Hasst Deutschland lustige Frauen? Nein, aber miesen "Journalismus"
Themen: Film, TV & Presse |Ich habe langsam das Gefühl, mich präventiv verteidigen zu müssen, weil ich schon wieder ein Meinungsstück einer weiblichen SPIEGEL-Autorin hart angehen werde. Das hat weder was mit Antifeminismus noch mit einer Anti-SPIEGEL-Agenda zu tun. Ich kommentiere lediglich Beiträge, die mir als besonders hanebüchen auffallen. Dass die vermehrt im SPIEGEL auftauchen und überproportional von Frauen geschrieben werden, ist ein Problem, mit dem nicht ich, sondern der SPIEGEL sich vielleicht mal auseinandersetzen sollte…
Es fängt schon mit der völlig überblasenen Überschrift "Hasst Deutschland lustige Frauen?" an. Polemik, sicherlich, aber eben auch doof und unnötig konfrontativ – Maria Herbst möchte eine Lanze für die Comedienne brechen, da ist es nicht förderlich, erstmal wieder gegen ganz Deutschland zu treten. Ich möchte auch bestreiten, dass dieses "Deutschland" überhaupt etwas hassen kann. Hassen nicht eher die Deutschen? Hassen in diesem Fall nicht nur die TV-Zuschauer? Und von denen tendenziell eher die Männer? Ist es überhaupt "Hass"? Ich versuche mal, das aufzudröseln.
Der Late-Night-Talker James Corden hat gerade seine Nachfolgerin Taylor Tomlinson verkündet.
Boah, ist das falsch, und gleich auf mehreren Ebenen!
Fangen wir damit an, dass nicht James Corden Taylor Tomlinson "verkündet" hat – wobei der bessere Begriff sicher "vorgestellt" wäre. Es war Stephen Colbert, der im Artikel auch zu sehen ist. Hintergrund: Colbert produziert Tomlinsons Sendung, die seiner eigenen Late Night Show folgen wird.
Tomlinson ist auch deshalb nicht Cordens Nachfolgerin, weil ihre Show keine Late Night Show ist, solange man den Begriff nicht (plausibel, aber falsch) als schnöde Spätabendsendung definiert. "After Midnight" wird aller Voraussicht ein launiger Mix aus Gameshow und Promi-Geplapper werden wie die Vorlage "@midnight". Die Ära der klassischen Late Night Shows à la Craig Ferguson und Conan O’Brien, besonders auf den späten Sendeplätzen, gilt als vorbei.
Auch in Deutschland gibt es weibliche Comedians – wie Carolin Kebekus. Hier geht man jedoch anders mit ihnen um.
Harter Richtungswechsel und es wird sich schnell herausstellen – gewollt. Maria Herbst schert weder das Thema Late Night Show noch der US-Markt. Wäre das anders, dann wüsste sie, dass Tomlinson keine Late Night Show übernimmt, tägliche Late Night Shows immer noch klassische Männer-Domänen sind, und die wenigen Versuche in dieser Richtung nicht sehr langlebig waren. Aber das zu berücksichtigen würde ja den schönen Einstieg versauen, dass Amerika es wieder mal besser macht als Deutschland.
Maria Herbst möchte also über die unfaire Behandlung von Caroline Kebekus reden. Die unfaire Behandlung der aktuell erfolgreichsten deutschen Komikerin, die diverse eigene Sendungen bespielt, riesige Säle füllt, und dann und wann sogar in den Charts auftaucht:
Ich ahne, dass hier wieder ein Thema gekaut werden soll, das keins ist – und die Begründungen und Belege schmerzhaft werden. Aber ich kann mich auch irren!
Ich kürze das Narrativ mal so wenig sinnentstellend wie möglich.
Jetzt ist Kebekus mit 43 schwanger und berichtete in ihrer aktuellen Sendung von ihrem Auftritt bei der »XXL Comedy-Nacht«. (…) Man sollte meinen, ein Grund zum Applaudieren.
Dass Kebekus in einer Comedy-Show hochschwanger sich selbst und andere werdende Mütter auf die Schippe genommen hat, ist per se kein "Grund zum Applaudieren". Lustig muss es halt schon noch sein.
Es bilde sich jeder seine eigene Meinung:
Was ist das Problem?
Doch in ihrer Sendung erzählte sie von den Kommentaren, die sie für den Auftritt bekommen habe. Viele der Kommentierenden hätten ihre Auskünfte zur Schwangerschaft als übergriffig empfunden, wildfremde Menschen hätten von ihr nun eine umgehende »Babypause« verlangt, und zwar »JETZT«. »Alte Frauen« sollten keine Kinder bekommen, das sei »peinlich«, hatte einer oder eine kommentiert. Sie sollten sich nicht in »solch enge Kleider reinpressen« das sei »ekelhaft«.
Das Internet ist voller Arschlöcher, die Kommentarspalten zuscheißen mit allem, von dem sie hoffen, dass es den Adressaten trifft. Welcome to the real world. Das hat nix mit Kebekus, nix mit Schwangerschaften, nix mit Frauen zu tun.
Kein Grund für Maria Herbst, es nicht trotzdem zu einem spezifischen Frauen / Schwangerschaft / Komikerinnen / Kebekus-Problem zu stilisieren.
Kebekus kontert (…) mit dem Hinweis, sie mache sehr wohl etwas, und zwar Organe – und schießt die Frage hinterher: »Hast du schon mal Organe gemacht?«. Das sei »Scheiße anstrengend«. Über diesen Spruch lachen hauptsächlich Frauen. Männer können sich offenbar mit solchen Aussagen nur schwer identifizieren.
Das halte ich für nicht nur unbelegt, sondern tatsächlich für Quatsch. Es gibt tendenziell Themen, an die Frauen besser andocken können, und umgekehrt. Aber ich kann mich auch über die oben genannte Taylor Tomlinson beömmeln:
Und hier läuft die Argumentation völlig aus dem Ruder:
Machen Frauen also nur Witze für Frauen? Oder wollen sich Männer einfach nicht mit Themen, die Frauen betreffen, beschäftigen?
Nun ist es nicht so, dass Caroline Kebekus Rückendeckung in Form einer empörten SPIEGEL-Redakteurin bräuchte – sie kann austeilen und einstecken:
Kebekus macht den Kommentierenden darauf aufmerksam, dass sie gerade nicht diejenige sei, die Hasskommentare am Laptop verfasse. Damit verteidigt Kebekus sich, ihren Körper und ihre Schwangerschaft auf die bestmögliche Art.
Maria Herbst versteigt sich in die Annahme, Kebekus wäre WEGEN ihrer Schwangerschaft so angegangen worden. Das ist auszuschließen. Trolle sind nicht so komplex. Sie suchen nur mit treffsicherem Instinkt die wunden Punkte ihres Opfers – und das war/ist im Falle von Kebekus die Schwangerschaft. Sie ist ein Hebel, nichts weiter. Und Kebekus wie Herbst täten gut daran, den Trollen nicht genau die Empörung zu schenken, nach der sie gieren. Auch aus dieser Warte ist dieser gesamte Artikel ein dummer Anfängerfehler.
Die obige Zeile "Hier geht man jedoch anders mit ihnen um" impliziert zudem, dass Trolle ein eher deutsches Problem seien und Taylor Tomlinson in Amerika von Hetzereien aus den schmierigen Ecken des Internets verschont bliebe. Falscher könnte Maria Herbst damit nicht liegen. Amerikaner können traditionell erheblich leidenschaftlicher und verbissener trollen, und Taylor Tomlinson kann ein Lied davon singen. Der ganze Versuch eines "die weiblichen Comedians in den USA werden respektiert, die in Deutschland nur niedergemacht"-Narrativs läuft ins Leere, weil es nicht der Realität entspricht.
Ich möchte gar nicht wissen, wie das Feedback der Kellerasseln aussieht, sollte Taylor Tomlinson mal sichtlich schwanger auf die Bühne gehen.
Dass es hier weniger um gerechtfertige Kritik, sondern um fehlgeleitete weibliche Solidarität geht, kann man aus solchen Absätzen herauslesen:
Bei einem Mann gehört ein Bierbäuchlein irgendwie dazu, ein Schwangerschaftsbauch einer Frau triggert die Trolle, das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Bier: Ja! Ein Kind in sich tragen: mindestens schwierig.
Nun ist das alles furchtbar dünn, pubertär und von einer generellen Unkenntnis der Mechanismen von Social Media getragen. Aber wo ist noch mal der Bezug zu Amerika, zu Taylor Tomlinson, zu Late Night Shows? Nirgendwo. Maria Herbst merkt es selbst und versucht im letzten Absatz, nochmal die Kurve zu kriegen:
Aber zurück zu der Frage, ob auch Deutschland weibliche Late-Night kann. Ja, das beweist Kebekus in ihrer Show immer wieder.
Ich dachte, Deutschland hasst weibliche Komiker? War das nicht die Ausgangsthese? Dann gibt es ja kein Problem, oder? Andererseits: Macht Kebekus tatsächlich eine klassische Late Night-Show? Eher nein, denn die müsste fünfmal die Woche und tagesaktuell sein. Was Kebekus macht, ist erheblich länger geplant, geschrieben und nicht vom instinktiven, spontanen Charme der Moderatorin abhängig.
Es wäre passender gewesen, an dieser Stelle und zum direkten Vergleich an die tatsächliche Late Night Show von Anke Engelke zu erinnern, die 2004 brutal floppte, weil Engelke zwar eine grandiose Schauspielerin ist, aber ihr genau die Improvisationsfähigkeit und Interaktion mit dem Publikum abgeht, die man für Standup-Opener und Gäste-Interviews braucht. Ich kann mich erinnern, dass die Sendung mitunter so schmerzhaft unlustig und holperig war, dass ich mich förmlich nach einer technischen Störung sehnte:
Allerdings hätte Maria Herbst aus diesem Vergleich die Erkenntnis ziehen müssen, dass die Ablehnung weiblicher Komikerinnen meistens eingebildet, in seltenen Fällen aber auch gerechtfertigt ist.
Wozu die Schützenhilfe von Herbst überhaupt nötig ist, weiß sie nicht mal selbst:
Kebekus hat in ihrer Sendung klargestellt, dass sie nicht nach Hause gehen wird, um sich zu verstecken. Der einzig richtige Weg, die eleganteste Art.
Alles heiße Luft. Ich kann nur vermuten, dass Kritik an einer schwangeren Frau in der Öffentlichkeit in manchen Geschlechtsgenossinnen eine urbiologische Empörung triggert, die sich dringend Luft machen muss – egal, ob diese Kritik nun angebracht oder typisch ist. Schwangere kritisiert man nicht! How dare you?
Wir fassen zusammen: Caroline Kebekus ist sehr erfolgreich. Die Deutschen (nicht Deutschland!) hassen sie nicht, im Gegenteil. Sie ist ein Star. Wie jeder andere Prominente ist Kebekus natürlich auch Hasskommentaren von Trollen ausgesetzt, denen sie anscheinend vergleichsweise souverän begegnet – auch wenn "am Arsch vorbeigehen lassen" vermutlich die bessere Strategie wäre. In Deutschland ist Kebekus länger und breiter erfolgreich als Tomlinson in Amerika – die keine eigene Late Night-Show bekommt.
Was genau soll also der Kern dieses "Einwurfs" von Maria Herbst sein? An welcher Stelle versucht sie auch nur, die titelgebende Frage "Hasst Deutschland komische Frauen?" zu beantworten? Und bezahle ich ernsthaft 12,99 Euro im Monat, um so etwas zu lesen?
P.S.: Wer meint, "Hasst Deutschland lustige Frauen?" sei als doofer Titel nicht zu toppen, dem sagt der SPIEGEL entspannt "halt mal mein Bier":
Naja, ist dieser Artikel nicht genau so motiviert wie beispielsweise zahlreiche Streaming-Serien: Man braucht Content! Ob er Sinn ergibt, ist da erstmal zweitrangig.
An den SPIEGEL habe nicht nur ich einen anderen Anspruch – der SPIEGEL auch. Und es geht ja auch um die argumentativen Lücken und stilistischen Sprünge.
Der Dewi hasst also Frauen, die über Frauen schreiben, die… ach, das wird zu komplex. Alle Frauen. Der Dewi hasst also alle Frauen!
Dem Artikel gemäß hasst das Dewitum alle Frauen.
Ich war großer Kebekus-Fan bevor sie ihre Persona in Richtung Alice Schwarzer drehte. Dass ich irgendwie scheisse bin, weil männlich, erzählen mir Medien und Parteien schon rund um die Uhr – dafür brauch ich keine Komikerin.
"Pussycat Prolls feat. $cheiß-T – Köln Porz" ist nach wie vor eine der besten Nummern der deutschen Comedy. Auch wenn ich nicht weiß, wieviel davon von Serdar Somuncu geschrieben wurde.
Caroline Kebekus macht keine Comedy, sondern feministische Dauerberieselung mit Sendungstiteln wie:
Wer das lustig findet, lacht sich bei jedem Grünen-Parteitag scheckig (bin Mitglied).
> Caroline Kebekus macht keine Comedy, sondern feministische Dauerberieselung […]
Also im Prinzip das gleiche wie Mario Barth, nur dass du nicht die Zielgruppe bist?
Das ist mir zu polemisch. Man kann ja durchaus argumentieren, dass Barth die Probleme als Mann thematisiert, mit den Idiosynkratien von Frauen umzugehen, während Kebekus Männer zum generellen Problem stilisiert. Das hat eine andere Qualität. Aber den Stab möchte ich gar nicht über ihr brechen.
Mir ist der Trend zu fragenden, leicht sensationalistischen Überschriften schon länger aufgefallen.
Als Regel konnte ich feststellen, dass bei solchen Überschriften die Antwort im Artikel überwiegend nein ist und es sich meist nicht lohnt sie zu lesen.
Auf neudeutsch "Clickbait"…
Ich bin seit über 30 Jahren Journalist und würde mich schämen. Ist vielleicht aber auch eine Generationsfrage.
Die schlimmere Variante in meinen Augen wäre aber gewesen "Warum Deutschland lustige Frauen haßt" – Schlagzeilen mit einem Fragewort anzufangen geht für mich gar nicht…
Einer der Namen für dieses Phänomen ist "Betteridge’s Law of headlines":
Das passt ja hier wie die Faust aufs Auge.
Bei der Formulierung kommen mir sofort zwei Fragen in den Sinn: Woher kommt dieser Drang zur Redundanz? Ist das den SJWs auf Twitter wirklich noch nie aufgefallen? Die wittern doch sonst immer und überall obsessiv irgendwelche Ismen.
Oder metaphorisch gesagt:
Optimist: "Das Glas ist halbvoll."
Pessimist: "Das Glas ist halbleer."
Twitter/Tumblr: "Das Glas ist rassistisch/sexistisch/transphob."
Das ist der – wie ich es nennen würde – "Pluralis Axelspringerensis" (abgeleitet von Pluralis Majestatis). Das typische "Ganz Bad Oeynhausen trauert um Melanie B. (23)".
Das beste rhetorische Gegengift ist der Anfang jede Asterix-Bandes ("Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein. Ein kleines Dorf leistet Widerstand."), denn der Pluralis Axelspringerensis impliziert unzureichende Recherche. Oder im Klartext: Es gibt sehr wohl in Bad Oeynhausen Leute, die Melanie nicht kannten und/oder nicht mochten, aber die Reporter waren zu faul zum Suchen.
Profi-Tip: Artikel (ganz besonders "Plus"-Artikel) sollte man immer vorher mit archive.today archivieren. Dann kann einem die spätere Bezahlschranke in vielen Fällen egal sein.
Abo vor einem Monat gekündigt. Haben zu sehr an relevantem Kommentar eingebüßt. Schmerzgrenze erreicht. Schade.
Ich habe mein Volontariat bei einer kauzigen Lokalredaktion absolviert. Der knurrige, in seinen Ansichten sicher sehr streitbare Redakteur, der mir am Meisten beibrachte, sagte immer: "Wir stellen keine Fragen. Wir beantworten sie", wenn einer mit einem Fragezeichen in der Überschrift ankam.
Kann man sicher gute Argumente dagegen finden. Aber ich fand diese Einstellung sehr richtig.
Wegen des PS: Da waren die Empörungen wohl groß genug (oder die Redakteur:in nicht woke enough) und das Bild wurde gegen das "korrekte" Urzeitmenschfoto ausgewechselt.