04
Jun 2013

Movie Mania (20): The Purge

Themen: Film, TV & Presse, Movie-Mania 2013, Neues |

mm2013 Klein Purge Poster USA 2013. Regie: James DeMonaco. Darsteller: Lena Headey, Ethan Hawke, Max Burkholder, Edwin Hodge, Rhys Wakefield u.a.

Spoiler voraus! Ich sag’s nur, damit sich keiner beschwert.

Story: Im Jahr 2022 regieren in den USA die “Neuen Gründungsväter”, die Arbeitslosenquote steht ebenso wie das Verbrechen auf einem neuen Tiefststand. Die Ursache: eine jährliche “Säuberung”, eine Nacht, in der alle Gesetze außer Kraft treten und auf den Straßen Gewalt und Mordlust herrschen. So hat man die Verbrecher und den unerwünschten Pöbel ganz allgemein in ein paar Jahren drastisch reduziert. James Sandin gehört zu den Profiteuren der neuen Ordnung: er verkauft Sicherheitssysteme, mit denen sich wohlhabende Bürger in der Nacht der Säuberung in ihren Häusern abschotten können. Doch als sich ein farbiger Flüchtling in das Haus der Sandins rettet und eine Bande psychopathischer Maskenträger seine Herausgabe zwecks Totschlags verlangt, muss Sandin seine zusammen gelogene und hin gebogene “Moral” ernsthaft hinterfragen. Zumal die Angreifer nicht die Einzigen sind, die den Sandins an den Kragen wollen…

Kritik: Hot diggity, endlich mal wieder ein SciFi-Thriller, der sich bemüht, eine eigenständige und nicht von technischen Spielereien zugeschüttete Utopie/Dystopie zu formulieren. Die Grundannahme von “The Purge”, dass sich viele Probleme der Gesellschaft beseitigen lassen, wenn man ihr ein Ventil für angestaute Wut und beißenden Neid gibt, ist durchaus diskussionswürdig. Es gibt moralische, politische, religiöse, aber auch organisatorische Aspekte. Wäre die Folge einer “Säuberung” wirklich eine gesündere Gesellschaft – oder eine völlig entmenschlichte?

Schade nur, dass Autor und Regisseur DeMonaca sich nach dem erfreulich straffen Setup für diese Fragen überhaupt nicht mehr interessiert. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit degeneriert “The Purge” zu einem banalen “Home Invasion”-Thriller, der das soziale Experiment völlig aus den Augen verliert. Böse Menschen wollen in dein Haus – was würdest DU tun? Klar gibt es immer mal moralische Scheidewege wie die Frage, ob man den Flüchtling nicht besser ausliefern sollte und ob Gewalt die Antwort auf Gewalt sein kann. Aber die Antwort des Films auf all diese Fragen lautet: Gewalt. Das steigert sich bis zum Schluss, in dem Gewalt angewendet wird, um Gewalt zu verhindern – letztlich habe ich selten einen Film gesehen, dessen Aussage derart wirr und inkonsequent ist.

Nach den ersten 15 Minuten hatte ich eigentlich gedacht, “The Purge” würde etwas mehr Kontext zeigen, seine Figuren mit einem größeren Zusammenhang konfrontieren. Es deutet sich an, dass die Tochter aus dem Haus abhauen wird, um ihren Freund zu sehen. Dann müssten die Eltern aus ihrem selbst gebauten Gefängnis hinaus in die gesetzlose Nacht, müssten mit eigenen Augen sehen, was sie gerne ignorieren möchten – dass die “Säuberung” ein Freifahrtschein für Psychopathen ist, um die Armen und Schwachen zu massakrieren. Leider ist das nicht die Geschichte, die DeMonaco erzählen will. Es gibt keine einzige nennenswerte Szene außerhalb der “gated community”, und nur eine Handvoll, die überhaupt außerhalb des Hauses spielen. Alles, was wir von der “Säuberung” mitbekommen, sind ein paar gesichtslose Fanatiker, die gerne Leute lynchen.
Vigilandia
Das Ende ist wieder mal ein echter Kopfpatscher: Mary Sandin durchbricht die Spirale der Gewalt, in dem sie ihre Gegner mit Waffengewalt zwingt, bis zum nächsten Morgen die Waffen ruhen zu lassen. Schön und gut. Aber dann ist der Film zu Ende. Was soll das? Ist nun alles wieder gut? Werden die Nachbarn nicht in exakt einem Jahr wieder vor der Tür stehen? Oder hakt man das in der Community nun  als “business as usual” ab? Das Ende von “The Purge” erklärt nichts, löst nichts auf, bezieht keine Stellung. Mary hat keinen moralischen Sieg errungen, hat Verbrecher davon kommen lassen und wird dafür mit Sicherheit schwer bezahlen müssen. Befriedigend ist anders.

An inhaltlichen und inszenatorischen Patzern herrscht auch sonst kein Mangel: die Attacke von Zoeys Freund Henry ist so komplett unglaubwürdig und schlecht gefilmt, dass man zuerst meint, sie nicht richtig verstanden zu haben. Die schwarze “Geisel” verschwindet immer dann, wenn Regisseur DeMonaco ihr gerade keine Bedeutung zumisst – und warum Sandin den Mann nicht von seinen Fesseln befreit, als er sich endlich zur Gegenwehr entscheidet, ist komplett banane. Ethan Hawke ist allerdings großartig als Familienvater, der um des Erfolges willen alles aufgegeben hat, was er mal an Moral besaß – und dessen Verkäuferphrasen am Ende weder bei der Familie noch bei den Bösewichten verfangen.

Nun könnte man immer noch sagen, dass “The Purge” als Thriller wenigstens solide Kost bietet, auch wenn sein Nährwert kaum über den der anderen Regalfüller in der DVD-Videothek hinausgeht. Aber die Michael Bay-Produktion macht den Fehler, in den ersten 15 Minuten die Säuberung mit zu dicken Eiern zu verkaufen, als ginge es um dir großen Fragen der Gesellschaft, als wolle er uns aufrütteln, schockieren, zum nachdenken anregen. Das rächt sich, weil er dieses Versprechen nicht einlöst. Der ganze futuristische Aufhänger ist albernes Brimborium, genau so gut hätte der Film in der Gegenwart in einer Waldhütte oder in einer Villa 50 Meilen von der nächsten größeren Stadt entfernt spielen können. Ich nenne das mal einen “Science faketion”, der Genrezugehörigkeit um der Vermarktbarkeit willen vortäuscht, letztlich aber damit zufrieden ist, Thrillerklischees zu bedienen. Oder wie Markus Haage auf Facebook nur nach Ansicht des Trailers korrekt vermutete: “Tolle Grundstory, aber zu leicht verschenkt, mit einem Katz-und-Maus-Horrorthriller, der auch vor jedem anderen Hintergrund funktioniert hätte.”

Ich habe mich weniger darüber geärgert, dass “The Purge” nie das ist, was er vorzugeben scheint – ich habe mich geärgert, weil er das hätte sein können, was er vorgibt.

Fazit: Ein Film, der sein interessantes, wenn auch etwas vage erzähltes Konstrukt zu schnell für einen banalen “Home Invasion”-Thriller über Bord wirft und die wirklich interessanten Fragen bequem ignoriert. Festival- und DVD-Futter.

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Dr. Acula
4. Juni, 2013 17:23

Hmmm… http://en.wikipedia.org/wiki/The_Return_of_the_Archons ? ALso, was jetzt das Konzept des “Purge” an und für sich angeht…
Ansonsten… pass.

Peroy
Peroy
4. Juni, 2013 17:24

Wieso tragen die Masken?

Wortvogel
Wortvogel
4. Juni, 2013 17:26

@ Peroy: Logische Antwort: weil es auch in einer Nacht, in der Verbrechen legal ist, nicht von Vorteil ist, als Mörder identifiziert zu werden. Wahrscheinliche Antwort: weil der Regisseur es geil fand.

Markus Haage
4. Juni, 2013 17:53

Huch, ich fühle mich geehrt.
Aber als ich den Trailer vor ein paar Monaten sah, war ich von der ersten Minute, als die Grundidee aufbereitet wurde, begeistert. Danach ging es aber nur noch um das Haus, und da wußte ich im Grunde, dass es ein typisches Katz-und-Maus-Spiel wird. Sonst hätten sie ja wenigstens irgendwelche Moneyshots vom Massen-Mayhem in den Großstädten gezeigt. Das heißt ja alles nicht, dass es schlecht ist. Ganz im Gegenteil. Ich mag diese Ausgangsituation. Belagerung in gewohnter Umgebung. Assault – Anschlag bei Nacht, etc. Aber da wurden wohl zwei unterschiedliche Dinge aneinanderkettet, die nicht so richtig zusammenpassen. Quasi zwei Filmideen in einem.

Wortvogel
Wortvogel
4. Juni, 2013 17:57

@ Markus: Ich würde eher sagen, der Film versucht sich mit dem Purge-Brimborium eine gesellschaftliche Relevanz zu geben, die er nicht hat.
Der Regisseur hat übrigens auch – welch Zufall – das Remake von “Assault” geschrieben.

DMJ
DMJ
4. Juni, 2013 20:18

Schade – also ist der Film etwa das, was ich schon bei Sichtung des Trailers vermutete. Nun ja, wenigstens hat er uns indirekt den schönen Begriff “Science faketion” gebracht. 😉
Nebenbei glaube ich nicht, dass das Purge-Prinzip die Gesellschaft wirklich so sehr revolutionieren würde. Dass Verbrecher ja gerade Regeln zu übertreten pflegen, lässt nicht vermuten, dass sie sich an dieses Zeitfenster halten würden, zudem werden gerade Gewalttaten oft emotional (also ohne dass darüber nachgedacht wird, dass man ja bis zum passenden Tag warten könnte) und auch nicht unbedingt von den intelligentesten Menschen begangen werden. Eigentumsdelikte würde man zudem ja auch nicht ewig aufschieben, wenn man jetzt Geld will/braucht.
Im Endeffekt würden wohl vor allem zusätzliche Verbrechen begangen werden, einfach, weil es an dem Tag erlaubt ist.

Wortvogel
Wortvogel
4. Juni, 2013 20:30

@ DMJ: Na ja, es wir deutlich, dass die Säuberung zuerst einmal die Verbrecher selbst beseitigt, weil der “rechtschaffene Mob” in der Mehrzahl ist und die Übeltäter ohne lange zu fackeln (oder eben doch fackeln) vom Diesseits ins Jenseits befürchtet. Ist damit die öffentliche Ordnung erstmal wieder hergestellt, nutzen die “braven Bürger” den Purge, um mal so richtig die Sau rauszulassen. Es bleiben aber extrem viele Fragen offen. So wird klar gesagt, dass nur kleinere Handfeuerwaffen und Stichwaffen “erlaubt” sind – da dachte sich der Drehbuchautor korrekt “sonst würde die Säuberung ja den Einsatz von Granatwerfern erlauben, was zuviel Sachwerte vernichtet”. Aber nachdem während der Säuberung ALLE öffentlichen Dienste außer Kraft sind (Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser) – wer überprüft bzw. verhindert das?

Shan Dark
4. Juni, 2013 20:53

Einfach mal “Nacht ohne Gesetz / New York 1991” ansehen. Gibt es komplett auf Youtube. Schlechte Quali, aber B-Movie aus den 80ern.
Sehr ähnliche Story – dafür aber wirklich sehr gut. Klingt als hätten sie bei The Purge viel und schlecht davon gekupfert.

heino
heino
4. Juni, 2013 21:03

Das hab ich mir nach der Ansicht des Trailers genau so gedacht. Und wieder Geld für einen besseren Film gespart

DMJ
DMJ
4. Juni, 2013 21:03

Hm, aber da Verbrecher und potentielle Verbrecher ja keine klar abgegrenzte Gruppe sind, weiß ich nicht, wie effektiv der Mob wäre. Da bringt er vielleicht beim ersten Purge-Tag tatsächlich ein drittel des ihm suspekten Slums um, aber am nächsten Tag hat er dann die wütenden anderen zwei Drittel am Hals, die sich einen Dreck darum scheren, dass Mord jetzt wieder verboten ist.
Was wirklich zurückgehen würde, wären wohl solche “Überlastungsamokläufe” durch angesammelten Frust und Stress, die man da legal ausüben könnte und trotzdem noch auf die Rente hoffen.

Mencken
Mencken
4. Juni, 2013 21:06

Mich kann die Grundidee auch nicht wirklich überzeugen. Wenn die “anständigen” Bürger sich als die effektiveren Mörder erweisen (und zugleich auf Raub, Einbruch, Vergewaltigung usw. verzichten, was auch wenig plausibel ist) und die Opfer vor allem Verbrecher sind (wie werden die identifiziert?), sollte dies eigentlich keine nennenswerten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben und die Kriminalitätsraten eher steigen lassen.
Herrscht hingegen generelle Anarchie, dürften die Berufsverbrecher dank größerer Erfahrung und geringerer Hemmschwelle (wird erklärt, warum die normalen Bürger so gewaltbereit sind?) klar im Vorteil sein.

Peroy
Peroy
4. Juni, 2013 21:17

Die Prämisse von dem Film ist so saudämlich, da muss man eigentlich schon ins Kino gehen um das Trainwreck persönlich in Augenschein zu nehmen…
Und nächstes Jahr dann ein Film über einen Typen, der Einhörner kackt…

dermax
dermax
4. Juni, 2013 21:45

Hab auch grad so nen “Looper”-Flashback, dass die Ausgangsidee schon so doof ist, dass man sich den ganzen Film über nur an die Stirn patscht…
Ich würd da eher materiell denken und an dem Tag einige Hausbesitzer “überzeugen”, mir Ihre Besitztümer zu überschreiben, dann hab ich die nächsten 364 Tage auch was von der Purge…

Exverlobter
Exverlobter
4. Juni, 2013 21:49

“Die Prämisse von dem Film ist so saudämlich, da muss man eigentlich schon ins Kino gehen um das Trainwreck persönlich in Augenschein zu nehmen…”
Erinnert mich an Paul Kersey. Diesmal tun sich die Kerseys dieser Welt halt zusammen.

Peroy
Peroy
4. Juni, 2013 22:13

Nein.

reptile
reptile
5. Juni, 2013 08:55

Sehr schade, die Idee hat mir sehr gut gefallen. Ich hätte gerne gesehen, wie brave Familienväter zu Mördern, der nette Nachbar zum Vergewaltiger wird und wie man danach damit umgeht. Der Tag danach wäre vielleicht das wirklich interessante gewesen.

Wortvogel
Wortvogel
5. Juni, 2013 08:59

@ Reptile: Ganz genau. Im Grunde hört “Purge” auf, wenn es spannend wird.

Peroy
Peroy
7. Juni, 2013 21:04
Peroy
Peroy
10. Juni, 2013 22:54

http://boxofficemojo.com/news/?id=3691&p=.htm
Okay, der Film ist wohl stullendumm, aber das zehnfache des Budgets (wobei ich annehme, dass die Marketingkosten da nicht mit eingerechnet sind) am Startwochenende eingespielt… irgendwas haben sie richtig gemacht.
Auch kein Remake, kein Sequel, dafùr High Concept… man fragt sich da doch, warum Filme da überhaupt mehr als 100 Millionen kosten müssen. Für das Geld hätte man von der Sorte mit Werbung vermutlich 20 Stück drehen können, und wenn von denen dann 4 oder 5 ähnlich einschlagen, ist das doch eine sichere Rechnung…
Versteh’ einer Hollywood.

Runner172
Runner172
16. Juli, 2013 00:49

Und ich hatte schon gedacht nur ich rege mich über das Ende und die ein oder andere Stelle auf weil sie in so gut wie keiner Kritik Erwähnung finden.
Ich sage es mal so man lässt doch niemanden lebendig gehen der einen noch vor ein paar Minuten ich scheiben schneiden wollte 😉
Schöne Kritik weiter so Greetz