29
Mai 2021

Fake-News vom Klatsch-Bot

Themen: Film, TV & Presse |

Meine Einstellung zur Yellow Press ist bekannt. Auch in der digitalen Sphäre weiche ich dem Klatsch weitestgehend aus. Ich halte die mörderische Frage, wer mit wem schlief, für gänzlich irrelevant. Mir ist allerdings peripher aufgefallen, dass es immer mehr Webseiten gibt, die sich nicht mal mehr die Mühe geben, Klatsch zu verbreiten – sie setzen aus beliebigen Info-Bits völlig kalorienfreie Pseudo-News zusammen, die nicht mal den eigenen Clickbait-Titel mit Inhalt füllen. So nutzt die Werbebranche die immer gleichen Schlagzeilen (“Das Vermögen des verstorbenen XY rührte seine Familie zu Tränen“), um den Surfer in endlose Fotogalerien zu locken. Oder man wirbt mit “Sie werden nicht glauben, wie die Stars von Serie XY heute aussehen!”, worauf die Antwort (Spoiler!) meistens lautet “eigentlich ganz okay”.

Besonders perfide finde ich das Versprechen von Antworten, die man nicht haben kann. Das ist eine eigene Subkultur, die es sich zu Nutze macht, dass z.B. Serienfans immer sofort wissen wollen, ob es von den neuen Netflix- oder Amazon-Produktionen eine weitere Staffel gibt. Googelt man “Serie XY zweite Staffel”, stößt man auf einen Haufen Links, die genau das (meist sogar ähnlich formuliert) versprechen: “Alles über die zweite Staffel von XY“. Nach zwei, drei Absätzen findet man dann versteckt in einem Nebensatz: “… auch wenn es offiziell noch keine Hinweise auf weitere Folgen gibt…”. Oder so ähnlich. Kein Problem. Man hat’s ja gelesen und damit seine Aufgabe als Klickvieh erfüllt.

Ich habe den Eindruck, dass der digitale Raum mit immer mehr vagem Textschleim gefüllt wird, der nur noch den Anschein erweckt, einen Inhalt zu transportieren. Ich bin nicht mal mehr sicher, ob hinter diesen mechanisch generierten Meldungen noch Menschen stecken. Vielleicht gibt es mittlerweile in der Tat News-Bots, die sich auf Knopfdruck zu gewählten Themen im Internet Bröckchen klauben und mit etwas Spucke und einem Template zu “News” umformatieren.

Nun ist es eine Sache, wenn sich obskure, nur für Clickbait gedachte Webseiten fraglicher Herkunft aus solchen Quellen speisen. Beim altehrwürdigen STERN, der allerdings schon seit Jahren auf dem letzten Loch pfeift und zu den Magazinen gehört, die den Einstieg in die digitale Ära nie auch nur ansatzweise geschafft haben, sollte ein Mindestmaß an Anspruch oder wenigstens Anstand herrschen.

Leider nein.

Tatsache ist, dass man Klatsch-Krempel irgendwelcher News-Schleudern ohne jegliche Kontrolle präsentiert, als wäre man keine Redaktion, sondern bestenfalls eine gesichtslose Plattform. Und während ich normalerweise STERN.de schlicht nicht lese, bin ich durch einen Link gestern zufällig über eine “Story” gestolpert, die ich mal exemplarisch auseinander nehmen möchte.

Es geht darum:

Damit keine Missverständnisse aufkommen – es gibt hier nicht wirklich ein Video. Es gibt ein paar Zeilen Text und ein paar Fotos, die zu einem Video zusammen geplömpelt wurden. Was es zu wissen gibt, wird auch in ein paar Zeilen darunter präsentiert, wenn man nach diesem Teaser

auf das “mehr” klickt:

Selbst Klatsch-Verweigerern dürfte auffallen: das ist erstaunlich dünn. Wir erfahren nichts über “die hübsche große Blondine und einzigartige Tänzerin”. Wo geboren? Wie alt? Wie Karriere gemacht? Verheiratet mit wem? Im Grunde genommen erfahren wir nur (das aber drei mal), dass sie sich für den Playboy ausgezogen und danach aus dem Filmgeschäft zurück gezogen hat. Allerdings bleibt das mit dem Playboy (wann?) genauso undokumentiert wie die Aussage, sie habe sich “kaum verändert”.

Es ist nicht so, dass man über Cynthia Rhodes nicht tatsächlich relevante Star-Infos schreiben könnte. Genau wie die “Autoren” dieses Texts brauche ich nicht mal Wikipedia. Cynthia Rhodes war nämlich ein erfolgreicher Musical-Star in den USA und hat in gleich drei genre-prägenden Tanzfilmen der 80er mitgespielt: STAYING ALIVE, FLASHDANCE und DIRTY DANCING. Unsereiner kennt sie auch aus dem Science Fiction-Thriller RUNAWAY – SPINNEN DES TODES:

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Oder wie wäre es damit? Cynthia Rhodes war nicht nur eine gute Schauspielerin und eine großartige Tänzerin, sondern auch ausgebildete Sängerin, die auf dem Soundtrack von STAYING ALIVE gleich mit mehreren Titeln zu hören ist – die LP lief bei mir jahrelang in der heavy rotation:

https://www.youtube.com/watch?v=ewo6V8hjHz0

Oder damit? Cynthia ist in den 80ern in mehreren bekannten Musikvideos aufgetreten, war kurzzeitig die Sängerin der Band ANIMOTION und heiratete schließlich den Pop-Superstar Richard Marx, mit dem sie drei Söhne bekam und für den sie sich aus dem Showbusiness zurück zog. Das Paar wurde 2014 geschieden.

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All das weiß ich, ohne es nachlesen zu müssen. Wer immer den Text bei STERN.de verfasst hat, bekam Geld dafür und hat sich nicht mal die Mühe gemacht, Cynthias Rhodes Wikipedia-Eintrag zu lesen.

Nun ist es eine Sache, keinerlei Arbeit zu investieren und einfach einen Text raus zu rotzen, der den Minimalanspruch an “5 Zeilen Promi-News” erfüllt. Es ist eine andere Sache, dabei auch noch ständig Quatsch zu schreiben. Artikel müssen ja leider nicht gehaltvoll sein, aber faktisch richtig wäre prima. Und hier haben wir ein perfektes Beispiel für einen Totalausfall.

Ob Cynthia Rhodes dabei aufgeblüht ist, sich im Privatleben nur noch um ihre Kinder zu kümmern, kann ich nicht sagen. Die Söhne sind 27, 29 und 31 Jahre alt. Ich bezweifle, dass die sich von der Mama morgens noch die Stulle schmieren lassen. Und die Ehe zu Marx ist ja auch gescheitert. Dass sie sich “kaum verändert hat”, wird nicht dokumentiert. Dafür sind die “Nacktfotos im Playboy” gleich drei Erwähnungen wert – aber keinen Screeshot.

Ähhh… welche Nacktfotos im Playboy? Ich war als Teenager in den 80ern ein “horndog“, wie Amis so gerne sagen. Hätte sich die bezaubernde Cynthia für das Blatt mit dem Hasen ausgezogen, hätte ich das gewusst.

Nun ist es eine Sache, wenn eine Schauspielerin sich nicht für den Playboy ausgezogen hat, man das aber fälschlicherweise (?) unterstellt. Kann passieren, Fehler kommen vor. Es ist aber schon sehr erstaunlich, wenn man so etwas bar jeglicher Belege einer Aktrice unterstellt, die das explizit nicht getan hat und auch nicht tun wollte. Ich zitiere mal die US-Wikipedia:

“Rhodes tried to maintain a clean-cut image in her acting roles and in the media, turning down scripts that required nudity and refusing offers to pose for pictorials in Playboy magazine. Sylvester Stallone, the director of Staying Alive, reinforced these facts by stating that Rhodes “would sooner quit the business before doing anything to embarrass her parents.”

Rhodes wollte sich also nie für den Playboy ausziehen – und sei es, um ihre Eltern nicht zu blamieren. Grund genug, dreimal das Gegenteil zu behaupten.

Quelle der “News” scheint OHMYMAG zu sein, eine französische Agentur für gesammelten Klatsch, deren deutscher Ableger Outlets beliefert, die keine eigenen Redakteure mehr für solche Themen anstellen wollen. Das mag angesichts der Print-Krise ja angehen – aber wäre “wenigstens noch mal drüberlesen” keine Option? Die Texte von Wikipedia sind gemeinfrei stehen unter einer freien Creative-Commons-Lizenz, die könnte man sogar kopieren. Wäre DAS keine sauberere Möglichkeit? Oder sowieso schon alles egal?

STERN – schäm dich.



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23 Kommentare
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Einsamer Schütze
Einsamer Schütze
29. Mai, 2021 19:30

kleine Korrektur: Wikipedia-Texte sind nicht gemeinfrei sondern stehen unter einer freien Creative-Commons-Lizenz.

DJ Doena
29. Mai, 2021 20:34

Sylvester Stallone ist der Regisseur von Staying Alive? 😮

Olaf
Olaf
29. Mai, 2021 23:04
Reply to  Torsten Dewi

In Saturday Night Fever und Grease war Travolta noch ein Spargeltarzan. Vlt. hat der Misserfolg in diversen Filmen nach Grease (Von Angesicht zu Angesicht, Urban Cowboy etc.) Fressattacken generiert. Sly’s Bruder (Frank Stallone) gibt in diversen Interviews auf youtube ein paar Anekdoten über Staying Alive zum Besten. Nebenbei macht er aufs feinste Travolta und Sly nach. Habe Tränen gelacht. https://youtu.be/nVt6r52HSc0

hilti
hilti
30. Mai, 2021 01:53
Reply to  DJ Doena

Wow, das war mir auch neu und ich staune grad.

Dinozeros
Dinozeros
30. Mai, 2021 15:38
Reply to  hilti

Wir zünden ein Licht für Bananenbieger Joe Lara und Frau an. Und die weiteren Opfer.

Jake
Jake
1. Juni, 2021 15:52
Reply to  hilti

Wow, das war mir auch neu und ich staune grad.

Dito! Das hat mich echt geplättet. Und dass Sly’s Bruder den Knaller-Song “Far from over” komponiert und eingesungen hat, war mir ebenfalls nicht bekannt. Wohl ein klassisches One-Hit-Wonder, wenn ich mir seine Diskografie so anschaue…

Last edited 3 Jahre zuvor by Jake
WaboSG
WaboSG
31. Mai, 2021 13:05

Zu dem Thema News Bot fand ich die kurze Aufregung um eine Obama Biographie ganz interessant (Hier vom BR). Gerade bei reinem Infotext wird die Mitarbeit von Bots in den kommenden Jahren sicher spannend.

Dietmar
1. Juni, 2021 20:56
Reply to  WaboSG

Beim Thema Obama finde ich bemerkenswert, wie hartnäckig manche Leute in den Medien seinen Vornamen “Bäräck” ausgesprochen haben.

WaboSG
WaboSG
2. Juni, 2021 17:52
Reply to  Dietmar

Dazu fällt mir sofort PayPal ein. Pal (englisch für Kumpel) spricht sich ja “Päl”. Der Bezahlservice wurde aber im denglischen so konsequent als “PayPall” bezeichnet, dass es in meinen Ohren mittlerweile falsch klingt es richtig auszusprechen.

Dietmar
2. Juni, 2021 22:00
Reply to  Torsten Dewi

Ich nutze für meinen Musik-Unterricht zwei JBLExtreme3-Boxen, die ich stereo schalte. Ständig sprechen mich Schüler auf meine “GBL-Boxen” an. Schön ist immer, dass, wenn ich erkläre, warum man das anders ausspricht, darauf bestanden wird, dass das “aber GBL-Boxen” seien.

Und für die Alten unter uns: Als “Dallas” noch ein Ding war, gab es ständig Leute, bei denen der Bösewicht “GR” hieß.

Marstier
Marstier
1. Juni, 2021 10:09

Das Problem ist die völlig Egaligkeit dessen, was da steht.

Es ist den “Lesern” bzw. Anklickern egal, ob stimmt, was da steht. Das wissen die, die es schreiben oder schreiben lassen.

Solange es um irgendwelche “Promi-“News geht, lässt mich da recht kalt, das klick ich nicht an und fertig.

Aber es ist ja den meisten Redaktionen auch schon zu viel, die täglichen Corona-Zahlen noch selbst in ein paar Sätzen einzuordnen. Stattdessen offenkundige Templates, in die Zahlen nur noch eingelesen oder eingesetzt werden.

Gerade heute z.B. hätte eine Einordnung Not getan. Ein Feiertag fällt aus der 7-Tage-Inzidenz raus, ein Werktag kommt dazu, was fast zwangsläufig zu einem kleinen Anstieg führt. Das ignorieren etliche selbst ernannte Qualitätsmedien gekonnt.

Marstier
Marstier
1. Juni, 2021 11:42
Reply to  Torsten Dewi

Du urteilst schnell über andere, nicht wahr?

Ich kann das auch: Du bist ein feistes Arschloch.

Dinozeros
Dinozeros
1. Juni, 2021 15:43
Reply to  Torsten Dewi

That escalated quickly.

Dietmar
1. Juni, 2021 20:54
Reply to  Dinozeros

Alte Zeiten flackern auf und verglimmen in der sanften Brise der Vernunft. 🙂

Dietmar
1. Juni, 2021 21:00

“…um den Surfer in endlose Fotogalerien zu locken.” Wollte eben mal die Mails – checken. Da erklärte mir t-online: “Diese 28 Stars sind gleich alt, obwohl sie nicht so aussehen.” So langweilig kann einem doch gar nicht sein, um sich da durchzuklicken, oder?

Matts
Matts
2. Juni, 2021 17:05

Na das ist mal ein EPIC FAIL!
(Vom Stern, nicht vom Wortvogel)