27
Feb 2023

Serien-Kritik: FOYLE’S WAR

Themen: Film, TV & Presse |

England, 2002-2015. 28 spielfilmlange Episoden. Creator: Anthony Horowitz (CRIME TRAVELLER, MURDER IN MIND, COLLISION). Darsteller: Michael Kitchen, Honeysuckle Weeks, Anthony Howell, Ellie Haddington, Tim McMullen u.a.

Es gibt ja den schönen Spruch, dass man mitunter zu seinem Glück gezwungen werden muss. Im Fall von FOYLE’S WAR fällt darunter die wiederholte Aufforderung des Ehepaars Briem, die Serie nach dem Ende aller POIROT-Folgen dringlich anzuschauen. Warum wir uns so zierten? Wir kannten die Hauptdarsteller nicht, hatten nie von der Serie gehört und der Zweite Weltkrieg als Hintergrund einer britischen Krimiserie schien uns auch nicht so attraktiv.

Was für ein Irrtum. Was für ein Fehler. Was für eine Dummheit.

FOYLE’S WAR ist, das lässt sich ohne Übertreibung schreiben, eine der nicht nur besten, sondern auch gehaltvollsten britischen Krimiserien des neuen Jahrtausends und steht stolz neben LUTHER, SHERLOCK, ENDEAVOUR und eben auch POIROT. Ich betrachte es als beschämendes kulturelles Defizit, dass die Serie bis heute anscheinend komplett am deutschen Sprachraum vorbeigerauscht ist.

Worum es geht? Das ist gar nicht so einfach zu erklären, denn nach einer temporären Einstellung wurde das Konzept für die letzten beiden Staffeln umgeschmissen – was der Serie noch mal einen qualitativen Schub gab.

Ähnlich wie ENDEAVOUR und MS. FISHERS MODERN MURDER MYSTERIES setzt jede Folge ein Thema als Hintergrund, vor dem sich die Story abspielt. Und weil im kleinen Ort Hastings wie überall 1939 der Zweite Weltkrieg bevorsteht, bekommt Inspektor Christopher Foyle es mit Kriegstreibern, Kriegsgewinnlern, Rassisten, Deserteuren, Schmugglern, Spionen und Saboteuren zu tun:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Mit den Staffeln schreitet der Krieg voran, wir sehen die zunehmende Zerstörung Englands, die Paranoia, die Rationierungen – und hier findet die Serie auch immer neue Themen und Backgrounds. Das Militär und seine Hoheit spielen sich in den Vordergrund, Polizeiarbeit wird zunehmend zu einem Drahtseilakt.

Die Mordfälle sind dabei manchmal fast zweitrangig, perfekt eingebettet in Zeitkolorit und die Frage nach den moralischen Möglichkeiten in unmoralischen Zeiten. Soll man einen des Mordes überführten Piloten festnehmen, der beim nächsten Angriff noch ein paar Nazis mit in den Tod reißen könnte? Was nutzt die Aufklärung eines einzelnen Todesfalls, wenn bei einem Stuka-Angriff der Pub nebenan in Schutt und Asche gelegt wird – mit Dutzenden von Opfern?

Foyle ist dabei das schweigsame, bedächtige und unerschütterliche Zentrum der Serie, ein Mann ehernen Charakters, der nie ein Wort zu viel spricht und den Unschuldigen Zuversicht gibt, während die Schuldigen ihn instinktiv fürchten.

Michael Kitchen, ein mir bis dahin praktisch unbekannter britischer Theater- und Charakterschauspieler, ist phänomenal als Christopher Foyle. Er holt das Maximum aus dem Minimum, seine Performance ist ein Paradebeispiel klassischen Understatements. In den 70ern hätte der gealterte Heinz Rühmann diese Rolle ebenfalls perfekt verkörpern können.

In den ersten Staffeln steht Foyle neben seiner Fahrerin Sam Stewart noch der kriegsversehrte Beamte Paul Milner zur Seite – ein klassisches Ermittlerteam, das aufgrund der langen Episodenlaufzeiten auch immer wieder separate Handlungsstränge bedienen kann, die am Ende zusammenlaufen.

In Staffel 5 geht der Krieg endlich zu Ende, nicht aber das Leid der britischen Bevölkerung, die noch Jahrzehnte darunter leiden sollte, als ausgehungerter “Gewinner” dem rasend nachwachsenden Wohlstand der Deutschen zuzuschauen. Nach drei Episoden im Niemandsland zwischen Krieg und Frieden geht Foyle in den Ruhestand – und nach einer USA-Reise lässt er sich widerwillig auf einen neuen Job ein: er wird Sonderermittler des britischen Geheimdienstes.

Damit beginnt die Wiedergeburt der Serie als Spionage-Drama. Die Handlung wird von Hastings nach London verlegt, Sam wird Foyles Assistentin, die Fälle noch komplexer, noch politischer. Foyle wird immer mehr in die Komplexitäten des aufkeimenden Kalten Krieges verstrickt – nur der moralische Zwiespalt bleibt bestehen: Welche Macht haben Recht und Gesetz, wenn es um “höhere Ziele” oder “politische Notwendigkeiten” geht? Foyles eigene Maßstäbe werden dabei immer wieder in Frage gestellt.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

So erzählt FOYLE’S WAR mehr als eine Aneinanderreihung von Whodunits – die Serie ist ein zeitgeschichtliches Gemälde mit 28 Facetten, auf die historischen Hintergründe nicht weniger bedacht als auf die Kriminalfälle. Das gibt den Staffeln einen großen Mehrwert und das Endergebnis ist mehr als die Summe seiner Teile.

Zu verdanken ist das eindeutig Anthony Horowitz, einem der sicher aktuell besten britischen TV-Autoren, der nicht nur darauf bestand, die Fälle aus realen Ereignissen zu extrapolieren – er hat sich auch die Finger blutig recherchiert, um mit großer Präzision die Umstände zu illustrieren. FOYLE’S WAR ist eine Masterclass in Sachen Storytelling, die immer wieder die Erwartungen der Zuschauer unterläuft und nie den offensichtlichen Weg einschlägt.

Und so kann ich jedem, der britische Krimiserien mag und der Sprache mächtig ist, FOYLE’S WAR nicht dringlich genug ans Herz legen. In einer Zeit der Streaming-Spektakel und gebrochenen Anti-Helden können die Qualitäten dieser “Maxi-Serie” nicht hoch genug gelobt werden. Ehrensache, dass wir bereits ein Autogramm von Michael Kitchen an unserer Wand hängen haben…

Wen “graue” Angebote nicht scheuen, der kann sich die komplette Serie aktuell über diese YouTube-Playliste anschauen. Mal sehen, wie lange noch…

P.S.: Hauptdarstellerin Honeysuckle Weeks ist übrigens die Schwester von Perdita Weeks, der “Higgins” in der MAGNUM-Neuauflage:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

5 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
michael hoppe
michael hoppe
27. Februar, 2023 15:27

Danke für diesen Tipp,das klingt wirklich vielversprechend.bin wirklich verblüfft,von dieser Serie rein gar nichts gehört zu haben

Christian Siegel
28. Februar, 2023 09:52

Auch von mir vielen Dank für den Tipp, ist bestellt! 🙂

comicfreak
comicfreak
28. Februar, 2023 11:39

*notiert*

Mencken
Mencken
1. März, 2023 10:00

Mit den Spionagestaffeln konnte ich mich nicht anfreunden, aber ansonsten gute Serie. Bin ehrlich verblüfft, dass die Serie so unbekannt zu sein scheint, ist ja immerhin gute 20 Jahre alt, mit etlichen bekannten Namen verbunden und wird auch immer wieder gerne als Vorbild und Favorit genannt.

Ingo
Ingo
6. März, 2023 21:58

Nice! Und gleich in Episode 1 James McAvoy und Rosamunde Pike. Danke für den Tipp.