29
Jul 2017

Ruhe im Regenbogen: Ein bescheidener Vorschlag

Themen: Film, TV & Presse |

Nachfolgend ein Text, den ich im April 2014 für die Webseite Topf voll Gold geschrieben habe. Mittlerweile ist das Korrektiv der Klatschpresse bei Übermedien untergekommen – ich fand es als singuläre Stimme kräftiger.

Damit mein Beitrag nicht dem digitalen Vergessen anheim fällt, habe ich mich entschlossen, ihn an dieser Stelle in mein Blog zu übernehmen.

Worum es geht? Um die Klatschpresse natürlich. Um die kleinen Lügen und großen Unterstellungen, um Lesertäuschung und Selbstverleugnung. Ausnahmsweise aber lösungsorientiert und nicht nur anprangernd.

Nachzügler unter den Lesern kann ich empfehlen, vorher diesen und diesen Beitrag zu lesen, um meine Einstellung zur Klatschpresse besser zu verstehen.


Der Konflikt zwischen der Regenbogenpresse und den Medien, die kritisch über sie berichten, ist meist ein Konflikt der Wahrnehmung.

Brot und Butter der Klatschblätter ist die Unterstellung, die Irreführung. Die Chefredakteure, so sie sich denn äußern, widersprechen dem nicht einmal, sie verwenden nur andere Begriffe: Andeutung, Ausschmückung. Der Leser wird mit dem Versprechen auf die spektakuläre Geschichte A ins Heft gelockt, wo ihn dann die banale Geschichte B erwartet — der Irrtum ist gewollt und die Enttäuschung eingepreist.

Ein beliebtes Argument im Stil von “Das machen Blätter wie die BILD doch auch nicht anders!” verkennt die Mechanismen der Klatschpresse. Die BILD käme mitnichten damit durch, auf Seite 1 zu titeln “Bohlen schmeißt bei Supertalent hin!”, nur um dann auf Seite 3 zu enthüllen: “In der Generalprobe zur neuen Sendung wurde der Juror so wütend, dass er sogar seine Wasserflasche zu Boden warf”. Diese Form der hysterischen Dramatisierung ist die Domäne der Regenbogenpresse, die bevorzugt Begriffe wie “Frau”, “Gold”, “Freizeit” und “Aktuell” im Titel trägt.

Die Tatsache, dass sich die Leser auch nach 50 Jahren immer wieder davon locken lassen, zeigt laut Kritikern die Unbelehrbarkeit der Zielgruppe. Die Verteidiger der Yellowpress sehen darin lieber einen Beweis für das ungeschriebene Einverständnis von Produzent und Konsument: Wir liefern dir die Aufreger, solange du nicht zu genau hinschaust, ob sie wahr sind.

Damit lässt sich der Großteil der Klatschgeschichten als fragwürdig und oft albern abhaken. Wer’s nicht lesen will, muss es nicht kaufen. Wer’s lesen will, muss sich seine Lektüre nicht madig machen lassen.

Aber es ist unbestreitbar und auf dieser Webseite beeindruckend dokumentiert, dass die Regenbogenpresse regelmäßig die Grenze von der Irreführung zur glatten Lüge überschreitet, dass sie Persönlichkeitsrechte missachtet, Menschen verleumdet und öffentliche Pranger baut. Sie kam damit lange Zeit durch, weil sich die Macher und die Wächter in ihrer Einschätzung zu lange einig waren: Journalismus ist das nicht. Den Klatschgeschichten wurde die Wertigkeit und damit die Verantwortlichkeit von Kindergartenanekdoten überreizter Vierjähriger zugesprochen.

Das Caroline-Urteil war 1995 ein erster Schuss vor den Bug einer Branche, die bis dahin so ziemlich alles zusammen fabulieren durfte, was ihr gerade so einfiel. Immer mehr Stars verweigern sich mittlerweile der willkürlichen Märchenstunde in den bunten Blättern — Stefan Raab, Günther Jauch, Harald Schmidt, immer wieder auch Helene Fischer und Florian Silbereisen. Prominent sein bedeutet eben nicht ausgeliefert sein.

Die Regenbogenblätter wehren sich, so gut es geht — mit immer neuen Varianten von “der soll sich mal nicht so haben” und “unsere Leser wollen halt an seinem/ihrem Leben teilhaben, das ist doch nur menschlich”. Sie verteidigen, was nicht zu verteidigen ist, bis ihnen am Ende nur die Rechtfertigung bleibt “immerhin haben wir nicht gelogen — also nicht wirklich”.

Es ist dieses “immerhin haben wir nicht gelogen”, das in der Welt der Klatschpresse anscheinend jede Geschmacklosigkeit und Gehässigkeit neutralisiert. Und die Fälle, in denen die Lüge offensichtlich ist, in der Gerichte Strafen verhängen und fette Gegendarstellungen die Titelseiten verschandeln? Die werden von den Klatschblättern selber gerne als unglückliche Einzelfälle und journalistische Fehlschüsse in den Bereich der Kollateralschäden geschoben.

Ausnahmen, keine Methode.
Ausnahmen, keine Methode?

Dann sollte es auch kein Problem sein, diese bedauerlichen Ausnahmen einzudämmen, wenn nicht gar abzuschaffen.

Ich fordere einen verpflichtenden Kodex für die Klatschpresse. Einen, der die Privatsphäre Prominenter schützt, verbindliche Regeln setzt und trotzdem genug Freiraum lässt für den saftigen Tratsch, der die willigen Leser zieht. Denn eins ist klar: Ein Kodex kann nur funktionieren, wenn er so gestaltet ist, dass beide Seiten mit ihm leben können. Einem Medium, das seine Existenz der manchmal geradezu parodistisch überzogenen Übertreibungen verdankt, kann man schlecht die überzogenen Übertreibungen verbieten. Zumal, auch wenn das nicht gerne offen ausgesprochen wird, das Gros der Stars und Sternchen die Berichterstattung in der Klatschpresse immer noch mit der Einstellung “only no news is bad news” willig füttert.

Diese Eckpunkte halte ich dabei für ziemlich offensichtlich.

1) Keine primären, sekundären oder tertiären Geschlechtsmerkmale mehr. Der Leser hat kein Anrecht auf Busenblitzer und “vergessene” Schlüpfer, ihr Informationswert ist null. Sie sind kein Grund, die Kamera zu zücken — sie sind ein Grund, die Kamera abzuschalten. Intimbereich und Busen sind automatisch Privatsphäre. Ausnahme: Nacktfotos, die Stars aus Gründen der Selbstvermarktung haben anfertigen lassen (Playboy, Werbung, etc.).

2) Keine Übernahmen von “Skandalfotos” als Ausriss. Es ist eine beliebte Methode, nackte oder schockierende Tatsachen abzubilden, indem man einfach die Titelseite der Konkurrenz abbildet und sich angesichts dieser “Enthüllung” empört zeigt. Künftig darf über solche Fotos nur noch in Textform berichtet werden.

3) Die Kinder Prominenter sind tabu. Bis 14 absolut, von 14 bis 18 darf nur im nicht privaten Kontext der Eltern (Roter Teppich, Dreharbeiten, Preisverleihungen) berichtet werden. Ausnahme: ausdrücklich von den Eltern gewollte Präsentation der Kinder (Homestory, Werbung, Schauspielerei).

4) Erweiterung des Begriffes “Privatsphäre”. Prominente sind weder bei Besuchen auf Privatgrundstücken zu fotografieren, auch nicht von der Straße aus, noch in Gebäuden hinter Glas (im Fitnessstudio, Restaurant, Gefängnis). Der Begriff Privatgrundstück umfasst dabei auch private Strände, Boote, etc.

5) Besonderer Schutz im Krankheits- und Todesfall. Spekulationen über verletzte, sieche oder greise Prominente sind zu unterlassen, den Bitten der Familien nach Privatsphäre ist Folge zu leisten. Insbesondere sind Begriffe wie “Wunder” und “Das Ende” zu vermeiden, die unabsehbare Auswirkungen auf Familie und Freunde haben können.

6) Fotomontagen auf dem Cover sind deutlich zu kennzeichnen. Nicht winzig am Heftrand, sondern durch klar lesbare Beschriftung. Während es in Ordnung ist, zwei Personen durch gekennzeichnete Fotomontage in einen durch den Artikel gedeckten Kontext zu setzen (“Drehen Helene Fischer und Otto Waalkes bald zusammen einen Film?”), ist die visuelle Behauptung zum Beispiel einer Geburt (Baby im Arm) unzulässig.

6.1.) Bilder müssen kontextualisiert werden. Wenn zum Beispiel eine Prominente weinend gezeigt wird und der Text einen Zusammenhang mit einer Familientragödie herstellt, dann muss die Bildunterschrift klar kennzeichnen, von wann und aus welchem Umfeld das Bild stammt. Dadurch wird verhindert, dass alte Bilder zur Authentifizierung eines aktuellen Dramas missbraucht werden.

7) Fremdproduzierte Texte müssen klar gekennzeichnet werden. Von Werbepartnern erstellte oder mit deren Hilfe verfasste “redaktionelle” Texte/Advertorials müssen in der Einleitung bereits als solche erkennbar sein. Ein winziger “Anzeige”-Stempel oder eine Zeile am Bildrand reichen nicht aus.

8) Einführung einer Korrekturspalte. Illustrierte verpflichten sich, eine auffällig platzierte Korrekturspalte abzudrucken, die von Prominenten ohne die Hürden der Gegendarstellung in Anspruch genommen werden kann. Maßstab ist ein einfaches Votum der Schiedsstelle – siehe unten.

Zur Wahrung des journalistischen Anspruchs schlage ich außerdem die Bildung einer unabhängigen Schiedsstelle für das deutsche Pressewesen vor. Diese hat primär drei Aufgaben:

1) Die Schiedsstelle entscheidet mit einfacher Mehrheit, ob eine Klatschzeitschrift dem Ersuchen eines Prominenten nach Richtigstellung in der Korrekturspalte nachkommen muss. Ziel ist dabei weniger die Bloßstellung des Mediums als die Erziehung zur korrekten Berichterstattung. Die Menge der veröffentlichten Korrekturen wird dabei ein einfacher Maßstab für den kritischen Leser.

2) Die Schiedsstelle kuratiert eine Blacklist, in der sich Prominente eintragen lassen können, die gar keine persönliche Foto-Berichterstattung über ihre berufliche Präsenz hinaus wünschen. Die Presse hat sich der Blacklist zu beugen, ist aber berechtigt, diese anzufechten, wenn ein Prominenter sie selbst durch selektive Privatpräsenz in der Presse unterläuft.

2.1.) No Cover-Klausel. Prominente haben das Recht, unabhängig von der Blacklist die Verwendung ihrer Fotos auf den Titelseiten der Illustrierten zum Zwecke der Leserköderung abzulehnen.

3) Quelleneinsicht. Die Schiedsstelle erkennt den Quellenschutz als notwendige Grundlage journalistischer Arbeit an. Da sich Klatschzeitschriften allerdings notorisch auf offensichtlich erfundene “Freunde” und “Kenner” berufen, werden sie verpflichtet, im Konfliktfall ihre Quellen auf Nachfrage der Schiedsstelle zu melden, die dann entscheidet, ob eine Verletzung der Sorgfaltspflicht vorliegt. Sollte das der Fall sein, kommt es zu einem personenunabhängigen Vermerk in der Korrekturspalte des entsprechenden Blattes. Die Schiedsstelle ist weder verpflichtet noch berechtigt, etwaige Quellen nach außen zu geben.

Noch mal: Alle diese Vorschläge beschneiden nicht das, was die Regenbogenpresse als ihr “Fleisch” betrachtet. Sie darf weiter tratschen, insinuieren, andeuten, unterstellen, fabulieren. Sie darf nur nicht mehr tun, was sie nach eigener Aussage sowieso nicht absichtlich tut: Lügen erfinden, Menschen in ihrer Privatsphäre belästigen, Leser hinters Licht führen.

Trotzdem ahne ich, dass kaum ein Chefredakteur diesen Kodex als Selbstverpflichtung unterschreiben oder gar umsetzen wird. Weil die Wahrheit und der Respekt bei diesen Blättern nicht nur hinderlich sind, sondern dem Geschäftsmodell zuwider laufen.



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