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Okt 2023

Alles nur geklaut? Das gänzlich undeutsche deutsche Fernsehen (1)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Im Nachklapp zur deutschen TV-Geschichte der 70er bin ich darauf gekommen, endlich mal ein Thema aufzugreifen, das mich seit Jahren umtreibt. So deutsch das Fernsehen besonders in seinen frühen Jahren auch gewirkt haben mag – oft genug hat es lediglich erfolgreiche Formate aus dem Ausland übernommen. In einigen Fällen hat man die Rechte für eine lokale Version eingekauft, oft genug hat man sich aber exakt so weit “inspirieren” lassen, dass man gerade noch an einer Klage vorbeischlitterte. Oder auch nicht.

Dabei fällt auf, dass diverse legendäre deutsche Fernsehmacher, die Zeit ihres Lebens für revolutionäre Formate standen, zu den fleißigsten Kopisten gehörten. Ich nenne vorab schon mal Michael Pfleghar, Wolfgang Menge und Dieter Wedel.

Im Zeitalter von Wikipedia und YouTube ist es leicht, solche Formatzwillinge zu identifizieren – in früheren Jahren allerdings wurde gerne bewusst um diese Zuordnung herum laviert. Magazine wie der SPIEGEL nannten zwar die Inspirationen, aber in der TV-Presse feierte man die “innovativen Ideen” und ihre Macher zumeist, ohne die Vorbilder zu nennen oder gar die rechtliche Problematik aufzugreifen. Vielleicht steckte dahinter die Sorge, das volksverbindende deutsche Fernsehen könnte als “vom Ami unterwandert” wahrgenommen werden.

Wo die Grenzen von der Adaption zur Raubkopie überschritten wurden, ist nicht immer ganz klar zu erkennen. Ich versuche nach Kräften, das aufzudröseln. Wenn jemand zusätzliche Infos hat, bin ich für Hinweise dankbar.

Naturgemäß kann die folgende Aufzählung nicht vollständig sein. Die Auswahl habe ich schlicht nach den Beispielen getroffen, die mir bekannt sind.

Jeder, der in den 60ern, 70ern oder 80ern aufgewachsen ist, kennt “Was bin ich?”, das heitere Beruferaten mit Robert Lembke. Inklusive der Neuauflage wurde die Sendung von 1955 bis 2005 ausgestrahlt. Der Erfolg und das in Beton gegossene Format führten sogar zu Parodien: “Welches Schweinderl hätten’s denn gerne?”. “Das mit der Brille.”

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Tatsächlich ist “Was bin ich?” eine lizensierte und sehr exakte Anpassung der Show “What’s my line?”, die in den USA von 1950 bis 1975 lief.

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Bei der legendären Krimiserie “Stahlnetz” (1958-68), die als Vorläufer des “Tatort” gilt, treffen wir erstmals auf Wolfgang Menge, der zusammen mit Jürgen Roland als kreativer Kopf fungierte:

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Nun kann man durchaus fragen, warum die Serie “Stahlnetz” hieß. Die Antwort ist banal – es ist eine knackige, aber falsche Übersetzung des Begriffes “Dragnet” (Schleppnetz, siehe Schleierfahndung). Und “Dragnet” (1952-1970) war die Serie, von der Roland und Menge Konzept und Titelmelodie übernommen übernommen hatten – meines Wissens nach ohne die Rechte zu kaufen. Der SPIEGEL schrieb seinerzeit, “Dragnet” sei die “Anregung” für “Stahlnetz” gewesen.

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Nun hat “Stahlnetz” nur das Konzept und die Machart, nicht aber die Drehbücher von “Dragnet” übernommen. In einem schönen Artikel zur Serie rechtfertigt der NDR die Ähnlichkeiten folgendermaßen:

“Die Idee für die Stahlnetz-Serie brachte Jürgen Roland 1956 von einer Studienreise in die USA mit. Dort lief die US-Fernsehserie “Dragnet”, in der Kriminalfälle für das Fernsehen im dokumentarischen Stil aufbereitet wurden.”

Das halte ich für etwas unangemessen, denn die IDEE kam ja vom “Dragnet”-Showrunner und Hauptdarsteller Jack Webb. Von Roland und Menge stammte allenfalls die Idee, das auch mal in Deutschland zu versuchen.

Weiter geht’s mit dem “Internationale Frühschoppen” (1953-87). Markenzeichen: Alte Männer, Zigaretten und badischer Wein. Wenn es jemals so etwas wie einen gebildeten Stammtisch gab, dann war es der hier. Große Politik wurde besprochen, gerne auch mit hochrangigen Gästen. Liefe vermutlich heute noch, hätte man den nicht minder legendären Moderator Werner Höfer irgendwann als Nazi-Schergen entlarvt (vereinfacht ausgedrückt).

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Die Sendung war so sehr von Höfer geprägt, dass in Deutschland kaum wahrgenommen wurde, dass sie nur eine Adaption des seit 1947 (!) bis heute laufenden Formats “Meet the press” darstellt:

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Kehren wir noch einmal (und nicht zum letzten Mal) zu Wolfgang Menge zurück und seiner zweifellos legendärsten Kreation – “Ekel Alfred” Tetzlaff in der Serie “Ein Herz und eine Seele”. Das ist nicht nur großartig schnodderig, sondern auch durch und durch gelebtes deutsches Spießertum:

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Nun wissen viele Serienfans zumindest, dass “Ein Herz und eine Seele” auf die US-Sitcom “All in the Family” zurückgeht, die in den 70ern Jahren ein absoluter Kult war und in der die Rolle des Schwiegersohns von MISERY-Regisseur Rob Reiner gespielt wurde (bei uns: Dieter Krebs). Tatsächlich sind aber BEIDE Serien nur Adaptionen der britischen Vorlage “Till death do us part” (1965-75), die “Ein Herz und eine Seele” auch stilistisch sehr ähnlich ist:

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In einem erstaunlich lobhudelnden zeitgenössischen Artikel erwähnt der SPIEGEL die Vorlage zwar, lässt Menge aber ausreichend Raum, für die deutsche Version alle Lorbeeren einzuheimsen:

Von US-Archie hat Menge bislang »höchstens mal zehn Minuten gesehen’ vom BBC-Original überhaupt noch nichts.

Bemerkenswerter noch finde ich Menges Einlassung, dass er es mit der deutschen Adaption des Stoffes natürlich deutlich schwerer habe als die Kollegen:

… aus den Drehbüchern will er herausgelesen haben, daß seine anglo-amerikanischen Kollegen sich leichter tun: die Engländer »mit ihrer reinen Klassengesellschaft und dem Königshaus«, die Amerikaner »mit dem ungeheuren Vorteil ihrer Neger«.

Typisch deutsch auch die Betulichkeit des Produktionsplans – gerade mal 25 Folgen wurden in fünf Jahren produziert. Die britische Vorlage schaffte genau die doppelte Menge an Episoden, “All in the Family” brachte es sogar auf 210 Folgen plus Spinoff und Fortsetzung.

Bleiben wir bei Wolfgang Menge, weil der in den 70ern gleichzeitig einer der großen Erneuerer und einer der schamlosesten Selbstbediener war. Mit dem zeitlosen TV-Event “Das Millionenspiel” verzockte er sich aber:

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Das ist eindeutig eine freche Kopie von Bob Sheckleys Geschichte “The Prize of Peril” – oder doch nicht? Tatsächlich wurde 30 Jahre lang kolportiert, der Film wäre genau deshalb im Giftschrank verschwunden und erst im neuen Jahrtausend wieder ausgebuddelt worden. Der Wikipedia-Eintrag behauptet allerdings, das sei alles nur auf einen ärgerlichen Irrtum bei der Rechtevergabe zurückzuführen.

Soweit ich weiß, wurde “Das Millionenspiel” 1970 ohne jegliche Erwähnung von Sheckley’s Story ausgestrahlt – undenkbar, wenn die Macher tatsächlich eine rechtlich abgesicherte Verfilmung geplant gehabt hätten. Ich vermute hier den Versuch einer nachträglichen Reinwaschung.

Unter dem Titel KOPFJAGD – PREIS DER ANGST wurde der Stoff 1983 in Frankreich dann offiziell noch einmal verfilmt und kam auch in deutsche Kinos:

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Kopiert bzw. inspiriert bzw. abgeschaut wurde in wirklich allen Genres. Bei den Talkshows ist das besonders interessant, weil es diese TV-Gattung bis in die frühen 70er bei uns gar nicht gab. “Je später der Abend” mit Dietmar Schönherr und “3nach9” mit – festhalten! – Wolfgang Menge waren die ersten Versuche, Gäste zur Plauderei in ein eigenes Format zu laden.

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Man war mitunter noch bezaubernd unsicher und hilflos, aber auch mutig:

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Die Inspiration beider Sendungen war dabei relativ offensichtlich die “Dick Cavett”-Show, denn diese lief in immer wieder sporadisch spät nachts im Dritten Programm. Man hätte sich ein schlechteres Vorbild suchen können:

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Über “Klimbim” habe ich mehrfach geschrieben – in ein pudriges Varieté-Format gepresste Sketche und Blackouts, die von Ingrid Steegers bereitwillig präsentierten Brüsten profitierten:

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Der ersten Episode folgte gar eine thematische Aufarbeitung:

Über das ambitionierte Konzept der Sendung unterhalten sich im »Nachspiel« (22.55 Uhr) Regisseur Pfleghar, WDR-Unterhaltungschef Hannes Hoff sowie TV-Kritiker, Medienpsychologen und 70 Studiogäste.

Nackte Tatsachen gingen bei der US-Vorlage “Rowan and Martin’s Laugh-In” natürlich nicht, dafür war das Setting erheblich moderner gehalten:

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Ob “Klimbim” eine legitime Adaption oder eine dreiste Kopie von “Laugh-In” war, ist schwer festzustellen – die Wikipedia mag sich ebenso wenig festlegen wie der SPIEGEL 1976 in einem zur Gänze lesenswerten Artikel.

Weil der Beitrag länger als gedacht wird, werde ich ihn wieder mal splitten. Wir enden heute mit “Ehen vor Gericht”, einer unfassbar poofigen Nacherzählung von Scheidungsdramen, die ans Licht zerrte, was hinter verschlossenen Türen deutscher Familien passierte. Es mag aufklärerisch gemeint gewesen sein, konnte sich aber nie eines voyeuristischen Geschmäckles entledigen:

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Auch hier wird es wieder interessant – die Quellen bezeichnen “Ehen vor Gericht” (1970-2000) als eine Art Fortführung des Konzepts von “Das Fernsehgericht tagt” (1961-1978). In meinen Augen ist die Sendung aber sehr klar von “Divorce Court”  (1957-93) inspiriert:

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Und “Das Fernsehgericht tagt”? Könnte man oberflächlich für eine Kopie der “Divorce Court”-Schwestershow “Peoples Court” halten – was aber nicht sein kann, weil letztere erst 1981 startete.

Ihr merkt schon – das Thema ist so breit gefächert wie kompliziert. In den seltensten Fällen gibt es Einsicht in Unterlagen oder gar Verträge, zumal die Rechtslage nicht eindeutig ist, wo die “Inspiration” endet und wo die kackfreche Kopie beginnt.

In Teil 2 schauen wir in die 80er und 90er, in denen ebenfalls nicht wenig aus dem Ausland adaptiert wurde, ohne das an die große Glocke zu hängen. Wieder sind große Namen der TV-Geschichte involviert, und mit dem Start der Privatsender Mitte der 80er geht es erst richtig rund.

Ich sehe mal zu, dass ich Teil 2 noch diese Woche gezimmert bekomme.



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Lothar
Lothar
10. Oktober, 2023 10:29

Man merkt, dass ich eher ein Kind der 80er bin. Ein Großteil der Sendungen sagen mir nichts. Der SPIEGEL war aber auch früher recherchetechnisch nicht immer auf der Höhe der Zeit (beim Artikel zum Millionenspiel):

> Am 3O. Oktober 1938 brach in New York eine Panik aus. Hunderttausende
> flohen aus der Stadt, als der Rundfunk die Landung von Marsmenschen meldete.

Diese “Massenpanik” war eine Erfindung der Zeitungen, die auf die Weise das neue Medium Radio schlechtschreiben wollten. Da war Quito schon krasser: https://historyradio.org/2017/01/21/the-war-of-the-worlds-in-ecuador/

Und: Wenn man bedenkt, dass es zu der Zeit nicht wirklich Auswahl an Fernsehsendern gegeben hat, sind “fast 1000 Anrufe und hunderte Briefe” eigentlich auch ein verschwindend geringer Anteil derjenigen, die die Sendung gesehen haben dürften.

milan8888
milan8888
10. Oktober, 2023 10:31

Psst: »von der Roland und Menge Konzept und Titelmelodie übernommen übernommen hatten – eines Wissens nach ohne die Rechte zu kaufen.«

»In einem schönen Artikel zur Serie rechtfertigt der NDR rechtfertigt die Ähnlichkeiten folgendermaßen:«

Marco
Marco
10. Oktober, 2023 12:22

Bei den Gameshows wurde auch “importiert” was nicht bei drei auf dem Baum war (insbesondere in den 90ern). In den 70ern war ich damals der festen Überzeugung, dass Dieter-Thomas Heck oder das ZDF oder beide “Die Pyramide” erfunden hätten. Das es sich um einen US Import handelte konnte man nur im Abspann erfahren, aber immerhin wurde sich hier wohl die Lizenz “gegönnt”. Interessant ist ja auch dass die RTL-Serie “Hinter Gittern” wohl auf der US-Serie “Dangerous Woman” beruhen soll, die sich wiederum von der australischen Seifenoper “Prisoner” von 1979 inspirieren ließ. Inwieweit die Serien übereinstimmen oder ob Lizenzen geflossen sind kann ich nicht sagen.

Edin Basic
Edin Basic
10. Oktober, 2023 17:27

EIN HERZ UND EINE SEELE ist grossartig.
ALL IN THE FAMILY ist aber meisterlich.
Herrlich das Fussnägel-Schneiden von Alfred in der Küche.
Während Else das Essen zubereitet!!!!
Aber die liebevolle Beziehung von Archie Bunker zu seiner Edith wie im Original ,
konnte oder wollte Menge einfach nicht entwickeln.Der Ausspruch Du dusslige Kuh war das höchste der Gefühle .

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
12. Oktober, 2023 14:09

Aus irgendeinem Grund wurde “Whats my line” in meine Youtube Playlist gespühlt während der Pandemie und ich muss sagen: Ich liebe die Show! Die Leute im Panel sind einfach grundsympathisch und auch schlau (nicht wie heutzutage, wo die Qualifikation dafür anscheinend ein IQ unter 100 ist). Auch der Moderator Charles Daly ist grundsympathisch. Das ist alles kein Vergleich zu dem relativ steifen Robert Lemke (ich weiß, das war schon schwungvoll für die junge BRD). Auch die Stars bei What’s my line sind beachtlich.

Aber das interessanteste an der Show ist letzten Endes das traurige Schicksal von Dorothy Kilgallen, die an einer Überdosis Schlaftabletten starb. Weil sie zu der Zeit an einem Scoop wegen der Ermordung von JFK gearbeitet hatte, wird ihr Schicksal auch gerne von zahlreichen Verschwörungsgläubigen missbraucht.