16
Feb 2022

Gmail Gamechanger

Themen: Neues |

Ich bin seit 2004 Nutzer von Googlemail. Mein erster Account war nach drei Jahren “voll”, also legte ich mir einen zweiten Account zu, dessen Name zwar nicht mehr so (vor)lesefreundlich ist, aber was soll’s. Mails an den ersten Account wurden und werden immer noch an den neuen durchgereicht. Seit ein paar Jahren komme ich an das Konto selber aber nicht mehr ran, was mich ärgert und was ich bis heute nicht hinzunehmen bereit bin.

Ich bin also ein echter Gmail-Veteran aus Überzeugung und schwöre auf digitalen Postverkehr ohne Schnickschnack: Abgerufen werden die Mails über meinen Browser, Inbox Zero finde ich albern, und dank der potenten Suchfunktion finde ich üblicherweise auch die obskursten Sachen in kurzer Zeit.

Nun fehlte Gmail aber von Anfang an eine praktische und naheliegende Funktion – und das nicht ohne Grund: man kann zwar Anhänge aus Mails auf die Festplatte speichern, sie aber danach nicht in der Email selber löschen. Will man Speicherplatz freiräumen, muss man die Email in den Papierkorb schieben.

Warum Google das so handhabt und keine Abhilfe schafft? Weil der Konzern davon lebt, meine Korrespondenz durchsuchen zu können. Er hat kein Interesse, dass sich auch nur ein Byte an Daten aus seinen Klauen löst. Gelöscht werden kann nur, was Google nicht verhindern kann: einzelne Mails, das ganze Konto.

Zu Windows-Zeiten habe ich mein Mailprogramm Thunderbird mit dem Attachment Extractor ausgestattet, um die Email-Datenbank im Griff zu behalten, heute erscheint mir das nicht mehr als sinnvolle Lösung. Ich will meine Emails nicht auf der Festplatte verwalten.

Weil riesige Dateianhänge, wie sie in meinem Beruf leider üblich sind, den Posteingang über die Jahre immer weiter unnötig aufblasen, wäre es natürlich ideal, wenn man das System anweisen könnte, Anhänge zu lösen und separat z.B. in einem Ordner in Google Drive abzulegen, wo man sie sichten, sortieren und löschen kann. Aber genau das will Google eben nicht.

Da ich schon meinen ersten Account an Verstopfung verloren habe, bin ich seit 15 Jahren auf der Suche nach einer eleganten Lösung. Es gab nie eine. Google hat die eigene API in einem Maße dichtgemacht, dass externe Entwickler keinen Workaround fanden. Unbeholfene Lösungsansätze schufen oft genug mehr Chaos als Ordnung und liefen eigentlich nie stabil.

Nun hat sich das Problem in den letzten Jahren etwas entspannt, denn ich habe über Google Drive 120 Gigabyte Speicher und es ist nicht anzunehmen, dass mein Konto jemals wieder überläuft. Dennoch ärgert es mich, so viel Datenmüll aus 15 Jahren mit mir rumzuschleppen. Es widerspricht meinem Sinn für Ordnung und der Unterteilung von Post (Email) und Paket (Anhang). Aus diesem Grund googelte ich dieser Tage doch mal wieder “bulk extract email attachments from Gmail”.

Und was soll ich sagen? Es gibt mittlerweile Software-Lösungen!

Ich war selber skeptisch, ob Unattach nicht wieder so eine handgestrickte Lösung für Leute ist, die sowieso nur 1000 Mails sortieren müssen und die das genauso gut händisch können sollten. Wir reden bei mir von über 200.000 Mails – und das ohne Spam, Werbung und Social Media-Benachrichtigungen. Aber ich war bereit, das Risiko einzugehen und habe tatsächlich die knapp 10 Euro per PayPal bezahlt.

Nach den ersten Testläufen kann ich sagen: sen-sa-tio-nell.

Müsste ich eine solche App entwerfen – sie hätte genau diese Funktionalität. Es funktioniert perfekt “out of the box” und man kann dennoch bis ins Detail einstellen, welche Anhänge bearbeitet werden – und wie. Standard-Szenario ist dabei: Anhänge finden, auf der Festplatte speichern und in den Mails einen Verweis hinterlassen, was rausgelöscht wurde (optional).

Was mir besonders gefällt: frühere Lösungen mit einem ähnlichen Ansatz löschten die Originalmail und luden eine “entleerte” Kopie hoch, die dann aber gänzlich andere Meta-Daten hatte. Nicht so Unattach: Emails und Anhänge verbleiben im Originalzustand. Ich kann sogar die gesammelten Anhänge auf meiner Festplatte problemlos nach ihrem Alter sortieren.

Unattach bietet auch Funktionen, die vielleicht praktisch sind, die ich selber aber nicht brauche: statt Anhänge aus Mails zu extrahieren und zu löschen kann man auch einfach die Größe von Bildern in Mails verkleinern lassen, damit der Content erhalten bleibt, der Speicherbedarf aber abnimmt.

Ich habe jetzt mal die Probe aufs Exempel gemacht. Mein Gmail-Konto wog zuletzt 16 Gigabyte – und das, nachdem ich in den letzten Jahren bereits alle Emails über 10MB und den Großteil aller Newsletter, Benachrichtigungen und Pressemitteilungen gelöscht hatte. Unattach hat ganze Arbeit geleistet:

Das Programm hat weitere 35.000 (!) Anhänge mit gut 12 Gigabyte entfernt und sauber sortiert auf meine Festplatte gelegt – viele Dopplungen, aber auch Erinnerungen und Überraschungen. Ältestes Fundstück: die PDF-Einladung zu einem Sommerfest bei meiner ehemaligen Chefin von Tandem im Juni 2007. Das passt exakt zur Eröffnung meines zweiten Gmail-Accounts in dem Monat. Ein Programm von 2009 wurde von Sophos sogar gleich als Trojaner identifiziert und gelöscht. Der Account hat nun schlanke 2,5 Gigabyte. Das hätte sogar 2006 schon ausgereicht.

Den Ordner mit den Anhängen auf meiner Festplatte werde ich grob durchsortieren und vermutlich 90 Prozent davon löschen. Ein paar Unterlagen füllen Lücken in meinem digitalen Aktenschrank. Der Rest kommt in einen “alt”-Ordner in der Cloud. Man weiß ja nie.

Clever wäre natürlich, wenn man Unattach nach der Aufräumaktion anweisen könnte, die doch noch benötigten Anhänge wieder in die Emails hochzuladen. Technisch machbar sollte das sein. Vielleicht kontaktiere ich noch mal den Autor…

Wenn es mir gelingt, mal wieder den Zugriff auf meinen alten Google-Account zu bekommen, dann wird da auch noch mal tabula rasa gemacht.

Fazit: Unattach gibt mir ein Stück Kontrolle über mein Gmail-Chaos zurück, was ich sehr zu schätzen weiß. Wurde auch Zeit, dass das geht. Einziger Nachteil der Software: sie ist relativ langsam und es macht Sinn, sie mal einen Tag lang im Hintergrund werkeln zu lassen (der Autor hat mir bestätigt, dass Google selber die Download-Geschwindigkeit drosselt).

Was meint ihr? “Braucht kein Mensch” oder “endlich!”?



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Martzell
16. Februar, 2022 14:53

Cool danke das ist hilfreich. Besser als mit macOS Apple Mail jede Nachricht einzeln anfassen zu müssen um die Anhänge abzutrennen. Unverständlich dass E-Mail-Software keine Ansicht mitbringt um Übersichtlich auf die Dateien im Postfach zuzugreifen und diese aufzuräumen, vorallem nach Größe sortiert Platz zu schaffen. Auch wenn es Tim Berner Lee jedesmal eine Träne kostet, ist es leider doch üblich Dateien dermaßen ineffizient auszutauschen, mangels Alternativen, sich sogar selber zuzuschicken damit man sie woanders ausdrucken kann. Dropbox hat ein stückweit geholfen, weil jede Datei einfach als Link weitergegeben werden kann. Aber nicht an Mitarbeiter deren Firmennetzwerk Dropbox und iCloud-Dateilinks sperrt (Sparkasse).

Martzell
21. Februar, 2022 22:48
Reply to  Torsten Dewi

Genau so funktioniert Apple Maildrop. Apple Mail scheint die Größenlimits von E-Mail-Empfängern zu kennen und bietet ggf. an einen Maildroplink zu senden und lädt die Anhänge hoch.

Kann das Gmail auch wenn man den Webclient nutzt, oder „wäre“ als Wunsch?

heino
heino
16. Februar, 2022 17:17

Für einen User deines Kalibers sicher eine sinnvolle Sache, aber ich schaffe es nicht mal ansatzweise, meinen Account so voll zu bekommen. Ich habe eben mal einen Haufen alter Emails gelöscht und das hat kaum einen Unterschied gemacht, weil ich einfach nicht solche Mengen an Post bekomme. Von daher ist Unattach für mich nicht von Interesse.

Dino Conte
19. Februar, 2022 16:04

Brauche ich nicht. Ich hab in meinem datenschutzfreundlichen Postfach von posteo.de bereits die Funktion integriert, Anhänge zu sichten, downzuloaden oder auch zu löschen.