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Mrz 2024

Ain’t it dead news: Der gar nicht überraschende Tod von AICN

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Das hier wird keine große Enthüllungsgeschichte. Ich habe auch nicht wochenlang recherchiert und mit Hintermännern gesprochen. Mir ist lediglich etwas aufgefallen, das mich zu ein paar retrospektiven Gedanken drängt.

Aint it cool news ist tot.

Also, nicht “tot” im Sinne von aufgegeben und abgeschaltet. “Tot” im Sinne von brachliegend. Bis zu dieser Woche war die letzte “top story” ein Monat alt. Bei den TV-News “coaxial” hat sich seit Januar 2023 nichts mehr getan. “cool news” wurde seit letzten September nicht aktualisiert. Die Menge der News ist so dürftig, dass noch Reviews zu WANDAVISION und THE BATMAN auf der Startseite erscheinen.

Aint it cool news ist tot.

Jüngere Leser mögen fragen: Who the fuck is AICN? Das ist Teil des Problems.

Es ist der aktuellen Generation kaum zu vermitteln, wie prägend und einflussreich AICN um die Jahrtausendwende war. Die Webseite war DIE Anlaufstelle für alle Gerüchte, Neuigkeiten und Reviews aus den Bereichen Film, Fernsehen und meinetwegen auch Comic. In einer Zeit, in der die großen Medienhäuser das kommerzielle Potenzial von solchen Portalen noch völlig unterschätzten, baute sich der fette Rotschopf Harry Knowles ein kleines Imperium auf. Harry war der, dem man vertrauliche Informationen steckte, Harry war der, dessen Reviews den Erfolg an der Kinokasse nachhaltig beeinflussen konnten.

Es wurde ein Schneeball-System: Je mehr Einfluss man Harry zugestand, desto mehr wurde er hofiert, desto größer wurde sein Einfluss. Die Studios flogen ihn zu exklusiven Screenings und Premieren, auch Superstars standen ihm für Interviews zur Verfügung. Es dauerte nicht lange, bis Harry selbst zur Nachricht wurde und auch deutsche Magazine über ihn berichteten (hier Focus und TV Movie):

Harrys Arbeit war nicht frei von Kontroversen: Nach einem New York-Screening von Emmerichs GODZILLA wurde ihm vorgeworfen, er habe sich vom Glamour einseifen lassen, und eine vernichtende Vorab-Kritik des ROLLERBALL-Remakes gilt bis heute als ein Grund für dessen Scheitern. Das ist natürlich albern: Eine Kritik-Webseite, die nicht selber Kritik provoziert, macht ihren Job nicht richtig.

Im Focus-Artikel bekommt man eine Ahnung, wie AICN 1997 aussah:

Ich gehörte zu jener Zeit zu den gelegentlichen Informanten der Webseite und freundete mich mit einem der Hauptautoren aus Austin so weit an, dass ich ihn im September 1998 tatsächlich in Texas besuchte. Wir verbrachten ein paar sehr coole Tage im Roadhouse und auf dem Schießstand, er zeigte mir seltene Test-Footage von Disneys TARZAN und James Camerons damals praktisch unbekannten Kurzfilm XENOGENESIS. Meine erste Dominos-Pizza. Good times.

Um die Jahrtausendwende erreichte die “Harry-Mania” ihren Höhepunkt, Knowles verdiente locker 700.000 Dollar im Jahr und seine Co-Autoren konnten lukrative Aufträge in Hollywood an Land ziehen. Für ihn zu schreiben war wie die Teilnahme an einer Kaderschmiede und AICN zu ignorieren wurde für die Studios ein “no go”. Harry Knowles stand stellvertretend für das gesamte Geekdom, war die Stimme der Fans, der letzte Rest dessen, was das Genre noch an Herz zu verteidigen hatte.

Kein Wunder, dass Bücher geschrieben wurden – über ihn, nicht über AICN:

Vorwort von Quentin Tarantino – wie sollte man davon nicht besoffen werden?!

Rückblickend kann man sagen, dass um 2000 herum schon sichtbar wurde, woran AICN letztlich scheitern würde. Relativ offensichtlich waren dabei zwei Punkte:

  1. Die Industrie hatte den Wert von Entertainment-Portalen erkannt und es gab immer mehr, auch deutlich kommerzieller betriebene Plattformen, die AICN zuerst die Einzigartigkeit und dann die Scoops nahmen.
  2. Harry war ein Filmfan alter Schule, Text sein Werkzeug. Er wehrte sich massiv dagegen, die Webseite aufzuhübschen, Multimedia-Elemente einzubauen, über das Leserforum hinaus Interaktion zu erlauben. Im Grunde war die Webseite selbst nach dem Relaunch um die Jahrtausendwende veraltet.

Web 2.0. Tatsächlich ist dieses Design weitgehend geblieben – seit 20 Jahren.

Harry, das war sehr offensichtlich, wollte nicht bloggen, wollte keine Instagram-Videos drehen oder einen YouTube-Kanal aufmachen. Ein paar Mal wurde versucht, ihm ein TV-Format zu schnitzen, aber das blieb erfolglos, auch weil Harry Knowles zunehmend unter körperlichen Malaisen litt und das Haus kaum noch verlassen konnte. In einer jungen bunten Welt war er schon mit 30 ein alter kranker Mann.

So nahm die Popularität von AICN in den 00er-Jahren langsam ab, die Zielgruppe zersplitterte. Fans auf der Suche nach News fanden neue Outlets, die weniger dem Personenkult huldigten. Harry verlor den Status des Fandom-Paten und als er es dann doch mal mit einem Video-Format versuchte, war es schon zu spät:

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Ich würde übrigens drauf wetten, dass die Harry-Puppe in den Clips wegen seiner Reise-Untauglichkeit als Platz/Statthalter erfunden wurde.

Es wird heute gerne unterstellt, AICN sei letztlich an den Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gegen Harry Knowles zugrunde gegangen. Das halte ich für Unsinn. 2017 war Knowles bereits abgeschrieben, ein “has been” in einer Welt, die ihn hinter sich gelassen hatte. Es gab keinen Status mehr, den die metoo-Attacke vernichten konnte –  nur noch den Mann Harry Knowles, der von den meisten “Freunden” verlassen wurde, die ihm ihre Karrieren verdankten, und der sich in der Folge in die Obskurität zurück zog.

Für mich war Harry Knowles kein Harvey Weinstein, nicht mal ein Louis CK.

So dümpelt AICN seit Jahren vor sich hin, mehr vom Strom der Zeit mitgezogen als vom eigenen Antrieb. Wenn was reinkommt, setzt man es auf die Webseite, aber das scheint eher Pflichterfüllung als Begeisterung. Ich weiß nicht, wann eine Story das letzte Mal irgendeine Form von Impact hatte, irgendwas bewegte.

Denn auch das ist eine unbestreitbare Wahrheit: Harry Knowles WAR AICN, er war die Maschine, das Gehirn, das Feuer der Webseite. Es hätte sie nicht ohne ihn gegeben – und letztlich gibt es sie auch ohne ihn nicht.

Ain’t it cool news? No, it ain’t. Not anymore.

Im Verlauf der Recherchen für diesen Beitrag bin ich darauf gestoßen, dass es über “the rise and fall of Harry Knowles” sogar eine Podcast-Reihe auf Spotify gibt – ich habe sie noch nicht gehört, möchte sie euch aber trotzdem empfehlen. Vielleicht sehen die Autoren die Geschichte genauso wie ich – oder ganz anders:

Ehrlich gesagt überrascht mich weniger, dass AICN tot ist – sondern dass Seiten wie Dark Horizons immer noch existieren. Selbst wenn man die Zeit und die Energie aufbringt, über 20 Jahre lang eine Webseite zu betreiben, altert man irgendwann aus den Zielgruppen raus. Das Internet ist no country for old men.

Ain’t it cool news ist “vintage internet”, eine Legende aus der Frühzeit des Mediums, die uns allen zeigte, was für tolle Möglichkeiten sich online bieten. Im Grunde genommen war ihr Erfolg auch ihr Handicap, denn er zog Nachahmer an, die das System perfektionierten. If you don’t evolve, you die.

Was sind eure Erinnerungen an AICN und an Harry Knowles? Oder war das schon “vor eurer Zeit”? Dominiert Nostalgie oder kann das weg?



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Revilo
Revilo
19. März, 2024 16:53

Die Seite war sowohl stilistisch als auch inhaltlich mit einer Art arnachischem Gonzo ‘Journalismus’ ein gewisser Gamechanger in Zeiten als das Wort Influencer noch kaum erfunden war und der Begriff ‘Kritiker’ noch nach etwas klang was man studiert haben musste.

In gewisser Hinsicht war Harry ein one-trick-pony (hochemotional, immer direkt, gerne vulgär, später eigentlich nur getoppt vom Stil des Film Crit Hulk), die wahre Qualität der Seite ergab sich eher aus dem Staff und den Insider-News die dort für einige Jahre erfolgreich zentralisiert werden konnten.

RIP AICN!

heino
heino
20. März, 2024 06:27

AICN und Darkhorizons waren der Grund, warum ich mir einen Internetzugang beschaffte, nachdem ich zum ersten Mal 1999 bei meiner Schwester im Netz war. So bis ca. 2010 war ich täglich auf der Seite (DH war da schon lange uninteressant geworden), aber das ließ rapide nach, als die besten Autoren nach und nach verschwanden. Harrys Kritiken fand ich stilistisch immer am schwächsten, der hat ewig um den heißen Brei herum geredet und wirklich bei jeder Review erst mal Geschichten aus seiner Kindheit erzählt, die zumindest mich nicht interessierten. Das Design der Seite war damals eine Zumutung und hat meinen Rechner an seine Leistungsgrenze beim Laden gebracht. Schade um AICN, aber alles hat seine Zeit

jimmy1138
jimmy1138
20. März, 2024 10:27

War der Anfang von AICN nicht nach dem Prinzip “fake it ’till you make it”? Ich hab da dunkel in Erinnerung – kann mich aber gut täuschen – , daß Knowles anfangs scoops einfach erfunden hat, bis er dann aufgrund der Aufmerksamkeit echte Informanten bekommen hat.
Und schon Mitte der 2000er hatte der mMn der Ruf, daß er bei seinen Reviews wie ein Fähnchen im Wind gedreht hat – entweder, indem er mit seiner Kritik gewartet hat, bis sich ein gewisser Trend im Fandom etabliert hat, oder indem er einfach eine zweite Kritik nachgeschossen hat.
Was würde man denn heutzutage so als Go To-Webseite/Kanal sehen? Mein persönlicher Eindruck ist, daß sich alles stark zu Youtube verschoben bzw sehr zersplittert hat.

DSFARGEG
DSFARGEG
20. März, 2024 14:04

Ein von mir geschriebener, zig Seiten langer Artikel war mal ein Aufmacher auf AICN (als ich das Glück hatte, vor allen Anderen was gesehen zu haben). Außerdem erinnere ich mich daran, wie ich fast meinen Kaffee vor den Monitor einer Pariser Hotellobby geprustet hab, als ich die Seite dort öffnete und las, dass die vollständige Fassung von Metropolis gefunden wurde. Ansonsten, tja. Der letzte echte Scoop war das Review zu Attack of the Clones 2002, ab da lebte AICN vom Nachruhm, eingefroren in de Zeit, mit einem altbackenen, an keiner Stelle konkurrenzfähigen Konzept und einem Webdesign, das den Namen nicht verdient.
Es gab ein paar Autoren, die ich immer gerne gelesen habe, Quint und Massawyrm, meine ich – ich merke gerade, wie lange das her ist, weil mir nicht mal die Namen sofort eingefallen sind, geschweige denn, was genau ich an deren Schreibe mochte. Knowles selbst: seine selbstgefällige, Novellen-artige Reviews waren immer eine Zumutung, seine pubertäre Ausdrucksweise war zum fremdschämen. Ich erinnere mich, dass er irgendeinen Film ohne Not verglich mit „chocolate-flavored pussy juice“ – das war dann auch das Letzte, was ich je von ihm gelesen hab, es war mir einfach zu blöde. Die Anschuldigungen von 2017 haben mich angesichts dieses schwiemeligen Unfugs nicht groß überrascht, aber da war ich eh schon Jahre nicht mehr auf der Seite gewesen. Dass die Vorwürfe nicht verantwortlich dafür waren, dass AICN untergegangen ist, sehe ich auch so. Sie waren aber definitiv die Flinte, die den lahmen Gaul erlöst hat.

Christian
20. März, 2024 17:15

Ich als Nicht-Film-Nerd habe davon noch nie gehört. Scheint aber so etwas wie damals Slashdot für die Linux-Nerds gewesen zu sein.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
21. März, 2024 14:26

Ich kenne die Seite nur vom Namen, jetzt durch den Artikel mal draufgeklickt: Heiliges Blechle, das Design ist ja der blanke Horror 🙈

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
21. März, 2024 14:36

Ahh, die Seite kannte ich natürlich, aber die war für mich nie wirklich zugänglich, weil sie einfach so ne “wall of text” war. Knowles war mir auch nie sympathisch, sondern eher ein Harvey Weinstein ohne Millionen. Also ich glaube, ich habe die Seite das letzte mal noch vor 2010 ernsthaft besucht.