Best of British: Krimi deluxe
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Dieser Artikel hat keinen konkreten Anlass. Ich möchte nur gerne mal wieder darauf hinweisen, wie federführend die Briten in Sachen Krimiserien sind. Komplexe Plots, atmosphärische Settings, sensationelle Darsteller (die durch die Serien oft zu Weltstars werden): das kann KEINE Nation so wie das Königreich. Von der regionalen Produktion für das eigene Publikum in den 60er und 70er Jahren zum Geheimtipp in den 80er und 90er Jahren – bis zum Crime-Champion im neuen Jahrtausend. You’ve come a long way, baby.
Nun ist es nicht so, dass die Briten nicht immer schon populäre Krimiserien produziert haben. Mit wenigen Ausnahmen (THE AVENGERS, THE PROFESSIONALS) waren diese aber unfassbar… beige. Schlechte Fristuren, schlechte Zähne, die grausige Dramturgie früher DERRICKS und ein Budget, für das man sich beim AKTENZEICHEN XY geschämt hätte:
Das lief auch in Deutschland (in diesem Fall als DER AUFPASSER), wurde aber mehr aus Mangel an Alternativen geschaut als aus echter Begeisterung.
Mit den 90ern wurde es dann deutlich besser, dir Briten begannen verstärkt, auch auf den internationalen Markt zu schielen und dafür die Budgets hoch zu schrauben. Eine neue Generation von Autoren drehte den Fokus weg vom drögen Thatcher-England in die Moderne. So habe ich mit großer Begeisterung damals JONATHAN CREEK geschaut:
Und CRACKER – eine Serie, die sogar ein erfolgloses US-Remake spendiert bekam:
PRIME SUSPECT bekam ebenfalls ein US-Remake – und viele Preise:
Für mich das Highlight des Jahrzehnts bleibt aber POIROT, die kongeniale Umsetzung sämtlicher Agatha Christie-Geschichten um den belgischen Detektiv:
Aber selbst das war alles nur Präludium, ein Vorspiel. Im neuen Jahrtausend ist das britische Fernsehen nochmal deutlich besser geworden und hat einen Spagat geschafft, den ich mir hierzulande nur wünschen kann: gänzlich britische Themen und Geschichten, aber mit internationalem Hochglanz aufgearbeitet. Sie sind ein Aushängeschild für Land und Fernsehen, Premium-Produkte mit Langzeitwirkung. In Sachen Krimi gilt: rule Britannia.
Und darum möchte ich hier einen Teil der Serien vorstellen, die ich zusammen mit der LvA in den letzten Jahren gesehen habe. Es ist eine Leistungsschau des Besten, was das britische Fernsehen zu bieten hat. Ich bin dankbar für so viele großartige, spannende und begeisternde Stunden.
Fangen wir einfach mal mit MAIGRET an – der vierten "signature role" für Rowan Atkinson, der den französischen Ermittler mit einer kargen, traurigen Ernsthaftigkeit spielt, die Mr. Bean vergessen lässt. Leider gab es nur vier TV-Filme, aber diese sind Wunderwerke in Sachen Atmosphäre, Kamera und Ausstattung:
https://youtu.be/agvdPuFiHwk
Die Briten können "historische" Krimis wie sonst niemand. Und in den 2010ern haben sie angefangen, das wieder und wieder zu beweisen.
RIPPER STREET ist in vielerlei Beziehung der Startschuss der aktuellen Welle an historischen Krimiserien jenseits von Holmes und Poirot gewesen. Große Ausstattung und eine sehr amerikanische Inszenierung machen das London des späten 19. Jahrhundert wieder lebendig. Eine Welt im Umbruch – neue Zeiten, neue Moral. Nach dem Ende bei der BBC von Amazon fortgeführt:
HOUDINI & DOYLE war für uns eine echte Entdeckung, weil wir die Serie bei der Erstausstrahlung 2016 völlig verpasst hatten. Hier kommt zum Zeitkolorit noch die Einbindung zweier realer Prominenter ihrer Ära, Sir Arthur Conan Doyle und Harry Houdini. Es hat mich selten mehr gestört, dass nach nur einer Staffel Schluss war:
MISS SCARLET & THE DUKE ist nicht ganz so aufwändig und erzählt neben den Kriminalfällen eine aufkeimende Liebesgeschichte zwischen der Detektivin und dem Kommissar, aber als "light entertainment" ist auch das perfekt umgesetzt. Die zweite Staffel sollte mittlerweile abgedreht sein, wenn Corona nicht dazwischen gekommen ist.
Nur teilweise in diese Liste gehört Joss Whedons problemgeplagtes Projekt THE NEVERS, das den Krimi mit Elementen von Fantasy und Superheldencomics kombiniert – genau genommen ist es eine US-Produktion. Aber es spielt in London und setzt primär auf englische Darsteller, da sind die Grenzen demnach fließend:
https://youtu.be/gs-ODufnJ8Y
Aber auch die "gegenwärtigen" Serien haben einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht und keine Liste wäre vollständig ohne die beiden unangefochtenen Platzhirsche. Mag SHERLOCK auch in den späteren Staffeln unter dem Ruhm von Benedict Cumberbatch und immer opakeren Skripts gelitten haben – Mann, war das ein "rush", als es losging:
Nicht weniger brillant: LUTHER, die Serie, die den Namen Idris Elba um die ganze Welt trug. Auch Ko-Star Ruth Wilson konnte den Erfolg in eine extrem lukrative Karriere ummünzen. Die entnervte Aussage "Now what?!" zum Ende jeder Staffel ist bei uns ein geflügeltes Wort. "Do not trust DCI Ian Reed" – that’s great writing.
Der Gegenentwurf: die irische Serie SINGLE HANDED. Gering budgetiert, gänzlich ohne Stars und Glamour, werden hier Verbrechen in der Provinz geklärt, die oft genug in lange schwelende Konflikte eingewoben sind. Stoisch in jeder Beziehung, aber in seiner unspektakulären Ruhe weit über die Plots hinaus interessant:
Ähnlich wie MISS SCARLET & THE DUKE ist DEATH IN PARADISE "light entertainment". Die Idee vom stoffeligen Beamten-Cop, der auf die sonnige Urlaubsinsel kommt und mehr Gewaltverbrechen löst, als es Einwohner gibt, ist eher banal. Die Skripts sind sehr strikt nach Agatha Christie-Vorgaben geplottet und man hat in neun Staffeln bereits vier Hauptdarsteller verschlissen. Aber im gesetzten Rahmen macht das dennoch Spaß.
In die gleiche Kerbe schlägt AGATHA RAISIN. Hier erleben wir eine ehemalige PR-Managerin, die in den idyllischen Cotwolds Kriminalfälle löst. Die britische Version des deutschen Provinzkrimis lebt von schrulligen Figuren und einer sonnigen Attitüde, auch wenn sich in den letzten Folgen Langeweile eingeschlichen hat.
Kommen wir zu einem weiteren Schwerpunkt britischer Krimiserien: Sequels, Prequels und Reboots. Das ging ja schon in den 90ern (nach hinten) los, als man DIE PROFIS sehr lustlos neu auflegte:
Meistens sind die Neuauflagen aber von hoher Qualität und übertreffen oft genug die Originale. So kann man es unnötig finden, dass Kenneth Branagh Kommissar WALLANDER spielen wollte – eine Figur, die zuvor in einer schwedischen Serie schon perfekt umgesetzt wurde. Mit der Brillanz der Produktion und der grandiosen Darstellung Branaghs ist allerdings nicht zu diskutieren:
ENDEAVOUR ist die perfekte Symbiose ALLER britischen Krimi-Epochen: ein im Stil des neuen Jahrtausends gedrehtes Prequel einer Serie aus den 80ern, das in den 60er Jahren in Oxford spielt. So sah das Original aus:
Und das hier sind die Abenteuer des jungen Beamten Endeavour Morse, grandios gespielt bis in die Nebenrollen:
Man erlaube mir an dieser Stelle einen Sprung ans andere Ende der Welt. MS. FISHER’S MODERN MURDER MYSTIERIES mag australischer Herkunft sein, aber sie passt dennoch perfekt hierher. Ein Sequel zu MISS FISHER’S MURDER MYSTERIES, das die Handlung aus den Roaring Twenties in die Swinging Sixties verlegt. Ein weiterer absoluter Ausstattungsrausch mit einer bezaubernden Hauptdarstellerin:
Kommen wir zu der Miniserie, die mich zu diesem Blogbeitrag inspiriert hat. Schon vier Jahre auf dem Buckel hat PRIME SUSPECT 1973, ein Prequel zu PRIME SUSPECT. Offensichtlich hat man versucht, den Erfolg von ENDEAVOUR mir einer weiblichen Franchise zu wiederholen. Das Ergebnis überzeugt in jeder Beziehung und nimmt den Zuschauer in das schmierige, kleinbürgerliche London der frühen 70er mit – aber es wurde leider keine zweite Staffel geordert:
Das ist natürlich alles nur die Spitze des Eisbergs. Während ich Marvel-Filme und Science Fiction-Serien schaue, ackert die LvA ein noch wesentlich umfangreicheres Programm an britischen Krimiserien durch: WHITECHAPEL, SHETLAND, ANGELA BLACK, LIAR, GRANTCHESTER, HAPPY VALLEY, DOCTOR FOSTER, UNFORGOTTEN, ANNIKA, BAPTISTE, BLOODLANDS, STRIKE, etc. pp.
Und damit sind wir noch lange nicht am Ende. So wurden sämtliche ADAM DALGLIESH-Romane von P.D. James wurden in den 90ern und 2000ern bereits verfilmt, die letzten beiden mit PROFI Martin Shaw. Nun gibt es aber ein brandneue Version, die sehr interessant aussieht:
Wahrlich, wer gerne mit charismatischen Ermittlern auf Mörderjagd geht, der ist bei den Briten deutlich besser aufgehoben als bei den Amis – oder bei uns. Der Fairness halber sei aber eine Ausnahme genannt: wir haben MARE OF EASTTOWN mit Kate Winslet nachgeholt und das spielt auf einem ganz eigenen Level:
https://youtu.be/bm7RmpzCeyk
Ich hab’s schon oft gesagt und sage es immer wieder: wir leben in einem neuen "golden age of television". Fuck DERRICK.
Zu MAIGRET: da gibts ja diese von den Franzosen ins Leben gerufenen Serie der Verfilmungen aller Romane mit Bruno Cremer. Ich dachte immer, besser oder wenigstens genauso gut geht nicht. Aber die Rowan Atkinson-Reihe hat mich wirklich umgehauen: Davon hätte ich gerne mehr gesehen.
Und DEATH IN PARADISE erfreut von Beginn an das Herz meiner Liebsten und meins
Tolle Auflistung! Ganz mein Geschmack – die Briten können es halt! Falls Ihr trotz der langen Liste noch Tipps braucht: "The Five" und "Broadchurch" haben mir auch sehr gefallen.
BROADCHURCH hat die Gattin natürlich gesehen. THE FIVE muss ich checken.
Also was ich dieses Jahr sehr gut fand war Vigil. Lief auf BBC1.
https://www.youtube.com/watch?v=3XRW0kfI2As
Meine Frau war auch hin und weg. Wir sehen Shaun Evans nächsten Monat in MANOR live in London.
The Fall – Tod in Belfast mit Gilian Anderson ist auch eine bemerkenswerte gute britische Serie.
In Deutschland ist eine derartige Qualität nicht möglich, liegt es am (Nicht-)Talent der Regie? Reden zu viele in die Produktion rein? Man sollte ja wissen wie es besser geht, die Länder rum um Deutschland zeigen, es ist möglich bessere TV und Kino Produktionen auf den Markt als Deutschland es je kann, zu bringen.
Auch das hat meine Frau natürlich gesehen.
Mich hat bereits in den 80ern die Agatha Christie Serie der BBC um Miss Marple mit Joan Hickson umgehauen. Sehr nah am Werk und super detailverliebt.
Die war mir zu stoffelig – auch die neue Serie ist nicht so mein Ding.
Ja, die neue Serie ist… schwierig.
Spooks – von 2002 bis 2011 nicht eine schwache Folge. Sagt man noch 'Folge'?
Meine Frau ist massiver SPOOKS-Fans – nur den Nachfolge-Film fand sie schwach.
Ich bin nicht der große Krimi-Fan, aber ab und an kommt mir dann doch was aus dem Genre unter. LUTHER, BROADCHURCH, HAPPY VALLEY und THE FALL habe ich gesehen und fand ich auch durchweg klasse. Bei SHERLOCK bin ich irgendwann ausgestiegen – da konnte das Niveau leider nicht gehalten werden. MARE OF EASTTOWN werde ich mir mal auf meine Watchlist setzen – ich mag die Winslet.
Zu MAIGRET:
Fand ich gut- aber ich fand sie schon recht britisch – das hat mich etwas irritiert. Genau wie bei dem Branagh Wallander. Hier ist es aber auch so das Lassgård für mich immer Wallander sein wird.
Bei den alten englischen Serien hat mich immer verwirrt das aussen und Innenaufnahmen augenscheinlich mit unterschiedlichen Kameras aufgenommen worden sind. Besonders sichtbar ist das zb bei Maelstrom – Eine unheimliche Erbschaft die Innenaufnahmen wirken wie ein Fernsehspiel auf DDR 2 und die Aussenaufnahmen wie "Kino".
Ich kann verstehen wenn du begeistert bist was britische Krimiserien anbelangt würde aber aus meiner Sicht würde ich "federführend" nicht unterschreiben, aber auch nur weil ich eher Skandinavienaffin bin und mit deren Art Krimiserien zu produzieren mehr anfangen kann. Borgen, Bron, Lund, Varg Veum, Millennium-Trilogie das sind alles Serien mit denen ich mehr anfangen kann und die auch internationale Stars geboren haben. ABER was denen fehlt ist tatsächlich die Leichtigkeit von DEATH in Paradise
Der Unterschied zwischen Innen- und Außenaufnahmen war eine kostenreduzierende Maßnahme (übrigens auch beim österreichischen TATORT). die in den 80ern ausgelaufen ist. Die Pythons haben sogar mal einen Sketch drüber gemacht:
https://www.dailymotion.com/video/x6gf7ee
Die Skandinavier sind mir generell zu einseitig düster.
eine Ausnahme ist hier Swedish Dicks mit dem großartigen Peter Stormare ist aber eine SWE-USA Coop 😉
Hui, da haben meine Angetraute und meinereiner auch einiges an Futter gefunden. Haben nur Broadchurch und Mare of Easttown gesehen, ersteres grossartig, letzteres eigentlich noch besser, haben mir aber durch eine furchtbar zähe letzte Folge einiges eingerissen.
Besten Dank, da muss ich mal schauen was uns davon gefällt.
Kennt die Lva schon die "Case Histories"? Ich gestehe, ich habe die Serie nicht gesehen – die Bücher von Kate Atkinson aber mehrfach gelesen und ich finde sie großartig
Kennt sie nicht – danke für den Tipp!
Ist das nicht die Serie wo Jason Isaac ständig aufs Maul bekommt? Die fand ich auch ganz nett
"AGATHA RAISIN" zwei Folgen gesehen und nicht begeistert. Könnte auch für den Vorabend der ÖR produziert worden sein.
"The Mallorca Files" war auch nicht besonders innovativ oder anspruchsvoll, begeisterte mich aber mehr als Agatha.
"Hustle – Unehrlich währt am längsten" zählt das noch als Krimi? Sympathische Trickbetrüger betrügen Leute, die es verdient haben. Sieht edel aus, hat mir Spaß gemacht. Dass die Betrüger schon fast alles, was die andere Seite machen könnte, in ihre Pläne eingeplant hat, geschenkt. Popcorn-Unterhaltung.
"Peaky Blinders – Gangs of Birmingham" ist kein Krimi, handelt aber immerhin von Kriminellen.