08
Nov 2011

Die üblichen und die unüblichen Verdächtigen: “Das Mädchen auf dem Meeresgrund”

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Es geht gar nicht so sehr um den TV-Film “Das Mädchen auf dem Meeresgrund”, den das ZDF nach den Erinnerungen von Lotte Hass hat drehen lassen. Sie war die Ehefrau des bekannten Meeresforschers und Dokumentarfilmers Hans Hass, der in den 70ern noch landesweit bekannt war, heute aber nicht mehr die Strahlkraft von Grzimek oder Sielmann besitzt. Dabei lebt er noch.

Ich habe den Film nicht gesehen, ich kann ihn nicht bewerten. Zumindest optisch hat man die Originale gut getroffen, auch wenn man Yvonne Catterfeld einen fesch-roten Badeanzug und Benjamin Sadler Badeshorts statt eines Slips gönnt:

Es stößt mir nur ein wenig sauer auf, wenn ich die Inhaltsangabe des Senders lese:

Als Hans Hass im Sommer 1947 für sein Büro in Wien eine Sekretärin sucht, bewirbt sich Lotte Baierl erfolgreich auf die Stelle. Sie hat gerade ihr Abitur bestanden und ist ein großer Fan von Hass. Lotte lernt neben ihrer Büroarbeit den Umgang mit Tauchgeräten und Unterwasserkameras, denn sie will an der nächsten Expedition von Hass teilnehmen. Dafür trainiert sie in Schwimmbädern, taucht und fotografiert in den Seen rund um Wien. Doch Hans Hass ist generell gegen die Teilnahme einer Frau bei seinen Expeditionen. Lottes Teilnahme wird schließlich doch möglich, als die Filmgesellschaft darauf besteht, dass Hass seinen nächsten Dokumentarfilm mit einer hübschen weiblichen Hauptdarstellerin für ein größeres Publikum attraktiv macht. Die mehrmonatige Expedition 1950 an das Rote Meer ist aufwändig, aber erfolgreich: Hass kann als Erster Mantas und Walhaie filmen. Lotte betätigt sich dabei als Unterwasser-Fotografin und Unterwasser-Model. Obwohl Hans Hass von ihren Unterwasserfotografien schwer beeindruckt ist und Lotte ihn auch als Frau in den Bann zieht, unterdrückt er seine Gefühle für sie und hält sie hartnäckig auf Distanz. Lotte behauptet sich trotz des Gegenwindes in der Männerdomäne und stellt sich dabei als mutige Unterwasser-Fotografin den Gefahren des Meeres. Hans Hass kann schließlich seine künstliche Ablehnung gegenüber Lotte überwinden und ihr endlich seine Liebe gestehen.

Es ist legitim, diese Geschichte zu erzählen – und sie SO zu erzählen. Aber es macht mich ein wenig traurig und wütend, dass mittlerweile praktisch alle Filmbiographien auf “die große Liebesgeschichte” reduziert werden. Das Einzigartige der Personen, die gesellschaftliche Sprengkraft, das politische Element – alles wird zum Zeitkolorit degradiert, zum Hintergrundrauschen.

Ich nehme mich da nicht aus – auch bei “Dr. Hope” wurde explizit darum gebeten, die Lebensgeschichte eingebettet in “die große Liebesgeschichte” zu erzählen. Es ist der Köder, mit dem der Sender das ganz breite Publikum zu fischen sucht, das sich nicht um Tuberkulose-Therapien, Sexshop-Gründerinnen oder politische Pioniere schert.

Das gleiche Problem haben historische Filme, die nicht auf realen Biographien basieren. Von der Luftbrücke zur Dresdner Bombardierung, von der Hindenburg zur Vertreibung aus Schlesien – kein Thema kann für sich stehen, es muss an “der großen Liebesgeschichte” geführt werden wie ein Hund an der Leine.

Ausgerechnet Til Schweiger hat es in einer Folge Pastewka mal auf den Punkt gebracht: “Ist immer das selbe Konzept – historisches Ereignis, ‘ne Liebesgeschichte, eine Frau muss sich entscheiden zwischen zwei Männern und einer davon ist Heino Ferch. “

Nur: nicht jeder Mensch lebt “die große Liebesgeschichte”. Und selbst wer sie lebt, lebt sie manchmal nur flüchtig, vielleicht für ein paar Tage oder Wochen. Manchmal ist die “große Liebe” auch nur eine “kleine Liebe”, unspektakulär, still, und damit gänzlich undramatisch. Vielleicht ist es das Schicksal vieler großer historischer Personen, die Liebe der Bestimmung zu opfern?

Egal. Die Filme brauchen “die große Liebesgeschichte”.

Ich halte das Prinzip der “großen Liebesgeschichte” aus zwei Gründen für dramaturgisch gefährlich. Zuerst einmal zwingt es den Autor, Authentizität zu opfern, weil Ereignisse und Erlebnisse dem Bogen der Liebesgeschichte untergeordnet werden müssen. Es ist diese Stelle, an der regelmäßig die fatalsten Abweichungen von den historischen Fakten zu beobachten sind. Nicht nur das, was hinzu erfunden wird, ist ein Problem – auch das, was weggelassen wird, weil es sich nicht bequem in die erwünschte Narrative pressen lässt.

Und dann sind da die Geschichten, die erzählt werden sollten, müssten, wollen – die sich aber hartnäckig der bequemen Melodramatisierung verweigern. Der große Wissenschaftler, schwul und schizophren? Die Sängerin, politisch radikal links und sexuell frigide? Sperrige Figuren, die sich selbst Feind sind, die an der Liebe nicht scheitern, weil sie sich mit ihr und an ihr nicht messen, haben in der Primetime schon lange ausgedient, wenn ich mir das Programm der letzten Jahre so ansehe.

Noch mal: das ist schade. Es nimmt dem Fernsehen Bandbreite, es nimmt ihm Tiefe, Mut, Verantwortung. Und den dargestellten Personen nimmt es Würde und das Recht, ihr Leben an etwas anderem gemessen zu sehen als an “der großen Liebesgeschichte”.

Schaue ich mir die Quoten an – es scheint nur mich zu stören.

Zwei P.S. seien mir noch erlaubt.

P.S.: Produktionsdesigner von “Das Mädchen auf dem Meeresgrund” ist Frank Godt. Cooler Typ. Der hat die Sets meiner Telenovela “Lotta in Love” entworfen.

P.P.S.: Gleich zwei Schlüsselpositionen bei “Das Mädchen auf dem Meeresgrund” sind von Boll-Veteranen besetzt: Mathias Neumann als Kameramann und Jessica de Rooij als Komponistin.

(Fotos Copyright: ZDF und RTL, Ausstrahlung: 8.12.2011, 20.15 Uhr)



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

21 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
G
G
8. November, 2011 17:06

Das ist genau der Grund, wieso ich mir solche Filme nicht mehr ansehe. Es ist doch im Prinzip das ewig gleiche Strickmuster mit eben dieser Liebesgeschichte, wo es stets darum geht, dass die beiden Figuren sich verleiben und ihre Liebe aufgrund der historischen Ereignisse ja ach so tragisch ist, bis sie am Ende ja doch zusammenkommen oder einer von beiden den Heldentod stirbt. Ich frage mich gerade, ob evtl. Camerons Titanic daran schuld ist, dass dieses Klische in den letzten 12 – 13 Jahren so gerne verwendet wird.

Zum Abschluss noch ein wenig Futter fürs “2011 ist ein Arschloch”-Meme, das es ja auch hier auf diesem Blog gibt (ist OT, ich weiß): Joe Frazier ist gestorben.

Howie Muns
Howie Muns
8. November, 2011 17:21

Schaue ich mir die Quoten an – es scheint nur mich zu stören.

nö das gefällt halt 20-40% der Leute die ein GFK-Panel haben UND zur Sendezeit den Fernseher mit einen der erfassten Programme eingeschaltet haben…

Hochgerechneten 50 Millionen Deutschen ist das aber trotzdem völlig schnurz, denn die machen auch laut Quote was anderes… *duck*

@G: stimme dem zu

XXX
XXX
8. November, 2011 17:23

Nach dem Lesen der Inhaltsangabe kann man sich den Film eh sparen. Sieht so aus, als würde die Zusammenfassung das Ende nicht aussparen.

Wortvogel
Wortvogel
8. November, 2011 17:28

@ Howie: Das ist aber nicht der Punkt. Im Vergleich mit schwereren und schwierigeren Stoffen sind diese “soften” Biographien sehr erfolgreich. Das zählt.

@ XXX: Das ist ja auch die vollständige Inhaltsangabe vom Presseserver des Senders. Programmzeitschriften kürzen das gewöhnlich mit offenem Ende ein.

Howie Muns
Howie Muns
8. November, 2011 17:31

@XXX: In der Inhaltsangabe fehlt die erste Frau von Hass…
http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Hass#Familie

noch lustiger ist die frage wer jetz bei wem abgeschrieben hat:
http://de.wikipedia.org/wiki/Lotte_Hass

****Als Hans Hass im Sommer 1947 für sein Büro in Wien eine Sekretärin suchte, bewarb sich Lotte Baierl erfolgreich für die Stelle. Sie hatte gerade ihr Abitur bestanden und war ein großer Fan von Hass. Lotte lernte neben ihrer Büroarbeit den Umgang mit Tauchgeräten und Unterwasserkameras, denn sie hoffte, an der nächsten Expedition von Hass teilnehmen zu dürfen. Dafür trainierte sie in Schwimmbädern, tauchte und fotografierte in den Seen rund um Wien****

Marcus
Marcus
8. November, 2011 18:44

@G:
“Das ist genau der Grund, wieso ich mir solche Filme nicht mehr ansehe.”

Word.

“Ich frage mich gerade, ob evtl. Camerons Titanic daran schuld ist, dass dieses Klische in den letzten 12 – 13 Jahren so gerne verwendet wird.”

Gute Frage – gab es das schon vorher im großen Stil? Als nicht soo eifriger Historiendramengucker kann ich’s nicht sagen. Nur soviel: In “Terminator” war es ja so ähnlich…. 😉

“Zum Abschluss noch ein wenig Futter fürs “2011 ist ein Arschloch”-Meme, das es ja auch hier auf diesem Blog gibt (ist OT, ich weiß): Joe Frazier ist gestorben.”

Hoffentlich hat er dem Schnitter vorher noch ein paar aufs Maul gegeben.

G
G
8. November, 2011 18:58

@Marcus:

“Gute Frage – gab es das schon vorher im großen Stil? Als nicht soo eifriger Historiendramengucker kann ich’s nicht sagen. Nur soviel: In “Terminator” war es ja so ähnlich…. ”

Dass es solche Geschichten schon immer gab ist natürlich klar. Aber was die Historienfilme angeht glaube ich schon, dass Titanic hier einen gewissen Trend gestartet hat.

“Hoffentlich hat er dem Schnitter vorher noch ein paar aufs Maul gegeben.”

Word!!!

TRESIE
8. November, 2011 21:05

Wenn du dich als Autor dem großen Liebesbogen verweigerst, stört das den Durchschnittsleser gewaltig. Bei meinem letzten Buch bekam ich ständig zu hören, warum die Liebesgeschichte schon nach zwei Dritteln endet, dabei ging es ja eigentlich um Porsche und die LG war nur ein Teilaspekt. Haie, Dildos oder Autoabenteuer sind eben zu weit weg vom Normalo-Leben und Liebe wollen oder kennen wir alle. Ganz schön simpel der Mensch. Was mir gerade einfällt, der Tom-Cruise-Stauffenberg-Film verzichtete fast völlig auf eine Liebesgeschichte!

DMJ
DMJ
8. November, 2011 21:35

Ich sammelte im Geiste schon das Schweiger/Pastewka-Zitat, aber da kam es schon im Artikel selbst. 😉

Ja, diese thematische Verengung stört mich auch immer wieder. Ist klar, dass ein Historienfilm für gewöhnlich nur funktioniert, wenn das Historische mit dem Persönlichen verbunden wird, aber muss es denn immer die Große Liebesgeschichte sein? Kann ein Historienheld nicht genau so an einem anderen Thema hängen? Bedauerlich.

Aber ob “Das Mädchen auf dem Meeresgrund” gut oder schlecht wird, hoffen wir nur, dass es auf dem Meeresgrund bleibt, denn es kann nur sucken, wenn es heraus kommt und “Das Mädchen aus dem Wasser” wird. 😛

Peroy
Peroy
8. November, 2011 21:50

“P.P.S.: Gleich zwei Schlüsselpositionen bei “Das Mädchen auf dem Meeresgrund” sind von Boll-Veteranen besetzt: Mathias Neumann als Kameramann und Jessica de Rooij als Komponistin.”

Dann werden wenigstens die Bilder und die Musik gut.

Howie Munson
Howie Munson
8. November, 2011 23:06

@ Howie: Das ist aber nicht der Punkt. Im Vergleich mit schwereren und schwierigeren Stoffen sind diese “soften” Biographien sehr erfolgreich. Das zählt.

dafür war die rhetorische Frage aber zu ungenau…

die Intouch ist auch erfolgreich, genauso wie RTLs scripted irreality es stört die Zielgruppe auch gar nicht, dass das alles nur erfunden ist.

die restlichen 50-70% haben halt keine gemeinsamkeiten mit denen man 20% Marktanteil holen kann und laut quotendiktat ist alles unter 10% ja ein misserfolg… also geht man auf nummer sicher und produziert für die 20% die sich auch zum xten Mal eine Liebesgeschichte nach Schema F gern anschauen.

somit wird sich auf ein Minderheit ausgerichtet, weil die halt relativ leicht berechbar ist.

Wortvogel
Wortvogel
8. November, 2011 23:08

@ Howie: Wenn Fernsehen so einfach wäre, wäre ich reich.

Howie Munson
Howie Munson
8. November, 2011 23:17

? ich beziehe mich auf eine überspitzung deinerseits und das ist dir jetzt zu vereinfacht?

natürlich funktioniert das nicht in jeden Fall, aber wie du halt oben schon sagtest mit anderen Inhalten eher seltener. (oder ich hab dich völlig missverstanden, dann schreiben wir grad aneinander vorbei)

P.S.: irgendwie braucht wordpress hier jetzt grad immer einer Bedenkminute bevor es auf [speichern] reagiert… ist im Blog irgendwas umgestellt??

Kai
Kai
9. November, 2011 09:47

Das ist auch der Grund warum ich “Band of Brothers” turmhoch über allem Vergleichbarem in Film und Fernsehen ansiedle. Im Grund ist BoB ja ein Massen-Biopic, bleibt aber extrem nah an der Realität (die auch ohne Zusätze mehr als spektakulär war). Das einzige was gemacht wurde war, wenn man das zugrundeliegend Buch kennt, Handlungen von mehreren Personen in einige wenige zusammenzulegen. Wohl um den Cast überschaubar zu halten. 🙂
Die stärksten Momente traten aber immer dann ein, wenn die Fiktion mit der Realität verschränkt wurde und die Veteranen selbst zu Wort kamen und sich quasi selbst korrigierten.

…und dann erst die detallierten Sets (ich bin doch ein Austattungsfanatiker), stimmig bis zum letzten Uniformknopf. Sagte ich schon, dass ich BoB liebe?

Wortvogel
Wortvogel
9. November, 2011 12:08

@ Howie: Man darf zwei Sachen nicht verwechseln – eine “große Liebesgeschichte” ist dramaturgisch simpel und für jeden Zuschauer verständlich. Das ist einfach. Damit große Quoten zu holen, ist wahrscheinlicher, aber nicht sicher. Das ist eben nicht so einfach, dass man es am Reissbrett planen kann. Bester Beweis: Der Catterfeld-Film “Am Ende die Hoffnung”, der gerade bei SAT.1 böse gefloppt ist.

Comicfreak
9. November, 2011 13:32

..Göttergatte steht ja auf sowas, während mich die Lovestory abschreckt.
Ich seh mir dann via Beamer die Expendables an..

Dietmar
Dietmar
9. November, 2011 14:00

Irgendwie verkehrte Welt …

😉

Comicfreak
9. November, 2011 15:23

..was hat der im Kino genörgelt!

Howie Munson
Howie Munson
9. November, 2011 17:24

@Wortvogel: das es auch in die Hose gehen kann wollte ich auch gar nicht bestreiten, mein ansatz war halt, dass VOR der Ausstrahlung die Verantwortlichen denken dass die große Liebesgeschichte eben im besten Fall um die 20% holt und alle Alternativen nur die Hälfte…

und solange nicht jeder zweite “Eventfilm mit Lovestory” baden geht wird sich an den Erwartungen wohl nicht viel ändern…

Wortvogel
Wortvogel
9. November, 2011 17:27

@ Howie: Das steht zu befürchten…

Earonn
Earonn
10. November, 2011 18:49

Hm, hier scheint der Tummelplatz der pure-event-Liebhaber zu sein. Mich kotzt es, ehrlich gesagt, regelrecht an. Da hat man ein großes Ereignis, einen großartigen Menschen, was auch immer – und dann wird da so ein “Boywesen triff Girlwesen” reingeprügelt (oft noch mit den o.g. üblen Nebeneffekten). Als ob eine gute Geschichte allein nicht mehr reichen würde.
Und dabei – pschhhht,nicht weitersagen – bin ich doch sogar ein romantischer kleiner Schmuser. Aber wenn “Liebesgeschichte”, dann soll auch die Liebe es sein, deren Geschichte erzählenswert ist. Und meistens ist das in diesen Filmen ja ohnehin nur ein todlangweiliges sehen->verlieben->knutschen->sex->(un)glücklichwerden.

Mein Pech, dass meine beiden persönlichen Helden, deren Leben dringendst groß (!) verfilmt werden sollte (Richard Feynman und Joseph Campbell – und letzterer nicht nur wegen seiner “Heldenreise”) je wirklich groß verliebt waren, da käme ich also nicht drum herum. (Natürlich müsste der Film sich nicht darauf konzentrieren) ^^