05
Jul 2013

Movie Mania 2013 (25): Kino-Kritik "Europa Report"

Themen: Film, TV & Presse, Movie-Mania 2013, Neues |

mm2013 Klein
er1 USA 2013. Regie: Sebastián Cordero. Darsteller: Sharlto Copley, Michael Nyqvist, Christian Camargo, Daniel Wu, Anamaria Marinca u.a.

Story: Die erste bemannte Mission zum Jupitermond Europa ist gescheitert – die “Europa One” ist verloren, alle Crewmitglieder sind ums Leben gekommen. Doch ein letzter Linkup hat tausende Stunden Filmmaterial der verschiedenen Bordkameras an die Erde übertragen, aus denen die Experten eine Narrative rekonstruiert haben, die erklären soll, was genau auf der 20monatigen Reise vorgefallen. In 90 Minuten werden die neuralgischen Momente aufgearbeitet und durch ein Interview mit der Projektleiterin und Aufnahmen aus einer Pressekonferenz ergänzt. Das letzte Geheimnis der “Europa One” wird gelüftet…

Kritik: “Europa Report” ist einer der Hoffnungsträger dieses SF-Sommers. Diverse Auguren raunen sich zu, diese Found Footage Low Budget-Produktion könne der nächste “Moon” sein, der nächste “District 9” gar. Science Fiction als Drama, nicht als Spektakel, mit sichtlichem Bemühen, wissenschaftliche Authentizität wenigstens zu heucheln. Das Gegenmittel für die Pest, deren Symptome “After Earth” und “The Purge” sind.

Zugegeben: ich war skeptisch. Allerspätestens seit “The Bay” ist der Found Footage-Zug für mich endgültig abgefahren und wissenschaftliche Authentizität ist für mich ein nettes Hilfsmittel, aber kein raison d’être. Musste “Star Trek II: Der Zorn des Khan” authentisch sein? “Phase IV”? “Aliens”? “Terminator”? Eben.

Tatsächlich hängt sich “Europa Report” nur relativ minimal an das Found Footage-Gimmick. Da die gesamten Aufnahmen für den Zweck des “Reports” sortiert und in Kontext gebracht wurden, wirkt der Film stilistisch eher wie ein Dokudrama als wie der dröge Blick durch endlose Überwachungskamera-Linsen. Die Verwendung durchaus bekannter Schauspieler (Nyqvist, Copley) und ein sorgsam, aber erkennbar eingesetzter Soundtrack stärken den fiktionalen Aspekt noch weiter.

Operation Ganymed
Operation Ganymed

In seiner nüchternen Darstellung der Raumfahrt als endlose Langeweile in einem feindlichen schwarzen Weltraum erinnert “Europa Report” auch deutlich mehr an Carpenters “Dark Star”, Erlers “Operation Ganymed” und Robert Mandels fast unbekannten, aber sehr sehenswerten TV-Film “Special Report: Journey to Mars“, der die erste bemannte Marslandung als Live-Event in Echtzeit inszeniert. Mit diesen Filmen teilt “Europa Report” auch den Eindruck des Handgemachten, der zumindest physischen Authentizität. Die “Europa One” wirkt nie wie ein CGI-Modell, die Aufnahmen der Planeten haben so gar nichts Spielerisches. Cordero erzeugt erfolgreich ein Gefühl des “being there”, das nur wenig “suspension of disbelief” verlangt.

Special Report: Journey to Mars
Special Report: Journey to Mars

Es sollte klar sein, dass ein Film, der eine 20monatige Weltraummission zusammen rafft, kein Highspeed-Actionthriller sein kann. Vieles wird gemächlich erzählt, die Charaktere werden nur beiläufig vorgestellt, die Handlung ergibt sich eher, als dass sie konkret entwickelt wird. Das ist was für Fans mit Sitzfleisch und Anspruch. Wer durchhält, wird allerdings mit einer soliden Spannungskurve belohnt.

Auf inhaltlicher Ebene wird es schon schwieriger. Betrachtet man den Ablauf der Ereignisse oberflächlich und zusammen fassend, werden die Defizite des Dokudrama-Ansatzes deutlich: am Ende hat “Europa Report” in 90 Minuten das erzählt, was jedes B-Movie seit “Alien” in 20 schafft – und bricht ab, wenn andere Filme erst richtig anfangen.

Das Ende wirkt in seiner Eindeutigkeit fast schon wie ein Verrat an der Ambivalenz sowohl der Story als auch der Mission der “Europa One”. Mit der letzten Aufnahme rutscht der Film fast schon in B-Territorium ab – was ich für einen unglücklichen Missgriff halten würde, wenn sich unter der intellektuellen Oberfläche nicht noch ein paar weitere Uraltklischees verbergen würden, die den Film unnötig in Richtung Mainstream zerren: so wissen wir natürlich, welcher Charakter zuerst sterben muss – weil er den dummen Fehler macht, davon zu reden, wie sehr er seine Kinder vermisst.

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Aber wer bei “Europa Report” die Einzigartigkeit in der Story sucht, sucht sowieso an der falschen Stelle. Was Cordero wirklich gut gelingt und was seinem Film im Einerlei der SF-Produktionen eine Sonderstellung verleiht, ist der gelungene “sense of wonder”, eine glaubwürdige Darstellung der Symbiose von kindlicher und wissenschaftlicher Neugier.

Die Crewmitglieder der “Europa One” wissen von Anfang an, dass die Chancen, lebend zur Erde zurück zu kehren, sehr gering sind. Aber sie sind Forscher im Geiste Hillarys und Magellans, sie treibt die Faszination, dem All seine Geheimnisse zu entreißen. Und je verzweifelter ihre Situation wird, desto stärker wird ihr Drang, der Welt zu hinterlassen, was sie entdeckt haben. Sie nehmen ihren Tod fast nonchalant hin, denn sie haben etwas geschafft, das sie unsterblich macht: sie haben der Menschheit den nächsten Schritt ermöglicht.

Es ist diese Ebene, auf der “Europa Report” brilliert und die ihn zur Delikatesse für SF-Fans macht, die nicht über Laserschwerter und Riesenroboter zum Genre gekommen sind, sondern über den fragenden Blick zum Sternenhimmel. Es ist ein Film für Science-Nerds, dessen Helden sich nicht über den Sieg definieren, sondern über die Bereitschaft, den Schritt ins Dunkel zu wagen. Ein Film ohne Happy End – mit Happy End.

Fazit: Ein faszinierendes SciFi-Experiment im Dokudrama-Stil, das Pragmatismus und Neugier zur Tugend erklärt, sich manchmal in Klischees verstolpert, insgesamt aber gute Abwechslung zu den stumpfen Blockbustern des Sommers bietet.

“Europa Report” geht in den USA über iTunes und PayPerView an den Start, bevor er im August ins Kino kommt. Der Trailer verkauft mehr Spannung und Grusel, als der Film letztlich bietet – oder bieten muss:

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Markus Haage
5. Juli, 2013 08:04

Wundert mich, dass APOLLO 18 keine Erwähnung findet.

heino
heino
5. Juli, 2013 08:34

Das klingt ja schon ganz gut, den werde ich mir auf jeden Fall beim FFF ansehen

Peroy
Peroy
5. Juli, 2013 08:41

“Apollo 18” eine Schilderung tatsächlicher Ereignisse? Die Monemonster sind echt…? Das Statement halt’ ich für gewagt. Und “Moontrap” war ‘ ne Doku, oder wie…? :/

Peroy
Peroy
5. Juli, 2013 08:42

Jajq, editier’ du nur…

heino
heino
5. Juli, 2013 08:54

Das hab ich editiert, bevor du kommentiert hast, weil mir aufging, dass ich das mit “Apollo 13” verwechselt hatte. “Apollo 18” habe ich gar nicht gesehen.

Bluescreen
Bluescreen
5. Juli, 2013 09:14

“Die erste bemannte Mission zum Marsmond Europa ist gescheitert”
Europa ist doch ein Jupitermond, oder?

Dietmar
Dietmar
5. Juli, 2013 10:41

Phobos und Deimos sind die Marsmonde. Nur sehr kleine Brocken. Europa gehört zu Jupiter, meine ich.
Zweiter Blick auf das Plakat: Der Planet sieht auch eher aus wie Jupiter.

Martin
Martin
5. Juli, 2013 12:02

“Die erste bemannte Mission zum Marsmond Europa ist gescheitert”
Galileo Galilei is not amused.

DMJ
DMJ
5. Juli, 2013 14:12

Ich möchte anmerken, dass ich bei dem Titel erst an einen Reboot der klassischen “Schulmädchen-“/”Hausfrauen-“/Steuerfachangestelltinnen-Report” Softpornoreihe dachte und entsprechend enttäuscht bin. 😛

Proesterchen
Proesterchen
5. Juli, 2013 15:45

Das Review weckt bei mir genug Interesse, dass ich den Film zum angemessenen Preis (sagen wir 3 Euro) direkt ausgeliehen hätte. Aber bis er verfügbar wird, hab ich ihn sicher wieder vergessen und wundere mich dann in 2 bis 5 Jahren darüber, ihn als Füller im VOD oder bei Sky zu sehen.
Lutscht, wenn man zwar in der Zukunft, aber nicht weit genug in der Zukunft lebt.

TimeTourist
TimeTourist
5. Juli, 2013 16:45

“so wissen wir natürlich, welcher Charakter zuerst sterben muss – weil er den dummen Fehler macht, davon zu reden, wie sehr er seine Kinder vermisst”
Köstlich! Ich liebe solche Filme! Bin dennoch gespannt auf den Film. Denke aber das der Weg ins Kino nicht lohnt. Warte lieber auf die BD.

dLTexid
dLTexid
5. Juli, 2013 18:01

eine Frage an die Auskenner, ich habe vor Jahren, Dekaden? mal einen Film über eine getürkte Landung irgendwo gesehen.
Im Verlauf des Films flüchteten die “Kosmo, äh Astronauten” dann quer durch U.S.o.A. inklusive Schlangen essen und so. Kann mir jemand von euch vielleicht mit dem Titel weiterhelfen?
Ich würde den gerne jetzt noch mal sehen und entscheiden ob der mich (edit mir) im hohen Alter noch genauso gefällt wie damals.
Danke schon mal und happy Wochenende an alle.

Dietmar
Dietmar
5. Juli, 2013 18:16

@dLTexid: “Unternehmen Capricorn” mit Brolin (Vornamen weiß ich gerade nicht).
Edit: James Brolin, Film von 1978.

Howie Munson
Howie Munson
5. Juli, 2013 21:35

Also für mich klingt die Story nach dem (Buch-) Subplot von 2010 über die chinesischen Mission, plus den Spannungen auf der Leonow zwischen Russen und Amerikanern.

„All diese Welten sind euer – außer Europa. Versucht nicht, dort zu landen. Nutzt sie gemeinsam. Nutzt sie in Frieden.“

Und “Marsmond Europa” tut schon ziemlich in den Augen weh… Beim Jupiter und Teutates.

Wortvogel
Wortvogel
6. Juli, 2013 09:32

ARRRRGHHHHH!!!! Da setze ich eine Filmkritik mal automatisch ein, während ich den ganzen Tag unterwegs bin (über 1000 Kilometer Autobahn plus fünf Stunden Reportage) – und dann passiert mir so ein Patzer, den ich nicht von unterwegs korrigieren kann! Asche auf mein Haupt. Das lag an der Beschäftigung mit “Operation Ganymed” und “Special Report”.

Dietmar
Dietmar
6. Juli, 2013 10:44

Sowas müsste man astrologisch wegschwurbeln! 🙂

Peroy
Peroy
7. Juli, 2013 03:03

http://culturecrypt.com/movie-reviews/europa-report-2013
Auch nicht besser als “Sin Reaper”… 8)

Peroy
Peroy
7. Juli, 2013 19:40

http://www.dreadcentral.com/reviews/eurpoa-report-2013
Liest sich auch nicht berauschend…

dLTexid
dLTexid
9. Juli, 2013 00:15

danke Dietmar

Roman
Roman
10. Juli, 2013 18:19

“[…] für SF-Fans […], die nicht über Laserschwerter und Riesenroboter zum Genre gekommen sind, sondern über den fragenden Blick zum Sternenhimmel.”
Ganz großer Satz! Könnte man fast einrahmen lassen. 🙂