Farbenprächtige Geschichtsklitterung: Wohl und Wehe der künstlich intelligenten Nachbearbeitung
Themen: Film, TV & Presse, Künstliche Intelligenz, Neues |Wenn man wie ich Nostalgiker ist, dann wird man immer wieder mit den Grenzen der historischen Abbildbarkeit konfrontiert: Fotos sind schwarzweiß, verrauscht und miserabel aufgelöst, Filme haben fehlenden Ton, fehlende Frames und neigen zur Wackelei bei unsteter Ablaufgeschwindigkeit. Man erkennt was, aber je trüber die Quelle, desto weniger repräsentiert sie das Gezeigte. Man verliert das Gefühl, dass auch die Zeit vor der Erfindung des Farbfilms bunt war, auch die Zeit vor der Erfindung des Tonfilms laut und lustig.
Wäre es nicht ideal, wenn Kollege Computer die Leerstellen und Defizite der alten Materialien aus- und auffüllen könnte?
Nun ist das keine neue Erkenntnis. Der Film war gerade erst erfunden, da machte man sich schon daran, ihn um der präziseren Darstellung der Realität aufzupeppen. So wurden die ersten Lumière Brothers-Kurzfilme seinerzeit mühsam von Frauenhand Bild für Bild eingefärbt:
https://youtu.be/UkT54BetFBI
Mit dem Farbfilm geriet die Technik weitgehend in Vergessenheit. Brauchte ja niemand. Als in den USA mit Videokassetten und Kabelsendern eine neue Nachfrage an alten Filmen erwachte, machte man es sich etwas einfacher: ein Computer half dabei, von Menschen ausgewählte Flächen und Farbtöne halbwegs passgenau von Bild zu Bild zu übertragen:
Ich kann mich gut an die Empörung erinnern, als CNN-Gründer Ted Turner in den 80ern ein ganzes Archiv von Hollywood-Klassikern "bunt machte". Es galt als Tabubruch, als Vergehen an der künstlerischen Intention der Regisseure und Kameramännner. Schwarzweiß war schwarzweiß, weil es so sein sollte.
Man kann das so oder so sehen. Ich selber fand vor allem die etwas cremig-pastellige Einfärbung vom Computer störend, nicht die Idee oder die Technik dahinter. Hier noch mal ein etwas genauerer Blick auf den Prozess und die Kontroverse:
In Deutschland blieb der Aufschrei begrenzt, auch weil sehr wenige der kolorisierten Versionen hierzulande veröffentlicht wurden. Nur ein paar Feuilletonisten warfen den USA das beliebte Kulturbanausentum vor.
Eine Ausnahme: Giorgio Moroders Version von METROPOLIS. Mit großer Mühe hatte Moroder die bis dahin vollständigste Sammlung an Material zu Fritz Langs Klassiker zusammen getragen – nur um sie dann radikal zu kürzen, aggressiv einzufärben und mit einem neuen Soundtrack zu unterlegen:
Diese Version ist eindeutig ein Relikt der poppigen 80er, kulturhistorisch kaum zu rechtfertigen und letzten Ende auch belanglos. Andererseits: als Experiment ist es dann natürlich wieder spannend.
Nun hat die Technik in den letzten 20 Jahren massive Fortschritte gemacht – nicht nur, was die Software selbst angeht, sondern auch die schiere Rechenpower, mit der Filme komplett in kurzer Zeit überarbeitet werden können. Die alte Faustregel "was nicht auf dem Bild ist, kann auch nicht rekonstruiert werden" bzw. "Auflösung lässt sich nur runter, aber nicht hoch rechnen", stimmt so nicht mehr. Der Computer ist in der Lage, Filme auf vielfältige Weise zu analysieren und zu rekonstruieren. Dabei wird keine "Wahrheit" enthüllt, aber eine größere Nähe zur Realität zumindest simuliert.
Einem breiten Publikum in den Fokus gebracht hat diese Technik Peter Jackson, der Regisseur von LORD OF THE RINGS. In THEY SHALL NOT GROW OLD setzt er den Soldaten des ersten Weltkriegs ein Denkmal, in dem er mit restauriertem und ergänztem Filmmaterial alten Aufnahmen ein völlig neues Leben einhaucht:
Man sieht: es geht nicht nur um Farbe, es geht um Ton, um Auflösung, um Bildstabilität und Ablaufgeschwindigkeit. Der Computer ist nicht nur in der Lage, aufzuhübschen, sondern auch die technischen Unzulänglichkeiten der Zeit auszugleichen.
Gerade die Ablaufgeschwindigkeit ist ein wichtiges, aber unterschätztes Element – zu Stummfilmzeiten wurde fast immer von Hand gekurbelt. Selbst die besten Kameramänner konnten damit keine exakte Aufnahme abliefern – und kein Projektor die Unterschiede ausgleichen. Aus diesem Grund scheinen sich Menschen in Stummfilmen oft so sprunghaft oder hektisch zu bewegen. Lässt man den Computer die Geschwindigkeit analysieren und Bild für Bild angleichen, wirken die Bewegungen in den alten Aufnahmen auf einmal viel realistischer, flüssiger… und menschlicher.
Ein perfekte Beispiel ist der "Trip down Market Lane in San Francisco" von 1906 – eine Zeitkapsel, die an Relevanz gewinnt, weil die Stadt nur wenige Tage später bei einem Erdbeben fast völlig zerstört wurde:
Faszinierend, aber auch in sehr schlechtem Zustand – man bekommt eine Ahnung vom Leben vor 115 Jahren, für mehr reicht es nicht.
Nun haben sich fleißige Restaurateure mit verschiedener ausgefeilter Software daran gemacht, die Sequenz bestmöglich auf einen aktuellen Stand zu bringen. Das Ergebnis ist nicht weniger als phänomenal:
Ich finde es sensationell – aber hier geht die Kontroverse los. Denn natürlich wirkt die rekonstruierte Version nur realer, sie ist es aber nicht. Die Farben sind vom Computer "pi mal Daumen" geschätzt, die Soundkulisse ist völlig artifiziell. Es mag anders ausgesehen haben, sich anders angehört haben. Aus diesem Grund sind diverse hochrangige Historiker der Meinung, so eine Verfälschung des Materials sei nicht akzeptabel.
Und ich bin der Meinung, diverse hochrangige Historiker sind spießige Stoffel, die nicht verstanden haben, dass es auch im Interesse der Wissenschaft ist, dass Menschen eine Faszination für die alten Aufnahmen entwickeln.
Mittlerweile ist die Software so weit (verfügbar), dass auch Laien sich daran versuchen können. Es setzt eine Demokratisierung, sogar ein Wettbewerb ein, wer alte Aufnahmen besser rekonstruieren kann. Ein mit San Francisco vergleichbares Beispiel ist diese Fahrt mit der Hochbahn in Wuppertal von 1902:
Wer näher an die Menschen ran will – hier ist Berlin in den wilden 20ern:
Die etwas matschige Farbgebung basiert auch darauf, dass der Computer keine eigenen Erkenntnisse besitzt außer "Himmel blau, Gras grün", etc., und den Rest dezent vermutet. Würde man einen Menschen dran setzen, der in jeder Szene einmalig die Farben von Gegenständen, Kleidungsstücken und Häusern festlegt, wäre es noch naturalistischer, aber dann auch wieder aufwändiger.
Kurioserweise konkurrieren diverse, teils auch kostenpflichtige Algorithmen miteinander. Es gilt das marktwirtschaftliche Prinzip: wer ein richtig gutes Ergebnis will, muss meistens dafür zahlen. Hier mal ein Vergleich der aktuellen Versionen:
Diese Technik lässt sich exzellent auf Fotos anwenden, die plötzlich in Farben strahlen, in denen sie damals nicht aufgenommen wurden:
https://youtu.be/sloegplcURU
Eine amüsante Variante – Rekonstruktion von Gesichtern basierend auf Statuen:
Sehr weit von der Realität entfernt sich diese Simulation (ich mag es nicht Rekonstruktion nennen) – berühmte Kunstwerke und Figuren, umgerechnet in Fotorealismus:
https://youtu.be/rZSaD4QLjxE
Wenn man das Bild erstmal in die Gegenwart gebracht hat, kann man es natürlich auch sanft animieren, um den Personen noch mehr Leben einzuhauchen:
https://youtu.be/2s_hIs8s_N4
Solange man sich klar macht, dass es sich um eine Simulation handelt, die nicht dem Original entspricht, sondern es nur vermutet, dann macht das richtig Spaß anzuschauen. Ich schaue besonders alte Aufnahmen vom Stadtleben sehr gerne:
Oft habe ich mir gedacht: Wie wird das erst aussehen, wenn die mit der Technik auch die alten Stummfilm-Klassiker bearbeiten? Nun, es hat nicht lange gedauert:
Für mich ist das eine ERGÄNZUNG, kein Ersatz für die Originale. Aber als solche ist es völlig legitim und durchaus kritischer Betrachtung wert. Der Kreis wird sich schließen, wenn jemand sich des Mammut-Projekts METROPOLIS erneut annimmt…
Wie ich oben schon erwähnte: die Technik wird immer einfacher, immer unkomplizierter, immer verfügbarer. Neulich bin ich z.B. auf eine Webseite gestoßen, bei der man alte Schwarzweißfotos hochladen und in Farbe konvertieren kann. Das ist nicht immer perfekt und die Bilder werden leider nicht in Original-Auflösung ausgeworfen, aber ich möchte euch ein paar der besseren Beispiele mal zeigen.
Das hier ist ein Studiofoto meines Bruders und mir (gewürgt), ca. 1969:
Und das machte der Algorithmus daraus:
Ja, ich habe hellere Augen und die Haare meines Bruders waren etwas rotstichiger, aber es lässt sich kaum bestreiten, dass das Bild nun mehr Lebendigkeit ausstrahlt.
Das hier ist unser gesammelter Familienclan in Belgien Anfang der 50er bei der Kommunion meiner Mutter:
Wie das in Farbe aussah, interpretiert die Software so:
Wieder nicht perfekt, aber eine deutliche Verbesserung.
Mein Vater war in jungen Jahren ein sehr gut aussehender Mann, wie dieses Porträt (vermutlich ein Bewerbungsfoto) aus den frühen 60ern beweist:
Deutlich näher ist er mir in der am Computer errechneten Farbversion:
Ich will diese Krawatte!
Und dann kam ich natürlich nicht umhin, den Klassiker hochzuladen: ein Bild aus den 40er Jahren, das meinen Großvater und seine Brüder in Belgien zeigt. Wenn es je eine belgische Mafia gab, dann war er ihr Pate:
Trotz geringer Auflösung, Unschärfe und Bildrauschen hat der Algorithmus eine ziemlich coole Kolorisierung hinbekommen:
Das würde ich mir glatt als Poster in 80×60 gerahmt an die Wand hängen.
Und damit kommen wir zum nächsten und letzten Aspekt der Restauration: die Hochrechnung in eine bessere Auflösung. Auch das: vor 30 Jahren undenkbar, vor 20 Jahren Zukunftsmusik, vor 10 Jahren unbezahlbar, heute ein kostenloser Webservice.
Es gilt natürlich weiterhin: je mehr Hand man selber anlegt und je mehr man investiert, desto besser die Ergebnisse. Aber ich konnte tatsächlich feststellen, dass man mit dieser Webseite Digi-Fotos aus der 1 und 2 Megapixel-Ära super so weit pimpen kann, dass sie auch wieder für ordentliche Prints geeignet sind, weil eben nicht nur die Auflösung erhöht wird.
Wieder ein Beispiel: Die Bilder meiner USA-Reise von 2003 liegen nur in katastrophalen 800×600 vor. Hier sitze ich in niedriger Auflösung vor dem Parkhaus am Hoover Dam;
Ein einfaches Heranzoomen an die Details zeigt die Grenzen der Aufnahme:
Mit dem oben genannten Webservice habe ich das Bild mal vierfach höher aufgelöst und dabei von der KI auch noch nachschärfen lassen – man achte z.B. auf die Haare oder den Pickel an der Nasenwurzel:
So könnte das auch in einem Fotobuch verewigt werden. Mit von analogen Abzügen gescannten Bildern habe ich noch bessere Ergebnisse erzielt.
Natürlich hat auch das seine Limits. Es gilt wie so oft im Digitalbereich: je mehr Daten der Algorithmus als Basis hat, desto besser das Ergebnis. Umgedreht: garbage in, garbage out. Das oben gezeigte Bild meines Großvaters wollte ich postertauglich hochrechnen lassen. Dafür habe ich es erstmal durch den Glättungs-Algorithmus geschubst – das sorgt für eine schwammige Haut (links):Hebe ich direkt die Auflösung an, dann bekommt er eine Elefantenhaut (links):
Will sagen: man kann das Bild zwar hochrechnen, aber es wird nicht mehr nennenswert besser werden. Zumindest nicht mit diesem kostenfreien Service. Und das ist der Punkt, an dem man die Defizite der alten Fotos als Stilmittel anerkennen muss. Als Kunst. Das soll so.
Wie seht ihr das? Spannend oder beängstigend? Würdet ihr Privatfotos einem Online-Dienst anvertrauen? Ist das eine weitere Facette der Fake News oder ein neues glorreiches Zeitalter digitaler Restauration? Farb-METROPOLIS in 4k und 60fps ja oder nein?
Sehr spannend, danke für den Ausflug. Macht Lust auf mehr!
Und ja: Na klar, Metropolis in Farbe! Wie du schon sagst: Als Experiment – als Ergänzung – warum nicht?
Komisch: Bin ich ein besonders phantasiebegabter Mensch? Meine Erfahrungen sprechen eher dagegen.
Aber ich sehe in den nachbearbeiteten Versionen nichts, was ich nicht in den alten Aufnahmen auch schon gesehen hätte. Ruckelige, schlecht auflösende Aufnahmen einer Straße in San Franciso reichen mir, um diese Straße vor mir zu sehen, den Rest ergänze ich. Und das muss ich ja immer: ergänzen. Bei Filmen, bei Fotos, bei Texten, die immer nur einen Teil einer Realität aus einem bestimmten Blickwinkel zeigen.
Für mich haben die nachbearbeiteten Versionen keinerlei Mehrwert, nur den nicht zu leugnenden Makel, verfälscht zu sein. Der nächste Schritte wäre dann, dass alles ganz von der Realität zu lösen, technisch auch längst möglich. Der Preis dafür, Aufnahmen vielleicht lebendiger zu machen, ist ihnen jeden historischen Wert zu nehmen.
Das verstehe ich ehrlich nicht. Was genau wird denn an Wert genommen, wenn man aus Grautönen irgendwelche Bunttöne macht? Ich meine, realistisch sind die Grauabbildungen nicht und vielleicht sind es die gewählten Farben bei der Colorierung auch nicht. Aber nach Sichtung der Videos oben, denke ich, dass sie zumindest näher rankommen als grau. Also ich sehe hier lediglich einen potentiellen Wert, der hinzukommt.
Und die originalen Dokumente bleiben ja erhalten, sozusagen als Artefakt und Zeuge früherer Technik. Das kann doch gut nebeneinander existieren. Wo findet also die Wertvernichtung statt?
Es geht Atmosphäre verloren. Es ist nicht authentisch.
Es mag vielleicht nicht immer authentisch sein, aber man kann dennoch nicht von Verlust erkennen, davon etwas einen "Wert zu nehmen". Der Wert ist nach wie vor da – die Originalaufnahme ist ja weiterhin vorhanden. Also wird doch nur etwas hinzugefügt: Potentiell realistischere Farben bei Landschaftsaufnahmen bzw. eine Neuinterpretation des Stoffes bei Filmaufnahmen.
Geht mir ähnlich und bei Chaplin sieht das Ergebnis für mich aus wie ein schlechtes Videospiel. Die geratenen Farben sind inkonsistent, regelmäßig schwappt grau über die Gesichter und teilweise wirken die Leute wie Scherenschnitte, aber nicht mehr wie ein Teil der Umgebung. Technisch durchaus beeindruckend, aber emotional geben mir zumindest bei Filmen die Originale deutlich mehr. Bei einem Aufwand wie "They shall not grow old" mag das Problem verschwinden, aber für das Ergebnis ist wohl noch sehr viel Handarbeit nötig gewesen.
Das ist schon sehr spannend. Von berufs wegen ist das alles nicht unbedingt neu für mich – aber es ist schon der Wahnsinn, dass heute per Klick binnen Sekunden jeder frei im Web ein Ergebnis erreicht, für das Kunden früher gutes Geld zahlen mussten, weil das einen geraume Zeit beschäftigt hat. Auch insofern spannend, da diese Services kostenlos sind, aber keine schlechtere Arbeit leisten als kostenpflichtige Programmangebote.
Auf jeden Fall ist meine Mutter bereits sehr angetan von den Ergebnissen, die ich ihr gezeigt habe. Da es sich um Fotos ihrer Kindheit und ihrer Vorfahren handelt, ist das emotional ein großer Effekt für sie.
Adobe ist, als Platzhirsch in Sachen Bildbearbeitung, bei dem Thema natürlich auch vorn dabei. Vor kurzem wurde "Adobe Super Resolution" vorgestellt, eine Technik, die wohl tatsächlich sehr viel mehr Bildinfos erkennen (bzw. interpretieren) kann/soll, als das Foto hergibt, um dann beeindruckendes Upscaling zu ermöglichen. Ich hab’s selber noch nicht testen können, aber die Technik wird wohlwollend in den entsprechenden Kreisen aufgenommen.
https://howtotechnoglitz.com/germany/verwendung-der-funktion-super-resolution-von-photoshop-und-lightroom/
Kurios – ich habe vor ein paar Tagen dazu das hier gesehen:
https://youtu.be/cfTbrJP5TXs
Oha. Trauriges Ergebnis von/für Adobe…
Kommt sicherlich auch auf das Motiv und die Auflösung an. Deswegen nennt Adobe das ja auch nur Super Resolution und nicht AIEnhancement oder so. Das ist einfach ne klassische, automatisch ausgeführte Vergrößerung. Habe die Werbung dazu von Adobe jetzt nicht gesehen, aber vom Namen und der kurzen Beschreibung in der Anwendung ist das eigentlich eher dafür gedacht, hochauflösende Bilder einfach nochmal hochzurechnen für bessere Druckergebnisse.
Jedenfalls gehe ich stark von aus das Adobe da noch einiges nachbessert. Die haben dieses Jahr auf deren Adobe Max schon einige Funktionen gezeigt, die definitiv auf KI aufbauen und zumindest in deren perfekten Beispiel atemberaubend waren, aber KI Upscaling war da imo nicht dabei.
Es GAB letztes Jahr (oder so) eine ziemlich spektakulär nachbearbeitete Version von Metropolis auf Youtube, die leider von den Rechteinhabern aus dem Netz geklagt wurde, bevor ich sie mir runterladen konnte. :-/
EDIT: Gerade noch mal nachgesehen – ein paar Versionen gibt es momentan tatsächlich auf Youtube, keine Ahnung, ob eine davon die war, die ich gesehen hatte.
Die habe ich auch gesehen und fand sie eher unterwältigend.
Meine Meinung: Zunächst mal darf man das alles. Zumindest solange man nicht George-Lucas-mäßig danach das Original vernichtet oder unverfügbar macht. Ob ich mir das Ergebnis dann ansehen würde, hängt vom Einzelfall ab.
Bei professionell inszenierten und ausgeleuchteten Schwarzweiß-Filmen und -Fotos, würde ich, glaube ich, eher keine colorisierten Fassungen ansehen. Denn da unterstelle ich, dass Kamera und Regie eine genaue Vorstellung davon hatten, wie das Ergebnis aussehen sollte. Klar, sie hatten nur Schwarzweiß – das heißt aber nicht, dass sie ein Farbbild genauso ausgeleuchtet und komponiert hätten wie ein schwarzweißes. Sie haben das Werkzeug, was ihnen zur Verfügung stand, bewusst eingesetzt. Da will ich nicht den "second guess" eines Farb-Algorithmus. Dezentes "de-aging" des Materials fände ich vielleicht noch okay, solange es nicht zu den beschriebenen Artefakten führt – das versucht ja nur, den Effekt der Jahrzehnte rückgängig zu machen, um uns näher ans Original zu bringen.
Eine Ausnahme wären für mich Sachen wie das Moroder-Metropolis: Das ist ein Remix, und damit ein eigenständiges Werk – da gilt dann als Maßstab die Vision der Person, die es erstellt hat. (Únabhängig davon, wie ge- oder misslungen das Ergebnis im Einzelfall sein mag.)
Bei dokumentarischem Material wie der Straßenbahnfahrt in San Francisco oder den üblichen Amateuraufnahmen bin ich ganz entspannt: Da dürfte die ursprüngliche Intention gewesen sein, festzuhalten, was gerade vor der Kamera passierte – ein großes visuelles Konzept mit Licht und Schatten dürfte meist nicht dahinter gestanden haben. Der Mangel an Farbe ist hier also reines Defizit und wurde nicht zum künstlerischen Mittel – deswegen habe ich kein Problem damit, wenn so ein Defizit behoben wird. Natürlich taugen die so bearbeiteten Bilder nicht als historische Primärquelle, aber für mich als Laien lassen sie die Zeit lebendiger werden.
Bei Schwarz/Weiß Spielfilmen muss man vorsichtig sein, weil damals die Regisseure sich schon oftmals etwas bei gedacht haben. Besonders bekannt ist da Hitchcock, der alles genauestens auf s/w abgestimmt hat. Da wäre eine Nachkolorierung definitiv ein Eingriff in das Werk des Regisseurs.
Bei sehr alten Filmen ist das auch schwer, weil da inzwischen definitiv jeder Beteiligte, gar jeder Erstseher, gestorben ist und oftmals auch keinerlei Aufzeichnungen mehr existieren. Ich weiß nicht mehr genau wo ich das damals gelesen/gesehen habe, es war aber glaube ich über die Restauration von Nosferatu oder der Nibelungen. Anke Wilkening fasst das recht gut zusammen beim Pantoffelkino Besuch. Bei Schnittberichte gibts auch paar Bilder zu Nosferatu. Das war zwar damals alles nur Hilfsmittel, aber so eben vom Regisseur gewünscht und da würde eine Farbmischung doch ein massiver Eingriff sein.
Der Unterschied bei Dokumentationen oder Echtweltszenen ist, das hier eigentlich das Leben dargestellt werden sollte. Hier waren die Regisseure definitiv eingegrenzt, weil sie eben keine Farben und teils auch keinen Ton darstellen konnten. Natürlich mag es einige Dokumentationen geben, die da auch ins Werk aktiv eingreifen würden, aber ich würde mal behaupten, dass das dann eher Propagandawerke sind wie von Frau Riefenstahl. Deswegen ist es hier eben unproblematischer die Filme einzufärben und auch Ton drüber zu geben. Da hatte ich auch mal eine interessante Doku zu gesehen, aber weiß auch nicht mehr, wo das war. Im Zweifel würde ich aber behaupten, dass das in der Dokumentation/Zusatzmaterial zu Jackson "They shall not grow old" ausführlich erwähnt wird.
So in Farbe und mit Ton bringt das uns unsere Vorväter jedenfalls viel näher und das ist gut so, da damit die Wirkung, die die Dokumentation auf uns hat, steigt.
Bei Gemälde/Statuen ist es eine schöne Spielerei, mehr aber wird es nie sein. Denn in den seltensten Fällen stellen die Bilder die Wirklichkeit dar, sondern oftmals einfach eine Verschönerung. Allein schon Pockennarben wurden da mit einem "Weichzeichner" einfach entfernt.
Halb Off-Topic – was das Thema Filmgeschwindigkeit vor 100 Jahren betrifft, verlinke ich gern einen interessanten und lesenswerten Beitrag von Kevin Brownlow, "Silent Films: What Was the Right Speed?", der zuerst 1980 in Sight and Sound erschien und mittlerweile nur noch über die Wayback-Machine aufrufbar ist:
https://web.archive.org/web/20110724032550/http://www.cinemaweb.com/silentfilm/bookshelf/18_kb_2.htm
Das sind interessante zusätzliche Aspekte, aber die Handkurbelei ist eben doch ein. wichtiges Problem:
https://forum.doom9.org/showthread.php?t=175853&page=2
Das ist ja interessant: Seit Tagen sehe ich mir solche Kolorisierungen an und finde das ziemlich spannend. "Casablanca" sieht ganz gut aus, für Filme wie "Der Malteser Falke" oder "Psycho" geht das einfach nicht, finde ich.
Im Geschichtsunterricht werde ich tatsächlich auf kolorisierte Büsten und fotorealistische Bearbeitungen von Portraits historischer Persönlichkeiten zurückgreifen, um diese den Schülern nahezubringen.
Was Moroder da mit "Motropolis" veranstaltet hat, ist aber eine Vergewaltigung. In meinen 10. beschäftigen wir uns gerade mit Programm- und Konzept-Musik. Dafür verwende ich diese grandiose Szene
https://www.youtube.com/watch?v=A0D4fHieW8o
die nur mit Huppertz´ Musik passt. Etwas anderes zu machen, wäre, als würde man die Dusch-Szene von "Psycho" neu vertonen. Oder "Once a Time in the West" mit etwas anderem als Morricone. Das sind Gesamtkunstwerke.
Exakt. "Metropolis" ist das beste Beispiel. Filmischer Expressionismus, bei dem Mienenspiel durch starkes Schminken noch verstärkt wird, verträgt draufgeklatschte Farbe so gut wie der Vampir ’ne Stunde Sonnenliege zur Mittagszeit. Eh schon bewusst hohlwangige Darsteller werden mit fetter Schminke noch mehr auf wandelnden Schlagschatten (so hieß übrigens der erste Superheld, den ich als filmbegeisterter Knirps erfunden habe) getrimmt… und da wird dann so der Tuschkasten drauf ausgebreitet. Bäh. Die Musik gibt dem Ganzen dann noch den Rest.
Eine Schandtat.
Ich möchte Interesse an den Filmrechten zu "Schlagschatten" anmelden!
Sind für ’ne Portion Pommes rot-weiß zu haben, bitte auf mein Konto bei der Peter-Parker-Bank überweisen. Der Schlagschatten war cool. Damals habe ich noch gezeichnet. 'Ne Mischung aus Dr. Mabuse, Phantomas und dem Münstermännchen aus "Donald Duck". Verbrechensbekämpfer und Meisterdieb in einem. Tja.
Mann, das waren Zeiten. Übrigens in sehr geilen Siebziger-/Achtziger-Farben. Das waren die besten.
Ich werde sicher dieser Tage noch eine Ergänzung zum Artikel schreiben, zumal sich ein paar neue Aspekte ergeben.
Faszinierendes Thema. Gern mehr. Wenn du weiter ausholst, ergeben sich sehr lesenswerte Arbeiten.
Gab es das übrigens hier mal, einen Wortvogel-Blick auf die Frühgeschichte des deutschen Films? Geht mir gerade durch die drei Gehirnzellen. Das wäre nochmal schmackhaft. Ich erinnere mich zudem an deine Worte zu Harry Piel – da hätte ich gern mehr gewusst, und hätte das auch gern verfilmt gesehen.
Meinetwegen als selbstgedrehten Indie. Die Stunts kann man ja im Kopf stattfinden lassen, wenn sich Joha nicht anbietet.
Oder auch eine Zeitstrahl-Reihe zur Geschichte des deutschen SF-Films. Wortvogel, nicht mehr schlafen…
Toll, hätte nie gedacht dass ich solche interessanten Gedanken mal zum Stummfilm lesen darf, in einem Blog.
Drei kurze Anmerkungen dazu: Das Ruckelige der Stummfilme kommt nicht durch das manuelle Kurbeln des Films, sondern meistens durch die falsche Geschwindigkeit der Projektion, also der Wiedergabe. Tonfilm läuft auf 24 Bildern pro Sekunde und wurde so gedreht und projiziert, aber die meisten Stummfilme wurden mit 12-16 Bildern/Sekunde gedreht. wenn man sie dann später also zu schnell wiedergab bzw. in der falschen Geschwindigkeit digitalisierte, ruckelten sie.
Die grelle Schminke im Stummfilm hatte auch eine technische Ursache: Die starken Bogenlichtlampen. Damit Gesichter im Schwarzweiss des Stummfilms halbwegs naturalistisch erscheinen konnten, mussten sie grell weiß geschminkt werden.
Spannend ist auch, dass Filmmaterial als Datenträger bis vor wenigen Jahren deutlich mehr Informationen speichern konnte als digitale Filmkameras bzw. deren Chips, was in der Frühzeit der Digitalisierung des alten Filmmaterials der Grund war, warum die digitalen Kopien so eine schlechte Auflösung oder Bildgrösse hatten.
Erst in den letzten Jahren ist die Speicherkapazität digitaler Medien wie Video ähnlich der von Film. Und die Projektion ist dann noch mal ein ganz anderes Thema – es ist noch nicht so lange her, dass die Kinos auch digitale Filme noch analog projizierten, und erst in den letzten Jahren die digitale Projektion gleichwertig wurde.
"Das Ruckelige der Stummfilme kommt nicht durch das manuelle Kurbeln des Films, sondern meistens durch die falsche Geschwindigkeit der Projektion, also der Wiedergabe. Tonfilm läuft auf 24 Bildern pro Sekunde und wurde so gedreht und projiziert, aber die meisten Stummfilme wurden mit 12-16 Bildern/Sekunde gedreht. wenn man sie dann später also zu schnell wiedergab bzw. in der falschen Geschwindigkeit digitalisierte, ruckelten sie."
siehe dazu meinen Link vom 16.04.:
https://wortvogel.de/2021/04/farbenpraechtige-geschichtsklitterung-wohl-und-wehe-der-kuenstlich-intelligenten-nachbearbeitung/#comment-1096345
Das ist alles gut und richtig, aber die Handkurbelei war eben AUCH ein Problem, besonders bei nicht-kommerziellen Filmen wie den Stadt-Dokumentationen, die oben zu sehen sind:
https://forum.doom9.org/showthread.php?t=175853&page=2
Sehr spannend finde ich das Argument der Auflösung, mit dem ich mich auch schon peripher beschäftigt habe und dem ich sicher demnächst mal ein eigenes Thema widmen werde.