04
Apr 2022

Fantasy Filmfest Nights XL 2022: HATCHING

Themen: FF Nights XL 2022, Neues |

Finnland/Schweden 2022. Regie: Hanna Bergholm. Darsteller: Siiri Solalinna, Sophia Heikkilä, Jani Volanen, Reino Nordin, Oiva Ollila

Offizielle Synopsis: Die junge Tinja lebt mit ihrer Bilderbuchfamilie in einer scheinbar perfekten Welt, doch unter der strengen Ägide ihrer lifestylebesessenen Mutter beginnen ihre eigenen Träume bereits zu bröckeln. Eines Tages endet ein bizarrer Zwischenfall mit einem toten Vogel, und als Tinja ein seltsames Ei im angrenzenden Wald findet, nimmt sie es kurzerhand mit nach Hause – nicht ahnend, was dieses immer weiter wachsende Gebilde bald in die Wirklichkeit entschlüpfen lassen wird. Ein monströser Albtraum beginnt.

Kritik: Vor dem hatte ich Angst. Das roch nach dieser Art skandinavischer Film, in dem stundenlang trübe Blicke ausgetauscht werden und das Ei vermutlich für Mutterschaft steht. Sowas wie SHELLEY. Prima als Thesenpapier, scheißlangweilig als Film.

So falsch kann man liegen.

HATCHING ist ein Film, der genau das schafft, woran z.B. der eben besprochene YOU ARE NOT MY MOTHER scheitert: er nimmt ein komplexes psychologisches Thema, verpackt es in ein Genre-Motiv, und zieht aus der Metapher unerhört erzählerische Kraft. Das Genre ist nicht Feigenblatt, es ist Verstärker der Motive.

Regisseurin Hanna Bergholm erklärte es im Video-Einspieler vorab perfekt: “Es geht um den Mangel an Liebe, der Monster gebiert”. Das, was sehr schnell aus dem riesigen Ei schlüpft, ist mehr als eine krude Vogel/Mensch-Kreatur – es ist der Hass und der Egoismus, der sich in dem pubertierenden Mädchen anstaut, weil Tinja in einer Welt lebt, die sie nicht auffängt, die für ihre Ängste und Wünsche keine Zeit hat.

Konsequent rächt sich “Allie” an allen, die Tinjas Interessen im Weg stehen – und wird ihr dabei immer ähnlicher. So muss das Mädchen eine Entscheidung treffen: will es sich im wahrsten Sinne seinen Dämonen hingeben oder sie bekämpfen?

Das ist exzellent inszeniert in einer stylishen, aber sterilen IKEA-Welt, die aussieht, als würde in Finnland jede Nacht feucht durchgewischt. Die Menschen sind jung, schön, sportlich – aber Glück ist nur eine Oberfläche. Tinjas Vater ist ein Beta-Männchen, das sich längst aus aller Verantwortung verabschiedet hat, der Bruder ist sein Ebenbild – und so ist die einzige Bezugsperson die egomane Mutter, die sich nur für ihr Image auf Social Media interessiert und freimütig zugibt, ihre Tochter nicht zu lieben.

Das ist teilweise schmerzhaft, besonders weil man viele der Verletzungen, die Tinja alltäglich erfährt, nur zu gut nachvollziehen kann. Und der Kampf mit dem Selbsthass und dem Egoismus, die uns zu dem machen können, was wir an unseren Eltern schon hassen, ist ein sehr potentes Thema.

Aber wie ich einführend schon sagte: HATCHING ist nicht bloß eine Meditation über den Schmerz der Pubertät. Es ist auch ein handfester Monsterfilm mit vielen spannenden Sequenzen, eine Homunkulus-Sage für die Moderne, die hässlich nach außen kehrt, was sonst in der Seele begraben wird.

Einen nicht geringen Anteil an der Wirkung des Films hat die Hauptdarstellerin Siiri Solalinna, die ihre schwierige Doppelrolle als Tinja und Allie brillant stemmt.

Und das Ende – wow. Das Ende wirkt verführerisch simpel, aber es ist grausam in seiner Konsequenz und durchaus wert, genauer darüber nachzudenken.

Fazit Wenn das Kind zur Frau wird und die Kraft der eigenen Wut entdeckt – im Grunde genommen eine CARRIE MIT HAUSTIER-Variante. Wie LAMB ein Highlight des skandinavischen Kinos. 9 von 10 Punkten.

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