26
Feb 2013

The write stuff

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich habe gerade mal wieder an einem Projekt gesessen, das eigentlich schön illustriert, wie man in der Branche arbeitet. Da ich zur Verschwiegenheit verpflichtet bin, kann ich euch weder Auftraggeber noch Thema nennen. Aber das muss ich auch nicht. Was es zu lernen gibt, lernt man auch so.

Ich bekomme einen Anruf, vor ca. vier Wochen ist das. Ein Produzent, mit dem ich im Laufe der letzten 15 Jahre immer mal wieder in verschiedenen Situationen zu tun hatte. Man kennt sich, man respektiert sich, auch wenn nie ein konkretes Projekt den gemeinsamen Schlemmereien in irgendwelchen Münchner Restaurants entsprungen ist. Er fragt: “Hast du dich eigentlich schon mal mit dem Thema XY beschäftigt?”. Ich lache und sage: “Komisch, dass du damit jetzt kommst – vor ein paar Wochen habe ich einen recht ausführlichen Artikel genau darüber für mein Blog geschrieben.”

Er freut sich und erklärt mir, dass er einen historischen TV-Film machen möchte, basierend auf einer wahren Person der deutschen Zeitgeschichte. Nicht gerade Hitler oder Beckenbauer, aber durchaus jemand, der seine Zeit geprägt hat. Während er redet, tippe ich den Namen bei der Wikipedia ein verschaffe mir einen ersten groben Überblick. Drama, Liebe, Action, Nazis – eigentlich alles drin. Ich verspreche, mir ein paar Gedanken zu machen und lasse mich auf einen Termin für das unvermeidbare Mittagessen ein.

Eine Woche später sitzen wir beisammen, Schnitzel für mich, irgendwas Asiatisches für ihn. Ich habe mittlerweile genauer recherchiert. Guter Stoff, sage ich zwischen zwei Bissen, aber nicht leicht umzusetzen. Teuer. Er sagt mir, was ihn an der Figur reizt. Ich stimme zu, werfe ein paar Stationen der Biographie ein, die mir verfilmenswert scheinen. Er ist beeindruckt, unsere Herangehensweise ist praktisch deckungsgleich.

Problematisch ist nur die Zeitklammer, die erzählt werden soll. Das ganze Leben dieser Person bräuchte 15 Stunden und 15 Millionen, damit man ihr gerecht wird. Also geht nur ein Ausschnitt. Der Produzent ist auf einen besonderen, zugegebenermaßen prägnanten Event fixiert. Der liegt leider außerhalb genau der Periode, die ich angedacht habe. Ich brauche nur anderthalb Jahre aus diesem Leben, um es exemplarisch aufzuarbeiten. 18 Monate, in denen der Protagonist seine größten Triumphe feierte, aber auch seine größten Niederlagen erfuhr, in privater wie in beruflicher Hinsicht. Ein Mann, der ganz oben war, ganz tief gestürzt ist und dann noch einmal ganz neu anfängt. Ein guter Bogen, das gibt der Produzent zu.

Gegen Ende des Essens muss Butter bei die Fische: was soll ich machen? Der Produzent bittet mich um ein “Pitch Paper”, mehr ein richtiges “Presentation Package”: ein wenig Marketing-Neusprech, ein wenig Hintergrund, ein paar Absätze zur Umsetzbarkeit und den Figuren und schließlich noch ein paar Seiten mit einer Story-Skizze. Ungefähr 10 Seiten. Damit will er dann beim Sender vorstellig werden. Ich nicke. Machbar. In drei Wochen? Auch. Ich bin froh, dass ich nicht über Geld reden muss. Das ist Sache meiner Agentin, die den Produzenten dieser Tage anrufen wird.

Das Hauptproblem bei so einem Projekt ist nicht die Schreiberei selbst, es ist die Recherche. Es gibt Material zu der Figur, aber nicht allzu viel davon ist im Netz. Ich muss Bücher kaufen und lesen, eine Doku auf DVD, es gilt Zeitungsarchive zu durchwühlen. Alles erfreulicherweise auf Spesen.

Eine Woche später bringt mir die Post die Autobiographie der Person, um die es geht. Bei der Doku muss ich ein wenig tricksen, die ist ausverkauft. Ich treibe nur eine englisch synchronisierte Fassung auf. Außerdem habe ich eine eher technisch orientierte Abhandlung entdeckt. Schreck in der Abendstunde, als ich die Biographie aufschlage: altdeutsche Schrift. Das verdreifacht die notwendige Lesezeit, mindestens. Aber da muss ich nun durch. Mir egal, ob es sich um antiquarische Bände handelt: ich kreuze an und unterstreiche, was immer mir für die TV-Umsetzung wichtig erscheint. Fakten und Details trage ich in einen eigens geschaffenen Evernote-Ordner ein. Der ist sozusagen mein Zettelkasten. Erstmal die groben biographischen Fakten: Geburt, Ausbildung, Karriere, Krankheiten, Tod. Dazu immer wieder neckische Kleinigkeiten, aus denen sich schöne Szene für das Drehbuch stricken lassen. Figuren, die eine größere Funktion zugeordnet bekommen. Der väterliche Freund. Der niederträchtige Konkurrent. Der erstaunlich integre Journalist. Ich baue einen Cast basierend auf realen Personen.

Um eine meiner Stärken auszuspielen, schreibe ich zehn gute Zeilen, die mein Protagonist sagen könnte. Knackige, memorable Aussagen mit Würde und Leidenschaft. Die streue ich als Zwischentitel ein.

Es ist nicht immer einfach. Man kann in einem Bio-Pic nicht beliebig die Fakten massieren, man muss auch in der fiktionalisierten Version halbwegs authentisch bleiben. Die Eckdaten müssen stimmen, das Zeitkolorit, die großen Zusammenhänge. Wäre der Protagonist ein Nazi gewesen, könnte ich ihn nicht zum Widerständler machen. Ich kann allenfalls ein gewisses politisches Desinteresse in stille Ablehnung uminterpretieren. Ich kann schlaffe Zeiträume straffen und Leerstellen in der Biographie plausibel auffüllen. So manches Mal merke ich, dass der Bogen kein Bogen ist, sondern zickzack läuft. Ich brauchen ein starkes Ereignis zum Einstieg, ein starkes Ereignis für das Finale – und dazwischen soll ja auch noch was passieren. Ein Prolog erlaubt mir, wenigstens ein oder zwei den Protagonisten definierende Szenen, die chronologisch vor der Filmzeit liegen, in Rückblicken anzuschneiden. Man nimmt, was man kriegen kann.

Meine Agentin meldet sich per Email. Sie findet das Honorar zu gering. Ich soll sie anrufen. In meinem Kopf formt sich eine Zahl, die ich als absolute Untergrenze für den Aufwand erachte. Ich ärgere mich. Mal wieder ackern für einen Hungerlohn? Der Anruf bringt Entwarnung: meine Agentin hat gut verhandelt und deutlich mehr rausgeholt, als ich erwartet habe. Dass sie selber es für zu wenig hält, liegt in der Natur der Sache.

Zurück an die Arbeit.

Ich bin froh, dass es um eine historische Hauptfigur geht, nicht um einen historischen Event. Da ist man zwar in der Gestaltung der Figuren freier, wird aber von den Erwartungen des Senders gegängelt. In diesem Fall kann ich auf Nachfrage immer sagen: “Wir können keine Dreiecksgeschichte draus machen, das wäre eine unangemessene Verdrehung der geschichtlichen Tatsachen”. Ob ich damit durch käme, ist eine andere Sache.
So setze ich also mein Konzept zusammen. Eine Seite Einführung, zwei Seiten Biographie, eine Seite Umsetzung, zwei Seiten Charaktere, fünf Seiten Story. Mit Cover 12 Seiten. Passt. Ich lasse viel Raum, um die Geschichte flexibel zu halten – mehr Nazis und weniger Technik, mehr Liebesgeschichte oder doch die Heldenreise? Alles kann, nichts muss.

Zum Abschluss formatiere ich das Pitch Paper noch mal durch – Trajan für den Titel und die Seitenüberschriften, zwei historische Fotos zur Illustration, alles sauber gesetzt, damit jede Seite halbwegs voll ist. Die LvA macht manuelle Rechtschreibprüfung, nickt auch den Inhalt ab: “Interessiert mich eigentlich überhaupt nicht, das Thema – nach dem Entwurf hier würde ich es aber unbedingt sehen wollen”. Seal of approval. Beruhigend.

Ich schicke die Datei (als PDF und Doc) raus. Meine Arbeit ist getan, mein Honorar erstmal verdient. Nun wird man sehen, wie es weiter geht.

Wenn es weiter geht. Rein statistisch ist die Chance gering. Neun von zehn Projekten krepieren in dieser Phase. Wenn man Glück hat, ist es ein schneller Tod. Wenn man Pech hat, darf man seinen Entwurf noch fünf Mal umschreiben, bevor der Daumen gesenkt wird. Ich wünsche mir dann oft aktive Sterbehilfe für lebensunfähige TV-Konzepte.



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MWi
MWi
27. Februar, 2013 06:05

Na alleine schon aus meinem eigenen Interesse, welches sich durch solche Beiträge genügend befriedigt sieht, hoffe ich für alle, dass eine aktive Sterbehilfe weder notwendig ist, noch in irgend einer Form erfolgt. Jaja, ein wenig egoistisch, aber ich bin ja auch blos der doofe Konsument 😉
Nee wirklich, großes Daumendrücken meinerseits für euch, dass ihr “euer Kind” durchbekommt und wir es zum Schluss genießen dürfen.

Der Karsten
Der Karsten
27. Februar, 2013 06:50

Man.. ich wünschte, meine Diplomarbeit könnte ich in der Weise schreiben.. wäre bestimmt interessanter. ^^ Sehr gut geschrieben und hoffentlich wird was draus.

VideoRaider
27. Februar, 2013 07:49

Das dt. Fernsehen und seine Faszination über das Dritte Reich…

Nikolai
Nikolai
27. Februar, 2013 07:59

Es geht bestimmt um den Erfinder, der den Nazis vor Ende des Weltkrieges ermöglicht hat auf die dunkle Seite des Mondes zu fliehen.

Wortvogel
Wortvogel
27. Februar, 2013 09:18

@ VideoRaider: Die Nazis kommen kaum vor, sind auch nicht Thema. Die Hauptfigur lebte halt nur zu der Zeit.
@ alle: Ich habe das gern geschrieben, aber mein Herz hängt nicht so dran, wie es damals an “Hope” hing – das hatte ich ja selbst entdeckt. Man unterscheidet zwischen Auftrags- und Eigenentwicklungen.

Bjoern
Bjoern
27. Februar, 2013 09:52

Ich rate jetzt seit zehn Minuten rum um wen es sich bei der Hauptfigur handeln könnte…. egal, erzähl mal um wen es sich handelt falls das Projekt nicht zu Stande kommt (was ich natürlich nicht hoffe).
Wie sieht es eigentlich geldlich aus? Wirst du für die Vorarbeiten schon bezahlt, die ja sicher einige Arbeitsstunden kosten, oder ist das eine “Alles auf Rot” Roulette Situation wo man erstmal arbeitet und hofft was zu verdienen wenn es denn von einem Sender genommen wird?

Peroy
Peroy
27. Februar, 2013 09:54

“Wie sieht es eigentlich geldlich aus? Wirst du für die Vorarbeiten schon bezahlt, die ja sicher einige Arbeitsstunden kosten, oder ist das eine “Alles auf Rot” Roulette Situation wo man erstmal arbeitet und hofft was zu verdienen wenn es denn von einem Sender genommen wird?”
Steht doch oben, “auf Spesen”…

Wortvogel
Wortvogel
27. Februar, 2013 10:02

Habe ich das so unklar geschrieben? Natürlich bekomme ich das verhandelte Honorar ausgezahlt. Es ist ein Honorar, keine Provision. Ob das Projekt nun weiter geht, ist für mich minder relevant. Meinen Auftrag habe ich erfüllt. Wenn es zum Skript kommt und ich an Bord bin, gibt es einen neuen Vertrag.

TimeTourist
TimeTourist
27. Februar, 2013 11:43

Meine Neugier ist geweckt! Halte uns doch bitte auf dem Laufenden.

Dietmar
Dietmar
27. Februar, 2013 12:15

Wieder Sachbücher plagiieren? Per Recherche wissenschaftliche Erkenntnisse rippen? Dieser Dewi, neineinein *kopfschüttel* 😉

Wortvogel
Wortvogel
27. Februar, 2013 12:17

@ Dietmar: Hat doch bisher ganz gut funktioniert!

Dietmar
Dietmar
27. Februar, 2013 12:21

Ich drücke die Daumen und bin angemessen angefüttert.
Dass die Idee um diese Hamburger Persönlichkeit, von der Du mir erzähltest, gestorben war, finde ich immer noch bitter. Diese kleinen Anekdoten wären schöne Fernsehbilder geworden.

Hat doch bisher ganz gut funktioniert!

Jaja, aber es gibt Leute, die haben das durchschaut! Ohooooo!

Wortvogel
Wortvogel
27. Februar, 2013 12:25

@ Dietmar: Das ist der Trick – mit der Hand in der Keksdose erwischt einfach weiter machen.
Jau, der Hagenbeck. Erzähle ich beizeiten hier auch noch. Danke, dass du dran gedacht hast, den Namen nicht zu nennen. Ist nicht mehr wichtig, aber es zeigt, dass du notwendige Diskretion bewahrst. Respekt.

Peroy
Peroy
27. Februar, 2013 14:08

Oh Gott, jetzt hab’ ich die Überschrifft gerafft…

Howie Munson
Howie Munson
27. Februar, 2013 19:17
G
G
1. März, 2013 02:10

“Mir egal, ob es sich um antiquarische Bände handelt: ich kreuze an und unterstreiche, was immer mir für die TV-Umsetzung wichtig erscheint.”
Der Buchliebhaber in mir hat gerade innerlich aufgeschrieen.
Und ich bin ziemlich neugierig, um was für ein Projekt es sich dabei handeln könnte. 😉

yapyap
yapyap
4. März, 2013 12:19

Ein schönes Schlussargument wäre die Frage gewesen, warum es trotz Raubkopien im Netz immer noch Kassenschlager in den Kinos gibt. Es scheint ja durchaus Filme zu geben, die große Gewinne einfahren, obwohl diese ja erst recht auch als Blu-ray-Rip verfügbar sein müssten.