10
Mai 2024

Bilderrepublik Deutschland

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Aus verschiedenen Gründen musste ich in den letzten Tagen mehrfach mit dem Roller durch München fahren. Und wie zu Frühzeiten meines Blogs sind mir wieder Plakate aufgefallen, die mich verwirren. Oder ärgern. Oder überraschen.

Es stehen Europawahlen an. Die Parteien betrachten das als minder relevant und die Plakatierung ist wenig bemerkenswert. Es gilt weiterhin die Maxime: Ein Plakat hat nur dann eine plausible Aussage, wenn sie auch ins Gegenteil verkehrt Sinn macht. Als Beispiel: “Mehr Freiheit! Mehr Bildung” ist keine plausible Aussage, weil keine Partei jemals die Umkehrung “Weniger Freiheit! Weniger Bildung!” fordern würde. Es ist sinnleerer Allgemeinplatz.

Positiv fällt in diesem Jahr die Linke (ausgerechnet!) auf, weil sie den Dewi-Plausibilitätstest weitgehend besteht.

Es gibt allerdings auch populistische Ausfälle wie diesen hier:

Zuerst einmal vertritt keine Partei (zumindest öffentlich) die Position “Mieten rauf. Löhne runter.”. Wäre ja auch politischer Selbstmord. Was aber wichtiger wiegt: Weder die Mieten noch die Löhne sind im Idealfall Sache der Politik. Das Ziel, was die Linke hier erreichen will, ist politisch besser mit “Sozialwohnungen bauen. Steuern für geringe Einkommen senken.” zu erreichen, denn da sitzen die Stellschrauben der Legislative.

Den absoluten Bock geschossen hat 2024 allerdings die FDP:

Es regt mich unangemessen auf. Ich halte diese Aussage nicht nur für hanebüchen, sondern für empörend. In ihrer plumpen Art (“so wie Du”) ist sie noch dazu herablassend, als sei der Wähler ein dummes Kind.

Ganz banal gesagt: Die Wirtschaft, egal ob als Konzept, als Verbund von Unternehmen, oder meinetwegen auch als Gastwirtschaft, KANN nichts lieben. Nicht wie ich, nicht wie du, nicht wie niemand. Sie hat keine Gefühle, sie ist kein Wesen, sie existiert nur als Ausprägung des menschlichen Zusammenlebens. Die Wirtschaft kann auch nicht neidisch oder traurig sein. Schon gar nicht “so wie Du”.

Der absurde Versuch, die Wirtschaft zu anthropomorphisieren und damit Empathie für sie zu erzeugen, ist so… so… so FDP, dass selbst der FDP auffallen müsste, dass man ihn nicht ernsthaft auf ein Plakat drucken kann. Yet here we are.

Ich sage das selten, aber allein mit diesem Plakat hat sich die Partei unwählbar gemacht. Nicht, dass ich sie sonst gewählt hätte…

Aufgefallen ist mir darüber hinaus das neue Tourplakat von Nena:

Meine erste Reaktion: Schon wieder auf den großen Bühnen salonfähig? Dann festgestellt: das Plakat überverkauft den Event, sie spielt kleine bis mittelgroße Hallen, in München z.B. im Zenith mit 5000 Plätzen. 1983 habe ich sie zusammen mit mehr als 8000 Fans in der Philipshalle in Düsseldorf gesehen. Da war ich 14.

Vor allem aber: Die Frau ist unfassbare 64. In meiner Jugend galt so etwas als steinalt. Was immer man von ihrem Lifestyle halten mag oder ob man es auf die Gene und Photoshop schiebt: Nena ist nach wie vor ein Hingucker.

Gleiches gilt übrigens für Desiree Nosbusch (59), die aktuell für die HörZu mit der Neuauflage der “Einer/Eine, der/die HörZu zuhause hat”-Kampagne plakatiert wird.

Dass attraktive Frauen in der Werbung nicht immer die erwünschte Wirkung haben, beweist für mich erneut Heidi Klum:

Die Selbstvermarktungsmaschine Heidi Klum (50) ist nicht mein Problem. Die war Model, die ist Model-Moderatorin, die hüpft immer mal zu Werbezwecken in Unterwäsche rum. So far, so good, so what. Aber ich kann doch nicht der Einzige sein, der ein Problem damit hat, dass sie bei dieser Kampagne ihre eigene Tochter in Reizwäsche präsentiert?! Wenn Heidi in Dessous auftreten will – ihre Sache. Wenn Leni in Dessous auftreten will – ihre Sache. Aber zusammen?! Sollte eine Mutter ihre Tochter zum Zweck der Sexualisierung des weiblichen Körpers präsentieren? Ist das nicht irgendwie… falsch?!

Ich habe darüber nachgedacht, was exakt mich daran stört. Vermutlich ist es die Konnotation. Prima, wenn Heidi Klum sich sexy findet und gerne so zeigt. Prima, wenn Leni Klum sich sexy findet und gerne so zeigt. Aber Mama Klum sollte ihre Tochter Leni nicht sexy finden und gerne so zeigen. Und Leni Klum sollte ihre Mama Heidi nicht sexy finden und gerne so zeigen. Das sind Wahrnehmungen, die nicht in die Blutsverwandtschaft gehören.

Wie es in dem mittlerweile sehr fragwürdigen Klassiker der Andrew Sisters heißt:

Both mother and daughter
Workin’ for the Yankee dollar

Oder bin ich da nur mittlerweile einfach zu spießig für?

 



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Frank B.
Frank B.
10. Mai, 2024 16:08

Hallo Wortvogel, mein Lieblingsplakatwahlspruch ist immer noch “Politik ohne Bart” aus dem Bundestagswahlkampf 1994 der CDU. Nicht dass ich sie gewählt hätte … Herausforderer war der bärtige Rudolf Scharping.

Mencken
Mencken
10. Mai, 2024 17:09

Zu spießig würde ich sagen. Bin ich aber auch.

Marko
10. Mai, 2024 17:13

Die Klum kann meiner Meinung nach einfach nicht loslassen. Anstatt der Tochter eine eigene Karriere zu ermöglichen, die möglichst weit weg von ihrer eigenen ist, damit die Tochter Ehrgeiz und Talent beweisen kann, geht Mama lieber auf Nummer Sicher und verkauft die Tochter als Produkt aus dem Hause Klum.

Finde das Plakat im übrigen erstaunlich unsexy, die hätten da auch in Regenmänteln oder Gartenklamotten stehen können, es wäre nicht weniger sexy geworden. Das soll doch erotisch sein, oder? Ich bin vor allem überrascht, wie uncharismatisch die Tochter rüberkommt, eigentlich echt hübsch, aber da fehlt so viel an Ausstrahlung, das kriegst du mit keiner Reizwäsche der Welt gerettet. Aber naja, das ist natürlich wieder einmal auch Geschmackssache.

Matthias U
Matthias U
10. Mai, 2024 17:22
Reply to  Marko

Frau Klum “kann” das Ding mit der Instrumentalisierung junger Frauen einfach. Das beweist sie in jeder GNTM-Staffel aufs Neue.

Dass sie damit vor ihrer eigenen Tochter nicht halt macht, ist nur folgerichtig …

Mic
Mic
10. Mai, 2024 17:32

Prima, ich dachte nämlich auch schon, ich sei mittlerweile einfach zu spießig. Deine Gedanken zu Mutter und Tochter Klum treffen ziemlich genau meine eigenen. Zumal ich mir wirklich die Frage stelle, inwiefern das gegenseitige Wahrnehmungen sind (vor allem von Tochter in Richtung Mutter) und inwiefern das nicht ausschließlich des Geldes wegen passiert und womöglich sogar gegen die eigene innere Überzeugung.

Das würde die Nummer aus meiner Sicht nämlich nur noch unangenehmer machen, als sie so schon ist, weil ich mir dann Fragen stelle wie die, ob die jüngere Klum überhaupt je eine Chance hatte, sich eigenständig zu entwickeln (und ja, als Vater einer nur etwas älteren Tochter sind so Gedanken für mich durchaus relevant).

Stefan
Stefan
10. Mai, 2024 18:48

“Aber ich kann doch nicht der Einzige sein, der ein Problem damit hat, dass sie bei dieser Kampagne ihre eigene Tochter in Reizwäsche präsentiert?!”
Den Eindruck hast du bloß, weil du offenbar den Shitstorm der vorherigen Heidi/Leni-Kampagne im Oktober verpasst hast 😉

Ich sehe das lockerer. Es dürfte wesentlicher Teil des Jobs sein, solche Shootings so nüchtern als normal zu betrachten als würde anderswo das Töchterchen anfangen, in der Familienbäckerei mitzuhelfen oder Mamas Hotelbetten zu beziehen. Es ist jetzt auch kein unangemessenes Motiv oder besonders sexy wie hier schon bemerkt wurde.

Und ja, das FDP-Plakat ist ziemlich dummdreist, aber was anderes erwarte ich auch gar nicht.

fishfrank
fishfrank
10. Mai, 2024 20:17
Reply to  Torsten Dewi

Die Klumplakate habe ich heute auch gesehen – man kommt ja nicht dran vorbei.

Meine erste Assoziation war die Erinnerung an einen uralten schlechten Barbarenfilm, dessen Schauwerte sich auf genau dies beschränkten:
Spärlich bekleidete Mütter schleifen ebenso kaumbekleidete Töchter vor den Oberbarbaren zum Zwecke der Nahrungsbeschaffung bzw. der Befreiung aus düstren Kerkern….
(war irgendein Video aus den Abgründen der schmierigen Videothek im letzten Jahrtausend)

Den Nachwuchs (am besten gleich nach Geburt) medientauglich zu verkaufen, ist wohl in manchen Kreisen gewinnbringend.

HenrX
HenrX
11. Mai, 2024 14:50
Reply to  Torsten Dewi

Zum Thema Pornodarstellerin, gibts ja sogar n Beispiel. Saskia Farell/ Lena Nitro. Da vermarktet Mutti sogar die Videos der Tochter auf der Homepage (Habe ich von nem Freund eines Freundes gehört *räusper) Ich weiß da auch immer nicht was ich davon halten soll. Einerseits denke ich, das ist deren Privatsache andererseits finde ich die sexuelle Vermarktung des eigenen Kindes, moralisch sehr fragwürdig.

Flusskiesel
12. Mai, 2024 10:44

Den ,,Dewi-Plausibilitätstest” finde ich super!

Zur ,,liebenden Wirtschaft”: Man könnte sogar ketzerisch sagen, dass Regulierung ,,der Wirtschaft” auch helfen kann. Z.B. löste in den USA das Verbot der Sklaverei einen unglaublichen Entwicklungs- und Wirtschaftsschub aus (Quelle: Internet).

S-Man
S-Man
16. Mai, 2024 08:47

Tatsächlich habe ich einige Jahre mit Freunden über den Plausibilitätstest philosophiert – der wurde ja bei früheren Wahlen schon einmal präsentiert. Generell mag ich den Ansatz schon, aber voll unterstützen würde ich ihn nicht:

Eine Partei fordert “Mehr Tierwohl”, die andere “Mehr Rente” (irgendwelche spontanen Beispiele). Nach dem Test wären diese Forderungen Quatsch, weil ja niemand sich hinstellt und weniger von den Dingen fordern würde. Dennoch gibt es dadurch ja eine Tendenz, eine Richtung. Die eine Partei würde also lieber was für Tiere, die andere eher etwas für die Rente tun. Es sagt ja keiner, dass die jeweils andere nicht auch die zweite Forderung gutheißen würde, nur ist eben deren eigenes Thema für sie das vermutlich Wichtigste.

Insofern finde ich es durchaus legitim, auf dem Wege zu zeigen, was man PRIMÄR erreichen will, auch wenn vermutlich niemand (offen) das Gegenteil fordern würde. Es zeigt halt, dass eine positive Änderung des entsprechenden status quo angestrebt wird.

PS: Dass Wahlkampf als solcher sowieso im Großen und Ganzen ausschließlich Show ist, sei mal dahin gestellt…

raumwunder
raumwunder
21. Mai, 2024 11:44

Am schlimmsten ist für mich der Zusatz “Streitbar in Europa”.
Ich will nicht streitbar in Europa sein, ich will friedlich und partnerschaftlich in Europa sein. Und ich will, das Europa auch friedlich und partnerschaftlich mit anderen umgeht.