01
Apr 2022

Fantasy Filmfest Nights XL 2022: X

Themen: FF Nights XL 2022, Neues |

USA 2022. Regie: Ti West. Darsteller: Mia Goth, Jenna Ortega, Martin Henderson, Brittany Snow, Scott Mescudi, Owen Campbell

Offizielle Synopsis: 1979: Es ist die Zeit, in der Pornos noch auf richtigen Drehbüchern basierten, der Boom des VHS-Markts – der den Horrorfilm in ungeahnte Höhen katapultierte – unmittelbar bevorstand und ein Kultfilm namens DEEP THROAT den Erwachsenenfilm salonfähig machte. In diesem Kontext macht sich eine junge, motivierte Filmcrew ins ländliche Texas auf, um in aller Abgeschiedenheit den hoffentlich nächsten Erfolgspornostreifen THE FARMER’S DAUGHTER zu drehen. Der Hausherr ist nicht begeistert von der anzüglichen Truppe. „Remember, my wife is just next door!“ warnt er noch, aber da haben sich die lebenslustigen Hippies schon längst die Klamotten vom Leib gerissen – mit fatalen Folgen.

Kritik: Eins vorab: Um “lebenslustige Hippies” geht es in diesem Film an keiner Stelle. Aber warum sollten die Inhaltsangaben nach 30 Jahren auch anfangen, irgendeinen Sinn zu ergeben? Die sind traditionell eher eine Mischung aus Köder und Nebelkerze, bei der die Suche nach Unstimmigkeiten Spaß macht.

Es ist ein komisches Gefühl. Wieder im Kino. Trotz Pandemie. Keiner trägt mehr Masken, trotzdem ist der Saal gepackt voll. Wenn ich eine Chance haben soll, mir Corona zu holen, dann ist es hier. Ich könnte es mir einfach machen, und behaupten, dass ich diesen Preis als Geek gerne zahlen würde. Aber ich würde ihn nicht gerne zahlen.

Der Einstieg in die Nights XXL ist mit Ti West der übliche Crowdpleaser – er hat hier schon öfter reüssiert und sein X ist aktuell auf diversen anderen Festivals schon hoch gelobt worden. Für mich ist das ein zweischneidiges Schwert, denn der Mann verspricht üblicherweise cleveren Retro-Horror, der aber bei mir einfach nicht verfängt. Ich fand THE HOUSE OF THE DEVIL ebenso langweilig wie INNKEEPERS. SACRAMENT schnitt ein wenig besser ab, auch wenn er unter der Oberfläche leer blieb, was mich zur Aussage veranlasste:

Nicht jeder Regisseur, der was zu Zeigen hat, hat auch was zu Sagen.

X ist, das kann ich vorab schon mal sagen, ein weiteres perfektes Beispiel für die “Methode West”. Die Liebe zum Retro-Kino wird voll ausgelebt, BOOGIE NIGHTS meets Redneck Horror im angemessen staubigen Grindhouse-Look der 70er. Ein Film, der (abgesehen von ein paar technischen Sperenzchen und dem etwas zu perfekten Splatter) tatsächlich 1979 hätte entstanden sein können.

An Schauwerten mangelt es nicht, Blutmatsch wechselt sich mit enthusiastisch simulierten Sexszenen ab, bei denen die Damen Snow und Goth Stoff für viele feuchte Nerd-Nächte liefern. Hooray for Boobies! Leider provoziert die explizit gelebte Virilität den Neid des alten Farmer-Pärchens, bei dem erotisch schon lange nichts mehr geht – und weil auf Sex in dieser Sorte Film sowieso der Tod steht, bohren sich schnell metallene Objekte an Stellen in glänzende Leiber, wo sie nicht hingehören.

Ich will nicht verheimlichen, dass das gut aussieht, dass die Sexszenen so viel Spaß machen wie der Gore, dass besonders Mia Goth eine bemerkenswert selbstsichere Performance abliefert, und dass Ti West immer wieder einzelne Szenen und Schocks von bemerkenswerter Effektivität baut. X ist definitiv unterhaltsam, abwechslungsreich, sexy und stellenweise urkomisch.

Aber es ist und bleibt nun mal ein Ti West-Film, und das bedeutet eine teilweise lähmend langsame Inszenierung, die selbst banale Szenen mit deutlich zu vielen Gegenschnitten streckt, eine hündische Verehrung von klassischen Motiven ohne deren Hinterfragung, und vor allem eine generelle Substanzlosigkeit des Geschehens. X zeigt, wie die meisten von Ti Wests Filmen, null Interesse an einem Thema, einem zentralen Konflikt oder gar einem Ziel. Personen treffen sich, Dinge passieren, Nachspann. Viele Teile, keine Summe.

Gerade weil man sich bei der Wiederbelebung der späten 70er so viel Mühe gegeben hat und weil die Darsteller wirklich mit Gusto bei der Sache sind, hätte ich mir etwas mehr Auseinandersetzung mit den Hintergründen der bedienten Genres gewünscht. West bleibt aber völlig auf Distanz und immunisiert seinen Film gegen alle Vorwürfe von Gewalt und Sexismus mit dem “schwarze Komödie”-Argument. In diesem Kontext ist BOOGIE NIGHTS in der Tat ein guter Vergleich – der hat nämlich wirklich ein Sittenbild seiner Zeit geschaffen, das die Rammelei der goldenen Porno-Ära durchaus kritisch kommentierte.

Letztlich ist X ein weiterer Retro-Horrorfilm, der einer neuen Generation von Nerds ein Subgenre näher bringen soll, ohne dass die Nerds sich tatsächlich mit den Filmen des Subgenres auseinander setzen müssen. Er stimuliert das Gefühl, man wisse durch ihn, was “grindhouse” ist – und man bekommt den ironischen Abstand und das Augenzwinkern gleich obendrauf (siehe auch Tarantino/Rodruigez GRINDHOUSE). Ein Konzentrat, eine behauptetes “Best of”, das Sexismus und Gewalt durch Überhöhung zu entlarven behauptet, sie aber lediglich für den Mainstream wieder schick macht.

Eine Warnung sei allerdings ausgesprochen: Wen der Gedanken an Gerontensex unruhig macht, der sollte sich auf beschämtes Gerutsche im Kinosessel vorbereiten. “Welkes Fleisch, schlaffe Brüste, schlappes Gesäß”, um einen Lieblingsfilm zu zitieren.

Fazit: Grindhouse-Mix aus Sex & Violence, in einzelnen Szenen und Performances sehr beeindruckend, aber letztlich für den betriebenen Aufwand etwas dünn. Mia Goth hebt ihn gerade noch in den grünen Bereich. 7 von 10 Punkten. Ti West-Fans können einen Punkt drauflegen.

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P.S.: Der Wikipedia-Eintrag zu Mia Goths Privatleben ist copy & paste wert:

Goth met American actor Shia LaBeouf while co-starring in Nymphomaniac in 2012. On 10 October 2016, Goth and LaBeouf appeared to get married in a Las Vegas ceremony officiated by an Elvis impersonator. Two days later, a local official claimed that the pair were not legally married, but instead a commitment ceremony was performed. Later that month, LaBeouf confirmed their nuptials on The Ellen DeGeneres Show. In September 2018, it was announced the couple had separated and filed for divorce. However, in February 2022, it was reported that Goth was pregnant with their first child.



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Thies
Thies
2. April, 2022 01:58

Kann das weitgehend unterschreiben. Das war als Einstieg kurzweilig, gewann dabei aber nur wenige Punkte für Originalität. Und die vielen Verweise auf 70er-Jahre-Stilmittel schienen wirklich eher einer Checkliste zu folgen, als einem Sinn und Zweck. “Hatten wir schon Split-Screen?” “Nein, Boss” “Okay, passt hier zwar grad nicht, aber muß rein!”