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Feb 2024

Fantasy Filmfest White Nights 2024 München (5): NIGHTWATCH: DEMONS ARE FOREVER

Themen: FF White Nights 2024, Film, TV & Presse |

Dänemark 2023. Regie: Ole Bornedal. Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Kim Bodnia, Fanny Leander Bornedal, Sonja Richter, Paprika Steen

Offizielle Synopsis: Die couragierte Medizinstudentin Emma arbeitet als Nachtwächterin im forensischen Institut. Der Job ist gut bezahlt, insgeheim erhofft sie sich aber auch, etwas über ihre bewegte Familiengeschichte zu erfahren. Denn genau hier entkamen ihre Eltern einst dem Serienkiller Wörmer nur um Haaresbreite – ein traumatisches Ereignis, das die beiden nie losließ. Tatsächlich kursieren im Institut reichlich gruselige Details über die Verbrechen in der Leichenhalle. Aber die brisanteste Entdeckung: Wörmer ist gar nicht tot, wie Emma annahm, sondern lebt in einer Anstalt ganz in der Nähe. Das weckt in der jungen Frau die obsessive Idee, den perversen Mörder, der seine Opfer skalpiert, zu treffen. Zeitgleich wird die Gegend erneut von einer Reihe mysteriöser Todesfälle erschüttert…

Kritik: Beichtzeit: Ich habe NIGHTWATCH nie gesehen. Auch nicht das US-Remake mit Ewan McGregor. Meine einzige bisherige Begegnung mit dem Dänen Bornedal war der okaye POSSESSION von 2012. Was kurios genug ist: 1994, als Bornedal mit NIGHTWATCH beim Fantasy Filmfest Aufsehen erregte und u.a. die Karriere von Nikolaj Coster-Waldau mit anschob, war ich ja schon dabei. Ich haben den Streifen aber augenscheinlich damals ausgelassen.

Erfreulicherweise verlangt NIGHTWATCH 2 keine intimeren Kenntnisse des Vorgängers, denn die Ereignisse vor 30 Jahren werden konsequent, aber niemals als nerviger Info-Dump in der ersten halben Stunde referenziert. Wir bekommen nicht nur eine grobe Übersicht, was damals geschah, sondern auch, was seit damals geschah, denn die Ereignisse haben so ziemlich alle Beteiligen gebrochen zurück gelassen. Emmas ist besessen davon, den Schorf abzukratzen, damit der Eiter austreten und die alten Wunden endlich heilen können.

Da ist zuerst einmal erfreulich unplump, so plump dieses Wort auch sein mag. Statt einfach einen neuen Serienkiller zu etablieren und die “next generation” durch die gleichen Setups zu jagen wie ihre Vorgänger, entscheidet sich Bornedal für einen komplexeren Ansatz. Die vergangenen 30 Jahre sind in der Gegenwart präsent, sie sind wie ein sich straffendes Gummiband, das den Protagonisten ein Vorankommen unmöglich macht. Die Zeit zwischen den Filmen wird nicht ausgelassen, sondern wirkt wie ein unsichtbarer, mittlerer Teil, der NIGHTWATCH zu einer Trilogie macht. NIGHTWATCH 2 ist kein Neuanfang, er ist ein notwendiger Abschluss, der in seinem psychologischen Verständnis den Vorgänger nochmal aufwertet.

Das dauert natürlich ein bisschen. Bornedal nimmt sich Zeit, seine Figuren aus der Starre zu erlösen. Die nüchterne Inszenierung sorgt zudem dafür, dass man sich anfänglich wie in einem deutschen Krimi vorkommt – da verwundert es nicht, dass das ZDF hier als Ko-Produzent an Bord ist. Aber zur zweiten Hälfte hin gewinnt NIGHTWATCH 2 massiv an Spannung und Tempo.

Etwas skeptisch war ich vorab, dass Bornedal seine eigene Tochter als Hauptdarstellerin ausgewählt hat. Aber Fanny Leander Bornedal ist problemlos in der Lage, die Rolle und den Film zu tragen, gerade weil sie auf eine sympathische Weise unglamourös ist. Die alten Recken aus NIGHTWATCH sind sowieso nicht nur dabei, sondern ehren den Film mit weiteren starken Perfomances.

Ich hadere ein bisschen mit der Frage, ob es ein Malus ist, dass NIGHTWATCH in der zweiten Hälfte einige Klischees des Slasher-Films aufgreift, die hier etwas zu plakativ und bequem herbei fabuliert wirken. Klar kann man einiges davon überzogen und eventuell sogar albern finden – aber es hilft der Spannung durchaus auf die Sprünge. Can it be bad if it works?

Ich hatte am Anfang geschrieben, dass man NIGHTWATCH nicht gesehen haben muss, um NIGHTWATCH 2 zu verstehen und zu genießen. Ich wage aber die Vermutung, dass es die “experience” der Fortsetzung nochmal verbessert. Die alt gewordenen Figuren erinnern uns, dass wir selber alt geworden sind, und die Anlehnungen an Szenen aus dem Original sind wie aufblitzende, schmerzhafte Erinnerungen an etwas, das man eigentlich verdrängen wollte. Das Erlebnis des Kinozuschauers als Spiegel der Erlebnisse der Figuren.

Fazit: Ein “slow burner”, gleichzeitig Aufarbeitung und Fortsetzung des Originals. Ein Highlight für True Crime-Fans, in dem Bornedal nur selten die Grenze zum absurden Slasher überschreitet. 8 von 10 Punkten.

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Thies
Thies
12. Februar, 2024 21:17

Ich hatte vor dreißig Jahren noch keinen Zugang zum FFF – mehr mangels Wissen, denn der Weg nach Frankfurt wäre nicht weit gewesen. Aber “Nightwatch” lief dann ja auch regulär im Kino. Ich habe ihn als soliden Thriller der dem Hype nicht völlig gerecht wurde in Erinnerung. Das Remake hatte ich mir erspart, aber dafür auf dem FFF neben “Possesion” noch “Just another love story” – eine moderne “Film Noir”-Variante – und “Deliver us from evil” – eine Mischung aus “Rio Bravo” und “Straw dogs” – von Bornedal gesehen. Mein Fazit zu ihm bisher: ein guter Handwerker, der ganz genau weiß welche Klischees immer noch funktionieren wenn sie richtig eingesetzt werden.

Seine Fortsetzung zu “Nightwatch” untermauert diese Einschätzung, deshalb nur drei kurze Anmerkungen. Zuerst einmal schien die Wiedervereinigung der Hauptpersonen des Originals mehr Raum zu erhalten als der Thriller-Plot. Wenn es dann Zeit wird diesen aufzulösen fallen die Erklärungen eher dünn aus. Es blieb bei mir trotz fast zwei Stunden Länge nur ein flüchtiger Eindruck.

Und dann waren da noch die zwei akustischen Verweise auf den ersten Teil. Der auf einem Walkman gespielte Song “Let your fingers do the walking” ist Teil meiner Playlist und ich hatte keine Erinnerung daran, dass er Teil dies Films war.
https://www.youtube.com/watch?v=xrDDjPtA-fA

Der zweite war das Kinderlied, dass Wörner abspielt wenn er zur Tat schreitet. Ein fieser Ohrwurm. Anklicken auf eigene Gefahr!
https://www.youtube.com/watch?v=64zswqxNVlE

Will Tippin
Will Tippin
13. Februar, 2024 22:56

Deshalb lese ich deine Rezensionen so gerne. Erklärt oft sehr schön das, was mir am Film gefallen hat, aber vorher nicht so richtig greifen konnte. Guter Film, auch wenn der Slasher-Klischeeteil des Films es für uns ein wenig runtergezogen hat (jetzt nimm doch die scheiß Pistole, die liegt doch direkt neben dir!!!)