drechseln. Man hätte den Ansatz des Pychogramms vielleicht konsequenter umsetzen sollen, beschränkt auf einen Therapieraum und die Gespräche von Fleck und Quinzel. Ein Kammerspiel um Fragen wie Wahrheit, Identität und Liebe, das sich auf zwei Figuren und die Dialoge konzentriert – alles andere ist JOKER – FOLIE À DEUX ja augenscheinlich sowieso egal.
Fazit: Ein eitles, aber letztlich dünnes Psychogramm, das mehr an vagen Themen als an einer konkreten Geschichte interessiert ist und die Musical-Elemente ausschließlich zur Aufblähung der Spielzeit nutzt.
Ein dritter Teil sollte Phillips damit ja erspart bleiben und die Suits bei Warner dürften auch unruhig werden, wenn man den ersten Zahlen glauben schenken darf.
Aber warum war der Film eigentlich so teuer?
Meine Vermutung: Weil Todd Phillips sich null in der Pflicht gesehen hat, ökonomisch zu arbeiten.
Hab ja keine Ahnung von der Hollywood-Maschinerie, aber ist es wirklich realistisch, dass Phillips totale Kontrolle über diesen Film hatte? Schaut da echt keiner unterwegs drauf, zB wenn man nix vom Budget auf der Leinwand sieht oder ein seltsamer Musical-Mischmasch droht? Selbst wenn Phillips keinen Bock hatte auf die Fortsetzung, verbrannte Erde hinterlassen hilft ihm doch auch nicht.
Ich frage mich ja, wie man, selbst beim unökonomischen Drehen, bei einem Gefängnis/Gerichtsdrama überhaupt in die Nähe von 200 Millionen US Dollar kommen soll. Solche Art Filme sind doch meist sehr sparsam zu produzieren. Das man ihm möglichst freie Hand lässt kann ich ja noch verstehen, aber das da kein Produzent zumindest mal die Finanzbücher durchgegangen ist, fände ich schon komisch. Zumal Phillips ja bei solch ner Menge eigentlich Persona Non Grata werden sollte. – OK, wenn er 50 Mio von den 200 Mio bekam, würde ich das vielleicht auch machen, da so 100% niemand mehr ankommt mit nem Drehbuch und man sich ein schönes Leben gönnen kann.
Auch eine Hypothese: Phillips und Phoenix haben einen dicken Batzen eingesackt, Lady Gaga war nicht billig.
Und Phillips hat genug Connections bzw Projekte in der Pipeline, dass es ihm wumpe ist, was am Ende bei dem Film rumkommt. Zur Not kann er sich in 10 Jahren drüber lustig machen. Spekulatius…
Vielen Dank für die Einschätzung; tendiere langsam aber sicher dazu, mir den im Kino zu sparen. Wie fandest du denn den ersten? (Die Suche nach "Joker" hat kein Review zu ihm ausgespuckt.)
Ich hatte den erst viel später gesehen. Interessant, besser ins Batman-Universum eingeflochten, aber letztlich eben nur ein "riff" von TAXI DRIVER und KING OF COMEDY.
Ja was hältst du dann von Penguin, ist ja auch ohne Batman?
Mir haben die ersten beiden Folgen sehr gut gefallen.
Ich kann nicht ausreichend artikulieren, wie wenig mich die Serie interessiert. Davon ab: sie spielt wenigstens erkennbar in einem Batman-Universum, in dem es Batman gibt.
Ich hatte tatsächlich auch keinerlei Interesse, aber nachdem dann schon die zweite Folge online war und die Kritiken gut, hab ich mir gedacht die erste Folge kann ich ja riskieren. Ist jedenfalls unterhaltsamer als The Batman
Penguin ist mehr Sopranos als Batman, das mag ich sehr. Man muss sich etwas von DC und Comic lösen und findet ne richtig gute Mafia Story.
Was genau das ist, was mich nicht schert.
Tatsächlich ist sie eher eine bizarre Aufsteiger-Story über die Unterdrückungsmechanismen in Gesellschaft und Individuum. Außerdem mit exzellenten Frauenfiguren bestückt, die sich nicht modern anbiedern.
Großer Wurf, wie die andere Farrell-Serie "John Sugar" auch. Kann ich beide jenen Genrefans empfehlen, die mehr als Genre wollen.
The Hangman ist schon ein sehr interessanter Bösewicht
Ich gehöre zu denen, die den Film gut fanden. Manche meiner Mitkinobesucher fanden diesen sogar besser als den ersten Teil.
Die aufgeführte Fremdkritik kannte ich zuvor schon und ging ohne Erwartungen in den Film.
Als der Film begann (ersten Minuten) befürchtete ich auch Schlimmes, doch entwickelte sich für mich der Film positiv.
Das Ende schockierte mich zwar, doch im Nachgespräch mit den Begleiteten ergab sich, dass ich ein Detail der Endszene übersehen hatte, da mein Fokus auf etwas anderes gerichtet war.
Mit dieser Zusatzinfo sehe ich nicht ansatzweise den Mittelfinger.
Ja, das Ende deutet sehr deutlich auf eine Fortsetzung hin, ohne Joaquin Phoenix, aber trotzdem mit Joker.
Kann mich der Kritik anschließen, dass Teil 2 alles, was den ersten Teil ausmachte, nur nochmal aufkocht und (unnötig) in die Länge zieht. Eine eher überflüssige Fortsetzung. Ich glaube aber, dass die Leute, die Teil 1 super fanden, mit dem zweiten Teil zumindest noch ok unterhalten werden, weil halt einfach more of the same.
Das sehe ich komplett anders. Teil 1 hatte noch eine relativ komplexe Story, viel Bewegung, und war eng mit dem Batman-Universum (before Batman) verknüpft. Das hier ist nur noch träge.
Die Mythologie des Joker ist ja gerade die, dass er keine vernünftige (eindeutige) Hintergrundstory hat. Das macht ihn zu einer sehr interessanten Figur. Jede andere im Batman-Universum hat eine klar definierte Geschichte, nur eben er nicht. Joker ist einfach da (auch wenn es verschiednee Ansätze gibt, ihm eine Geschichte zu stricken, nicht zuletzt von Tim Burton). Und das ist sein Reiz, seine Besonderheit. Und genau deswegen funktioniert für mich schon die Prämisse der Filme nicht. Deswegen wurde ich auch schon mit dem ersten Film nicht warm. Schreibt nicht "Joker" drüber, dann wäre es eine okaye, wenn auch vorhersehbare und zigmal dagewesene Geschichte eines Außenseiters, der zum Psychopathen wird, dann kann man den Film zumindest neutral schauen. Für mich allerdings war der erste so jedoch schon eine Vollkatastrophe.
Der zweite hat mit dem Musical-Style des Trailers dann endgültig jegliches Interesse begraben. Schön zu lesen, dass diese Einstellung genau dem Film entspricht.
Das ist interessant. Ich habe bisher wirklich fast nur Verrisse gesehen – diesen hier eingeschlossen. Es ist nicht so, dass der Film gar nichts hatte, das mir gefallen hat. Ich fand einige der Musikalszenen zumindest ästhetisch ansprechend, und Lady Gaga spielt besser als ich erwartet hatte. Aber nach dem Ende blieb ein ziemlich schaler Geschmack und ich dachte mir: Echt? Das war´s jetzt?
Ich denke, du bist wahrscheinlich nahe dran an der Wahrheit mit der Vermutung, dass Todd mit einer recht negativen Attitüde an den Dreh rangegangen ist. Ich könnte mir denken, er war echt angefressen davon, wie viele Leute den Joker im ersten Teil zu einem missverstandenen Helden stilisiert haben, und wollte denen primär den Finger zeigen.
Deine Schlussfolgerung halte ich für falsch – Phillips kann nicht ernsthaft vom Effekt des ersten Films überrascht gewesen. Das war beabsichtigt.
Ein Regisseur, der so wenig abschätzen kann, wie ein Film beim Publikum ankommt, würde es niemals in die Liga von Phillips schaffen. Das ist dann eher Boll-Territory…
Vielleicht hatte Todd keine Lust auf dem Film… ich finde sowas schade, dann doch lieber ablehnen und jemand anderen ranlassen… vielleicht hätte ein jüngerer Regisseur mehr Leidenschaft und interesse in den Film gesteckt…
Ein gutaussehender Witz auf Kosten des Publikums, bei dem aber nicht klar ist, ob die Pointe "ihr seid doof" oder "wir sind doof" ist. Kann man sich wegen der WTFigkeit, die es beim ersten Mal wenigstens nicht langweilig werden lässt, im Zweifel mal ansehen, wenn man die Zeit hat, aber erwarten, dass man da als Zuschauer irgendwas von hat, oder gar irgendwas mitnimmt, sollte man nicht. Ich würde ja sagen, jeder beliebige andere Film der gerade läuft und euch lohnenswerter erscheint als der hier, ist es auch, aber geht nicht, weil theoretisch gerade irgendwo noch das The Crow Remake laufen könnte.