08
Mai 2024

Flugangst-Miniserien-Doppelpack: HIJACK und RED EYE

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich hatte vor ein paar Monaten über thematisch ähnliche Filme geschrieben, die zeitgleich in die Kinos kamen – manchmal aus Zufall, manchmal aber auch, weil Produktionsfirmen ein gerade aktuelles Thema um jeden Preis abfeiern wollten.

Auch im Fernsehen gibt es solche Doppelungen, es fällt nur seltener auf. So produzierte RTL 2004 kurz vor LOST eine wirklich lachhaft schlechte “weekly soap” über eine Gruppe Überlebender auf einer einsamen Insel – VERSCHOLLEN:

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2012 kamen zum 100. Jahrestag der Jungfernfahrt der TITANIC diverse Produktionen auf den Markt:

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Im Jahr 2019 gab es mehrere konkurrierende WAR OF THE WORLD-Adaptionen:

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Eher durch Zufall bin ich nun auf eine aktuelle Dopplung gestoßen und habe zusammen mit der LvA zwei Wochen in der Business Class des aktuellen TV-Marktes verbracht, mit hochkarätigen Miniserien für Leute, die nicht unter Aviophobie leiden – sie hier aber bekommen könnten.


HIJACK

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HIJACK ist – wieder mal – eine Produktion von Apple TV+ und ich komme vorab nicht um die Erkenntnis herum, dass dieser Streamer mit erstaunlicher Treffsicherheit genau das liefert, was ich “mein Erwachsenenfernsehen” nenne. Eine begrenzte Menge an Folgen, teils sperrige Themen, frei von zu strikten Genrevorgaben, exzellent geschrieben und aufwändig in Szene gesetzt. Delikatessen wie Novellen und Graphic Novels. Eine Hommage an die große Zeit der Miniserien von Mitte der 70er bis Mitte der 80er, als wir ROOTS schauten und HOLOCAUST, FACKELN IM STURM und DIE DORNENVÖGEL.

Die offizielle Inhaltsangabe von HIJACK:

Als Flug KA29 auf seinem siebenstündigen Weg von Dubai nach London entführt wird, versucht Sam Nelson – ein erfahrener Verhandlungsführer aus der Wirtschaft – seine professionellen Fähigkeiten einzusetzen, um alle an Bord zu retten. Wird ihm diese hochriskante Strategie zum Verhängnis werden?

Das klingt wie einer der vielen Videotheken-Actionfilme der 90er:

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Aber HIJACK ist, auch der Laufzeit geschuldet, deutlich komplexer. Sam Nelson ist nicht daran interessiert, mit Gewalt und schierer Manneskraft die Terroristen zu überwältigen. Er ist ein geborener Unterhändler, der sogar bereit ist, mit den Verbrechern zu kooperieren, wenn er dadurch Vorteile erlangen kann. Für ihn zählt die “bottom line”, das Endergebnis – die sichere Landung des Flugzeugs.

Das wird beinahe in Echtzeit erzählt, mit hohem Druck, ständigen Tempowechseln, und packenden Cliffhangern. Die Regie ist dynamisch, der Look authentisch. Zwei, drei weitere Handlungsschwerpunkte am Boden erzeugen immer neue Twist und ändern die Spielregeln. Wer steckt hinter der Entführung? Wer ist beteiligt? Welches von den diversen Schreckensszenarien kann noch verhindert werden?

Dabei gibt sich HIJACK große Mühe, bis in die Details glaubwürdig zu bleiben. Die Funksprüche mit dem Flugleitzentralen, die Bedenken verschiedener Behörden, die Übernahme von Verantwortung, all das fühlt sich auch für den Laien “echt” und niemals für eine billige Dramaturgie hingebogen an.

Dreh- und Angelpunkt ist natürlich wieder Idris Elba, der diese Sorte sensibles Alpha-Männchen mittlerweile dauernd und im Schlaf spielt. Man darf erneut die These in den Raum stellen, dass sein Charisma einen deutlich empathischeren, aber nicht weniger effektiven James Bond ermöglicht hätte. Egal, anderes Thema.

Hochoktanes Spannungsfernsehen der Extraklasse, ein weiteres Juwel in der Krone von Apple TV+. Anschnallen und abheben!


Red Eye

Wir waren gerade bei der vorletzten Folge von HIJACK, als wir auf den Trailer von RED EYE stießen, eine sechsteilige Miniserie des britischen Senders ITV. Die Ähnlichkeiten sind nicht zu übersehen:

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Wieder ein Langstreckenflug mit Mord und Totschlag, auf dem ein Alpha-Männchen alle Seiten gegeneinander ausspielen muss, um das eigene Überleben und die Sicherheit der Passagiere zu garantieren. Wieder komplexes Gezanke der Behörden am Boden. Wer zieht die Fäden? Wer spielt mit gezinkten Karten?

Im Zentrum steht mit Richard Armitage erneut ein britischer Charakterdarsteller, der seit den 90ern von Bildschirmen und Leinwänden nicht wegzudenken ist. In RED EYE fällt vor allem auf, dass er sich als “der neue Liam Neeson” empfiehlt – vor 10, 20 Jahren hätte auf jeden Fall Neeson diesen Part gespielt. Armitage kann die “TAKEN & Co.”-Fahne auf jeden Fall noch 20 Jahre hochhalten.

Tatsächlich ist RED EYE etwas anders angelegt als HIJACK. Während HIJACK sich darauf konzentriert, ein atemloser Entführungs-Thriller zu sein, ist RED EYE eine Kombination aus “Agatha Christie in den Wolken” und einem Spionage-Roman, in dem die Geheimdienste der Großmächte Menschen wie Marionetten führen und vagen “Sicherheitsbedenken” opfern. Das ist nicht weniger spannend als HIJACK, aber in seiner Machart konventioneller. Man setzt nicht auf einen realistischen Look, sondern bedient das Auge des Zuschauers mit satten Primärfarben, als wäre das Innere des Passagierjets ein verruchter Nachtklub in Saigon. Gerade um der “action & intrigue” willen ist sich RED EYE nicht zu schade, die Glaubwürdigkeit an ihre Grenzen zu bringen – und darüber hinaus. Aber es gilt die Maxime: Erlaubt ist, was funktioniert. Und RED EYE funktioniert.

So kann das Urteil nur lauten, dass beide Miniserien großartig gemacht sind und ihr Publikum verdienen. Sie teilen vielleicht ein Szenario, sind aber unterschiedlich genug, um nicht redundant zu sein. Dürfte ich nur eine empfehlen, wäre es schweren Herzens HIJACK – aber wir leben in einer Welt der unendlichen Vielfalt, also gibt es keinen Grund zum Verzicht. Schaut beides.

 



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Edin Basic
Edin Basic
8. Mai, 2024 15:47

Keine Serie.Aber meiner Meinung nach ein unterschätztes Meisterwerk der 90er Jahre.Spielt in einem Flugzeug.
Executive Decision (1996)/https://www.imdb.com/title/tt0116253/?ref_=nv_sr_srsg_0_tt_5_nm_0_q_executive%2520decision
Ich habe mich beim Rewatch des Films nach 2001 oft gefragt ob dieser Film eine Inspiration war für gewisse Gruppen in Afghanistan.

Sven
Sven
8. Mai, 2024 20:34

Ich fand Hijack auch äußerst unterhaltsam und hoffe, dass es keine Fortsetzung geben wird. Würde glaube ich mehr kaputt machen…
Was ich bei diesen ganzen Filmen/Serien, die in Flugzeugen spielen immer wieder faszinierend finde ist, wie sich die Protagonisten mühelos über 5 Reihen leise unterhalten können. Ich verstehe meine Frau schon nur mit Mühe, wenn unsere Tochter zwischen uns sitzt und spätestens die Getränkebestellung muss seitens der Flugbegleitung schon fast geschrien werden, wenn ich am Fenster sitze;-)

Dinozeros
Dinozeros
8. Mai, 2024 23:49

In Sachen Apple – einem von mir sehr geschätzten Edel-Streamer – möchte ich zu “Sugar” raten. Aber bitte mit völligem Verzicht auf Spoiler.

Dinozeros
Dinozeros
9. Mai, 2024 02:35
Reply to  Torsten Dewi

Beide sehr gediegen. Bei “Sugar” eher beeilen, da Spoiler gerade wuchern.

Apple-TV ist das audiovisuelle Gegenstück zum edlen Wein, das man sich gönnen darf.

Disney+ setzt bei mir dagegen ein paar Monate aus, Paramount bleibt nur dank Lockangebot.

Dafür dieses Jahr erstmals seit 1997 das komplette Fantasy Filmfest (in Hamburg).

Good times.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
10. Mai, 2024 11:36

Hijack hat stark angefangen, aber am Ende verfällt alles in totaler Dämlichkeit. Der “jump the shark” Moment ist auch leicht zu identifizieren, ich sage nur Autocorso. Der ganze Plot macht da keinen Sinn außer paar Charaktere zu beschäftigen.
Das Ende war dann auch noch die Krönung, der Plot um den Sohn macht SO keinen Sinn. Ich hätte mir gewünscht, dass am Ende der große Twist um Sam kommt und sehr gut erklärt hätte, wieso der Bodenplot so endet wie er endet. Das wäre nach dem finalen Pilotentwist definitiv die beste Erklärung gewesen.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
10. Mai, 2024 23:01

Wo kann man denn Red Eye schauen?
Ansonsten muss ich wohl doch mal wieder Apple+ reaktivieren, die sind inzwischen einige Highlights auf der Watchlist.