09
Sep 2017

Fantasy Filmfest 2017: This is your Death

Themen: Fantasy Filmf. 17, Film, TV & Presse |

USA 2017. Regie: Giancarlo Esposito. Darsteller: Josh Duhamel, Famke Janssen, Giancarlo Esposito, Sarah Wayne Callies, James Franco, Caitlin FitzGerald, Noah Pink

Offizielle Synopsis: Nachdem seine unorthodoxe Reality-Heiratssendung mit einem tödlichen Amoklauf endet, übt der fassungslose Moderator Adam radikal Selbstkritik. Nur um sogleich ein noch krasseres Game-Format zu initiieren. Die Kandidaten sollen sich vor laufender Kamera selbst umbringen, um ihren Familienangehörigen per Spendenaufruf die Zukunft zu sichern! Wenn schon sterben, dann für einen selbstlosen Zweck. Chefin Ilana ist begeistert, die Schock-Show geht durch die Decke. Nur Adams Schwester Karina und Produzentin Sylvia wettern erfolglos gegen das Format. Aber wen interessieren schon Moralfragen im Zeitalter des Zynismus?

Kritik: Ich bin kein Freund von Mediensatiren, weil diese sich in einem Zwiespalt befinden: Sie bedienen ein Medium und einen Publikumshunger, der oft deckungsgleich mit dem kritisierten Objekt liegt. Film ist nur begrenzt geeignet, um Film oder Fernsehen zu kritisieren, zumal die gescholtene Verrohung, der Zynismus und die Menschenfeindlichkeit der Medien schnell als Mittel zum eigenen Zweck instrumentalisiert werden. Wer Gewalt zeigt, um sie anzuprangern, macht sie unbeabsichtigt attraktiv, macht sie zu seinem eigenen Werkzeug. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Kritisiert oder glorifiziert „Starship Troopers“ das tumbe Militärgehabe? Besaufen sich die Zuschauer nicht völlig unkritisch an dem brutalen Medienspektakel, das Schwarzenegger in „Running Man“ zu entlarven versucht?

Hinzu kommt, dass die Medienkritik als Film grundsätzlich sehr grob vereinfacht präsentiert werden muss, um dem Zuschauer auch verständlich zu sein. Und als jemand, der 20 Jahre in der Branche gearbeitet hat, ist mir das oft zu plakativ und in seiner Simplifizierung auch nicht mehr korrekt. Das Thema ist komplex und schwer auf gut/böse runterzubrechen.

Und genau darum ist „This is your death“ so wichtig und treffsicher: weil er sich einen einzelnen Bestandteil der Reality TV-Kultur herausgreift, ihn massiv extrapoliert, und dann perfekt seziert. Er baut eine perfekte Konstellation aus Machern und Mitspielern, verdeutlicht die Zusammenhänge, verneint nicht die Mitschuld des Publikums und entlarvt, dass das System von Menschen lebt, die sich ihm willig hingeben. Weil jeder letztlich nur seine eigene Sphäre als relevant begreift, seinen eigenen Erfolg als unverzichtbar ansieht. It‘s all a show!

Natürlich würde eine Show wie „This is your death“ niemals wirklich auf Sendung gehen. Aber die Idee, verzweifelte Selbstmorde in den Mittelpunkt der Primetime-Unterhaltung zu legen, erlaubt eine deutlich klarere Analyse der Mechanismen solcher Shows. Was ist hier wirklich „freiwillig“, wo hört die Empathie auf und fängt die Gewaltgeilheit an? Wie hohl sind die Phrasen, wie eiskalt inszeniert die Dramen?

Glaubt man zuerst noch, „This is your death“ würde dabei mit einer klaren gut/böse-Dualität auf billige Ziele schießen, schafft er doch schon im zweiten Akt die Wende, überrascht uns mit neuen Facetten und einer fast unerträglich anzusehenden Zuspitzung mit erwartbarem und doch fürchterlichen Ausgang. Adam Rogers, den wir am Anfang als geläuterten Show-Host wahrnehmen, wird immer mehr zum gegeelten Dämon im Maßanzug, der durch das traumatische Erlebnis im Prolog nicht etwa seinen moralischen Kompass gefunden, sondern diesen mit Schmackes über Bord geworfen hat. Er geht einen faustischen Pakt mit dem Publikum und den Quoten ein – es gibt immer smarte Sprüche, mit denen man alles rechtfertigen kann. Wirklich alles.

Auf der Gegenseite: Mason, der grundsolide Familienvater, der am amerikanischen Traum scheitert, weil er nicht mehr jung genug, nicht mehr stark genug, nicht mehr besonders genug ist. Er hat nur seine Arbeitskraft und seine Ehrlichkeit zu verkaufen – und beides ist nicht mehr viel wert. Als er und Adam in der Show aufeinander treffen, treffen auch das alte und das neue Amerika aufeinander.

Das alles ist von Giancarlo Esposito mit knappen Bildern und knappen Mitteln temporeich inszeniert, schockierend, ohne voyeuristisch zu sein. Niemals ist „This is your death“ der Gewaltgeilheit schuldig, die er anprangert. Es ist ein hoch moralischer Film ohne Zeigefinger, mit dem sich nicht nur TV-Veteran Esposito ein Denkmal setzt, sondern mit dem sich Josh Duhamel endgültig für die Hollywood A-List empfiehlt. Der Mann gehört ins Marvel oder DC-Universum, wäre ein perfekter Hal Jordan oder Captain Marvel. All chin, all action.

Ein Film, der zum Pflichtprogramm für Sender wie RTL2 und Vox gehören sollte, der in einer perfekten Welt eine breite Diskussion über den Missbrauch der Menschen in Reality-Shows auslösen würde. Das wird nicht passieren. Es bleibt aber trotzdem ein wirklich großartiger, im wahrsten Sinne des Wortes „sehenswerter“ Film.

Fragt Philipp: “Übertreibt genau so sehr, wie es nötig ist und so wenig, dass es noch glaubhaft wirkt. Großartig.”

Fazit: „Network“ meets „Millionenspiel“. Eine verführerisch launige, knallbunte Mediensatire, die schnell Fuß fasst und zu einer Abrechnung mit der modernen Reality TV-Kultur mutiert, wie sie packender und treffsicherer kaum sein könnte. Auch das etwas zu glatte „happy end“, wenn man es denn so nennen will, verhindert nicht mehr die verdienten 10 von 10 Punkten.

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8 Kommentare
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Dr. Acula
9. September, 2017 21:42

Ist doch aber auch keine neue Idee, siehe “Live!”…

comicfreak
comicfreak
11. September, 2017 16:42

..!

ist auch notiert

Peroy
Peroy
11. September, 2017 17:07

Ahw, fucking Nirvana-Cover im Trailer… blergh…

Jake
Jake
26. September, 2017 10:56

Spannend, unterhaltsam, berührend und Famke Janssen. Der Favorit meines 3-tägigen FFF-Stelldicheins! 9/10

heino
heino
27. September, 2017 07:46

Das war ein echter Tritt in die Magengrube und Duhamel hätte spätestens jetzt den Aufstieg in die A-Liga verdient gehabt. Bis jetzt war das der beste Film des Festivals und ich bezweifle, dass da noch was besseres kommen wird.

Peroy
Peroy
25. November, 2017 17:14

“THE SHOW wants to be a blistering takedown of reality TV, but it has no idea how satire works, taking its place alongside AMERICAN VIOLENCE as the most embarrassingly heavy-handed film of 2017.”

http://goodefficientbutchery.blogspot.de/2017/11/on-blu-raydvd-jungle-2017-and-show-2017_24.html