20
Jun 2021

Fantasy Filmfest Nights XL 2021 (12): BAD HAIR

Themen: FF Nights XL 2021, Film, TV & Presse, Neues |

USA 2020. Regie: Justin Simien. Darsteller: Elle Lorraine, Vanessa Williams, Kelly Rowland, James Van Der Beek, Usher, Laverne Cox

Offizielle Synopsis: Anna hat einen Traum: Sie will im Musikfernsehen ganz nach oben und ihre eigene R&B-Show moderieren. „Keine Chance mit diesen Afrohaaren“, urteilt die Chefin und steckt ihr die Adresse eines In-Salons zu. Tatsächlich haut Annas neuer Look die Kollegen aus den Schuhen. Doch die Extensions entwickeln ein mörderisches Eigenleben: Sie dürsten nicht nach Conditioner, sondern nach Menschenblut.

Kritik: Gerade angesichts der aktuellen Rassismus-Debatten wird leicht vergessen, wie rassistisch die sonst so plastik-bunten 90er Jahre noch waren, insbesondere die Programmspalten der US-Networks. Da gab es noch gelebte Rassentrennung. Schwarze bei FRASIER, SEINFELD, FRIENDS? Nicht doch. Bestenfalls mal als “Gaststar” oder Kellner. Schwarze Schauspieler hatten ihr eigenes Ghetto, anfänglich primär auf dem neuen Sender FOX, der versuchte, sich Zielgruppen jenseits der weißen Vorstädte zu erschließen. Es war die Hoch-Zeit der “urbanen” Sitcoms (ein auch damals schon ziemlich hässlicher Euphemismus). Selten so gut produziert, so lustig oder so teuer wie die weißen Edel-Comedys, aber in der Community teilweise sehr beliebt.

Das hier ist ein beliebiges, aber recht typisches Beispiel:

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Es ist genau diese Zeit, in die uns BAD HAIR zurück führt. Schauplatz ist ein kleiner schwarzer Musikvideo-Sender, der auch nur ein ungeliebter Ableger des weißen “Powerhouse” ist, weil man die schwarze Zielgruppe zwar bedienen, aber nicht allzu nah an die Fleischtöpfe lassen will. Und weil das mehr schlecht als recht funktioniert, wird ein weißer “Experte” angeheuert, um den Laden auf Vordermann zu bringen. Auch das: ein akkurates Spiegelbild einer Zeit, in der hinter den Kulissen immer noch der Honkie die Strippen zog.

Es ist sicher sympathisch, diese Zeit des Umbruchs, bevor “schwarze” Musik eine globale Dominanz erlangte, im Rahmen eines räudigen B-Gruselfilms aufzuarbeiten. Das zieht ein wenig den sozialkritischen Stachel und sorgt dafür, dass BAD HAIR nicht in allzu predigendes Polit-Gefasel abdriftet. Und ich zeuge Justin Simien, der so ziemlich alle Schlüsselpositionen hinter der Kamera besetzt, ziemlichen Respekt dafür, wie genau er eine Ära rekonstruiert, die er selber vermutlich nur als Kleinkind erlebt hat. BAD HAIR ist gleichermaßen eine Huldigung der “black experience” anno 1991 UND die Sorte alberner B-Trash, der damals die Videotheken füllte.

Tatsächlich macht das über weite Strecken viel Spaß, wenn man vor 30 Jahren dabei war. Die schrille Mode, die hypernervöse TV-Hampelei, die “coole” Musik – das kommen Erinnerungen auf an MC Hammer, Downtown Julie Brown und MTV Jams. Ganz besonders, weil Simien nicht nur Darsteller gecastet hat, die ihren Vorbildern sehr ähnlich sind (großartig: Jay Pharao als “Julius”), sondern auch einige der Originale. Kelly Rowland von Destiny’s Child darf als Janet Jackson-Surrogat “Sandra” endlich die Super-Diva spielen, die sie im Schatten von Beyoncé nie sein konnte.

Leider zeigt sich im Verlauf der etwas zu üppigen Laufzeit, dass BAD HAIR dann doch weniger interessiert ist, ein Horrorfilm zu sein, als eine launige, aber dennoch legitime Kritik an einer brutalen Kommerzwelt, die an den Schwarzen verdienen will, ohne die Schwarzen am Erfolg zu beteiligen. Der Plot um die tödlichen Haare ist letztlich nebensächlich und könnte problemlos entfernt werden, ohne die dramaturgischen Bögen zu beschädigen – es bliebe immer noch eine rasante Black Soap Opera über Intrigen und Leidenschaften in der Musikbranche übrig. Darum ist es am Ende auch unnötig, was die Haare wollen oder wie man sie endgültig besiegt. Es zählt allein die Emanzipation von Anna als selbstbewusste schwarze Frau für das Amerika der 90er.

Ist das zu viel Politik, zu wenig Horror, als Mischung frech oder fade? Ich habe mich ganz gut amüsiert, aber primär auf dem gesuchten und gewollten Level eines Midnight-Movies nach eine Tag voller dröger Dramen.

Fazit: Ein poppig bunter Rücksturz in die frühen 90er, der leider zu sehr daran interessiert ist, die “black experience” zu beleuchten, als tatsächlich dem Genre zu frönen. Wegen des heuer eher mageren Unterhaltungswertes des Festivals dafür aber immer noch 7 von 10 Punkten.

P.S.: Wer will, kann einen Punkt abziehen, weil der Horror-Plot natürlich komplett aus John Carpenters “Hair”-Geschichte im Anthologiefilm BODY BAGS von 1993 geklaut ist.

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