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Sep 2023

Fantasy Filmfest 2023, Tag 5, Film 2: VINCENT MUST DIE

Themen: Fantasy Filmf. 23, Film, TV & Presse |

Frankreich / Belgien 2023. Regie: Stéphan Castang. Darsteller: Karim Leklou, Vimala Pons, François Chattot, Karoline Rose Sun

Offizielle Synopsis: Der Praktikant schlägt Vincent mit einem Laptop ins Gesicht. An Vincents missglücktem Witz darüber, wieso ihm der Praktikant keinen Kaffee gebracht habe, kann es nicht liegen. Kurz danach greift ihn ein weiterer Kollege mit einer Schere an. So gehe das nicht, die Stimmung sei gereizt, sagt sein Chef und versetzt ihn ins Heimbüro. Doch auch außerhalb der Firma trachten Vincent plötzlich wildfremde Leute nach dem Leben. Also flieht er ins Ferienhaus in die Provinz, doch den Menschen aus dem Weg zu gehen, ist schwieriger als gedacht.

Kritik: Die Inhaltsangaben bleiben ein Quell stetiger Provokation – der zweite Kollege greift Vincent nicht mit einer Schere, sondern mit einem Stift an. Ist es denn so schwer?!

Regisseur Castang war vor Ort in München und beschrieb seinen Film korrekt als schwarze Komödie, die in einen Paranoia-Thriller dreht und dann bei einer Art Zombie-Apokalypse endet. Das Problem ist nur, dass diese drei Genres nicht ausreichend gleichwertig bedient werden.

Der erste Akt ist grandios, keine Frage. Kollegen fangen aus unerfindlichen Gründen an, Vincent tollwütig zu attackieren. Hinterher haben sie keine Ahnung, warum sie das getan haben. Statt sie zu bestrafen und Vincent zu helfen, ist die Personalabteilung mehr daran interessiert, Vincent als Auslöser loszuwerden. Langsam erkennt Vincent Muster: Die Angriffe erfolgen nach Augenkontakt. Nur bestimmte Personen sind betroffen. Eine räumliche Trennung von Vincent beendet die Aggression.

Das ist clever konstruiert, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch glauben, dass es nur um Vincent geht (wie der Titel ja auch impliziert). Ein wachsender Teil der Welt ist einfach gegen ihn.

Im zweiten Teil, dem Paranoia-Thriller, stellt Vincent aber fest, dass immer mehr Menschen Opfer von willkürlichen Angriffen werden. Er schließt sich einer Online-Community von Betroffenen an, übt sich in Rückzug und Gegenwehr. Der erzählerische Fokus öffnet sich, was dafür sorgt, dass der zweite Akt immer noch ein relatives Tempo beibehält.

Im dritten Teil geht es allerdings dann deutlich bergab, weil VINCENT MUST DIE immer mehr die Tropen des Rage Zombie-Films bedient und Frankreich in eine blutrünstige Anarchie verfällt, durch die Vincent und seine Freundin sich einen Weg bahnen müssen. Das ist dann alles schon sattsam bekannt und kann kaum neue Facetten einbringen. Man hätte sich nach den ersten beiden Teilen ein substanzielleres und für Vincent auch persönlicheres Finale gewünscht. Das relativ beliebige Ende ist ein Indiz, dass Regisseur Castang einfach ein wenig die Ideen ausgegangen sind.

Damit will ich nicht in Abrede stellen, dass VINCENT MUST DIE den Großteil der Laufzeit sehr gut unterhält, und das weit über dem Niveau der üblichen Zombie-Variationen. Wie THE ANIMAL KINGDOM geht es ihm weniger um Anfang, Mitte und Ende einer spezifischen Geschichte, sondern um ein Porträt einer Welt im Umbruch. Die alten Regeln gelten nicht mehr, jeder muss sich anpassen, wenn er überleben will. Ich selbst sehe da auch Parallelen zu Corona (erst sind andere die Gefahr, dann werden wir die Gefahr, dann lernen wir Abstand zu halten). Frankster hingegen hat mehr Anspielungen auf die Gewaltausbrüche in Frankreich in den letzten Jahre gesehen. Auch das ist stimmig.

Fazit: Eine sympathische schwarze Komödie, die eine Art Rage Zombie-Ausbruch auf eine persönliche Ebene einkocht. Die zweite Hälfte lässt leider etwas nach, darum doch nur 7 von 10 Punkten. 

 

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2 Kommentare
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Christian Siegel
30. September, 2023 00:15

Gibt’s in Belgien echt keine Sonnenbrillen?!

Aber ernsthaft: Ich sah das spannenderweise ziemlich konträr zu dir. Tat mir anfänglich schwer, hineinzukommen, eben weil ich die Reaktion der Leute um Vincent herum auf die Angriffe unplausibel fand. Zudem drängten sich doch ein paar logische Ungereimtheiten (siehe die anfängliche Frage; aber auch, warum der Sentinel-Blog dazu rät, sämtliche Social Media-Auftritte zu löschen) auf. Für mich drehte er erst ab dem Kennenlernen von Margaux so richtig auf; zumal die beiden ein charmantes Paar waren, mit dem man mitfiebert. Unter diesem Gesichtspunkt hat dann vor allem auch der Ausgang des Geschehens für mich noch einiges herausgerissen.