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Mrz 2012

DVD-Kritik: “Merkwürdige Geschichten”

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

D 1970. 13 Folgen. Regie: Fritz Umgelter. Darsteller: Hellmut Lange, Günter Mack, Konrad Georg, Karl-Walter Diess, Sky du Mont, Helmut Schneider, Bruno Dietrich, Volkert Kraeft, Monica Bleibtreu, Max Griesser, Rosl Mayr, Victoria Brams, Nino Korda, Franziska Stömmer, Paula Braend, Otto Stern, Will Danin, Imo Heite, Dietrich Thoms, Claudia Wedekind, Alexis von Hagemeister, Hans Schellbach, Siegurd Fitzek, Helmut Alimonta, Franziska Liebig u.a.

Meine LvA kauft gerne Serien auf DVDs ein, besonders Klassiker ihrer Jugend. Derzeit schaut sie noch mal “Der Junge mit den Goldhosen”, davor war “Wettlauf nach Bombay” dran. “M*A*S*H” hat sie mehrfach gesehen, ebenso “Sharpe” und “Hornblower”. Neulich kam sie mit einer Box an, die auch mein Interesse erregte. Ich hatte noch nie von “Merkwürdige Geschichten” gehört und wie sich schnell recherchieren ließ, war das kein Wunder: Es war eine für das regionale Vorabendprogramm produzierte Gruselserie, die “vor meiner Zeit” ausgestrahlt wurde.

Als oller Gruselfan musste ich mir diesen deutschen Versuch, der “Twilight Zone” nachzueifern, natürlich anschauen. Schließlich hieß das Original hierzulande in einer frühen Ausstrahlung auch “Unwahrscheinliche Geschichten” bzw. “Geschichten, die nicht zu erklären sind”. Was konnte es mich außer ein paar Hirnzellen und den Glauben an das heimische Fernsehen schon kosten?

Alle 13 Folgen wurden vom deutschen TV-Veteran Fritz Umgelter (“Traumschiff”, “Tatort”) gedreht und von einem Jan Lester geschrieben – hinter dessen Namen ich ein Pseudonym vermute.

Nur, damit das klar ist: Wir haben es hier nicht mit einer vergessenen Horrorperle zu tun, sondern mit spießigem Hokuspokus des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens, der Nachkriegs-Mief atmet und sich an keiner Stelle traut, tatsächlich mal Butter bei die Fische zu geben.

Praktisch ALLE Episoden laufen mehr oder weniger nach dem selben Schema ab: Eine paar Leute sitzen beisammen (Cockpit-Crew, Polizisten, Studenten) und das Gespräch kommt auf unerklärliche Erlebnisse. Es fällt ein Satz wie: “Das erinnert mich an eine ganz seltsame Sache, die mir vor ein paar Jahren passiert ist”. In einer Rückblende wird dann gezeigt, wie jemand einer Person begegnet, deren Auftauchen sich nicht erklären lässt und die vor einem Unglück warnt oder den Tod vorhersagt. Das Omen bewahrheitet sich oder die Tragödie wird verhindert. Am Schluss ist wieder die Rahmengeschichte dran, die mit allgemeinem Kopfschütteln endet: “Also, Sachen gibt’s…”

Abgesehen davon, dass die Geschichten frustrierend repetitiv und austauschbar sind, sind sie auch nicht besonders gut erzählt. Lester gibt sich keine Mühe, den Erscheinungen irgendeinen Kontext zu geben, ihnen Eigenschaften oder Umstände zu verleihen. Es passiert einfach – sonst wäre es ja nicht merkwürdig. Ob es sich um Geister handelt oder um Halluzinationen, um Visionen oder Wiedergänger – völlig schnuppe. Im Schweinsgalopp werden 25 Minuten absolviert, am Ende ist die Geschichte zwar vorbei, aber die Handlung eigentlich nicht. Man bleibt ob der unkonkreten Erzählweise frustriert zurück.

Tatsächliche okkulte Elemente werden ab und an mal angedeutet, mitunter sind sie auch die einzige Erklärung, aber es bleibt dem Zuschauer überlassen, sich das irgendwie zusammen zu reimen. Twists gar oder konkrete Auflösungen darf man nicht erwarten. Irgendwann kam mir der Gedanke, dass die “Merkwürdigen Geschichten” am ehesten mit diesen Einseitern in Frauenzeitschriften zu vergleichen sind: “Mein dunkles Geheimnis”, “Die wahre Geschichte”, “Mein Schicksals-Erlebnis”.

Und trotzdem haben wir alle 13 Folgen mit Begeisterung angeschaut. Weil ihr Wert nicht in der spannenden Erzählung liegt, sondern im nostalgischen Kick. Besetzt sind die “Merkwürdigen Geschichten” nämlich mit der Creme de la creme der deutschen Fernsehstars ihrer Zeit. Es gibt viele Gesichter zu entdecken, die man kennt, aber oft nicht namentlich zuordnen kann: Mack, Kraeft, Lange, Griesser. Praktisch jede Folge enthält ein oder zwei “Ach schau mal, der!”-Momente.

Aus Kostengründen wurden die “Merkwürdigen Geschichten” zudem fast komplett “on location” in München gedreht, was einen sensationellen Blick zurück in die Zeit erlaubt. Hier fährt man mit dem Auto noch lässig vom Odeonsplatz am “Betten Ried” vorbei (schon längst eine Fußgängerzone), der alte Flughafen Riem glänzt im besten “Mad Men”-Design. Frisuren, Mode, Möbel, Sprache – die 70er sind so authentisch eingefangen, dass man glaubt, im Anschluss komme “Klimbim”. Deutschland in seiner so erschreckenden wie naiven Banalität. Es ist ein Blick zurück ohne Zorn.

Zu loben ist auch die Bild- und Tonqualität, die so ziemlich alles schlägt, was ich an TV-Serien aus dieser Ära bisher gesehen habe. Das Bild ist kristallklar und kontrastreich, der Ton absolut unverrauscht. So gut haben die “Merkwürdigen Geschichten” vermutlich bei ihrer Erstausstrahlung vor über 40 Jahren nicht ausgesehen.

Der Vorspann verkauft die Serie deutlich trashiger, als sie letztlich ist:

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Fazit: Die “Merkwürdigen Geschichten” sind kein gutes Fernsehen, aber eine faszinierende Zeitreise, wenn man zu sowas einen Draht hat.

Offizielle Extras gibt es keine – aber ich verbuche kackfrech die Sequenz als Bonus, in der Volker Kraeft (angeblich in Sturm und bei Steinschlag) in der Episode “Ein Wink des Schicksals” mit dem VW Käfer zu einer Almhütte fährt. Das strotzt vor Anschluss- und Schnittfehlern und ist derart inkompetent zusammen gestümpert, dass man sich in einer Slapstick-Szene aus “Nonstop Nonsens” wähnt. Großes Entertainment.



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Peroy
Peroy
20. März, 2012 08:29

Vermutlich immer noch besser, als das was die deutschen Privatsender sich heutzutage in dem Bereich so aus den Rippen schneiden…

DMJ
DMJ
20. März, 2012 09:49

Wirklich mal ein interessantes Kuriosum.

Realsatiriker
Realsatiriker
20. März, 2012 10:03

1976 folgten die “Schaurigen Geschichten” und 1980 13 Folgen “Unheimliche Geschichten”. Letztere wieder von Jan Lester fürs ARD-Vorabendprogramm geschrieben. Kommen vermutlich auch demnächst auf DVD.

Spirou
Spirou
2. April, 2012 12:35

“Der Junge mit der Geldhose”!!! Ich fass’ es nicht! :o) Seit Jahren frage ich immer mal wieder Leute, die in meinem Alter sind, ob sie diese Serie kennen oder als Kind vielleicht gesehen haben (nachdem ich die Handlung kurz beschrieben habe). Resultat: Bisher hat noch nie (!) ein einziger Mensch “Ja” gesagt! (Und beim Googlen habe ich auch nichts gefunden. Vielleicht, weil es “Goldhosen” und nicht “Geldhosen” heisst?! @WV: Kannst Du das eventuell bestätigen?)

Inzwischen dachte ich ernsthaft, ich hätte mir diese Serie nur eingebildet, bzw. vielleicht geträumt oder im Mumpsfieber ausgedacht.

Ich freue mir gerade wirklich ein Loch in den Bauch, dass ich doch nicht “verrückt” bin! :o)))

Wortvogel
Wortvogel
2. April, 2012 12:40

@ Spirou: Du bist nicht verrückt, die Serie heißt “Der Junge mit den Goldhosen” – und wir haben die sechsteilige Miniserie auf DVD hier stehen.

Spirou
Spirou
2. April, 2012 16:28

@ WV: Vielen Dank! :o) Freue mich riesig, werde mir die DVD-Miniserie noch heute bestellen! Und werde – jetzt in einer ganz anderen “Position” – weiterhin nach Leuten suchen, die diese Serie auch gesehen haben (kann es sein, dass, mit Dir und Deiner LvA,nur drei Leute das damals geguckt haben?! ;o)

noyse
noyse
5. März, 2017 13:13

ließt wahrscheinlich niemand mehr hier, aber der Junge ist 2014 nochmal verfilmt worden https://www.youtube.com/watch?v=w6DqZJSRka8

Und die merkwürdigen Geschichten sind echt sowas von hölzern 🙂