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Sep 2023

Fantasy Filmfest 2023, Tag 7, Film 3: BIRTH / REBIRTH

Themen: Fantasy Filmf. 23, Film, TV & Presse |

USA 2022. Regie: Laura Moss. Darsteller: Marin Ireland, Judy Reyes, A.J. Lister, Breeda Wool

Offizielle Synopsis: Rose ist Pathologin. Mit menschlichen Emotionen kann sie nichts anfangen, einzig die Wissenschaft weckt in ihr Interesse an körperlichen Prozessen. Celie arbeitet als Hebamme im selben Krankenhaus. Als ihre kleine Tochter unvermittelt stirbt, aber die Leiche, die von Rose obduziert wurde, plötzlich unauffindbar ist, entdeckt sie, dass die Ärztin insgeheim mit der Reanimation von Toten experimentiert. Ein Schwein konnte bereits erfolgreich wiederbelebt werden, mit dem Mädchen gelang ihr nun der erste Versuch am Menschen. Die beiden Frauen beschließen, einen Pakt einzugehen, aber der Preis dafür ist hoch.

Kritik: Es ist augenscheinlich unvermeidlich – stehen Frauen im Horrorfilm im Mittelpunkt, geht es um Schwanger/Mutterschaft. Wäre ich Akademiker, würde ich das in einem Buch anprangern. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet weibliche Regisseure ihr eigenes Geschlecht auf seine grundlegendste biologische Funktion reduzieren. Natürlich verstehe ich den Gedanken dahinter: die Mutterschaft ist für viele Frauen der Kern ihrer Existenz und es sind leicht anzuzapfende Urängste: was ist, wenn ich nicht schwanger werden kann? Was ist, wenn etwas mit dem Kind nicht stimmt? Die schwangere Frau muss ihr Kind schützen, obwohl sie selbst verletzlich ist. Daraus lassen sich leicht Geschichten schmieden, an die gerade das weibliche Publikum andocken kann. Ich finde es halt nur ein wenig plakativ und simpel.

Simpel ist allerdings ein Attribut, das man BIRTH / REBIRTH wahrlich nicht ankleben kann. Der Film zwingt zwei Frauen zu einer Partnerschaft, die im Leben sonst nichts gemeinsam haben: Rose ist eine fast schon soziopathische Fanatikerin, die ihr ganzes Leben einem einzigen Ziel geopfert hat. Celie ist ein Muttertier, getrieben von der Liebe zu ihrer Tochter, immer das Wohl Anderer vor das eigene stellend. Der Versuch, Lilu aus gänzlich unterschiedlichen Gründen wieder ins Leben zu holen, ist ihre Schnittmenge.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich einen Film beim Fantasy Filmfest so… unangenehm fand. Es gibt im Englischen ein paar schöne Begriffe dafür: queasy, uneasy, gritty. BIRTH / REBIRTH zeigt medizinische Prozeduren mit klinischer Kälte, reduziert Schmerz, Leid und Heilung auf Plastikbeutel, Spritzen und Schläuche. Der Mensch als Zweck und Opfer der Medizin, gnadenlos abhängig. Segen und Fluch. Es ist kein Wunder, dass Rose und Celie (beide “professionals”) in ihrem Wahn, Lilu zu retten, immer skrupelloser werden, die zur Verfügung stehenden Mittel und Werkzeuge immer wahlloser anwenden.

Es gilt weiterhin die Weisheit aus JURASSIC PARK:

Dass das nicht gut ausgehen kann, ist eigentlich von Anfang an klar – zumal Rose und Celie alle Warnsignale ignorieren. Aber wie es dann schiefgeht, das ist… tja, wieder sehr unangenehm. Sehr intensiv. So gar nicht empathisch-weiblich.

Ein besonderer Coup ist dabei natürlich die Besetzung von Judy Reyes, die in der Sitcom SCRUBS bereits acht Jahre lang eine fast identische Rolle als Krankenschwester gespielt hat. Carla, what happened to you?!

So bin ich zum zweiten Mal überrascht: Auch BIRTH / REBIRTH ist nicht billige feministische Propaganda und singt auch nicht das Hohelied der Schwangerschaft. Da ziehe ich meinen chauvinistischen Hut.

Fazit: Ein so unangenehmes wie faszinierendes Psychodrama zweier unterschiedlicher Frauen, die ein gemeinsames Ziel zusammenschweißt. Wer Probleme mit Spritzen, Schläuchen und Blutbeuteln hat, sollte Zuhause bleiben – verpasst aber was. 8 von 10 Punkten.

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Anne
Anne
21. September, 2023 08:59

Für mich als weibliche Zuschauerin standen Fragen der Mutterschaft während des Anschauens so gar nicht im Vordergrund.
Mich beschäftigten als erstes Fragen der Menschlichkeit, aufgeworfen durch die harten Kontraste zwischen Rose und Celia, zwischen dem lebenden und dem reanimierten Kind (und dem Hausschwein Muriel).

Außerdem war ich erschlagen vom weitreichenden Mangel an Empathie zwischen den Hauptfiguren, aber auch zwischen Celia und ihrem wiederbelebten, jetzt stark veränderten, aber im Kern schon noch menschlichen Kind. Alles verstärkt durch den Druck, den das Gesundheitssystem auf seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und auf die Patienten und Patientinnen ausübt. Eine Szene die mein Mann und ich etwas unterschiedlich interpretiert haben macht das deutlich:

Es gibt eine Geburt, bei der Celia als Hebamme sich auf die Seite der Gebährenden stellt, als diese versucht, den Arzt vom Dammschnitt abzuhalten: “Please don’t cut, please don’t cut..” Celia verschafft der Frau etwas Zeit. Mein Mann sah in dem Wunsch der Figur einen Ausdruck der Angst vor den steigenden Kosten der Geburt im amerikanischen Gesundheitssystem, wenn der Arzt eingreifen würde.
Ich sah da mehr einen Ausdruck des nicht nur im amerikanischen, sondern auch hier im deutschen Krankenhaus existierenden Rationalisierungsdrangs, auch solche Vorgänge wie Geburten, die natürlicherweise auch mal gern zwei Tage dauern können, auf eine “lohnenswert” kurze Zeit zu kürzen.
Wie man sie auch immer interpretiert, die Szene drückt auf jeden Fall eben den krassen Druck aus, unter dem in dem Film alle Protagonistinnen und Nebenfiguren dauernd stehen.

Der Druck von außen führt zu Fehlern und Fehlentscheidungen, die ohne ihn vielleicht nicht passiert wären.

Der Film verhandelt natürlich auch ganz zentral das Thema Mutterschaft. Ganz klar. Es gibt nicht weniger als vier Mütter in dem Film. Vielleicht eine gewisse Überkompensation des kompletten Fehlens so einer Figur bei Mary Shelly.
Aber für mich trotzdem eine lohnende Ergänzung. Wurde Frankensteins Vaterschaft doch irgendwie nie, weder von seiner Kreatur, noch vom Text selbst, so stark in Frage gestellt. Birth/Rebirth stellt die Frage und gibt auch gleich mehrere Antwortmöglichkeiten.

Ich nehme an, dass der Film bei religiösen Menschen noch schlimmer wirkt als für mich als Atheistin. Ich stimme dir aber zu, was die Beklemmung angeht.
Ich gebe 10/10.

Anne
Anne
21. September, 2023 11:10
Reply to  Torsten Dewi

Fand ich auch richtig gut. Auf der Heimfahrt konnte ich mir aber genau deswegen die unvermeidlichen Proteste der amerikanischen Konservativen gegen den Film bildlich vorstellen. Bin gespannt wie es damit weitergeht.