19
Jul 2023

Kino Kritik: OPPENHEIMER

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

USA 2023. Regie: Christopher Nolan. Darsteller: Cillian Murphy, David Krumholtz, Emily Blunt, Florence Pugh, Gary Oldman, Gustaf Skarsgård, Jack Quaid, James Remar, Josh Hartnett, Kenneth Branagh, Matt Damon, Matthew Modine, Olivia Thirlby, Rami Malek, Robert Downey Jr. u.a.

Story: J. Robert Oppenheimer ist ein brillanter Physiker und von den Koryphäen seiner Zeit geschätzt, aber er ist auch ein introvertierter, sperriger Charakter, dessen moralische und politische Maßstäbe kaum fassbar sind. Gegen viele Widerstände wird er zum Leiter des Manhattan Project, der Entwicklung der Atombombe. Der Weg zum ersten erfolgreichen Test ist lang und nicht nur von technischen, sondern auch von administrativen Stolperfallen geprägt. Als die Nazis kapitulieren, stellt sich schnell die Frage, ob die Welt eine neue Superwaffe überhaupt braucht oder ob man hier einen Geist aus der Flasche lässt, der sich nicht wieder einfangen lässt.

Kritik: Ich bin mit der Geschichte von J. Robert Oppenheimer dahingehend vertraut, dass ich mich noch gut an die Miniserie von 1980 erinnern kann, die das Thema sehr konventionell und im Stil ihrer Zeit anging:

Dass sich ausgerechnet Christopher Nolan der Biografie des eigenbrötlerischen Wissenschaftlers angenommen hat, mag im ersten Augenblick verwundern – aber Nolan hat längst den Status eines “Superregisseurs” erreicht (siehe Spielberg, Cameron, Eastwood), der es ihm erlaubt, Projekte nicht mehr rein nach dem Blockbuster-Potenzial auszusuchen.

Da man über die “Story” des Films kaum diskutieren kann (it is what it is), rückten im Vorfeld mal wieder die technischen Details in den Vordergrund: gedreht mit IMAX-Kameras, am besten in 70mm genossen – und womöglich eine echte Atombombenexplosion statt aufwändiger CGI (was sich aber – glücklicherweise – als Ente entpuppte). Nolas is as Nolan does. Man kann diese Beharrung auf die klassische Kino-Technik ehrenhaft oder verschroben finden. Ich bin hin- und hergerissen: Tatsächlich zeigte das Screening in einem der größten deutschen Kinos, dass unsere Sehgewohnheiten dem Analogen entwachsen – die Bilder wirken vertraut oldschool, aber auch leicht zitterig und unscharf. Den weitgehenden Verzicht auf das Digitale bei den Effekten sehe ich hingegen als Vorteil: Nolan vertraut der Kraft der Darsteller und der Erzählung, statt auf eine Überrumpelung des Zuschauers mit übermächtigen Schauwerten zu setzen.

Das ist umso wichtiger, da Nolan dem Zuschauer in drei Stunden einiges abverlangt: Verschiedene Zeitebenen und Perspektiven werden parallel erzählt, teilweise nur in Splittern, die üblichen Einblendungen von Zeit und Ort bleiben außen vor, ebenso Erklärungen zu den Figuren und ihren Funktionen. OPPENHEIMER ist ein Film, der auf alle Konventionen des Biopics verzichtet und erwartet, dass der Zuschauer konzentriert die Teile aufgreift, bis sie das große Bild ergeben. Kino für Fortgeschrittene.

Wer sich auf das Wagnis einlässt, wird durchaus belohnt: OPPENHEIMER gelingt es, obwohl er auf großes Pathos oder moralinsaure Monologe verzichtet, über die Biografie des Physikers hinaus die großen Fragen der Wissenschaft anzusprechen. Sollten wir, was wir können? Müssen wir, was wir sollen? So ist die Entwicklung der Atombombe mit ähnlichen Experimenten der Deutschen und der Sowjets keine Frage des “ob” – sondern des “wer zuerst?”. Und allen Beteiligten ist durchaus bewusst, dass die Waffe mehr darstellt als eine Chance zur Beendigung des Weltkriegs. Sie ist die ultimative Eskalation, die erstmalige Möglichkeit zur Vernichtung der Menschheit – und damit ein Paradigmenwechsel, der u.a. zum Kalten Krieg führen wird. Sind nicht die Toten von Hiroshima und Nagasaki der Preis der Bombe – sondern die Existenz der Bombe selbst?

Das ist – großes Kino. Plain and simple. Nolan ist ein Meister seines Fachs, sein Drehbuch weiß immer genau, wie wenig es erzählen muss, um genug zu erzählen. Die Dialoge sind geschliffen, keine Szene dauert auch nur einen Frame zu lang. Sind wir anfänglich noch verwirrt, auch weil Nolan nicht an der Herkunft oder dem Innenleben von Oppenheimer interessiert ist, so spinnt der Film sein narratives Netz doch verführerisch dicht. Er findet die “natürliche Spannung” der Geschichte und greift nie auf Storytelling-Klischees zurück (Liebesgeschichte, Antagonist, Twist).

Es wundert nicht, dass sich bei so einem anspruchsvollen Werk die besten Schauspieler die Klinke in die Hand geben – was für eine Abwechslung zum üblichen Blockbuster-Gedöns! Selbst mit nur zwei, drei Zeilen können diverse Darsteller hier mehr glänzen als vor den Greenscreens der Disney-Maschine. Wer vergessen hat, was für großartige Schauspieler Cillian Murphy. Robert Downey Jr., Gary Oldman und Rami Malek sind, der kann sich hier daran erinnern lassen. Besonders hervorheben möchte ich Josh Hartnett, dessen Rückkehr nach Hollywood so verspätet wie verdient ist.

Einziger (kleiner) Fehlgriff in meinen Augen: Die Szenen zwischen Murphy und Pugh. Versteht mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen Brüste. Auch nichts gegen die Brüste von Florence Pugh. Florence Pugh hat schöne Brüste. Ich kann mir gut vorstellen, wie Nolan die Brüste von Florence Pugh als “für die Charakterisierung der Figur notwendig” erklärt. Aber ich merke mit zunehmendem Alter auch, dass man die Frau nicht immer entblößen muss, als ginge es im wahrsten Sinne um eine Fleischbeschau. Gerade ein Film wie OPPENHEIMER hat das nicht nötig.

Als Oppenheimer in den 20er Jahren auf den Deutschen Werner Heisenberg trifft, hörte ich mich murmeln “bitte nicht Schweighöfer, bitte nicht Schweighöfer, bitte nicht Schweighöfer”. Und es ist… the inevitable Schweighöfer.

Davon abgesehen: großes Kino, ich sagte es schon. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob es jede erzählerische Spielerei wirklich braucht und ob Nolan hier absichtlich überinszeniert, weil er eitel und unkontrolliert arbeitet. Es ist eine philosophische Frage ganz im Sinne des Films: muss man alles tun, nur weil man es kann? Aber es ist letztlich auch eine Non-Frage, solange das Ergebnis so vollumfänglich überzeugt.

Ich habe bei MISSION: IMPOSSIBLE bereits geschrieben, dass es um die Zukunft Hollywoods geht. Hat der Blockbuster noch eine Lebensberechtigung oder wird er sich künftig sein Zuhause bei Netflix und Amazon suchen müssen? OPPENHEIMER stellt die gleiche Frage für das anspruchsvolle historische Drama – braucht das noch wer oder kann das weg? Gibt es eine ausreichende Zielgruppe abseits der hyperaktiven Teenager, die so einen Film in die schwarzen Zahlen bringen kann? Ist das Thema nur für die Amerikaner interessant oder zieht der Weltmarkt mit? Ist das hier eine glorreiche letzte Rakete des abklingenden Feuerwerks Traumfabrik?

Die nächsten Wochen werden es zeigen.

Fazit: Zweifellos ein komplexes, erwachsenes Meisterwerk im Genre des Biopics von einem Meister der filmischen Erzählkunst – ob sich allerdings für ein dreistündiges Historiendrama von hoher moralischer Ambivalenz ein Publikum findet, wird abzuwarten sein.

P.S.: Dass der Verleih OPPENHEIMER ernst nimmt, sieht man auch daran, dass es tatsächlich mal wieder ein ausführlichen und auf Deutsch übersetztes Presseheft gibt. Wer also mehr Infos über die Produktion des Films sucht, als ich an dieser Stelle geben kann, der klicke auf diesen Link.

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Zeddi
Zeddi
19. Juli, 2023 18:38

In meinem bekanntenkreis (wir sind so um die 40) wird es – zusammen mit Barbie – unglaublich gehypt, ich bin mir selbst nicht sicher ob ich es unbedingt im Kino schauen muss

heino
heino
20. Juli, 2023 06:34

Ich fremdle mit Nolan seit “Interstellar” und “The dark knight rises”. Für mich hatte er seinen erzählerischen Höhepunkt mit “The Prestige” erreicht, danach hatte ich den Eindruck, dass er seine eigenen Ansprüche nicht mehr erfüllen konnte. Trotzdem würde ich mir “Oppenheimer” ansehen, alleine schon, weil es zur Zeit einfach nicht viele Alternativen im Kino gibt. Aber 3 Stunden sind schon echt eine Hausnummer, da bleibt eigentlich nur das Wochenende als Möglichkeit

Nikolai
Nikolai
20. Juli, 2023 12:19

“Und es ist… the inevitable Schweighöfer.”
Und wie gut hat der Bub nun geschauspielt? Ist es einfach Schweighöfer oder kann er auch was Anderes?

Marcus
Marcus
21. Juli, 2023 15:50
Reply to  Nikolai

Er hat keine zwei Minuten Screentime und daher kaum Gelegenheit, zu glänzen oder zu stören.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
4. August, 2023 10:24
Reply to  Nikolai

War ja abzusehen, zum Glück warens ja nur paar Sekunden. Und er wird ja auch als negative Rolle etabliert (“wieso wollen sie in die USA?”)
Mich persönlich hat Kenneth Branagh überrascht, der sich hier bei der Darstellung von Niels Bohr eindeutig an Werner Herzog orientiert hatte.

Kai
Kai
20. Juli, 2023 14:49

“bitte nicht Schweighöfer, bitte nicht Schweighöfer….” dann wäre es stattdessen eben Daniel Brühl gewesen. 😀

jimmy1138
jimmy1138
20. Juli, 2023 19:29
Reply to  Kai

Im Hollywood-Rolodex sind mMn pro Land gefühlt immer nur so maximal 2-3 Schauspieler drinnen.
Für Deutschland eben Waltz, Brühl und Schweighöfer (eventuell Kretschmann für 2. WK Rollen), für Frankreich Jean Reno und Vincent Cassel, für Japan Hiroyuki Sanada und Ken Watanabe.

Lt. Wikipedia hat Oppenheimer 100 Mio $ gekostet – im modernen Blockbusterbereich ist das vergleichsweise fast schon “wenig”. Boxoffice Pro sagt ein Startwochenende von 65 Mio $ voraus, Daumen mal Pi werden das dann 150-200 Mio $ in den USA. Ich lehne mich aus dem Fenster – das wird kein Verlust für Universal.

Zur Entwicklung der Atombombe gab es auch noch “Fat Man and Little Boy”. Der große Star war damals aber Paul Newman als zuständiger General (im Nolan Film gespielt von Matt Damon), Oppenheimer wurde von Dwight Schulz, dem “Murdock” ausm A-Team gespielt…

DJ Doena
21. Juli, 2023 20:47
Reply to  jimmy1138

Du sagst, er hat 100 Mio gekostet. Lass uns mal richtig richtig sparsam sein bei der Promo und nur 30 Mio ausgeben. D.h. er muss nach altbekannter Rechnung 260 Mio einspielen, nur um ein Nullsummenspiel zu sein. Wenn du 200 Mio für die USA ansetzt und vielleicht noch mal dasselbe weltweit reinkommt, dann hat der Film 140 Mio Profit gemacht auf 130 Mio Einsatz. Ja, das ist nicht nichts, aber auf der anderen Seite erhofft man sich bei so großen Beträgen auch etwas mehr für seinen eingesetzten Dollar.

Edin Basic
Edin Basic
20. Juli, 2023 19:50

Sind die Brüste von Emily Blunt auch zu sehen.
Falls die Antwort positiv ist,kann mich nichts am Kinobesuch aufhalten.
Spass beiseite.Ich bin total gehyped.
War schon frustriert wg.dem Totalverriss von Tobias Kniebe in der SZ.

Vader Ryderwood
Vader Ryderwood
20. Juli, 2023 23:01

Die vier Namen, die du aufzähltest, reichen aus, dass ich mir diesen Film ansehen werde. Egal, ob mich das Thema interessiert oder nicht.

gerrit
gerrit
21. Juli, 2023 01:55

Genau so. Und wenn es in die Geschichte passt, dürfen die sich alle an die Wäsche.

gerrit
gerrit
3. August, 2023 01:00
Reply to  gerrit

Nachtrag: Vorstellung an einem Sonntagnachmittag, Original ohne Untertitel, war fast ausverkauft. Das erste Mal seit Silence of the lambs, dass ein Film die 5 wichtigsten Oscars gewinnen wird .

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
21. Juli, 2023 14:26

Kommt auch ein Review zu „Barbie“ ;)?
Dann steht dem Double-Feature nichts mehr im Weg.

Marcus
Marcus
21. Juli, 2023 15:42

Toll, natürlich. Beim Trinity-Test hätte man im fast ausverkauften Kinosaal ne Stecknadel fallen hören können.

Und der Mann heißt J. Robert, nicht Robert J . Ts, ts, ts. ☝️🤓