08
Dez 2023

Von der Wiege bis zur Bahre: digitale Formulare

Themen: Neues |

Vorbereitend kann ich die Lektüre dieses Beitrags von vor 12 Jahren empfehlen, in dem ich von meinen Versuchen, die Online-Funktion des Personalausweises zu nutzen, berichtet habe. Das hier geht in die gleiche Richtung.

That being said…

Neulich machte ich einen blöden Fehler. Ich wollte mal den Stand meiner Rente checken. Den bekomme ich zwar alljährlich zugeschickt, aber aus Gründen war mir daran gelegen, es tagesgenau zu wissen. Ist ja auch kein Problem – mittlerweile haben die das Portal der Deutschen Rentenversicherung kundenfreundlich ausgebaut, da kann man das nach einem Login stressfrei abrufen.

Dachte ich.

Zuerst einmal werde ich mit der Nachricht begrüßt, dass man die gesamte digitale Verwaltung neu gestaltet habe und ich mich neu registrieren müsse. Nicht anmelden, wohlgemerkt – komplett neu registrieren. Dazu braucht es den Personalausweis mit Online-Funktion und die AusweisApp in der jeweils neusten Version auf dem Rechner UND auf dem Smartphone.

Habe ich alles.

Beim Versuch der Registrierung scheitere ich allerdings schon das erste Mal. Das System möchte ein Login-Passwort, das ich vermutlich irgendwann mal angelegt habe, das aber gegen alle Logik nicht in meinem Passwortmanager gespeichert ist. Ich brauche also ein neues Passwort. Das geht nur postalisch und damit ist der ganze Vorgang schon mal für drei Tage auf Eis.

Nachdem ich das neue Passwort aus dem Briefkasten gefischt habe, versuche ich es frohgemut erneut. Schon der Einstieg zur Registrierung ist nicht gerade selbsterklärend:

Egal, da beiße ich mich jetzt durch. Zuerst einmal müssen allerdings beide Versionen der AusweisApp aktualisiert werden und dann muss ich mich in der AusweisApp auf dem Smartphone auch noch autorisieren. Wie hieß das bei RTL2?

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Es zieht sich. Ich stelle fest, dass ich jedes Mal die NFC-Funktion meines iPhones neu aktivieren muss. Gesagt, getan. Dann bricht die Verbindung ab. Lesefehler, Kommunikationsfehler, Ausweis nicht erkannt. Nach ungefähr einem Dutzend exakt gleicher Versuche verspricht die App endlich, einsatzfähig zu sein.

Ich klicke auf der Webseite an, dass ich mich mit meinem Ausweis identifizieren möchte. Dazu öffnet die Webseite die AusweisApp auf meinem Macbook. Nächste Sackgasse. Was nämlich nicht kommuniziert wird, ist die Tatsache, dass iPhone und Macbook über die AusweisApp gekoppelt sein müssen. Mit ein bisschen Fummelei bekomme ich auch das hin.

Wenn ich den digitalen Marsch durch die Institutionen richtig verstehe, fragt nun die Webseite bei der AusweisApp auf dem Macbook nach, ob ich mich in der AusweisApp auf dem iPhone mit meinem Ausweis identifiziert habe.

Das kann, das muss einfacher gehen. Ich verstehe den Wunsch der Behörde, sensible Daten nicht voreilig freizugeben, aber das hier ist albern kompliziert. Und auch kompliziert ist nur gerechtfertigt, wenn es an Ende funktioniert.

Es funktioniert aber nicht.

Als vermeldet wird, dass die Authentifizierung geklappt hat, bricht die gesamte Webseite der Rentenversicherung mit einer Fehlermeldung zusammen. Server-Probleme. Versuchen Sie es bitte ein andermal.

Ein andermal kommt zwei Tage später, als ich mich nervlich stark genug fühle, es erneut zu probieren. Dafür muss ich mich natürlich wieder durch das ganze Prozedere mit iPhone und Ausweis kämpfen. Was erst dann funktioniert, als ich feststelle, dass die Kopplung zwischen Macbook und iPhone zwar angezeigt wird, aber nicht mehr greift. Ich muss sie komplett neu anlegen.

Dann aber, dann! Webseite funkt App an, App funkt iPhone an, iPhone funkt Ausweis an – Freigabe! Es öffnet sich meine Profilseite bei der Rentenversicherung mit der Meldung:

“Sie sind angemeldet als”

Kein Name. Kein Profil. Alle Datensätze, die ich anklicken kann, sind leer. Die Webseite hat nichts übernommen, nichts bereitgestellt. Meine digitale Akte ist nicht leer – es gibt sie schlicht nicht. Ich stehe vor einem leeren Aktenschrank.

Australische Entspannung. Australische Entspannung. Australische Entspannung.

Als ich mich bemüht unaufgeregt ausloggen will, poppt ein Fenster auf – ob ich an einer kurzen Online-Umfrage teilnehmen will, um meine Meinung über das neue Kundenportal der Rentenversicherung kund zu tun?

Und ob ich das will.

Mehrere Fragen erscheinen auf dem Bildschirm, bei denen ich Noten vergeben soll. Ich vergebe ausschließlich 6. Das scheint den Algorithmus schon vor der Analyse zu verstören, denn auf einmal:

Systemfehler, Abbruch. So genau will man meine Meinung doch nicht wissen.

Ich bin – wie so oft – rechtschaffen fassungslos. Mal abgesehen davon, dass ich von einer Behörde vielleicht keine Nutzerfreundlichkeit erwarte, so erwarte ich zumindest Stabilität bei der Software. Hier geht es nicht um den Kauf von Konzertkarten, sondern um meine Rente. Die will ich so sicher wissen wie die Daten, die dazu gehören. Permanente Abstürze und willkürliche Abbrüche ohne jede Erklärung oder Entschuldigung sind nicht akzeptabel.

Ich werfe auch gerne mal wieder die Frage in den Raum, wie Menschen damit umgehen sollen, die digital nicht so bewandert und hartnäckig sind? Die Digitalisierung des Apparats soll ihn doch leichter und nicht unbenutzbar machen!

Ich lasse die Sache wieder zwei Tage auf sich beruhen, dann versuche ich es erneut. Mama raised no coward. Und siehe da – auf einmal klappt es. Ich kann drei PDF-Dateien herunterladen, die mir einen kompletten Überblick geben:

Die Datensätze kommen sofort in meinen eigenen digitalen Aktenschrank – auf den ist Verlass, in dem kenne ich mich aus, für den brauche ich keinen Ausweis.

Angesichts der Masse an Störungen, Abbrüchen, Fehlermeldungen und digitalen Sackgassen darf ich den den Werbespruch der Deutschen Rentenversicherung sicher unter Sarkasmus verbuchen:



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Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
8. Dezember, 2023 10:01

Es ist traurig zu sehen, wie mies unsere IT ist. Ich frage mich, ob es nur daran liegt, dass einfach nur mies bezahlt wird (meines Wissens im Durchschnitt nicht toll, aber auch nicht abgrundtief mies) oder einfach absolute Inkompetenz in den führenden Positionen ist. Vermutlich eher letzteres mit nem Mix aus Unterbezahlung.

Stephan
Stephan
8. Dezember, 2023 10:59
Reply to  Torsten Dewi

Ich werfe noch die seit Jahren gehende Posse zum beA ein – was an sich eine tolle Sache sein könnte, hatte sich durch geradezu irrwitzige Inkompetenz und abstrus weltfremde Vorgaben der Politik zu einem Rohrkrepierer ohne gleichen entwickelt. Jetzt läuft es halbwegs, das Geld und die Zeit, die dort hinein geflossen sind, hätte die Justiz an anderen Stellen weiß Gott besser gebrauchen können.

Sehr schön auch die Office-Posse der Münchner Verwaltung. Aus lächerlichen politischen Gründen wollte man von Microsoft weg (ich verstehe bis heute nicht, warum für manche Apple der Heilsbringer, MS aber Lord Voldemort ist…) und hat über ein Jahrzehnt die Mitarbeiter gequält und Geld raus geworfen. Bis man reumütig zu MS zurückgekehrt ist, weils halt einfach funktioniert. Jeder kennt Word. Jeder kann Word.

Ohne die (vielen) anekdotischen Beispiele überbewerten zu wollen, erscheint mir das alles ein Symptom eines ganz seltsamen, kollektivistischen, “deutschen” Gerechtigkeitsempfindens zu sein – lieber gibt man das zehnfache für etwas aus, das nicht funktioniert, als einem Unternehmer zu gönnen einfach mal richtig Kohle zu machen, mit einem Produkt, das dann aber auch funktioniert. Hauptsache keiner kriegt zu viel.

Wenn man sich anschaut, wie weit uns Länder, über die man in Deutschland noch vor zehn Jahren nicht mal müde gelächelt hätte, mittlerweile voraus sind, kann man für die digitale Zukunft nur schwarz sehen. Aber es braucht ja nicht an jeder Milchkanne 5G – wenn Du solche Politiker hast, brauchst Du Dich auch nicht mehr zu wundern.

Stephan
Stephan
8. Dezember, 2023 12:19
Reply to  Torsten Dewi

Gescheitert ist das m.E. primär daran, dass man aus politischen Gründen etwas oktroyieren wollte, was weder ausgereift, noch von den Betroffenen gewollt war. Ich bleibe dabei, dass hier sinnlos Ressourcen allokiert wurden, die woanders besser aufgehoben gewesen wären.

Aber Ich denke wir können hier übereinstimmen, nicht übereinzustimmen. Das ist ja einer der Gründe, warum ich Deine Sachen lese – Du bist einer der weniger in meiner sog. Blase, der häufig Auffassungen vertritt, die konträr zu meinen eigenen sind.

Stephan
Stephan
8. Dezember, 2023 15:58
Reply to  Torsten Dewi

Gewollt hat das m.E. nur eine Minderheit von Politikern (seien wir ehrlich, den allermeisten egal welcher Couleur dürfte das völlig egal bzw. nicht verständlich gewesen sein).
Dem Bürger war (und ist) es grundsätzlich egal, der will dass die Verwaltung funktioniert und dabei möglichst wenig Geld kostet (jedenfalls geht es mir als Bürger so, ich glaube damit aber für eine absolute Mehrheit zu sprechen).
Und die Verwaltung wollte es tatsächlich nicht, weil es ihnen Arbeit gemacht und keinen Mehrwert gebracht hat. Das kann ich durchaus verstehen.

Anekdotische Evidenz mit einem Augenzwinkern: Wenn man die Verwaltung mal von innen gesehen hat, weiß man dass der dort Tätige eher nicht zu den Innovationsmonstern gehören wird. Mich jedenfalls haben die Erfahrungen ganz schnell davon geheilt, eine Karriere im Höheren Dienst anzustreben…

S-Man
S-Man
8. Dezember, 2023 10:19

Da ich ein wenig Einblick in die Softwareentwicklung des Gebäudes neben meiner Arbeitsstelle habe (es ist das Gebäude der Bundesdruckerei, die genau diese Art von Software verbrochen hat), muss ich leider sagen:

Sehr erwartbare Berichte (beide).

Dennoch traurig, dass die Erwartungen mal wieder bestätigt wurden.

Maximilian Frömter
Maximilian Frömter
8. Dezember, 2023 11:13

Und wahrscheinlich hätten die absurden Summen, die der Bund für diese Schrottsoftware ausgegeben hat, für mehrere AAA-Spiele ausgereicht. Da werden ja schon für die Erstellung simpler Websites gerne Millionenbeträge investiert.
Davon abgesehen hatte ich letztens ein tolles Behörden-Erlebnis: Ich hatte bei der Zulassungsstelle ein neues Autonummernschild bestellt. Dieses wurde in einem Karton angeliefert, der durch das einfache Umklappen einer Lasche sofort für den Rückversand des alten Schildes verwendet werden konnte – adressiert, vorfrankiert und mit Klebestreifen. Hab mich echt darüber gefreut, da hatte mal wirklich jemand mitgedacht, um es der Kundschaft möglichst angenehm und einfach zu machen. So sollte es eigentlich immer sein.

Rainer
Rainer
8. Dezember, 2023 15:49

Gibt auch in Österreich ähnliches. Da wurde die gut funktionierende Handysignatur durch die “ID Austria” abgelöst.

Zuvor war es möglich die 2 Faktor Authentifizierung durch SMS durchzuführen, jetzt muss es natürlich eine App sein. Und natürlich geht nur Android oder Ios, schon wenn man das eigene Telefon gerootet hat oder eine freie Software wie Lineage darauf installiert hat, ist Sense mit der App.

Mag zwar ein Nerd Problem sein, finde aber doch das eine staatliche App sich nicht so an Us Konzerne ketten sollte.

https://www.derstandard.at/story/3000000198282/user-berichten-von-problemen-beim-umstieg-auf-die-id-austria