Tatort Trudering

Ich wohne bekanntermaßen in einem sehr ruhigen und entspannten Viertel am östlichen Rande Münchens. Ein paar hundert Meter weiter beginnt Haar, das ist die erste eigenständige Gemeinde außerhalb des Stadtgebiets. Der Verkehr in unserem Wohnviertel hält sich in Grenzen, es streunen haufenweise Katzen umher, Kinder bemalen die Straßen mit Kreide, man kennt seinen Amazon-Boten und es wird gegrillt. Sehr viel gegrillt.

Nun kam die LvA heute morgen von einem Termin heim und sagte zu mir: “Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Brötchen. Die schlechte: Jemand hat deinen Roller 30 Meter entfernt in eine Garageneinfahrt gestellt und es liegt ein Plastikteil daneben.”

Das lässt üblicherweise zwei Rückschlüsse zu: Jemand hat den Roller “umgestellt”, um sich einen Parkplatz freizumachen. Das ist in Trudering eher unwahrscheinlich, Parkplätze hat’s genug. Zweite Variante: Unfall. Jemand ist gegen den Roller gesemmelt oder hat sich besoffen darauf gesetzt, um eine zu rauchen – und dabei ist er umgekippt. Alles schon erlebt, wenn auch nicht in Trudering.

Könnte auch sein, dass die schweren Winde heute Nacht die Vespa umgeweht haben, aber das wäre eine Premiere. Die hat schon andere Sachen überstanden.

Aber warum den Roller dann von der Straße 30 Meter weit in eine Garageneinfahrt schieben? Das ist das Mystery des Tages.

Nach dem Frühstück gehe ich raus und schaue mir das an. Ich habe Panzertape und mein Handy dabei – dokumentieren und reparieren sind mein erster Instinkt.

Zuerst einmal: Der Roller steht. Er liegt nicht am Boden. Man hat ihn nicht achtlos umgeworfen und liegenlassen. Daneben: Das Frontschild mit den Luftschlitzen, hinter denen sich die Fahrzeugelektronik befindet. Es ist mittig gebrochen, der obere Teil hängt noch an der Schraube im Roller. Die legendäre kleine Piaggio-Plakette fehlt.

Zum besseren Verständnis – wir reden von diesem Teil:

Erste forensische Analyse: Da stimmt was nicht. Wenn der Roller umstürzt oder angefahren wird, werden ganz andere Teile beschädigt: Links und rechts der Lenker und die hinteren Abdeckungen, hinten das Nummernschild und die Reifenverkleidung, vorne Scheinwerfer und Vorderrad. Das Frontschild sollte in keinem Szenario außer Totalschaden kaputt gehen. Und wo ist die Plakette?

Ich setze das abgebrochene Stück Plastik wieder ein. Bis ich es mit Sekundenkleber repariere, wird das Panzertape gut halten. Dann der Test: Ich setze mich auf den Roller, stecke den Zündschlüssel rein und betätige den Starter.

Nichts tut sich. Der Roller ist tot.

Ich knurre vernehmlich, denke noch mal drüber nach. Vielleicht doch ein Sturz, bei dem die Vespa Schaden genommen hat? Dann kommt mir eine andere Idee: Hinter der Abdeckung, die ich gerade wieder aufgesetzt habe, befindet sich die Elektronik des Rollers. Ich entferne die Abdeckung erneut und schaue mit dem Blick eines Laien nach. Da ist ein mehrpoliger Stecker, der frei in der Luft baumelt, direkt neben einem Anschluss, der aussieht, als würde er dazu gehören.

Ich verbinde beides und komme mir vor wie ein Bombenexperte im Film.

Der Roller springt problemlos an. Ich setze die Abdeckung wieder auf, bringe frisches Panzertape an und fahren die Vespa vor unser Haus, wo sie hingehört.

Da steht sie nun, mit einem silbernen Pflaster auf der Nase:

Mittlerweile ist mir klar: Jemand hat letzte Nacht versucht, meinen Roller zu stehlen. Er hat die Vespa in die Garageneinfahrt des unbewohnten Hauses geschoben, um außer Sichtweite zu sein, die Plakette entfernt und die Abdeckung aufgebrochen. Am Versuch, die Elektronik des Rollers zu überlisten und ihn zu starten, ist der “Profi” aber augenscheinlich gescheitert. Oder er wurde gestört.

Diebestouren hier in Trudering. Gibt es, klar. Trotzdem bin ich rechtschaffen baff. Ein zwölf Jahre alter Roller mit deutlich Rost am Auspuff und vielen Kratzern ist doch wahrlich kein lohnendes Diebesgut. Die Indizien lassen aber kaum einen anderen Schluss zu.

Für mich bleibt nur die Frage, mit welchem Aufwand ich den Roller repariere. Die Abdeckung kostet je nach Hersteller und Zustand 35 bis 100 Euro. Das ist es mir nicht wert, da tut es auch der Sekundenkleber. Die Plakette kann ich für 6 Euro bei Ebay kaufen:

Vielleicht besorge ich mir auch ein große Metall-Emblem oder einen fetten Aufkleber, der die gesamte Breite des Plastikbruchs verdeckt. Mal schauen, was die Chinesen da anbieten.

Letztlich also alles ein Sturm im Wasserglas. Aber ich will nicht lügen: Ich bin beunruhigt. Es ist so etwas wie “das Ende der Unschuld”. Das Urvertrauen in die Sicherheit unserer Spießer-Siedlung ist weg. Ja, auch HIER wird geklaut. Man muss sich darauf einstellen. Man muss aufpassen.

Falls der Möchtegern-Dieb diesen Beitrag liest: Ich habe immer noch meinen Aluminium-Baseballschläger und kann den Stellplatz des Rollers von unserer Terrasse aus gut sehen. Wenn ich dich bei dem Versuch erwische, mir mein Eigentum zu klauen, greife ich nicht erstmal zum Telefon…