04
Aug 2023

Hollywood 2.0: Die alternativen Fakten der Blockbuster-KI

Themen: Film, TV & Presse, Künstliche Intelligenz |

In Hollywood wird gerade gestreikt. Die Autoren wollen mehr von dem Geld sehen, das ihnen die Studios mit kreativer Buchhaltung vorenthalten. Ein sich alle paar Jahre wiederholendes Ritual, das heuer deswegen an Sprengstoff gewinnt, weil die Autoren fürchten, dass KI-Story-Generatoren ihnen mittelfristig das Wasser abgraben. Sie wollen nicht nur mehr auf dem Konto, sondern Artenschutz.

Ich verstehe das, aber es erinnert mich an Grafiker, die Photoshop ablehnten, oder Fotografen, die digitale Kameras verschmähten – das ist ein Widerstand mit Verfallsdatum. Man muss die neuen Werkzeuge nutzen, um nicht von ihnen ersetzt zu werden.

Erst kürzlich habe ich einem befreundeten Autor mal exemplarisch gezeigt, wie man in (vorerst noch) ganz einfachen Szenarien auf die KI als Hilfestellung zurückgreifen kann, wenn die Story hakt. Ich gab der KI folgende simple Aufgabe:

Du bist ein Schriftsteller. Der Held deines neuen Romans hat sich in einer Hütte im Wald verschanzt, die umstellt ist von bewaffneten Gangstern. Was kann er tun, um zu entkommen?

ChatGPT musste wie immer nicht lange nachdenken:

Der Held meines Romans befindet sich also in einer brenzligen Situation, eingekesselt von bewaffneten Gangstern in einer abgelegenen Waldhütte. Um zu entkommen, muss er einen intelligenten Plan entwickeln und seine Umgebung nutzen. Hier sind einige mögliche Schritte, die er unternehmen könnte:

Beobachtung und Einschätzung: Der Held sollte zuerst genau beobachten, wie viele Gangster es sind, wo sie sich positioniert haben und welche Waffen sie tragen. Er muss ihre Stärken und Schwächen abschätzen, um eine Strategie zu entwickeln.

Verstecken und Tarnen: Falls die Hütte mehrere Ausgänge hat, könnte der Held versuchen, sich unauffällig nach draußen zu schleichen und sich im Wald zu verstecken. Er sollte versuchen, seine Spuren zu verwischen, damit die Gangster nicht leicht auf seine Fährte stoßen.

Ablenkung: Der Held könnte versuchen, die Gangster abzulenken, um sie in eine andere Richtung zu locken. Dies könnte durch das Erzeugen eines lauten Geräuschs oder einer Explosion geschehen, um ihre Aufmerksamkeit von der Hütte abzulenken.

Improvisierte Waffen: In der Hütte könnte der Held nach Gegenständen suchen, die als improvisierte Waffen dienen könnten, um sich zu verteidigen. Werkzeuge, Schwerter oder andere Gegenstände könnten ihm dabei helfen, einen Überraschungsangriff durchzuführen.

Kommunikation: Wenn der Held über ein Funkgerät oder Handy verfügt, könnte er versuchen, draußen Hilfe zu rufen oder Informationen über seine Situation zu übermitteln. Vielleicht gibt es Verbündete oder die Polizei, die ihm zur Seite stehen könnten.

Fluchtroute finden: Der Held sollte sich einen alternativen Weg aus der Umgebung überlegen. Vielleicht gibt es einen geheimen Pfad, den die Gangster nicht kennen, oder eine andere Möglichkeit, die Gegend zu verlassen, ohne direkt an ihnen vorbeizumüssen.

Täuschung und Verkleidung: Falls die Gangster die genaue Identität des Helden nicht kennen, könnte er versuchen, sich zu verkleiden oder eine Täuschung einzusetzen, um seine Identität zu verschleiern und sie zu verwirren.

Psychologische Kriegsführung: Der Held könnte versuchen, die Gangster gegeneinander auszuspielen oder ihre psychologischen Schwächen auszunutzen, um sie zu überlisten oder abzulenken.

Hilfe von außen: Falls der Held über Verbündete verfügt, könnte er versuchen, sie heimlich zu informieren und um Unterstützung zu bitten. Sie könnten eine Rettungsaktion vorbereiten, um ihn aus der Hütte zu befreien.

Notfallplan: Der Held sollte einen Notfallplan haben, falls alles andere fehlschlägt. Er könnte sich darauf vorbereiten, in einer letzten heldenhaften Anstrengung einen gewagten Ausbruch zu versuchen und dabei das Element der Überraschung nutzen.

All diese Elemente könnten in einer spannenden Abfolge von Ereignissen und unerwarteten Wendungen im Roman eingebaut werden, um den Leser mitzunehmen und mitzufiebern, ob der Held es schafft, aus der gefährlichen Situation zu entkommen.

So etwas ersetzt Autoren nicht – es geht ihnen zur Hand. Und ich sehe in meiner Branche jetzt schon die Kollegen punkten, die sich mit KI auseinandersetzen und die Möglichkeiten nutzen, statt sie zu verteufeln. It’s here to stay.

Aber KI ist mehr als ein Set an Tools. Mit MidJourney erstellte “Photos” erschaffen eine ganz eigene Realität. So hatte ich die KI mal spekulieren lassen, wie ein Superman-Kinofilm mit Rock Hudson in den 50ern hätte aussehen können:

Fakt ist: Als “glamour shot” ist dieses Fake-Foto kaum von einem echten Motiv zu unterscheiden. Ich habe es klar als KI öffentlich gemacht. Was aber, wenn ich tatsächlich in Foren und auf Filmwebseiten behauptet hätte, dass es sich bei dieser Aufnahme um eine kürzlich aufgetauchte Rarität von einem Testscreening handelt? Wenn ich eine Legende darum gestrickt hätte, warum es “kaum” Informationen zu dem (in der Frühphase abgebrochenen) Projekt gibt?

Hätte man mir geglaubt, wäre diese KI-Kreation als neue “Wahrheit” in die Geschichte Hollywoods aufgenommen worden. Weil etwas nicht wahr sein, sondern nur so empfunden werden muss.

Unwahrscheinlich, dass ich damit durchgekommen wäre? Der heutige Tag hat eine Art Gegenbeweis geliefert. Heute morgen teilte ein Freund auf Facebook dieses Plakatmotiv aus einer Gruppe namens “Top 80’s Games”:

Ein Fake, logo. Wenn da nicht eine durchaus plausible Erklärung wäre:

In 1981, Ivan Reitman’s ‘Ghostsmashers’ had nearly been completed when John Belushi unfortunately died and production was halted for a few months. When shooting resumed, Eddie Murphy, John Candy and Paul Reubens were unable to reprise their roles due to other contractual obligations (because of Beverly Hills Cop, Splash and Pee-Wee’s Big adventure respectively). Their roles were recast and the movie was finished as ‘#Ghostbusters’. Promotional materials have now surfaced from the vaults of Columbia Pictures.

Das ist zumindest für Laien oder Filmfans mit der Gnade der späten Geburt nicht so leicht zu widerlegen, zumal bekannt ist, dass Belushi und Murphy tatsächlich für den ursprünglichen Cast von GHOSTBUSTERS vorgesehen waren.

Der Beitrag hat bei “Top 80’s Games” 5000 Likes, fast 1000 Kommentare, und wurde bereits 2700 mal geteilt. Viele Kommentatoren sind begeistert, verlangen einen Release des “fast fertigen” Films und preisen die Entdeckung des Promo-Materials. Die Geschichte zieht Kreise.

I call bullshit.

Es ist nicht schwer, das Poster selbst als KI-Kreation zu durchschauen. Der verbundene Instagram-Account zeigt sogar in einem animierten GIF, wie die Artwork zusammengesetzt wurde. Dennoch schluckt ein großer Teil der Fans den Köder: “Klar, die Artwork ist nur stellvertretend zu sehen, aber die Story dahinter ist super spannend.”

Ist sie nicht. Weil sie so falsch ist wie die Artwork. GHOSTSMASHERS ist ein Projekt, das über die erste Drehbuchphase nie hinausgekommen ist. Es gab keinen festen Cast, keine Kostüme, schon gar keine Drehtage oder Spezialeffekte.

Wie bei vielen Hoaxes wird sich die Wahrheit deutlich langsamer verbreiten als das Märchen. Tausende Filmfans in aller Welt glauben nun, es habe eine mythische “erste Fassung” von GHOSTBUSTERS gegeben, der man als heiligem Gral hinterher hecheln kann. Wer davon weiß, beweist Expertenwissen – und es würde mich wundern, wenn nicht bald weitere “Details” dazu geschummelt werden.

Das verursacht für sich genommen keinen Schaden. Erstaunlich viele Leute glauben ja auch, es habe einen Fantasyfilm namens SHAZAAM mit dem Komiker Sinbad gegeben. Es sind sogar Ausschnitte aufgetaucht:

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Lustig, lustig. Damit geben wir allerdings den Anspruch auf, dass unser Wissen nicht nur über Hollywood, sondern über die gesamte Geschichte der Menschheit den tatsächlichen Ereignissen entsprechen muss. Die Diskussion ist so alt wie die Menschheit selbst (siehe “Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben”), aber mit KI wird die Geschichtsfälschung zum Kinderspiel.

Ich sage, GHOSTSMASHERS wurde nie gedreht. Tausende Leute auf Facebook sagen das Gegenteil. Haben die nicht alleine dadurch irgendwie Recht, dass sie in der Mehrheit sind? Was weiß der Dewi schon? Überhaupt – kann der Dewi beweisen, dass es KEINEN Rohschnitt von GHOSTSMASHERS irgendwo in den Archiven gibt? Na also.

Es gilt demnach: Wachsam bleiben. Nicht nur Quellen prüfen, sondern auch die innere Logik einer Information. Ein bisschen die bequeme Einstellung aufgeben, dass etwas wahr ist, bis es als unwahr widerlegt wird.

Here be dragons.



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DocAndy
DocAndy
4. August, 2023 17:38

Ich finde diesen Beitrag extrem interessant und extrem erschreckend zugleich. Gerade mit der Story “ist in irgendeinem Archiv gefunden worden blablabla” kann man sich ja so gut wie alles in Vergangenheit und Zukunft zusammenfantasieren. Aber wie ist die zu stoppen? Ich würde jetzt schon Geld wetten, dass demnächst “endlich” ein Film gefunden wird, der den Führer in seinem südamerikanischen Exil zeigt….ohgottohgottohgott…
BTW, Rock Hudson wäre sicher ein toller Superman gewesen!

Marko
4. August, 2023 17:56

Und dann setzt sich jemand mit einer KI hin und “macht” den Film dazu, und zack, “gibt” es den Film. Keine Ahnung, ob das jetzt schon möglich ist, aber lange wird auch das wohl nicht mehr dauern…

PabloD
PabloD
4. August, 2023 18:03

Die Büchse der Pandorra ist offen und es gibt kei zurück mehr.
Die obigen Beispiele in Verbindung mit Deepfake und anderen Technologien und Leuten wie Trump, Musk und deren Nachahmern lässt wirklich nur das Schlimmste für die Zukunft befürchten.

S-Man
S-Man
4. August, 2023 19:46

Es war schon immer so, dass der Beweis der Nichtexistenz schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, ist, als der Beweis der Existenz. Zahlreiche Mathematiker singen ein Lied davon. Seit… schon immer.

Brisanz hat das natürlich gerade im Zuge der FakeNews-Welle bekommen (“jaja, kannst du denn restlos beweisen, dass das Zeug uns in 5 Jahren nicht alle umbringt? siehste!”) und es ist schade, wenn auch nicht überraschend, dass die Welt es immernoch nicht gelernt hat.

S-Man
S-Man
4. August, 2023 19:55
Reply to  Torsten Dewi

Tz, wieder alles gedacht der Mann!

Nikolai
Nikolai
4. August, 2023 19:59
Reply to  S-Man

Existenzbehauptungen muss man belegen und nicht widerlegen. Wer verlangt, dass eine Nichtexistenz belegt wird hat sich selbst disqualifiziert.

Selle
Selle
5. August, 2023 11:47

Spannende Geschichte! Ich bin gespannt, was das Thema „digitale Provenienz“ so bringen wird. Analog zu mittelalterlichen Urkunden, die sich mit heutigem Wissen ebenfalls „leicht“ fälschen lassen aber von denen dann eine halbwegs geschlossene Besitzkette erwartet wird, um als authentisch anerkannt zu werden.

lostNerd
lostNerd
9. August, 2023 19:39
Reply to  Selle

Ist das wirklich so leicht? . Allein schon unbeschriebenes Pergament zu finden, das aus der richtigen Epoche stammt. Das fällt doch bestimmt auf, wenn man bereits beschriebenes Pergament abkratzt.

Enthielt Tinte im Mittelalter nicht auch organische Stoffe, deren Alter man mit der C14 Methode prüfen könnte?

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
8. August, 2023 10:26

Ghostsmashers Fake hat ja immerhin noch die Schöpfungshöhe erreicht. Wir reden von einer Welt, wo es genug Menschen gibt, die glauben, dass Hillary Clinton in nem Keller einer Pizzeria einen Kinderschänderring geführt hat

Frank
Frank
8. August, 2023 17:38

Es bleibt generell schwierig was den Einsatz von KI als Handwerkszeug anbelangt
>>>> https://www.heise.de/news/Dungeons-Dragons-Hasbro-verbietet-KI-Kunst-in-Artbooks-9236415.html

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
8. August, 2023 20:39
Reply to  Torsten Dewi

Naja, bei den World Books sind die Artworks noch immer einer der größten Kaufgründe, wer nur die Regeln oder die Geschichte will, kann sich auch das viel günstigere und handlichere PDF holen. Daher begrüße ich die Entscheidung. Anders siehts bei den von dir vorher schon erwähnten Groschenromanen aus, die eh nur Masse statt Klasse brauchen.
Ich sehe da eher andere praktische Einsatzmöglichkeiten wie zB beim Charaktererstellung an. Die war bisher immer arg von der eigenen Vorstellung begrenzt, es wäre schon cool da einen eigenen Charakter nach wirklich seinen eigenen Wünschen erstellen zu können.

Marko
8. August, 2023 21:06

Wir sind bei all dem erst ganz am Anfang. Kreativität ist nun mal keine nur dem Menschen vorbehaltene Eigenschaft, sie ist nur eine der letzten Bastionen, die fallen wird. Das muss man nicht gut finden, aber es leugnen bringt halt auch nichts.

Stefan
Stefan
9. August, 2023 10:00

Ich nutze Bild-KI sehr viel fürs Pen & Paper und die Qualität steht dem Artwork in vielen offiziellen Büchern in nichts nach. Von der Steuerbarkeit mal abgesehen, es kommt eben bis dato nicht unbedingt das heraus, was man möchte. Das würde in einer Publikation aber nicht einmal auffallen.

Bin da bei Torsten: Das wird sich ändern. Und zwar schneller als viele glauben. Artwork ist ein hoher Kostenfaktor in P&P-Werken und Wettbewerber, die auf AI umstellen werden einen schlicht einen wirtschaftlichen Vorteil haben. Sowas stürzt für gewöhnlich jeden Geschäftsethos schnell.

Dazu kommt, dass die Regeln vieler Verlage sehr schwammig KI im Allgemeinen verbieten, was schon bisher in der Realität gar nicht umsetzbar ist, weil Photoshop auch ohne Generative Fill bereits voll davon ist und Arbeit abnimmt. Was von Künstlern und Verlagen ja auch immer dankend angenommen wurde bis es nun den Job ersterer im Gesamten bedroht.