17
Dez 2023

Fernweh im Kinosaal

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

An manche Filme erinnert man sich, obwohl man sie nie gesehen hat. Klingt komisch, ist aber so.

Ich habe vor mittlerweile 14 Jahre eine ganz persönliche Spurensuche über die Kinokultur Düsseldorfs geschrieben. In der kam auch die LICHTBURG vor, ein Kino auf der Königsallee, das nur knapp vor dem 100jährigen Jubiläum dicht gemacht wurde. Erfreulicherweise gibt es zum Gedenken bis heute eine Webseite.

In der Lichtburg lief – an den Wochenenden, wenn ich mich recht erinnere -, ein Dokumentarfilm im Dauerprogramm. Ich weiß nicht, wie oft ich vor dem exotischen Plakat stand und davon träumte, mir das einmal anzusehen. Heute weiß ich nicht mehr, ob es dieses Plakat war (vermutlich nicht):

Laut des “Personenlexikons des Films” handelte es sich bei PANAMERICANA – TRAUMSTRASSE DER WELT um “einen der meist beachteten Reisefilme des frühen Nachkriegsdeutschlands”. Tatsächlich wurde die zweiteilige, ab 1968 auch als Zusammenschnitt einteilig präsentierte Dokumentation 1958 gedreht und konnte diverse Preise einheimsen.

Inhaltlich geht es um die Panamericana, eine (fast) von Alaska bis Feuerland reichende Kombination von Straßen, die in den 20er bis 40er Jahren erbaut wurde und über die 25.000 Kilometer lange Strecke vielfältige Einblicke in die Kulturen der amerikanischen Kontinente erlaubt.

Wie gesagt, die Erinnerung kann trüben, aber ich denke, dass PANAMERICANA meine gesamte Kindheit über in der Lichtburg lief. Freunde erzählten, dass die Kopie am Ende so ausgelutscht war, dass Tonaussetzer und Filmrisse eher die Regel als die Ausnahme waren.

Da man mit zunehmenden Alter auch zunehmend nostalgisch wird, entschloss ich mich vor ein paar Wochen, den Film mal zu recherchieren – zu meiner Freude findet man bei YouTube tatsächlich eine Fassung, die wohl mal auf Phoenix lief. An einem kuscheligen Adventsabend haben die LvA und ich ein ganz privates Screening mit Katzen & Keksen organisiert:

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Mit 50 Jahren Verspätung nun also – meine Meinung dazu.

Natürlich kann man diese Art von Dokumentation veraltet finden, schließlich hat PANAMERICANA schon 65 Jahre auf dem Buckel. Das Bild ist nicht kristallklar, Erzähler Richard Münch teilweise sehr oberlehrerhaft, und auf Dynamik und Spektakel hin ist das auch nicht inszeniert. Mehr noch: viele der gezeigten Gegenden und Städte gibt es SO gar nicht mehr.

Alles ist arg stoffelig und manchmal sogar ein wenig chauvinistisch. Der Blick ist immer kolonialistisch distanziert, Menschen interessieren weniger als Landschaften, dem Fortschritt wird mehr Raum gegeben als der Tradition. Nichts wird entdeckt, nichts kritisiert oder in Kontext gesetzt. Wir schauen einer zweistündigen Präsentation von Postkarten-Aufnahmen zu.

Ich sehe das allerdings als Mehrwert. Das Alter macht PANAMERICANA nämlich auch zu einem faszinierenden Rückblick, einer historischen Bestandsaufnahme nicht nur der amerikanischen Kontinente, sondern auch der Art, wie man damals Reisedokumentationen präsentierte. Man hatte immer im Auge, dass man für ein Publikum produzierte, das diese Orte vermutlich nie selber sehen würde. Es gab eine Verantwortung für den leicht verdaulichen Überblick, der Schulklassen genauso begeistern sollte wie kulturell interessierte Familien. Ein Schaufenster in die Welt, wie man damals vielleicht gesagt hätte.

Heute fasziniert, wie unfertig die Länder um die Panamericana herum wirkten. Bei den Cowboy-Vorführungen aus den USA kann man spüren, dass die ältesten Teilnehmer den Wilden Westen noch selbst erlebt hatten. Mittelamerika ist noch nicht von Bürgerkriegen und Militärputschen zerrissen, sondern eine Art Hinterhof Nordamerikas, an dessen “Zivilisierung” man fleißig arbeitet.

Weites Land.

Klar gibt es heute spannendere und aufwändiger gedrehte Dokumentationen über Nord- und Südamerika. Drohnen, Digitalkameras und ein generell besserer Zugang zu den Drehorten machen es möglich. Jedes einzelne Land ist schließlich eigene Dokumentationen wert – und hat sie bekommen.

Aber PANAMERICANA hat für mich an Faszination über die Jahrzehnte nicht verloren, sondern gewonnen, weil diese “Reisereportage” zwar von Amerika erzählt, aber viel über das Nachkriegsdeutschland aussagt. Sie ist ein Kind der Generation, die nach dem Größenwahn des Dritten Reiches von den Siegern die Neugier auf die Welt neu lernte. Unsere Faszination für Amerika, die in den letzten Jahren stark gelitten hat, ist hier noch frisch und stark.

Eine Traumstraße, fürwahr.

 



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Walter K. aus H.
Walter K. aus H.
18. Dezember, 2023 09:21

Oh, danke für den Erinnerungsflash.

Donnerstags (oder Mittwochs?) in der Rheinischen Pest immer die Kinoanzeigen, mit den Konstanten Rocky Horror Picture Show im Bambi und der Panamerica Sonntags um 11 in der Lichtburg.
Dort nie gesehen (weil keine Monster), inzwischen vergessen. Und jetzt dank des Exildüsseldorfers werde ich sie anschauen.

Danke, Dewi!

Martin Däniken
Martin Däniken
5. Januar, 2024 12:16

Nicht nach gegoogelt: ich erinnere mich den Film sonntags im ZDF in der Matinee gesehen zu Ende 70er Jahre vorm Mittagessen, meine ich.
12.00hr gabs Mittach!
Dann war Schluss mit dem Glotzophon!!